Messaufbau zur Prüfung der Messstellen (TAPs) mit dem Kabelzertifizierer.

Messaufbau zur Prüfung der Messstellen (TAPs) mit dem Kabelzertifizierer. (Bild: IVG Göhringer)

Für die anlagenweite Datenkommunikation sind Ethernet-basierte Kommunikationssysteme wie Profinet heute die erste Wahl. Das liegt nicht nur an den deutlich höheren Übertragungsraten im Vergleich zu seriellen Feldbussen, sondern auch an der größeren Flexibilität. Verschiedene Protokolle laufen parallel und die Topologie lässt sich nahezu beliebig erweitern. Diese Vielfalt führt jedoch zu einer höheren Komplexität des Netzwerks, die sich bei der Abnahme und bei der Fehlersuche im laufenden Betrieb bemerkbar macht. Der messtechnische Dienstleister und Schulungsanbieter IVG Göhringer aus Holzgerlingen wird daher häufig als Troubleshooter zu Anlagen gerufen, die aufgrund von Bus- oder Netzwerkproblemen ausgefallen sind.

Auf die Schnelle

Das Wesentliche in 20 Sekunden

Die Komplexität in Profinet-Netzwerken nimmt zu, und damit wird auch die Fehlersuche bei Netzwerk-Störungen schwieriger.

Messstellen für Diagnose-Messgeräte sind unter Umständen nicht ohne Rückwirkung auf die Messungen.

Diagnose-Messgeräte selbst können eine Messung verfälschen.

Die Netzwerk-Komplexität nimmt zu

Im Vergleich zu seriellen Feldbussen liegt der Vorteil von Ethernet-basierten Systemen klar auf der Hand: einfacheres Engineering, höhere Datenraten, skalierbare Echtzeitfähigkeit sowie mehr Möglichkeiten und Flexibilität bei der Netzwerkarchitektur. Durch die bewährte Ethernet-Technologie sind IP-basierte industrielle Netzwerke sehr robust gegenüber Störeinflüssen. Dennoch kann es auch hier zu unerwarteten Ausfällen kommen. Und dann muss der Fehler schnell gefunden werden. Im Unterschied zum klassischen Feldbus kann bei den Punkt-zu-Punkt verkabelten Ethernet-Netzwerken jedoch nicht einfach an einer beliebigen Stelle des Busses ein Diagnosegerät eingeklinkt werden. Beim Auftrennen der Ethernet-Verbindung würde es sofort zum Abbruch der Kommunikation und damit zum Anlagenstillstand kommen. Zudem ist nicht jedes Telegramm an jeder beliebigen Stelle im Netzwerk messbar.

Erstaunliche Messergebnisse: Die im Feld eingebauten Messstellen zeigen bis zu zwei Kurzschlüsse.

Erstaunliche Messergebnisse: Die im Feld eingebauten Messstellen zeigen bis zu zwei Kurzschlüsse. IVG Göhringer

Test-Access-Points als Messstellen

Um trotzdem messen zu können, werden sogenannte Test-Access-Points (TAP) als Messstelle fest in das Profinet-Netzwerk integriert. Sie sind meistens, wie in den PNO-Richtlinien vorgeschrieben, unmittelbar am Controller installiert und sollen damit den unterbrechungsfreien Anschluss eines Diagnosegeräts im laufenden Betrieb ermöglichen. Der Ethernet-Verkehr wird auf die Ports der Messstelle gespiegelt, um den Netzwerkverkehr nicht zu beeinflussen. Der passive TAP soll das Netzwerk vor Störungen durch angeschlossene Diagnosegeräte oder PCs schützen. Ein Kabelzertifizierer darf die Messstelle nur als Steckstelle erkennen, ansonsten muss sie sich sowohl im bestromten als auch im unbestromten Zustand vollkommen passiv verhalten. Innerhalb eines Profinet-Kabels dürfen bis zu zwei Steckstellen vorhanden sein. Neuere Kabelzertifizierer erkennen die Steckstellen per TTR-Messung, da an den Steckkontakten minimale Reflexionen auftreten.

Bei der Abnahme solcher Systeme nach einer Neuinstallation oder Anlagenerweiterung scheiden sich die Geister. Das eine Extrem geht davon aus, dass eine Abnahme beziehungsweise Vermessung der Leitungen nicht notwendig ist, wenn man prinzipiell nur zertifizierte Kabel, Leitungen, Steckverbinder und Geräte einsetzt. Das andere Extrem ist der Meinung, dass jede Leitung aufwändig vermessen werden muss (was enorme Kosten verursachen würde). Die Anlagenbetreiber sind zwischen diesen Extremen hin- und hergerissen. „In den Montage- und Aufbaurichtlinien der Profibus/Profinet-Nutzerorganisation werden zwar entsprechende Vorgaben gemacht, trotzdem sehen wir in der Praxis vor Ort eine große Unsicherheit“, stellt Hans-Ludwig Göhringer, Geschäftsführer von IVG Göhringer, fest.

Zwei Resonanzstellen im Netzwerk: Sie können die Datenkommunikation stören und zum Ausfall führen.

Zwei Resonanzstellen im Netzwerk: Sie können die Datenkommunikation stören und zum Ausfall führen. IVG Göhringer

Erstaunliche Messergebnisse

Die TAPs werden also an den Stellen eingesetzt, die eine einfache Aufzeichnung und Analyse erlauben und ohne dass es zu einer Unterbrechung der Kommunikation des Datenverkehrs kommt. „Im Zuge verschiedener Messeinsätze sind wir mit einigen dieser Geräte in Kontakt gekommen und haben immer wieder erstaunt auf unsere Messergebnisse geblickt“, berichtet Göhringer aus seinen Troubleshooting-Einsätzen und fährt fort: „Nach einer gewissen Zeit war uns klar, dass wir uns die ‚passiven‘ Eigenschaften der Messstellen genauer anschauen müssen.“ Daraufhin überprüfte das Unternehmen die Messstellen und die Geräte verschiedener Anbieter mit einem Kabelzertifizierer. Dazu wurden jeweils vor und nach dem Probanden zwei Meter Profinet-Kabel angeschlossen und dann anhand der Kabelspezifikation des Profinet-Kabels durchgemessen. Die Überlegung war dabei, dass die Geräte mit und ohne Spannung vollkommen rückwirkungsfrei arbeiten müssen. „Was wir da gefunden haben, hat uns sehr erstaunt“, sagt Göhringer. Es waren Geräte zur Diagnose eingebaut, die selbst Fehler im Datenverkehr verursachen. Und viele Messstellen für Diagnosetools, die sensibelsten Stellen im gesamten Netzwerk überhaupt, haben die Eigenschaft „passiv“ gar nicht erfüllt. Die Messstelle BS-0130 von IVG Göhringer zeigt dagegen keine Kurzschlüsse und damit auch keine Resonanzen.

Die Auffälligkeiten verschiedener Messgeräte hat IVG Göhringer näher untersucht. An verschiedenen Probanden stellte der Kabelzertifizierer einen Kurzschluss zwischen den Datenleitungen im Profinet-Netzwerk fest. Der Kurzschluss alleine ist schon problematisch, aber es gab auch ein Gerät, das vier Resonanzfrequenzen aufwies: jeweils zwei auf der Empfangsleitung des ankommenden Ports und zwei auf der Empfangsleitung des abgehenden Ports. Diese können sich unter dem Einfluss der Luftfeuchtigkeit im Feld noch leicht verändern. Wird nun ein Kabel mit einer zufällig ungünstigen Länge eingesetzt, kann es zu einer Schwingung kommen, welche die Kommunikation stört und zum Ausfall führt. Wird das Kabel verlängert oder verkürzt, kann der Fehler weg sein oder stärker in Erscheinung treten. In manchen Fällen kann ein „schlechteres“ Kabel, das die Norm nicht erfüllt, zu einem funktionierenden Netzwerk führen. Jeder Anwender, der schon Messergebnisse hatte, für die es keine Erklärung gab, sollte deshalb hellhörig werden.

Profinet-Workshop mit Diagnosegeräten

Nach diesen Erfahrungen bietet der messtechnische Dienstleister, der auch Schulungen anbietet, auf dem Automatisierungstreff 2017 einen etwas anderen Workshop an – die Anwender bringen dazu ihre eigenen Diagnosegeräte mit Spannungsversorgung mit. In dem Workshop werden die Eigenheiten der verschiedenen Geräte herausgearbeitet. „Der Anwender weiß hinterher ganz genau, welchen Ergebnissen er vertrauen darf und in welchen Fällen er genauer hinschauen muss“, bringt der Geschäftsführer Göhringer die Workshop-Inhalte auf den Punkt. Die Teilnehmer lernen, auf was es speziell beim eigenen Werkzeug ankommt. Und sie bekommen einen Überblick über die Leistungsmerkmale der am Markt erhältlichen Diagnosetools (Messgeräte) für künftige Investitionen.

Tipps für den Netzwerk-Betreiber

Der Anwender muss sich genau informieren, bevor er in Messtechnik für sein Ethernet- beziehungsweise Profinet-Netzwerk investiert. Im schlimmsten Fall hat er mit den Messgeräten eine Schwachstelle, die er vorher nicht hatte. Letztendlich zeigt die Situation auch, dass man seinen Messgeräten nicht blind vertrauen darf. Am Ende ist doch ein gewisser Sachverstand des Anwenders erforderlich – und genau da setzen die Praxis-Workshops von IVG Göhringer an.

Gerhard Bäurle

freier Fachjournalist

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