Volker Fink, EDAG, im Interview mit Alfred Vollmer, Chefredakteur von AUTOMOBIL-ELEKTRONK

(Bild: Alfred Vollmer)

Herr Fink, wie laufen die Geschäfte?

Volker Fink: Das E/E-Geschäft läuft in Summe gut, auch in Anbetracht der Umstände, dass diverse OEMs sich völlig neu strukturieren. Wir bespielen im E/E-Bereich sowohl die CASE-Themen mit unterschiedlicher Bandbreite und Intensität als auch die klassische Gesamtfahrzeugelektrik und -elektronik. Diese Kombination generiert Aufträge, die mit dem klassischen Geschäft teilweise nicht erreichbar waren. Trotz aller Herausforderungen, vor welchen unsere Kunden stehen, geben alle Marktteilnehmer in den Bereichen  Elektromobilität und Fahrerassistenzsysteme aktuell richtig Gas. Hier können wir als EDAG Group mit unserer Gesamtfahrzeugkompetenz eine ganzheitliche Herangehensweise bieten. Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder, unser Segment E/E ist im letzten Halbjahr um 17 Prozent gewachsen.

Volker Fink, EDAG, im Interview mit Alfred Vollmer, Chefredakteur von AUTOMOBIL-ELEKTRONK

Volker Fink (hier im Gespräch mit AUTOMOBIL-ELEKTRONIK-Chefredakteur Alfred Vollmer): „Wer es schafft, eine General-Purpose-Hardware mit einem General-Purpose-Betriebssystem zu kombinieren, das ISO-26262-konform ist sowie die Security-Anforderungen einer datensicheren OTA-Verteilarchitektur erfüllt und darüber hinaus noch in einem konformen Software-Entwicklungsprozess mit kurzen Turnaround-Zeiten „handlebar“ ist, der hat den Heiligen Gral der E/E gefunden.“ Alfred Vollmer

EDAG hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt…

Volker Fink: Ursprünglich kommen wir aus dem Bereich der klassischen Fahrzeugentwicklung, bei dem der E/E-Bereich damals nur einen komplementären Bereich darstellte. Mittlerweile hat das Thema E/E-Entwicklung innerhalb der EDAG Group eine immense Dynamik entwickelt. Wir haben in diesem Bereich massiv aufgebaut. Mit der Integration der BFFT in die EDAG Group zählen wir heute mit nahezu 2000 Mitarbeitern allein in der Elektrik/Elektronik-Entwicklung zu einem der großen Player auf dem Markt. Dieser Aspekt ist sowohl für uns als EDAG Group als auch für unsere Kunden wichtig, denen wir heute ein großes Portfolio sowohl in der Breite als auch in der technischen Tiefe anbieten können. Wir sind heute ein full-featured Fahrzeug- und Produktionsanlagenentwickler und werden verstärkt auch im E/E-Bereich mit strategisch relevanten Entwicklungsaufträgen betraut.

So sind wir zum Beispiel im süddeutschen Raum an Kern-Entwicklungen entweder beteiligt oder verantworten Teilumfänge dieser Entwicklungen. Neben dem lokalen Projektgeschäft arbeiten wir darüber hinaus an internationalen Projekten im Verbund mit unserem Netzwerk von fast 60 Standorten.

Wie hat sich EDAG jetzt aufgestellt?

Volker Fink: EDAG steht auf drei Säulen – Vehicle Engineering,  Production Solutions und Electrics/Electronics. Die Elektronikentwicklung hat sich bei uns von einer Abteilung der Fahrzeugentwicklung zu einem ganz eigenen Segment entwickelt. Von den 8500 EDAG-Mitarbeitern weltweit arbeiten nahezu 2000 Mitarbeiter im E/E-Umfeld.

Sie arbeiten für verschiedene OEMs an teilweise ähnlichen Themen. Wie sorgen Sie dafür, dass die Kundenprojekte strikt getrennt bleiben?

Volker Fink: Auf Grund der Größe und Komplexität der Gewerke arbeiten wir standortübergreifend. Unsere nach Kompetenzen organisierten Bereiche sind somit auf mehrere Standorte verteilt, aus welchen sich die Projekte bedienen. In dieser klassischen Matrixorganisation ist die Trennung der Projekte bei gleichzeitiger Gewährleistung der Kompetenz sichergestellt. Hier sind wir seit Jahrzehnten mit bestens bewährten Methoden unterwegs, um die konkreten Projekte voneinander abzuschirmen.

In welchen Elektronik-Bereichen ist EDAG aktiv?

Volker Fink: Wir sind in sechs verschiedenen Portfolio-Einheiten unterwegs, die wir Programme nennen und die von jeweils dedizierten Mitarbeitern gesteuert werden. Im Einzelnen sind das die Programme Vehicle Electrics & Electronics, E-Drive & Battery, Comfort & Passive Safety, Autonomous Drive & Active Safety, Connectivity & User Experience sowie Mobility & Cloud Services. Mit diesen Angebotspaketen sind wir in der Lage, zielgenau direkt an die Geschäftsorganisation unserer Kunden anzudocken und uns gezielt auf die Unternehmensstrategien der einzelnen OEMs auszurichten.

Wie EDAG innovativ in Vorleistung geht und was es mit dem City Bot auf sich hat, können Sie auf der nächsten Seite lesen.

Was heißt das in der Praxis?

Volker Fink:  Als Entwicklungspartner entwickeln wir nicht nur im Kundenauftrag, sondern gehen durchaus auch innovativ in Vorleistung. Auf Grund unserer Größe können wir in eigene Innovationen investieren; das tun wir teilweise mit Partnern – auch im Rahmen von öffentlich geförderten Innovations-Initiativen, bei denen teilweise auch unsere Kunden mit an Bord sind.

Ein gutes Beispiel ist das Thema Mobility & Cloud Services, wo wir unter unserer Marke trive.me eigene Produkte entwickeln, die sich teilweise auch direkt an Konsumenten richten. Wir verlassen hier somit ganz bewusst unser klassisches B2B-Business. Ein Beispiel für ein solches Produkt ist die eigenentwickelte App „trive.park“. Die Lösung ist für Parkhausbetreiber interessant, weil sie den Endkunden innovative Parklösungen vom Buchungs- und Bezahlsystem über die Navigation bis hin zu einem automatisierten Schrankenöffnungsprozess in den angeschlossenen Parkhäusern bietet. In Berlin, Nürnberg und München sind wir damit bereits mitten im operativen Betrieb. Bei solchen neuen Projekten sind wir dann auch offen für neue Geschäftsmodelle, neue Gesellschaftsstrukturen etc., um uns entsprechend optimal aufzustellen.

Volker Fink ADAG 2

Volker Fink, EDAG BFFT Electronics: „Unsere Kunden honorieren, dass wir proaktiv Lösungsansätze für neue Mobilitätskonzepte entwickeln.“ Alfred Vollmer

Auf der IAA haben Sie ja in diesem Jahr mit dem CityBot einen Technologiedemonstrator ausgestellt, …

Volker Fink: … den wir bewusst als Pitch sehen, um auch eine Marktreaktion auf das von uns intern entwickelte Mobilitätskonzept zu bekommen. Es beinhaltet nicht nur den Technologiedemonstrator, sondern auch die Vernetzung und Integration von CityBot in das System Stadt. Somit ist es ein komplettes Ökosystem. Wir erhielten darauf eine noch viel positivere Resonanz als erwartet. Wir arbeiten daran, dieses Konzept sukzessive weiterzuentwickeln.

Welches Prinzip steht hinter City Bot?

Volker Fink:  City Bot besteht aus einem universell nutzbaren Triebkopf und einem anwendungsbezogenen Anbau. Diesen Triebkopf werden wir jetzt sukzessive realisieren, indem wir einen Elektroantrieb und eine Lenkung einbauen, Sensoren zur Umfelderkennung integrieren und eine Trajektorienplanung sowie die entsprechende Connectivity realisieren. Dabei haben wir nicht das Ziel, mit Serienkomponenten zur Serienreife zu kommen. Vielmehr wollen wir die Herausforderungen des autonomen Fahrens am eigenen Prototypen erfahren – und nicht nur im Rahmen von Projekten. Diverse relevante Player haben uns auf der IAA angesprochen und angefragt, ob sie partnerschaftlich mit uns an diesem Projekt arbeiten können. Wir werden dabei kein neues Fahrwerk und keinen Elektromotor entwickeln, sondern mit Unternehmen kooperieren, die entsprechende Lösungen im Portfolio haben, um dann gemeinsam zukunftsweisende Prototypen zu realisieren. Wir führen derzeit auch Gespräche mit zwei europäischen Großstädten, die an Pilotprojekten auf Basis von CityBot Interesse haben.

Damit betreten Sie Terrain, auf dem bisher nur die Tier-1s wie Bosch, Conti und ZF aktiv waren. Wollen Sie damit zu etablierten Tier-1s in Konkurrenz treten?

Volker Fink:  Nein! Unsere Kunden erwarten von uns nicht mehr ausschließlich Engineering-Ressourcen, sondern innovative Ideen und Lösungskompetenz. Die Welt hat sich verändert: Die Kunden fragen nicht mehr „Wie viele Ingenieure könnt Ihr beisteuern?“, sondern welches Know-how wir mit einbringen können. Vor diesem Hintergrund sind Eigenentwicklungen wie der CityBot sehr wichtig für uns. Unser Geschäftsmodell ist nicht auf eine zukünftige Massenproduktion von Komponenten oder Systemen ausgerichtet, weil wir ganz klar auf der Service-Seite bleiben. Von daher stufen uns unsere Kunden auch nicht als Wettbewerber ein, sondern honorieren vielmehr, dass wir proaktiv Lösungsansätze für neue Mobilitätskonzepte entwickeln.

In welchen Bereichen ist die Nachfrage derzeit besonders hoch?

Volker Fink:  Am meisten Bewegung und auch Nachfrage verspüren wir bei der Elektromobilität sowie rund um Autonomous Drive & Active Safety. In der Elektromobilität sind wir bei den Energiespeichersystemen von der Zelle bis zur Gesamt-Batterieserie sehr gut aufgestellt. Konkret entwickeln wir Serienbatterien und bauen prototypisch Kleinstserien für Prototypenflotten im Hochvolt-Bereich. Diesen Bereich werden wir auch ausbauen, und auch die Brennstoffzelle haben wir ganz klar im Fokus.

Welche Aktivitäten hat EDAG im Bereich Brennstoffzellen?

Volker Fink:  Brennstoffzellen kamen bisher außerhalb des Automotive-Bereichs zum Einsatz, sodass wir als eine Art Mediator fungieren, weil wir beide Seiten kennen und die Sprache beider Branchen sprechen. Zusätzlich haben wir die Gesamtfahrzeug-Kompetenz, um beide zusammenzubringen. Dieser Geschäftszweig wird innerhalb der nächsten zwei Jahre eine ganz massive Nachfrage erfahren – vor allem im Bereich der kommerziellen Fahrzeuge.

Für den Mercedes GLC hat Daimler bereits im Jahr 2015 EDAG beauftragt, die Integrationsentwicklung des Brennstoffzellenantriebssystems für dieses Fahrzeug und die Kleinserienfertigung zu übernehmen.

Was EDAG im Bereich autonomes Fahren entwickelt, welche Rolle dort FPGAs spielen und wie sich das Bordnetz verändert, steht auf der nächsten Seite.

Welche Aktivitäten hat EDAG im Bereich ADAS und autonomes Fahren?

Volker Fink: Wir haben zum Beispiel eine auf Basis neuronaler Netze arbeitende Bildverarbeitungssoftware entwickelt, die Dreck, Nebel und Verschmutzung aus den Bilddaten herausrechnen kann, um so die Vorverarbeitung der Kamerabilder zu optimieren. Extrem vereinfacht könnte man von einer Software sprechen, die wie ein Brillenputztuch arbeitet. Wir haben hierfür wirklich eine komplett neue Gesamtarchitektur von Grund auf im eigenen Haus entwickelt und nicht nur Standard-Algorithmen adaptiert.

Ein weiteres Kompetenzbeispiel ist die SRD Fusion Engine, die die Fusion der Sensor-Rohdaten von Kamera, Radar und Lidar ermöglicht. Wo der Mensch kein Problem hat, kommt so mancher Algorithmus nicht mehr weiter – beispielsweise, wenn sich zwei Autos überholen und dann wie ein verschmolzenes Objekt aussehen, das sich anschließend wieder auftrennt. Durch die Verwendung der Sensor-Rohdaten schaffen wir es, erheblich höhere Trackingraten zu erzielen als dies bei der Fusionierung von vorverarbeiteten Daten möglich ist. Wir wollen nicht gleich das autonome Fahrzeug neu erfinden, aber wir kennen aus unseren Projekten all die Punkte, die heute problematisch sind, für Schwierigkeiten in der Absicherung sorgen und die Performance der Algorithmen negativ belasten. Bei derartigen Punkten besteht unser Ansatz darin, direkt die Ursachen anzugehen, um das System zu optimieren.

Volker Fink, EDAG BFFT Electronics, über den City Bot

Volker Fink, EDAG BFFT Electronics: „Die Welt hat sich verändert. Vor diesem Hintergrund sind Eigenentwicklungen wie der City Bot sehr wichtig für uns.“ Alfred Vollmer

Wie verändert sich die Hardware beim autonomen Fahren?

Volker Fink:  Wir brauchen maximale Rechenleistung bei viel geringerer Verlustleistung als dies momentan noch der Fall ist. Wir benötigen für AD ganz neuartige dedizierte Halbleiter. So untersuchen wir derzeit im Rahmen unserer Forschungen, welche Teile der Algorithmik neuronaler Netze wir auf Spezialhardware portieren können, um dort die Matrixmultiplikationen durchzuführen. Hier können FPGAs eine gute Lösung sein, um vom General-Purpose-Ansatz wegzukommen, damit deutlich weniger Schaltvorgänge pro Rechenoperation notwendig sind, was zu signifikanten Einsparungen beim Energiebedarf führt.

Prinzipiell geht der Trend zum System-on-Chip, aber weil die Ausfallrate mit dem Quadrat der Chipfläche wächst, sollte die Chipfläche natürlich so gering wie möglich sein. Gleichzeitig müssen wir auf Grund der sehr hohen Taktfrequenzen vieles bereits auf einem Chip abarbeiten, weil die Lichtgeschwindigkeit immer stärker als begrenzender Faktor ins Spiel kommt. Wir sind mittlerweile oft so schnell unterwegs, dass das Licht innerhalb eines Taktzyklus‘ nur noch 3 cm zurücklegt.

Was tut sich bei den Architekturen und der Vernetzung?

Volker Fink: Wir glauben, dass der Trend noch stärker in Richtung Rechencluster gehen wird – und zwar vor allem in Richtung eines zentralen Rechensystems im Fahrzeug. EDAG beschäftigt sich intensiv mit zonen-basierten Architekturen, TSN und dem rekonfigurierbaren Bordnetz. Gerade bei universell einsetzbaren Grundkonzepten wie dem CityBot, bei denen durch wechselnde Aufbauten unterschiedliche Sensorkombinationen entstehen, ist ein rekonfigurierbares Bordnetz besonders wichtig.

Im Prinzip wünschen sich alle eine derart vereinheitlichte Hardware, dass keine domänenspezifischen Elemente mehr auf teuren Hochleistungsrechnern erforderlich sind, sondern nur noch General-Purpose-Hochleistungsrechner. Diese Rechner sollten dann möglichst skalierbar sein, um zum Beispiel im Breitensegment einen Zentralrechner und im Oberklassefahrzeug zwei dieser Rechner einzusetzen. Die Fotobranche macht uns das schon vor: Während die einfacheren Kameras einen hochspezialisierten Chip enthalten, sorgen in den Top-Spiegelreflexkameras zwei dieser Chips für die entsprechende Performance. Analog dazu wäre es auch in einer Zonenarchitektur, bei der man die Software direkt und durchgängig nutzen kann. Die teuren zentralen Elemente sind einheitlich, bei Bedarf aus Performance-Gründen skaliert und im Wesentlichen software-gesteuert. Lediglich die einfacheren Controller in der Peripherie unterscheiden sich dann noch. Diese Software soll zu größten Teilen wiederverwendbar sein.

Wer es schafft, eine General-Purpose-Hardware mit einem General-Purpose-Betriebssystem zu kombinieren, das ISO-26262-konform ist, sowie die Security-Anforderungen einer datensicheren OTA-Verteilarchitektur erfüllt und darüber hinaus noch in einem konformen Software-Entwicklungsprozess mit kurzen Turnaround-Zeiten „handlebar“ ist, der hat den Heiligen Gral der E/E gefunden.

Wo liegen die Probleme auf der Implementierungsseite?

Volker Fink:  Derzeit unterschätzen zahlreiche Beteiligte noch das Thema Safety. Mit vielen verschiedenen Software-Lieferanten, die allesamt auf einer Basishardware arbeiten, ist die Integration ein echter Kraftakt – vor allem im Bereich der funktionalen Sicherheit. Weil Sicherheit keine Software- sondern eine Systemeigenschaft ist, müssen wir hier auf einem schwierigen, kräftezehrenden Weg noch viele Schritte gehen, zumal die Hardware genauso sicher sein muss wie die Software, was heute noch nicht der Fall ist. Gleichzeitig müssen wir den Security-Aspekt von Anfang an mit implementieren.

Welche Bedeutung hat jetzt der Automobil-Elektronik Kongress in Ludwigsburg für Sie?

Volker Fink:  Ludwigsburg ist definitiv jedes Jahr ein Top-Event, bei dem die Entscheidungsträger der gesamten Automobilbranche zusammenkommen. Als international aufgestelltes Unternehmen begrüßen wir, dass jetzt auch so viele internationale Vertreter nach Ludwigsburg kommen. Für uns gibt es kein besseres Event zum Netzwerken. Wir schätzen besonders, dass viele der Teilnehmer in Ludwigsburg ihre Ansätze, Innovationen und Visionen in großer Offenheit präsentieren. Auch international kenne ich kein vergleichbares Event. In punkto Technologie, Management und strategische Diskussionen ist Ludwigsburg einfach „the place to be“.

Alfred Vollmer

Chefredaktion AUTOMOBIL-ELKTRONIK

(gk)

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