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Avionikspezialist Michael Schneider (links) und Plasmaexperte Peter Langhof (rechts) vor der Openair-Plasmaanlage.

Avionikspezialist Michael Schneider (links) und Plasmaexperte Peter Langhof (rechts) vor der Openair-Plasmaanlage.Plasmatreat

Fast drei Milliarden zivile Flugreisende setzten im letzten Jahr ihr Vertrauen in die Qualität und Zuverlässigkeit der Flugverkehrskontrolle. Die Hauptaufgabe der hier arbeitenden Fluglotsen besteht darin, Flugzeuge am Boden und in der Luft per Funk so zu leiten, dass Kollisionen vermieden werden. Die Sicherheit der Passagiere hängt dabei in hohem Maße von der klaren Verständigung zwischen Lotsen und Piloten ab und diese Verständigung bedingt wiederum die einwandfreie Funktion der elektronischen Flugfunkgeräte (Bild 1). Für die Kommunikation mit der Flugsicherung und für die weltweite Verbindung mit ihrer Fluggesellschaft benutzen die Besatzungen von Langstreckenflugzeugen Kurzwellenfunkgeräte. Diese ermöglichen sogar eine unterbrechungsfreie Kommunikation bei Flugrouten über die Pole, bei denen Satellitenverbindungen nicht mehr zur Verfügung stehen.

Bild 1: Die Kurzwellenfunkgeräte XK/FK 516.

Bild 1: Die Kurzwellenfunkgeräte XK/FK 516.Rohde & Schwarz

Solche höchsten Sicherheitsbestimmungen unterliegenden Funksysteme stellt beispielsweise Rohde & Schwarz her. Das Werk der Tochter Rohde & Schwarz Messgerätebau in Memmingen ist für die Endfertigung, den Endtest und die Auslieferung fast aller dieser Produkte zuständig. Weltweit gibt es kaum ein Langstreckenflugzeug, das heute ohne die Kurzwellenfunkgeräte XK/FK 516 jenes Herstellers startet oder landet. Das Herzstück des speziell für den zivilen Flugfunk und für Langstreckenflüge entwickelten Antennenanpassgerätes FK 516 ist eine mit mehreren Hundert Komponenten bestückte Leiterplatte, die sogenannte Tuning Control. Die Aufgabe dieser Baugruppe mit ihren winzigen kunststoffummantelten SMD-Bauteilen ist die spätere sichere Antennenanpassung und damit die Gewährleistung des gesamten Sprechfunkverkehrs.

Unerwartetes Haftungsproblem

Was bei der Produktion über Jahre hinweg reibungslos geklappt hatte, nämlich der Auftrag der sogenannten Conformal Coating, einer transparenten modifizierten Acrylat-Schutzlackierung, fand eines Tages ein jähes Ende, als man plötzlich feststellte, dass sich der Lack von etwa 50 Transistoren löste. Da man nichts am Bestückungs-, Vorreinigungs-  oder Lackierprozess geändert hatte, wurde schnell klar, dass die Ursache nur beim Material des Bausteins selbst liegen konnte. In der Tat bestätigte der Lieferant, die Zusammensetzung seines Kunststoffgemisches verändert zu haben. Ein Problem, das verarbeitende Industrieunternehmen, die auf Kunststoffbauteile aus fremder Produktion angewiesen sind, häufig erfahren, da schon geringste Unterschiede in der Zusammensetzung ausreichen, um die Oberflächeneigenschaften des Materials vollkommen zu verändern. Die Mitteilung des Lieferanten war umso gravierender, da man keine Alternative zu dem neuen Kunststoffgemisch hatte. Einen anderen zertifizierten Hersteller für genau diese elektronischen Bauteile gab es einfach nicht. Es galt also, rasch eine Lösung zu finden, um die Haftung der Conformal Coating zu ermöglichen. Ohne gesicherte Lackhaftung ließen sich keine weiteren Tuning Controls herstellen.

Bild 5: Die Graphik zeigt eine unpolare Kunststoffoberfläche, die mit Plasma vorbehandelt wurde. Nach der Behandlung wird die Oberfläche polar und die Oberflächenenergie steigt auf >72mJ/m² bei großem Prozessfenster.

Bild 5: Die Graphik zeigt eine unpolare Kunststoffoberfläche, die mit Plasma vorbehandelt wurde. Nach der Behandlung wird die Oberfläche polar und die Oberflächenenergie steigt auf >72mJ/m² bei großem Prozessfenster.Plasmatreat

Wieso haftet ein Material nun jedoch an einem anderen? Haftungsempfänglicher werden Materialien bekanntlich dadurch, dass man sie „aktiviert“, indem sie also eine Vorbehandlung erfahren, bei der ihre Oberflächenenergie (mJ/m²) erhöht wird (Bild 5). Letztere ist das wichtigste Maß für die Beurteilung der voraussichtlichen Haftung einer Klebschicht oder Lackierung. Die sichere, langzeitstabile Haftung setzt voraus, dass zum einen die Materialoberfläche feinstgereinigt ist, zum andern die Oberflächenenergie des Festkörpers größer ist, als die Oberflächenspannung (mN/m) der Flüssigkeit, also in diesem Fall des Lackes. Es gibt für beide Anforderungen unterschiedliche Vorbehandlungsverfahren, wobei der Einsatz nass-chemischer Substanzen das nach wie vor die häufigste ist.

Das passende Verfahren

Doch die richtige Vorbehandlung für die hochempfindlichen elektronischen Bauteile zu finden, erwies sich als schwierig. Die Aktivierung mit einem Primer auf Lösemittelbasis kam nicht infrage, da diese Substanzen sehr umweltbelastend sind und einen enormen Aufwand an Arbeitssicherheitsmaßnahmen wie etwa dem Explosionsschutz und hohe Entsorgungskosten mit sich bringen. Eine Vorbehandlung durch Laserbestrahlung schied ebenfalls aus, da aufgrund der nicht einheitlichen Materialoberfläche das Einkoppelverhalten nicht vorhersehbar gewesen wäre. CO2-Schneestrahlen, ein Verfahren, das zwar reinigt, jedoch keine Aktivierungsfähigkeit besitzt, kam ebenso wenig in Betracht. Die letzte noch in Betracht gezogene Methode war eine Behandlung im Niederdruckplasma, ein höchst effektives Aktivierungsverfahren, jedoch für diesen Zweck nicht anwendbar, da die Baugruppe unter anderem auch mit nassen Elektrolyt-Kondensatoren bestückt ist und das Vakuum die Flüssigkeit aus den Kondensatoren gezogen hätte. Schließlich erwies sich Atmosphärendruckplasma als Lösung, speziell die Plasmadüsentechnik Openair.

Bild 4: Illustration der Aggregatzustände.

Bild 4: Illustration der Aggregatzustände.Plasmatreat

Plasma beruht auf einem einfachen physikalischen Prinzip. Durch Energiezufuhr ändern sich die Aggregatzustände: aus fest wird flüssig, aus flüssig gasförmig. Wird einem Gas nun weitere Energie zugeführt, so wird es ionisiert, das heißt die Elektronen erhalten eine höhere kinetische Energie und verlassen die Schale. Es entstehen freie Elektronen, Ionen und Molekülfragmente, und das Gas geht in den Plasmazustand über, der auch als „4. Aggregatzustand“ bezeichnet wird (Bild 4). Dieser Zustand war jedoch früher unter Normaldruck aufgrund seiner Instabilität nur sehr eingeschränkt zu verwenden.

Bild 2: Plasma strömt aus der Düse auf das Board und bewirkt in Sekundenschnell eine hohe Aktivierung der Kunststoffbauteile.

Bild 2: Plasma strömt aus der Düse auf das Board und bewirkt in Sekundenschnell eine hohe Aktivierung der Kunststoffbauteile.Plasmatreat

Die vor rund 20 Jahren von Plasmatreat entwickelte Atmosphärendruck-Plasmatechnik (AD-Plasma) Openair schuf neue Möglichkeiten: Durch die Entwicklung und den Einsatz von Plasmadüsen (Bild 2) gelang es, den bis dahin industriell kaum genutzten Aggregatzustand „inline“ in Produktionsprozesse zu integrieren und Plasma unter Normaldruck in großem Umfang und für die unterschiedlichsten Industriezweige nutzbar zu machen. Mit der heute weltweit angewandten Technik wurde ein umweltfreundliches und hochwirksames Vorbehandlungsverfahren geschaffen, bei dessen Anwendung allein Luft als Prozessgas und elektrische Energie benötigt werden.

Vorbehandlung im Sekundentakt

Bild 6: Die Rotationsdüse für elektronische Bauteile.

Bild 6: Die Rotationsdüse für elektronische Bauteile.Plasmatreat

Anders als beim Niederdruckplasma benötigt AD-Plasma keine Vakuumkammer, sondern arbeitet unter ganz normalen Luftbedingungen. Aufgrund seines niedrigen Wärmeeintrags bezeichnet man es auch als „kaltes Plasma“. Openair-Plasma sorgt für die mikrofeine Reinigung der Kunststoffoberfläche und gleichzeitig ihre hohe Aktivierung. Nachfolgende Prozesse wie das Beschichten, Verkleben oder Bedrucken können unmittelbar nach der Behandlung vorgenommen werden. Die typischen Erwärmungen von Kunststoffoberflächen während der Plasmabehandlung betragen nur zwischen 20 °C und 30 °C. Dabei ist die Einwirkzeit des mit nahezu Schallgeschwindigkeit auf die Oberfläche auftreffenden Plasmas so kurz, dass weder thermische noch andere Beeinträchtigungen an den Bauteilen auftreten. Darüber hinaus kommen bei elektronischen Bauteilen besonders schonend arbeitende Rotationsdüsen (Bild 6) zum Einsatz, welche die Vorbehandlungswirkung durch das Rotationsprinzip sehr gleichmäßig auf die Arbeitsflächen verteilen. Dabei wird die Oberfläche mehrmals kurzzeitig pulsartig überstrichen, was eine effektive Form der Reinigung und Aktivierung bei gleichzeitig geringem Wärmeeintrag darstellt.

Die Intensität des Plasmastrahls ist so hoch, dass beim Einsatz feststehender Einzeldüsen Bearbeitungsgeschwindigkeiten von mehreren 100 m/min erreicht werden können. Dabei kann ein einzelner Plasmastrahl, abhängig von der Leistung der Plasmadüse, bis zu 50 mm lang sein und eine Behandlungsbreite von 25 mm erzielen. Die Plasmaquelle wird je nach erforderlicher Behandlungsleistung im Abstand von bis zu 40 mm mit einer Geschwindigkeit von bis zu 600 m/min relativ zur Oberfläche des Behandlungsmaterials bewegt. Durch den Einsatz von rotativen Plasmadüsen kann sogar eine Wirkbreite bis 130 mm pro Düse, bei Behandlungsgeschwindigkeiten von bis zu 40 m/min, erreicht werden.

Bild 3: Grundprinzipien des Haftens und Klebens.

Bild 3: Grundprinzipien des Haftens und Klebens.Plasmatreat

Trifft das Plasma auf eine Kunststoffoberfläche, wie im Fall der kunststoffummantelten Baugruppenkomponenten, so werden dabei sauerstoff- und stickstoffhaltige Gruppierungen in die meist unpolare Polymermatrix eingebaut. Die Oberfläche wird somit modifiziert. Möglich wird diese Wirkung durch die im Plasma vorhandenen energiereichen Radikale, Ionen, Atome und Molekülfragmente, die ihre Energie an die Oberfläche des zu behandelnden Materials abgeben und dadurch chemische Reaktionen initiieren. Die entstandenen funktionellen Hydroxyl-, Carbonyl-, Carboxyl-, und Ethergruppen (aber auch Sauerstoffverbindungen des Stickstoffs) gehen mit Klebstoffen und Lacken teils sehr feste chemische Bindungen ein und tragen so zur Verbesserung der Haftung bei (Bild 3).

Plasma im Test

Würde die sensible Elektronik die Plasmabestrahlung schadlos überstehen? Schon die ersten Versuche mit einer Openair-Leihanlage zeigten, dass das Plasma der Elektronik keinen Schaden zufügte. Was die Kunststoff-Transistoren betraf, die das ganze Problem ausgelöst hatten, so war die Oberflächenenergie von unter 30 mJ/m² im nicht aktivierten Zustand auf über 70mJ/m² nach der Plasmabehandlung gestiegen. Ein letzter optischer UV-Test, dem jede einzelne Baugruppe vor der Montage unterzogen wird, bewies zudem, dass sich der Lack nicht löste. Doch das reichte Rohde & Schwarz nicht. Der anspruchsvollste Test stand noch aus.

Die bekanntlich sehr hohen Anforderungen der Automobilbauer an die Funktion und Lebensdauer sicherheitsrelevanter Komponenten werden von den Vorgaben im Flugzeugbau noch bei weitem übertroffen. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Burn-In-Test, den bei Rohde & Schwarz die Tuning Controls nach ihrer Fertigung durchlaufen. Um diese Testanforderung zu verstehen, muss man wissen, dass bei Flugzeugen die Funkgeräte nur selten im klimatisierten, druckausgeglichenen Bereich der Maschine eingebaut werden. Meist sitzen sie aus Platzmangel in der Nase des Fliegers, wo ganz andere Temperaturen und Luftfeuchtigkeitsverhältnisse herrschen. Der Grund, warum die vollflächige Haftung der auf die elektrischen Komponenten aufgebrachten Schutzlackierung so wichtig ist: Schon die kleinste Leckage würde zum Eindringen von Feuchtigkeit und zu einem eventuellen Komplettausfall des Sprechfunkverkehrs führen. Was der Flugreisende kaum weiß: Jede Passagiermaschine ist verpflichtet, zwei Funkgeräte an Bord zu haben, wobei das eine als Backupsystem beim Ausfall des anderen gilt. Landet die Maschine am Zielflughafen mit einem defekten Funksystem, so muss sie solange am Boden bleiben, bis ein Ersatzgerät wiederbeschafft und eingebaut ist.

Der Burn-In-Test dient der Erforschung des Dauerbetriebs und der Voralterung elektronischer Bauteile. Er ist der höchste Belastungstest für die elektronischen Baugruppen. Es gilt dabei, Fertigungsfehler zu erkennen, die vorher nicht erkennbar waren und im Vorfeld Komponenten zu finden, die im Dauerbetrieb versagen würden. In Memmingen wird das komplette Funkgerät bei laufender Funktion, das heißt unter Strom und mit Antenne in der Burn-In-Kammer geprüft. Die Tests bestehen aus einer Serie von achtstündigen Kalt/Warm-Zyklen, wobei man das Gerät vier Stunden lang einer Kälte von -55 °C aussetzt, bevor die Temperatur innerhalb weniger Minuten auf +70 °C hochgepuscht und wiederum vier Stunden gehalten wird. Danach wird sie ebenso schnell wieder abgesenkt, womit der nächste Kältezyklus beginnt. Insgesamt werden die Kalt/Warm-Zyklen neun Mal, also drei Tage lang wiederholt. In dieser Zeit ist das Funkgerät non-stop den schnellen und extremen Temperaturschwankungen ausgeliefert. Hätte das Plasma der Elektronik Schaden zugefügt, so wäre spätestens bei diesem Test ein Ausfall von Komponenten aufgetreten. Genauso hätte es sich spätestens jetzt gezeigt, wenn eine Haftung des Lacks auf dem Kunststoff nicht ausreichend gewesen wäre.

Doch auch nach diesem Test waren die Ergebnisse eindeutig: Die Elektronik funktionierte einwandfrei und die Lackhaftung war langzeitstabil. Die Plasmatechnik hatte sich in allen Punkten und unter den anspruchsvollsten Bedingungen bewährt. Der Memminger Flugfunkspezialist gab die Leihanlage zurück und erwarb im März 2012 stattdessen eine eigene, die seither im kontinuierlichen Produktionsprozess läuft und mitverantwortlich für die Sicherung der Funkgeräte ist.

Aktivierung und Reinigung der Oberfläche

Die Atmosphärendruck-Plasmatechnik Openair erlaubt dank Prozesssicherheit und Überwachungsfunktionen die Einsparung von Arbeitsschritten. Die Plasmatechnolgie Openair konditioniert Oberflächen in zweierlei Hinsicht. Je nach Prozess und Produkt steht dabei entweder die Reinigung oder die Aktivierung der Oberfläche im Vordergrund. Beide Aspekte verbessern die Haftung der aufzubringenden Schichten. Im Falle von Rohde & Schwarz erwuchs aus ihrem Einsatz sogar eine Qualitätsverbesserung des Produktes.

Inès A. Melamies

ist Fachjournalistin

(mrc)

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