Berlin/Sulzbach, Dezember 2007. Der Kostendruck im Markt der Fahrzeug-Getriebe wird in den kommenden Jahren anziehen: Über 1000 Teilnehmer kamen Anfang Dezember auf das 6. Internationale CTI-Symposium „Innovative Fahrzeug-Getriebe“ in Berlin und erfuhren, dass die Globalisierung und die verschärften Emissionsbestimmungen zu immer härteren Bedingungen in der internationalen Automobilentwicklung führen. Begegnen könne die Industrie dem nur durch Kooperationen und durch optimierte Antriebstechnologie. Die Zukunft der unterschiedlichen Getriebekonzepte auf den einzelnen geographischen Märkten wurde ebenfalls diskutiert. Hier wurde deutlich: Das Doppelkupplungsgetriebe wird in Europa, aber auch in den USA an Bedeutung gewinnen; das stufenlose Getriebe hat vor allem Chancen auf dem indischen Markt. Uneinig waren sich die Experten bei der Entscheidung für Lösungen zur Verbrauchsreduzierung. „Der Kostendruck auf die Automobilindustrie wird Dimensionen annehmen, die wir uns heute noch nicht ansatzweise vorstellen können“, prognostizierte Dr. Carsten Breitfeld, Leiter der Getriebeentwicklung bei BMW. Die Entwicklung zeichne sich bereits heute ab: „Addieren Sie die Planzahlen und vergleichen Sie sie mit den Marktdaten – die Rechnung wird nicht aufgehen.“ Die Branche müsse sich auf einen massiven Verdrängungswettbewerb einstellen. Die Zuliefererindustrie bestätigt diesen Trend: „Der Wettbewerb auf den Automobilmärkten hat die globale Ebene erreicht“, sagte Tobias Hagenmeyer, Präsident des Getriebeherstellers Getrag Corporate Group. Das werde auch die Getriebebranche spüren, zumal das Getriebe den höchsten Investitionsgrad im Fahrzeug verzeichne. Hagenmeyer rät allen Marktbeteiligten, zu kooperieren. So könnten nicht zuletzt auch die ökologischen Aufgaben bewältigt werden: „Wir müssen in gemeinsamer Arbeit neue Motoren und Getriebe entwickeln, um den Kraftstoffverbrauch und die Emissionen zu senken und zugleich den wirtschaftlichen Anforderungen zu genügen.“ Schon heute befänden sich 80 Prozent der Getriebeentwicklung in der Hand von Automobilherstellern. Diese Kompetenzen gelte es zu nutzen. Getrag setze zum Beispiel auf maßgeschneiderte Lösungen für die Automobilhersteller. „Wir haben die Vision von einer gemeinsamen Zulieferer-Basis, gemeinsamen Standards.“ Eine weitere Strategie sei es, das weltweite Volumen zu bündeln und Lizenzen gemeinsam zu nutzen. „Das schafft Kostenvorteile“, erklärte Hagenmeyer. Getrag werde auf diese Weise bis 2015 sein Produktionsvolumen auf etwa fünf Millionen Getriebe anheben. Der Markt für Getriebe sei in jedem Fall vorhanden: Die Anzahl an produzierten Fahrzeugen werde bis 2015 von heute 69 Millionen auf 93 Millionen steigen, getrieben vor allem vom Mobilitätswachstum der neuen Märkte. „Das Bedürfnis nach Mobilität wird weltweit dramatisch zunehmen“, so die Prognose von Rita Forst, verantwortliche Leiterin der Produktentwicklung bei General Motors. Derzeit seien weltweit etwa 800 Millionen Autos auf dem Markt, bis zum Jahr 2020 werde die Anzahl auf 1,1 Milliarden steigen. Das entspricht einem Wachstum von 15 Prozent. Philip Gott vom Marktforschungsunternehmen Global Insight sagt für das Jahr 2030 sogar ein Marktpotenzial von drei Milliarden Fahrzeugen voraus. Wie Getrag-Chef Hagenmeyer betonte, sei Mobilität eine der Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung. Länder wie Brasilien, Russland, Indien und China seien die Zukunftsmärkte für Autohersteller und Getriebeentwickler. Allein die Abverkäufe in China werden nach einer Untersuchung von Global Insight in zehn Jahren etwa 18 Prozent des gesamten weltweiten Fahrzeugabsatzes ausmachen. BMW-Getriebeentwickler Breitfeld wies jedoch darauf hin, dass in diesen Ländern das Technologiekonzept den jeweiligen Rahmenbedingungen angepasst werden müsse. „Die Verbrauchsvorteile der verschiedenen Technologien stehen in direktem Zusammenhang mit ihren Einsatzbereichen.“ Für den Eintritt in neue Märkte eigneten sich vor allem die Schaltgetriebe. „Für Einstiegsfahrzeuge zum Verkaufspreis von 3000 bis 5000 US-Dollar sind Automatikgetriebe zu teuer“, so die Begründung von Getrag-Chef Hagenmeyer. Hersteller sollten anfangs in manuelle Getriebe investieren. Anschließend könnten sie die Basistechnologie nutzen, um bei entsprechender Nachfrage auf Doppelkupplungsgetriebe (Dual-Clutch Transmission – DCT) umzustellen. „So laufen Hersteller nicht Gefahr, ihre Investitionen in den Sand zu setzen.“ Getrag selbst will im Jahr 2012 DCT in China einführen.In Indien könnte Studien zufolge das stufenlose Getriebe (Continuously Variable Transmission – CVT) an Marktanteilen gewinnen. Dr. Clive Hickman, Head of Engineering beim indischen Automobilhersteller Tata Motors Ltd., rechnet bis 2050 mit etwa 600 Millionen Autofahrern in diesem Land. In der hohen Verkehrsdichte erlaube das CVT-Konzept den größten Komfort. Auf diesen Trend stellen sich japanische Hersteller bereits ein: Hier ist der CVT-Produktionsanteil laut einer auf dem Symposium vorgestellten Global-Insight-Studie in den vergangenen drei Jahren von zehn auf 25 Prozent gestiegen und liegt nun gleichauf mit Schaltgetrieben. Zwar würde der Markt auch künftig von Automatikgetrieben angeführt, doch werde deren Anteil bis 2017 auf knapp unter 50 Prozent sinken. Die Herstellungskosten für CVT seien zwar höher als für Automatikgetriebe, aber die Kosten werden sinken, sobald das Volumen wächst, so Tianshu Xin von Global Insight. Der Aufstieg der CVT-Getriebe wurde bestätigt von Takashi Shibayama, Vizepräsident der Abteilung Forschung und Entwicklung beim japanischen Getriebehersteller Jatco Ltd.: 2007 habe Jatco 2,6 Millionen CVTs produziert. In den nächsten fünf Jahren werde das Unternehmen die Produktionszahlen um 30 Prozent steigern. In Europa hat das DCT offenbar gute Chancen. Dr. Stephan Rinderknecht, Entwicklungsleiter bei Getrag, erläuterte, warum: „Das Doppelkupplungsgetriebe hat einen um mindestens vier Prozent geringeren Kraftstoffverbrauch gegenüber dem Schaltgetriebe, bietet aber zugleich Dynamik und Fahrspaß.“ Volkswagen (VW) setzt als erster Automobilhersteller DCT seit 2005 serienmäßig ein. Michael Schäfer, Leiter der Technischen Entwicklung für Doppelkupplungsgetriebe, fasste zusammen: „Direktschaltgetriebe mit Doppelkupplung vereinen die Vorteile von Handschaltung und Automatik.“ Neben Verbrauchseinsparungen ermögliche das DCT eine optimale Übersetzung ohne das Problem der Zugkraftunterbrechung. Gleichwohl sei die Entwicklung von DCT teuer. „Das Zusammenwirken verschiedener Komponenten ist die größte Herausforderung“, bekannte Schäfer. Um die ökologischen Ziele zu erreichen, seien auch Faktoren wie beispielsweise das Gewicht und oder die Aerodynamik des Fahrzeugs wichtig. VW arbeite daher mit Zulieferern zusammen, um besonders leichte Getriebeteile aus Magnesium zu entwickeln. Getrag-Chef Hagenmeyer ist zuversichtlich, was die Zukunft der DCT betrifft: „Wir sind erst am Anfang der DCT-Erfolgsgeschichte. Wir werden noch einen großen Innovationsfortschritt erleben.“ Nicht nur in Europa, auch in den Vereinigten Staaten hält das DCT Einzug: „Doppelkupplungsgetriebe, sowohl die nassen als auch die trockenen, werden sich in den USA Marktanteile im Segment der Klein- und Mittelklassewagen erarbeiten“, prognostizierte Steve Thomas von der Ford Motor Company. Gleichwohl bliebe das Automatikgetriebe auch künftig das dominierende Konzept. Auf dem japanischen Markt spielt das DCT jedoch noch keine Rolle: „Japaner haben viel Fachwissen und Erfahrung auf dem Gebiet der Automatikgetriebe und zeigen deshalb noch kein Interesse an Doppelkupplungsgetrieben“, so die Beobachtung von Global-Insight-Marktforscher Tianshu Xin. Die Verbrauchsreduzierung beschäftigt die Autoindustrie zwar weiterhin, die Meinungen über wirkungsvolle Ansätze jedoch gehen auseinander. „Wir müssen eine nachhaltige Mobilität schaffen, dabei aber gesetzliche Vorgaben zur Umweltverträglichkeit, Kunden- und Marktanforderungen und Wirtschaftlichkeit miteinander ausbalancieren“, so Rita Forst von GM Powertrain. Neue Antriebstechnologien seien ein Anfang: Mit trockenen 6- oder 7-Gang-Doppelkupplungsgetrieben ließe sich bereits heute fünf Prozent mehr Kraftstoff sparen als mit herkömmlichen manuellen 5-Gang-Schaltgetrieben. Langfristig müsse sich jedoch die Automobilindustrie von fossilen Brennstoffen verabschieden, so ihr Appell. Derzeit würden 98 Prozent aller Fahrzeuge mit fossilen Energieträgern betrieben. Ihre Prognose: Optimierte und alternative Antriebstechnologien werden künftig durch Hybridkonzepte und Brennstoffzellentechnologie ergänzt. „An der Brennstoffzelle führt kein Weg vorbei“, ist Forst überzeugt. Zudem sollten möglichst alle Getriebearten künftig hybridfähig sein. Dr. Carsten Breitfeld von BMW bezweifelt, dass regenerative Energien schon in Kürze flächendeckend in Fahrzeugen eingesetzt werden: „Bislang mussten sich noch alle neuen Energieträger zunächst im stationären Bereich bewähren, bevor sie im mobilen Betrieb eingesetzt wurden. So weit sind wir noch nicht.“ BMW habe mit dem Konzept der „Effizienten Dynamik“ – beruhend auf den Faktoren Fahrleistung, Gewicht und Verbrauch – versucht, die ökonomischen, politischen und kundenseitigen Anforderungen zu erfüllen: „Bei gleicher Dynamik lässt sich der Verbrauch um mindestens 15 Prozent senken.“ Um das maximale Potenzial von 30 Prozent zu heben, müssten lediglich die Technologien von Automatik- und Doppelkupplungsgetrieben kombiniert werden. Statt aufwändig in neue Konzepte zu investieren, sei es ratsam, bestehende Technologien zu verbessern. „Die größten Einsparpotenziale beim Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß bietet die Optimierung der konventionellen Technologie. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten“, beschwor Breitfeld die Teilnehmer. Dr. Michael Paul, Vorstandsmitglied beim Getriebehersteller ZF Friedrichshafen, zeigte, was die Getriebeentwicklung tun kann, um die CO2-Emissionen zu verringern. „Das ideale, beste Getriebekonzept gibt es nicht“, räumte der Experte mit Illusionen auf. Jedes Getriebekonzept beeinflusse den Verbrauch und die Fahrleistung und sei daher jeweils abhängig vom Anwendungsfall zu beurteilen. Jedoch könnten die Hersteller, indem sie Antriebsstrang und Fahrwerk optimierten, im Idealfall den Kraftstoffverbrauch um bis zu 60 Prozent reduzieren; technisch umsetzbar sind davon 42 bis 47 Prozent. „Bis 2010 sind 30 Prozent Verbrauchsreduzierung über Antriebsstrang und Fahrwerk möglich: Bis zu 25 Prozent durch Hybridisierung und bis zu sechs Prozent über das neue 8-Gang-Automatikgetriebe von ZF.“ Wie sein Kollege Dr. Harald Naunheimer von ZF Getriebe berichtete, bestehe das neue 8-Gang-Getriebe aus der gleichen Anzahl an Teilen wie das 6-Gang-Getriebe, verbessere aber das Leistungsgewicht um zehn Prozent. Zudem sei es hybridfähig. „Das 8-Gang-Getriebe ist ein völlig neues Getriebekonzept.“ Weil in jedem Gang nur zwei Schaltelemente geöffnet seien, würden die Schleppverluste deutlich reduziert. Das Getriebe habe dadurch einen verbesserten Wirkungsgrad und eine höhere Gesamtübersetzung. Günstig auf den Verbrauch und den CO2-Ausstoß wirkten sich zudem moderne Torsionsdämpfersysteme im Drehmomentwandler aus. Wie Dr. Michael Paul ankündigte, werde das 8-Gang-Getriebe ab 2010 in Serie gehen. Ebenso wichtig wie die Optimierung von Fahrzeugkomponenten ist Dr. Paul jedoch die Durchsetzung einer engeren Zusammenarbeit in der Automobilindustrie. „Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, Potenziale zu erschließen. Die Feinheiten der Optimierung erfordern langfristige Partnerschaften zwischen Herstellern und Zulieferern.“

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