Grenzen und Funktionsumfang der Infotainment-Systeme weiten sich stetig aus. Die ursprüngliche Zielsetzung, den Fahrer mit Informationen (Radioempfang, Navigation, Verkehrsmeldungen) zu versorgen und zu unterhalten (Musik, Multimedia, Telefonie), ist für den Kunden nicht mehr ausreichend. Durch ein breites Spektrum von Informationsquellen und die Vernetzung mit der Außenwelt und mit mobilen Endgeräten eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten.

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Konnektivität ist zweifellos der Megatrend bei den Infotainment-Systemen von morgen (Stichwort: Das vernetzte Auto). Hier zeigen sich drei Hauptachsen, die Consumer-Elektronik, das Internet und die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen und der Straßen-Infrastruktur.

Viele Technologien wurden erheblich verbessert, um das Unterhaltungs-Erlebnis für die Anwender aufzuwerten. Dazu gehören die digitale Signalverarbeitung für das analoge FM- und AM-Radio, digitale Radiostandards wie DAB+, HDRadio und SiriusXM SDARS mit herausragender Klangqualität und digitalen Datendiensten sowie die Positionsermittlung mit multi-globalen Satelliten-Navigations-Systemen (zum Beispiel GPS, GLONASS, BEIDOU2, QZSS), um höhere Genauigkeit bei schwierigen Empfangsbedingungen beispielsweise in innerstädtischen Straßenschluchten zu erzielen. Auch der Breitbandzugriff auf das Mobilfunknetz für die Suche nach Navigationszielen, die Smartphone-Anbindung zum Streamen digitaler Inhalte sowie eine verbesserte Spracherkennung für die intuitive und sichere Interaktion mit dem Fahrer gehört dazu. Weiter geht es mit einer verbesserten Informationsdarstellung auf größeren Farbdisplays sowie der Head-up-Displaytechnik, um die Ablenkung des Fahrers zu verringern. Diese Beispiele zeigen, welche neuen Anwendungen diese technische Entwicklung ermöglicht.

Die Systemarchitektur und die technischen Herausforderungen

Die Dynamik und die Vielfalt der soeben aufgezählten Funktionen veranlassen die OEMs zu einer Umgestaltung der Infotainment-Systeme. Traditionell war die Head-Unit die Zentrale, zur Steuerung des Gesamtsystems. Die zunehmende Dichte der elektronischen Komponenten stellt die Hardwareentwickler vor Herausforderungen, was den Platzbedarf, die Komplexität der Leiterplatten, die Verlustleistung und die mechanischen Verbindungen betrifft.

In diversen Anwendungsbereichen des Fahrzeugs kommen mittlerweile oft schon adaptierte Consumer-ICs zum Einsatz.

In diversen Anwendungsbereichen des Fahrzeugs kommen mittlerweile oft schon adaptierte Consumer-ICs zum Einsatz.STMicroelectronics

Zu diesen physischen Restriktionen kommen die technischen Herausforderungen bei den Zulieferern von Infotainment-Systemen hinzu, die eine Vielzahl von Technologien beherrschen müssen. Sie werden dabei zunehmend von der Dynamik der Consumer-Elektronik getrieben und in hohem Maß von großen Unternehmen dieses Segments wie etwa Google und Apple beeinflusst. Die Entwicklung und das Testen von Systemen, die weltweit zum Einsatz kommen und außerdem an den schnelllebigen Markt der Mobilgeräte angebunden sein sollen, hat eine erhebliche technische Komplexität zur Folge, die wiederum hohe Investitionen in Hardware, die Beschaffung von Know-how, Validierungsverfahren und die Softwareentwicklung erfordert. Es gibt keine Garantie mehr, dass sich solche Investitionen rechnen, und somit lassen sich Eigenentwicklungen durch die Hersteller von Infotainment-Systemen kaum mehr rechtfertigen. Stattdessen ist die Schaffung von partnerschaftlichen Strukturen mit firmenübergreifender Zusammenarbeit nötig.

Diese Rahmenbedingungen brachten die Autohersteller dazu, beginnend bei den High-End-Systemen dezentrale Systemarchitekturen zu entwickeln, in denen die Funktionen in verschiedenen miteinander vernetzten Knoten implementiert sind. Nachdem zunächst die Head-Unit und die Telematikeinheit getrennt wurden, geht dieser Trend nun weiter und resultiert in isolierten Tuner-Boxen verschiedener Formate. Mit Tunerkarten, Antennenboxen und intelligenten Antennen reagiert man auf den Wunsch nach Universal-Empfängern, die letzten Endes von einer kleinen Zahl spezialisierter Tier-1- und Tier-2-Zulieferer beherrscht und validiert werden.

Der Einfluss des HMI

Der Trend zu dezentralen Architekturen wird zusätzlich von einer wichtigen Funktion bestimmt, der Benutzeroberfläche. Diese muss dem Anwender die relevanten Informationen zur richtigen Zeit und mit einem passenden Detaillierungsgrad präsentieren. Sie muss dabei einerseits die Erwartungen der Anwender erfüllen, andererseits aber jede Ablenkung des Fahrers vermeiden. Der Endkunde, und hier speziell die junge Generation, erwartet eindeutig auch im Auto ein digital sowie vom Display geprägtes Erlebnis. Der berühmte Satz „Ich möchte nicht, dass mein (digitales) Leben im Auto aufhört“ bedeutet, dass das HMI und die grafische Benutzeroberfläche der Dynamik der Consumer-Elektronik-Branche folgen müssen. Hieraus resultiert ein vermehrter Druck auf die Fahrzeughersteller, die nicht ohne weiteres hinnehmen werden, die Kontrolle über das HMI mit gespiegelten oder projizierten Smartphone-Techniken an Consumer-Marken wie Google oder Apple abzugeben.

Das HMI der Infotainment-Systeme ist zu einem markentypischen Alleinstellungsmerkmal für die Autohersteller geworden, die für alle ihre Fahrzeugmodelle ein wiedererkennbares HMI mit einem einheitlichen Look & Feel erzielen. Für die OEMs ist dies Anlass genug, die Regie über die HMI-Entwicklung zu übernehmen.

Als Konsequenz daraus entwickeln sich die Infotainment-Systeme von geschlossenen, unter der Kontrolle von Erstzulieferern stehenden Black-Boxes zu Systemen, die für die Automobilhersteller offen sind und es ihnen ermöglichen, ihr eigenes HMI zu integrieren. Die Implementierung erfolgt dabei durch ein dediziertes OEM-Partnernetzwerk aus mehreren Third-Party-Unternehmen mit direkter Unterstützung durch Halbleiterhersteller, die leistungsfähige GPUs (Graphics Processing Units) und SoCs (System-on-Chips) anbieten. Je höher die Anforderungen an die Grafik werden, umso fester wird die Bindung zwischen OEM und Halbleiterhersteller.

Infotainment im vernetzten Fahrzeug

Die Entwicklung auf dem Infotainment-Markt zielt auf das vernetzte Auto. Um mit der technischen Entwicklung Bereich der Consumer-Endgeräte (Smartphones, Tablets etc.) mithalten zu können und dabei preislich attraktive Lösungen zu verwenden, setzt die Kfz-Branche zunehmend auf den Einsatz von adaptierten Consumer-Elektronik-ICs.

Die Rolle der Infotainment-Tier-1s hat sich dadurch von der eines Systementwicklers zu der eines Systemintegrators für Hardware- und verschiedene Softwarekomponenten gewandelt, deren Vorauswahl die Automobilhersteller treffen. Dies gilt in besonderem Maß für High-End-Systeme.

Man kann erkennen, wie dieser anspruchsvolle Trend im HMI-Bereich, dessen künftige Entwicklung kaum vorhersagbar ist, die gesamte Infotainment-Industrie und die Kostenstruktur beeinflusst – nicht nur bei den OEMs, den Erstzulieferern und den Softwareanbietern sondern auch bei den Halbleiterherstellern. Die enormen IC-Entwicklungskosten sorgen dabei dafür, dass sich die Zahl der Hersteller von Automotive-Halbleitern auf einen kleinen Anbieterkreis beschränkt. Eine mögliche, sich auf dem Markt bereits abzeichnende Konsequenz hieraus ist der Einsatz von Consumer-SoCs, die nachträglich für die Automobilindustrie qualifiziert und auf Modul-Ebene integriert werden.

Neuerungen im Einstiegssegment

Mit dem Ziel, die Consumer-Welt im Fahrzeug zu erschwinglichen Kosten zu bieten, entsteht eine neue Klasse von Infotainment-Systemen. Es handelt sich dabei um Autoradios und Display Audios (DAs), die an das Mobilgerät des Anwenders angeschlossen sind. Technologien wie Mirror Link, Apple Car Play oder Android Projected Mode verwandeln das Smartphone in eine Automotive-Applikationsplattform. Die Benutzeroberfläche des Mobilgerätes wird dabei auf dem Farbdisplay des Infotainment-Systems dargestellt beziehungsweise gespiegelt (Mirroring), aber die Apps laufen dabei nach wie vor auf dem Smartphone.

Hiermit wird das Problem der SoC-Grafikleistung entschärft. Allerdings verlangt das Mirroring nach Rechenleistung, beispielsweise für das Decodieren des komprimierten Videodatenstroms und die effiziente Datenübertragung über Wi-Fi oder USB. High-End-ICs sind diesen Anforderungen zwar gewachsen, sprengen jedoch den Kostenrahmen. Dies führt zur Definition einer neuen Klasse kostenoptimierter SoC-Applikationsprozessoren.

Um das Dilemma der Kundenwünsche im Einstiegssegment des Infotainment-Markts zu lösen, erfolgt vorwiegend aus Kostengründen eine weitere radikale Vereinfachung des HMI mit der Entwicklung des Display-losen Radios. Die Mensch-Maschine-Schnittstelle des Autoradios wird hier auf wenige Tasten reduziert und nutzt Bedienelemente im Lenkrad, sowie die Anzeige des Kombiinstruments. Die graphische Bedienoberfläche läuft im Mobilgerät und greift per Bluetooth oder USB zum Beispiel auf das Radio, den Media Player und die Freisprechfunktion zu. Die Lieferung der App für die Infotainment-Anwenderschnittstelle (UI) erfolgt durch den Autohersteller, der auch die Zuständigkeit über das HMI behält.

Sichere Anbindung

Über die eben genannten Applikationen hinaus deckt das vernetzte Auto zusätzlich die Telematiksysteme ab. Deren Palette umfasst ITS-Dienste (Intelligent Transportation System), Notruffunktionen, Mautsysteme und Tachometer sowie Black-Boxes von Versicherungsunternehmen.

Diese Anwendungen nutzen viele gemeinsame Technologien und Funktionen mit den traditionellen Infotainment-Applikationen, so zum Beispiel die GNSS-Positionsermittlung, den mobilen Zugriff auf Back-End-Server, Bluetooth, Wi-Fi, USB-Schnittstellen, Funkempfänger für digitale Datendienste, den Zugriff auf das Fahrzeugnetzwerk und Ähnliches. Allerdings bringen diese Anwendungen höhere Anforderungen an die Datensicherheit, den Schutz der Privatsphäre, Interoperabilität und Normen mit sich. Außerdem heißt es, wirtschaftliche Faktoren und die Rechtslage zu berücksichtigen.

Diese Aspekte werden eine wachsende Rolle in unseren Gesellschaften spielen, die vor umweltbezogenen, wirtschaftlichen und demografischen Herausforderungen stehen. Die Nachfrage nach verbesserter Mobilität sowie nach robusteren, vermehrt anwenderorientierten und sichereren Diensten steigt überall in den großen Citys und Megacitys mit wachsender Tendenz.

Car-to-X/V2X

In dieser Hinsicht wird das vernetzte Auto ein wichtiger Wegbereiter für ITS-Lösungen sein – aufgewertet durch die V2X-Kommunikation auf Basis der 802.11p-Technologie (Wi-Fi). V2X ist die nächste große Evolutionstufe des Straßenverkehrs. V2X wird Fahrzeugen die Einrichtung sicherer Ad-hoc-Netzwerke ermöglichen sowie den effizienten und kosteneffektiven Austausch von Meldungen zur Steigerung der Mobilität mit Verbesserung der Fahrgeschwindigkeit, zum Schutz der Umwelt (ökonomisches Fahren), für die Planung von Alternativrouten und die wetterabhängige Routenplanung sowie schließlich für Sicherheits-Anwendungen zulassen. Letztere umfassen die Notbremsfunktionen, Vorwärts-Kollisionswarnung, Kreuzungsassistent, Totwinkelerkennung, Fahrspurassistent und Ähnliches.

Die sicherheitsbezogenen Anwendungen der V2X-Kommunikation zeigen deutlich, dass sich die Bereiche Infotainment und Telematik weiter in Richtung der Fahrerassistenzsysteme entwickeln. Hieraus resultiert die Forderung nach Sicherheit und Funktionssicherheit gemäß dem ASIL-Standard nach der Risikoeinstufung der Norm ISO 26262 für die Funktionssicherheit von Straßenfahrzeugen.

Halbleiter

STMicroelectronics liefert bereits seit vielen Jahren Halbleiter wie beispielsweise Audioverstärker, Tuner für terrestrisch und per Satellit ausgestrahlte Radioprogramme, Media-Prozessoren, Empfänger für die Satellitennavigation sowie Telematik-Prozessoren ins Auto und arbeitet jetzt mit Autotalks im V2X-Bereich zusammen.

Die Anforderungen im Infotainment-Bereich verlangen nach universellen Empfängern wie dem für Multi-Satellitennavigations-Systeme geeigneten Empfängerbaustein Teseo oder skalierbaren mehrkanaligen und für mehrere Standards geeigneten Radioempfängern für analoge und digitale Programme. Der STAR/DOT-Tuner und die DCOP-Familie ebnen den Weg für softwarebasierte Radioprozessoren. Um außerdem der Forderung nach einheitlichen Entwicklungsplattformen im Verbund mit reichhaltig ausgestatteten Softwareplattformen nachzukommen, enthalten die Applikationsprozessor-Familien Accordo für Car-Radio und Display-Audio sowie Telemaco für Telematik- und Konnektivitäts-Anwendungen kostenoptimierte Multicore-SoCs, die Sicherheits-Features integrieren und erweiterte Temperaturbereiche sowie ASIL-Standards unterstützen.

Philippe Prats

ist als Senior Marketing and Application Manager für den Bereich Car Infotainment in der Region EMEA bei STMicroelectronics tätig.

(av)

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