Schon bei den automatisierten Fahrzeugen auf der CES (infoDIREKT 307ael0215) wurde es klar: Der (sehr teure!) Laserscanner auf dem Dach hochautomatisierter Fahrzeuge – fast schon das Wahrzeichen des Google-Autos – gehört bald der Vergangenheit an. Bosch hat jetzt zum Beispiel zwei Tesla Model S zu Erprobungsfahrzeugen zur weiteren Entwicklung des automatisierten Fahrens umgerüstet, die sich auf den ersten Blick kaum noch von dem Serienmodell unterscheiden. Damit die Erprobungsfahrzeuge das Steuer übernehmen können, musste der Zulieferer zunächst in jedes Auto 50 neue Bosch-Komponenten einbauen. Zudem verlegte das Umbau-Team in jeweils 1400 Arbeitsstunden pro Fahrzeug 1300 Meter Kabel neu und befestigte diese mit 400 Kabelbindern befestigt worden. „Mit der Bosch-Technik können beide Tesla nun selbstständig von Autobahnauffahrt bis -abfahrt fahren, ohne dass der Fahrer sie ständig überwachen muss“, erklärt Bosch-Geschäftsführer Dr. Dirk Hoheisel zu diesem Highway-Assistenten, den Bosch zunächst auf den Geschwindigkeitsbereich von 0 bis 130 km/h auslegen will. Zusätzlich testet Bosch schon seit geraumer Zeit einen BMW so umgebaut, dass er automatisiert fahren kann.

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Bosch hat zwei Tesla Model S so umgebaut, dass sie automatisiert fahren. Der dunkle Kasten hinter dem Vorderrad ist ein Laserscanner (Lidar). Alfred Vollmer

Auf einem abgesperrten Handling-Parcours absolvierte der Tesla Model S im AUTOMOBIL-ELEKTRONIK-Kurztest problemlos autonom seine Runden. Grundlage hierfür sind die zahlreichen Sensoren. So enthält der Versuchsträger an den vier Ecken jeweils einen Mittelbereichs-Radarsensor, der bei 80 bis 100 m Reichweite die eigene Fahrspur sowie die beiden benachbarten Fahrspuren überwacht. Sowohl vorne als auch hinten befindet sich etwa mittig ein Weitbereichsradar, das etwa 200 bis 250 m weit das Geschehen erfasst. „Das LRR im Heck ist vor allem in Deutschland unbedingt notwendig, damit ein Spurwechsel auch bei den hierzulande üblichen Geschwindigkeitsdifferenzen sicher erfolgen kann“, erläuterte Dr. Hoheisel im Gespräch mit AUTOMOBIL-ELEKTRONIK. Zur Absicherung dienen eine bereits in Serie befindliche Stereokamera des Typs SVC2 (beispielsweise zur Erkennung von Fahrspuren, Verkehrszeichen oder Freiflächen und sechs Lidar-Sensoren von Ibeo, die bereits Vorserienstatus haben. Je zwei dieser Lidar-Sensoren sind hinter dem Vorderrad und schräg am Rand der hinteren Stoßstange positioniert. Je ein weiterer Lidar-Sensor befindet sich vorn und hinten in der Mitte, wobei diese beiden mittig angebrachten Front/Heck-Sensoren für die eigentliche 360-Grad-Detektierung gar nicht mehr notwendig wären. Aufmerksame Beobachter konnten am Heck des Erprobungsträgers zudem die Antenne eines Differenz-GPS-Empfängers entdecken, der eine auf wenige Zentimeter genaue Positionsbestimmung ermöglicht.

Die Übergabe der Verantwortung vom Fahrer ans Fahrzeug erklärt den Umbauaufwand. Hochautomatisiert fahrende Autos müssen nämlich auch beim Ausfall einer Komponente jederzeit sicher funktionieren. Das lässt sich nur durch die redundante Auslegung sicherheitsrelevanter Systeme wie Bremse und Lenkung erreichen. Beide Erprobungsfahrzeuge verfügen beispielsweise sowohl über den elektromechanischen Bremskraftverstärker iBooster als auch über das Bremsregel-system ESP. Diese Komponenten können ein Auto unabhängig voneinander abbremsen, ohne dass der Fahrer eingreifen muss. Auch die Stromversorgung und wichtige Steuergeräte sind in beiden Erprobungsfahrzeugen doppelt ausgelegt.

ADAS und automatisiertes Fahren

Auf der IAA werden die Zulieferer diverse Neuheiten zeigen, zu denen unter anderem ein Lidar-Sensor, eine fusionierte Kamera mit drei Brennweitenbereichen und diverse Aktorsysteme von Bremse bis Lenkung gehören.

In einem umgebauten Volkswagen Golf erprobt Bosch zudem, wie sich ein Ausfall des Lenksystems abpuffern lässt. Mit Hilfe von individuellen Bremseingriffen an den einzelnen Rädern, bei denen das ESP als Aktor fungierte, zeigte sich dieses Fallback-System im praktischen Fahrversuch der Redaktion bei Geschwindigkeiten im Bereich 60 km/h als hocheffektiv.

ZF

Auch ZF TRW präsentierte im Vorfeld der IAA seine Technologien im Bereich teilautomatisiertes Fahren. So konnte die Redaktion erstmals eine Probefahrt mit dem neuen Autobahnassistenten (Highway Driving Assist – HDA) unternehmen, der bei Geschwindigkeiten von 40 bis 130 km/h automatisch lenken, bremsen und beschleunigen kann. „Wir gehen das automatisierte Fahren schrittweise an und zeigen, was heute schon mit den bewährten Technologien möglich ist“, sagt Peter Lake, Executive Vice President Sales and Business Development bei ZF TRW. „In einem nächsten Schritt werden wir dann ein 360-Grad-Sensorsystem zeigen, das auch das automatische Überholen – also einen Spurwechselassistenten – ermöglicht.“ Im Praxisversuch der Redaktion funktionierte dieser Spurwechselassistent in der Ebene schon sehr gut. Lediglich in einer Kurve, die über eine Kuppe hinwegführte, zeigte das System noch leichte Schwächen beim aufsynchronisieren auf die neue Fahrspur.

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Zusätzlich zur Kameralinse der S-Cam3 verfügt die Tri-Cam4 von ZF TRW über eine Fischaugenlinse für den Nahbereich und ein Teleobjektiv zur Objekterkennung in Entfernungen von bis zu 300 m. Alfred Vollmer

Das Testfahrzeug für den Autobahnassistenten (ein umgebauter Opel Insignia) integriert verschiedene Technologien von ZF TRW: den Radarsensor AC1000, die Monokamera S-Cam3, die elektrische Servolenkung mit Zahnstangenantrieb (EPS Belt Drive) und die elektronische Stabilitätskontrolle EBC460. Damit realisiert ZF TRW eine Kombination aus ACC und LCA, die so ausgelegt ist, dass der Fahrer jederzeit das System übersteuern kann. Dr. Alois Seewald, Technical Director Integrated Active & Passive Safety Technologies bei ZF TRW, erläuterte im Gespräch mit AUTOMOBIL-ELEKTRONIK, dass ein aus S-Cam3 und AC1000 bestehendes System zur Längs- und Querregelung im teilautomatisierten Betrieb gemäß Level 2 im Jahr 2017 in Serie gehen soll. 2018 sei dann der SOP für einen massenmarkttauglichen Stauassistenten geplant.

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Die rechte Bildhälfte zeigt das Sichtfeld der aktuellen Kamera von ZF TRW. Die linke Hälfte zeigt im direkten Vergleich die verbesserte Leistung der neuen Tri-Cam4 mit den drei Kameralinsen. ZF TRW

Auf der Sensorseite wird ZF TRW auf der IAA erstmals die TriCam4 ausstellen, die TRW vor gut einem Jahr schon ankündigte (siehe infoDIREKT 302ael0414). Sie verfügt zusätzlich noch über ein Teleobjektiv für den Fernbereich und eine Fischaugenlinse für den Nahbereich. Diese Kombination ist für teilautomatisierte Fahrfunktionen wie Autobahn- oder Stauassistenten konzipiert, wobei zur Datenauswertung der Prozessor EyeQ4 von Mobileye zum Einsatz kommt.

Mit AKC (Active Kinematics Control) bringt ZF ein bereits in Serienfahrzeuge von Audi (Q7) und Porsche (911) verbautes System neu ins Gespräch, das nicht nur ein beeindruckendes fahrdynamisches Erlebnis bietet, sondern auch als Redundanz beim automatisierten Fahren dienen kann. Ausgeführt als mechatronisches Plug-and-Play-System mitsamt Steuerungselektronik verändert es den Spurwinkel während der Fahrt bedarfsgerecht um bis zu 5 Grad. Um das Potenzial des Lenkens mit der Hinterradlenkung zu demonstrieren, hat ZF einen BMW mit AKC versehen und am Beifahrersitz ein zweites Lenkrad installiert, das ausschließlich auf die Hinterräder wirkt. Der Fahrversuch der Redaktion zeigte, dass sich bei Geschwindigkeiten jenseits von 50 km/h annähernd alle Fahrmannöver per Hinterradlenkung durch AKC durchführen ließen. Noch im laufenden Jahr rechnet ZF mit AKC-Anwendungspremieren bei weiteren Fahrzeugherstellern, aber vielleicht ergeben sich in Zukunft auch Anwendungen im Bereich der redundanten Lenksysteme.

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Als Demonstrator für die Möglichkeiten der Hinterachslenkung hat ZF einen Demonstrator gebaut, bei dem der Beifahrer die Hinterräder lenkt. Alfred Vollmer

Im Vorfeld der IAA zeigte ZF TRW zudem eine neue Variante des integrierten Bremssystems IBC (Integrated Brake Control), das – eingebaut in einem BMW – wirklich eine sehr beeindruckende Verzögerung an den Tag legte.

Valeo

Welche Möglichkeiten ein Laserscanner bietet, das demonstriert Valeo auf der IAA mit seinem Scala genannten Sensor, der den Bereich vor dem Fahrzeug erfasst und damit bewegliche Objekte wie andere Autos, Motorräder und Fußgänger sowie unbewegliche Elemente wie Bäume, geparkte Fahrzeuge oder Leitplanken erkennt. Auf Grundlage der erfassten Objekte erstellt das System eine Umfeldkarte, die alle relevanten Daten der erfassten Objekte beinhaltet. Diese Übersicht dient dazu, die aktive Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, wie beispielsweise in Form von Ausweichmanövern oder Notbremsungen aufgrund kreuzender Fahrzeuge und Fußgänger. Zusätzlich enthält die Übersicht wichtige Informationen zu automatisierten Fahrfunktionen wie etwa dem automatischen Einparksystem oder dem Autopiloten für Verkehrsstaus. Die Erkennung von Hindernissen mithilfe des Laserscanners funktioniert bei Tag und Nacht – bei hohen Geschwindigkeiten auf der Autobahn als auch bei niedrigen Geschwindigkeiten beim Einparken.

Scala arbeitet je nach Umgebungsbedingungen mit einer Reichweite von 50 bis 150 m – und zwar mit einem Erfassungsbereich von 145 ° horizontal und 3,5 ° vertikal. Der Sensor ist über Flexray oder Ethernet an das Fahrzeug angebunden und soll 2017 seinen SOP haben. Sein Steuergerät nimmt etwa 5 W auf, aber im Winter sind etwa 15 W zusätzlich zur Enteisung erforderlich. Nach wie vor ist die Schutzscheibe die Achillesferse des Sensors: Ist sie zu dünn, dann fällt der Sensor unter Umständen auf Grund von Steinschlag aus, ist sie zu dick, dann reduziert sich auf Grund der Streuung und Dämpfung der Laserstrahlen die Reichweite. Für die ordnungsgemäße Funktion muss die Frontscheibe des Sensors stets sauber sein, so dass Valeo eine Scheibenreinigung implementiert hat, die bei Bedarf unter dem Sensor ausfährt.

Die Entwicklung des Laserscanners Scala beruht auf einem Kooperationsabkommen zwischen Valeo und Ibeo Automotive Systems aus dem Jahr 2010, die Valeo einen exklusiven Zugang zu Ibeos Know-How im Bereich der Laserscanner-Technologie bietet und es erlaubt, diese Technologie im Hinblick auf Serienanwendungen weiter zu entwickeln. Im März diesen Jahres schlossen Mobileye und Valeo eine exklusive Kooperation, um einen aus Kamera- und Laserscanner-Technologie bestehenden Produktverbund für automatisiertes Fahrens zu entwickeln.

Continental

Zwei Themenschwepunkte im Bereich des automatisierten Fahrens setzt Continental: ACC mit e-Horizon und automatisiertes Parken. In dem separaten Beitrag zum Thema Connectivity erfahren Sie mehr über die Kombination aus Abstandsregeltempomat und Elementen des dynamischen e-Horizon, der die Fahrzeugsensoren mit hochpräzisen Kartendaten sowie weiteren Strecken- und Umgebungsinformationen versorgt.

Alfred Vollmer

Redakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK.

(av)

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