AC/DC-Netzteil RACM-550 von Recom

Bild 3: Das kontaktgekühlte AC/DC-Netzteil RACM-550 ist nach diversen Sicherheitsstandards zertifiziert. (Bild: Recom)

Unter Geräte- und Komponentenlieferanten ist mittlerweile allgemein bekannt, dass einige der Sicherheitsstandards, die es seit Jahrzehnten gibt, bald überholt sein werden. Die vielleicht größte und umfassendste Änderung ist die bevorstehende Einstellung von IEC 60950 und IEC 60065 Ende des Jahres 2020, die durch IEC 62368 ersetzt werden sollen. Der genannte Standard befasst sich mit der Sicherheit von Geräten der Informationstechnologie einschließlich elektrischer Geschäftsausstattung.

Entstanden zu der Zeit, als ein Büro in der Regel über elektrische Schreibmaschinen, Thermokopierer und möglicherweise die neueste Innovation – ein elektronisches Faxgerät – verfügte. Als Bürocomputer gab es Taschenrechner und die digitale Kommunikation umfasste bestenfalls ein Endgerät mit einer dedizierten ISDN-Leitung. Die IEC 60065 geht mit ihrer ersten Edition im Jahr 1952 also weit zurück und setzt Sicherheitsstandards für „elektrische, netzbetriebene Funkgeräte“. Beide Standards wurden im Laufe der Jahre umfassend geändert, um mit der Technologie Schritt zu halten, und sie wurden auch in anderen neuen Bereichen angewendet, in denen es keine anwendungsspezifischen Standards gab wie etwa in der industriellen Automatisierung.

Eckdaten

Die IEC-Norm 60950 ist seit vielen Jahren bekannt und kommt in vielen elektrischen Anwendungen zum Einsatz. Allerdings nimmt ihre Relevanz gerade in heutigen Anwendungen ab, weshalb für Ende 2020 die IEC-62368 geplant ist. Grund dafür ist die Verschmelzung der Funktionen in der modernen Elektronik. Entwickler und Hersteller müssen einige Änderungen beachten.

IEC 62368 verbindet IT mit Audio-Vision

Der Grund für den Ersatz dieser Standards ist die Verschmelzung der Funktionen in der modernen Elektronik. Ein intelligentes TV-Gerät mit Wi-Fi-Verbindung und integriertem Webbrowser mit Apps zur Steuerung der Heimautomation ist nur ein Beispiel. Handelt es sich um einen Computer, ein audiovisuelles Gerät oder ein Haushaltsgerät? Die Antwort darauf kam im Jahr 2010 mit der erstmals veröffentlichten IEC 62368. Dabei ist die Bezeichnung „Audio-/Video-, Informations- und Kommunikationstechnologie-Ausrüstung“ als „Allrounder“ für Geräte gedacht, die in Wohn- und Büroumgebungen eingesetzt werden.

Andere Gerätetypen wie industrielle Motorantriebe, medizinische Geräte und professionelle Testgeräte haben jetzt eigene Sicherheitsstandards, die sich typischerweise auf IEC 60950 oder deren Inhalt beziehen. Diese Normen bleiben in ihren spezifischen Anwendungsbereichen eine Alternative zu IEC 62368. Dies gilt zum Beispiel auch für Normen wie IEC 62477 „Sicherheitsanforderungen für Systeme und Geräte für Leistungsumrichter – Teil 1: Allgemeine Anforderungen“, die spezielle Anforderungen an die Geräteleistung stellen. Bild 1 gibt einen Überblick über die derzeitige Vielfalt der Normen.

Liste mit Sicherheitsstandards

Bild 1: Übersicht der Sicherheitsstandards. Recom

Die neue Norm IEC 62368 stellt nicht nur eine Aktualisierung der früheren Normen mit einem breiteren Anwendungsbereich dar, sondern beinhaltet auch eine grundlegende Änderung von der Vorschrift hin zu einem HBSE-Ansatz (Hazard Based Safety Engineering). Das verpflichtet den Hersteller des Produkts dazu, mögliche Gefahren zu identifizieren, die von Energiequellen ausgehen können, – Stromschlag, Feuer, chemische, mechanische, thermische und Strahlungsgefahr – und zu klassifizieren (Bild 2):

  • Klasse 1: nicht spürbar, aber möglicherweise nachweisbar
  • Klasse 2: spürbar, aber ohne Verletzung
  • Klasse 3: Vorsicht, Verletzungsgefahr.

Diese drei Klassen umfassen weitgehend die anzuwendenden Schutzmaßnahmen. Umfang und Art der Sicherheitsvorkehrungen hängen auch von der Person ab, die Zugang zu den Geräten hat und als „Laie“, „unterwiesen“ oder „qualifiziert“ eingestuft wird. Eine dokumentierte Risikoanalyse der Verwendung einer nach IEC 62368 zertifizierten Komponente in einer möglichen Anwendung ist jedoch nicht erforderlich, wie dies bei medizinischen Standards wie IEC 60601-1 der Fall ist.

Mehr Flexibilität, neue Begriffe

Obwohl die Vorschrift dann neue Begriffe und Kategorien von Gefahren und Anwendern einführt, soll die IEC 62368 besser an neue Technologien anpassen lassen. Tatsächlich gibt es einige Bereiche die weniger strenge Anforderungen verlangen als in der IEC 60950; zum Beispiel, um die Verwendung von Fully Insulated Wire (FIW) in Transformatoren zu ermöglichen. Da die IEC 62368 weniger Vorschriften enthält, bietet sie auch mehr Flexibilität beim Erreichen des für eine bestimmte Anwendung geeigneten Sicherheitsniveaus. Die Hersteller von Gerätenetzteilen stellen jedoch fest, dass Kunden mitunter verlangen, das Netzteil in seiner jeweiligen Anwendung hinsichtlich der Gefährdung zu bewerten und zu dokumentieren, um die Zertifizierung für das Endgerät zu vereinfachen. Der einzige praktische Weg, dies zu erreichen, ist die Zertifizierung nach den einschlägigen anwendungsspezifischen Normen. Ist das Netzteil für allgemeine Zwecke vorgesehen und nach IEC 62368-1 zertifiziert, entstehen hohe Kosten für Mehrfachzertifizierungen für alle potenziellen Anwendungen, was letztendlich zu höheren Verkaufspreisen und Verzögerungen bei der Produkteinführung führen kann.

Liste mit Energiequellen

Bild 2: Klassifizierung der Energiequellen. Recom

Der ZVEI (Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie e. V.) hat seine Richtlinie „Auswahl von Sicherheitsnormen für Stromversorgungen“ mit Beiträgen des europäischen Stromversorgungsherstellers Recom veröffentlicht, die das Auslaufen von EN 60950 und ihrer möglichen Nachfolger erörtert. Die Richtlinie führt zahlreiche Beispiele für Anwendungen an, bei denen in der Vergangenheit möglicherweise nur IEC/EN/UL 60950 akzeptabel war, aber das Bild gestaltet sich nun komplexer. Ein mögliches Szenario bildet eine Stromversorgung für ein Schmiersystem, für das IEC 62368 möglicherweise in Zukunft grundsätzlich zulässig ist, der Benutzer jedoch aufgrund des industriellen Charakters der Anwendung auch eine anwendungsspezifische Norm fordert. EN 61558-1-16 oder EN 61204-7 ließe sich auch in Europa anwenden, IEC 60950 hingegen könnte für einen Exportmarkt wie China, in dem IEC 62368 noch nicht akzeptiert ist, erforderlich sein, obwohl sie veraltet ist.

Einige Hersteller erhoffen sich angesichts der zunehmenden Anforderungen an die Zertifizierung in der Zukunft eine einfachere Handhabung kommender Normen, die sich speziell auf Stromversorgungen beziehen und anwendungsunabhängig sind, wie etwa IEC 61204 mit Bezug auf IEC 62477, IEC 60204-7 und IEC 61010-2 -206. Möglicherweise wäre jedoch auch bei einer zukünftigen anwendungsübergreifenden Stromversorgungsnorm auf Anforderung des Kunden trotzdem eine anwendungsspezifische Norm und sogar IEC 60950 für Exportmärkte nötig.

IEC 62368 weltweit noch nicht tragfähig

Eine zusätzliche Schwierigkeit beim Übergang zu IEC 62368 besteht darin, dass sie noch nicht tragfähig ist. Die IEC/UL 62368-1 in der dritten Edition soll am Tag der Rücknahme der IEC 60950 und der IEC 60065 eingeführt werden. Die EN 62368-1 befindet sich jedoch noch in der zweiten Edition. Da auch diese zum 20.12.2020 ihre Gültigkeit verliert, ist eine baldige Veröffentlichung der dritten Edition nötig, was voraussichtlich noch 2020 geschehen soll. Verzögerungen bei der Genehmigung waren auf die Einführung eines neuen Systems von Beratern für harmonisierte Normen (HAS) zurückzuführen, die die Aufgabe hatten, die „Qualität und rechtzeitige Verfügbarkeit“ von Sicherheitsnormen für den EU-Binnenmarkt zu verbessern.

AC/DC-Netzteil RACM-550 von Recom

Bild 3: Das kontaktgekühlte AC/DC-Netzteil RACM-550 ist nach diversen Sicherheitsstandards zertifiziert. Recom

Andere Länder wie die USA treiben die UL 62368 Edition 3 voran, Kanada, China, Korea und Taiwan hingegen die nationalen Varianten. UL hat außerdem erklärt, dass sie nach 2020 weiterhin UL 60950-Zertifikate für Produkte akzeptieren werden, die bereits auf dem Markt sind – vorausgesetzt, es gibt keine größere Überarbeitung. Europa hingegen verlangt, dass Unternehmen alle neuen Produkteinreichungen ebenso wie vorhandene Produktzertifizierungen zum Stichtag 20.12.2020 anpassen.

Eine möglicherweise unbeabsichtigte Folge der Anforderung zur Zertifizierung nach IEC 62368 besteht darin, dass das Produkt speziell für AV- oder Verbraucheranwendungen anwendbar sein muss, auch wenn es nur für industrielle Zwecke bestimmt ist. Bei Lieferungen nach China kann dies dazu führen, dass die Behörden dann auch eine CCC-Zertifizierung für Verbraucherprodukte verlangen, selbst wenn das Teil für den industriellen Gebrauch versandt wird. Die CCC-Zertifizierung ist teuer, zeitaufwendig und ist nur auf dem chinesischen Festland unter vollständiger Offenlegung von wertvollen geistigem Eigentum möglich, einschließlich Design, PCB-Layouts und Stücklisten mit den damit verbundenen Risiken.

Sorgfältige Planung der Umstellung auf IEC 62368

Die Planung des Übergangs zu IEC 62368 ist für Zulieferer von Komponenten und Geräten eine wichtige Aufgabe. Der österreichische Hersteller Recom hat bereits alle seine nach EN/UL 60950 und EN/UL 60335 zertifizierten AC/DC-Produkte mit EN/UL 62368 parallel zertifiziert. Medizinisch zertifizierte Produkte (EN/UL 60601) sind davon nicht betroffen, da sie für die CE-Kennzeichnung nicht von EN 60950 abhängig sind (Bild 3).

DC/DC-Produkte von Recom benötigen keine Sicherheitszertifizierung, da es sich um Komponenten mit einem Spannungsbereich kleiner 75 VDC handelt und diese somit auch nicht CE-gekennzeichnet werden dürfen. Einige Produktbereiche zertifizierte Recom allerdings freiwillig auf Sicherheit, sodass sie möglicherweise Teil eines Sicherheitsisolationssystems sein können. In diesen Fällen sind neue Produkte nach IEC 62368 oder IEC 61010 zertifiziert oder besitzen die doppelte Zertifizierung nach IEC 62368/IEC 60950. Bei einigen bestehenden Hochleistungsserien führte das Unternehmen die IEC 62368-Neuzertifizierung als Dokumentationsänderung durch, allerdings ohne Konstruktionsänderungen. Bei anderen wiederum bleibt die IEC 60950-Zertifizierung bestehen und es gelten weiterhin gültige Anwendungen, bei denen ein definiertes Maß an Isolation gewünscht ist. Wenn die Kosten für eine erneute Zertifizierung nicht tragbar sind, so mustert Recom die Produkte aus.

Ziel ist es, künftig einfacher durch den „Dschungel“ aus IEC 60950 & IEC 60065 zu navigieren, aber davor müssen zuerst einige Hindernisse bewältig werden. Unternehmen sollten die bevorstehenden Änderungen bereits detailliert einplanen, auch wenn beispielsweise die Veröffentlichung der 3. Edition der EN 62368-1 noch auf sich warten lässt. Lieferanten wie Recom helfen, indem sie in die Rezertifizierung ihrer Produkte nach IEC 62368 investieren und ihren Kunden den Weg in ihre eigene Compliance-Roadmap ebnen.

Für den Distributor und Stromversorgungsspezialisten Schukat electronic, der die relevanten Netzteile und DC/DC-Wandler ab Lager führt, bedeutet die Normänderung teilweise eine Veränderung im Portfolio sowie einen hohen Dokumentations- und Pflegeaufwand bei den betroffenen Produkten, aber vor allem Aufklärungsarbeit beim und für den Kunden. Neben dem Hersteller bietet auch das technische Vertriebsteam von Schukat Unterstützung für die Kunden bei Rückfragen zu Zertifizierungen und dem anstehenden Normenwechsel, ebenso Design-in-Unterstützung bei einem möglichen Wechsel von einem IEC 60950 zertifizierten Produkt zu einem anwendungsspezifischen oder IEC 62368 zertifizierten Ersatz.

Steve Roberts

(Bild: Recom)
Innovation Manager bei Recom

Frank Stocker

(Bild: Schukat)
Field Application Engineer Power Supplies bei Schukat electronic

(prm)

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