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(Bild: Fraunhofer IPA/Rainer Bez)

Weniger als 20 % der neuinstallierten Roboter nutzen Sensorik. Doch das ändert sich.

Weniger als 20 % der neuinstallierten Roboter nutzen Sensorik. Doch das ändert sich. Patrick P. Palej/Fotolia.com

Industrieroboter sind weiter auf dem Vormarsch. Bis 2018 nehmen weltweit weitere 1,3 Millionen von ihnen ihre Arbeit in der Produktion auf, schätzt die International Federation of Robotics. Bislang gelten Roboter überwiegend als autarke Systeme, die weitgehend mit lokalen Daten und Programmen auskommen. Zudem ist die automatisierte Programmgenerierung oder -adaption aus bestehenden CAD-Produkt- und Prozessdaten noch die Ausnahme in der industriellen Praxis. Weiterhin gehen Experten der IFR davon aus, dass aktuell weniger als 20 % der neuinstallierten Roboter Sensorik wie Bildverarbeitungs- oder Kraft-Momenten-Sensoren nutzen, um Programme oder Trajektorien zu adaptieren. Doch dies ändert sich. Robotiklösungen werden davon in den nächsten Jahren stark geprägt sein: So lassen sich mithilfe von Sensoren Werkstücke identifizieren und lokalisieren, Roboter im Sinne qualitätsgeregelter Prozesse exakt führen oder Einsatzumgebungen für eine optimierte Bahnplanung erfassen.

Wie alle Betriebsmittel, die über Sensoren und Steuerungen verfügen, werden Roboter als cyberphysische Systeme (CPS) immer mehr Teil von Industrie-4.0-Umgebungen. Plattformen integrieren die unterschiedlichen CPS und verwalten ausführbare Programme (Apps) sowie datenbasierte Dienste. Portale bieten Nutzern, Entwicklern und Serviceanbietern situativ Zugriff auf die Industrie-4.0-Welt. Die Nutzung von Internettechnologien und die verteilte Organisation der Datenhaltung sowie Diensten führen neben einer Effizienzsteigerung und Personalisierung der Produktion zu neuen Dienstleistungen und Geschäftsmodellen. Programme für spezifische Roboterfähigkeiten lassen sich aus der Cloud laden oder Daten, die ein Roboter erfasst, für die Optimierung von Prozessen sowie Wartung und Diagnose im Sinne von Smart Data nutzen.

Robotik in der Praxis

Das Potenzial von Robotersystemen wächst aufgrund zentral verfügbarer Rechenkapazitäten, Datenbestände und Sensor­informationen. Roboter werden effizienter einsetz- und umrüstbar. Wie dies in der Praxis aussehen kann, zeigen aktuelle Entwicklungen des Fraunhofer IPA.
Mittels der Software bp3, die 3D-Sensorinformationen nutzt, können Roboter ungeordnete Werkstücke aus Behältern präzise greifen und ablegen. Hierfür erfassen die 3D-Sensoren zunächst in Form von Punktwolken die Objekte in Förderhilfsmitteln wie Gitterbox oder Container. Die Software gleicht diese Sensordaten mit den eingelernten CAD-Daten der Werkstücke ab und generiert je nach Objektlage die besten Greifpunkte und die hierfür nötige Roboterbahn. Um die Objektentnahme prozesssicher durchzuführen, wird diese zunächst simuliert. Dabei werden neben dem Greifer und eventuellen Zusatzachsen auch die Kinematik des Roboters selbst sowie mögliche Schutzzäune im Umfeld berücksichtigt. Je nachdem, welcher Arbeitsschritt folgt, legt der Roboter das Werkstück sicher ab.

Eine Variante der Software lässt sich in Cloud-Architekturen integrieren. Der Roboter agiert somit lediglich als ‚Lean Client‘, während die komplexen Berechnungen zur Objekterkennung und Entnahmeplanung auf einem performanten Server erfolgen (und sich die Taktzeit reduziert). Inbetriebnahme und Wartung des Robotersystems sind aufgrund des zentralen Datenbestandes – beispielsweise von Werkstücken – effizienter als bisher und Komponenten lassen sich leichter austauschen.

Auch Montageprozesse, die zurzeit nur 11 % neuer Roboterinstallationen ausmachen, werden künftig durch Leichtbauroboter und neue Softwarelösungen effizient automatisierbar. Beispielsweise durch eine Software für bisher manuell ausgeführte komplexe Aufgaben wie das Montieren von Schaltschränken. Dabei erfolgt die Programmierung des Montageprozesses mithilfe des sogenannten ‚bedingungsbasierten Programmierens‘ nicht mehr roboter-, sondern aufgaben­orientiert, was im Prinzip einem typischen Arbeitsplan für die manuelle Montage entspricht. Dadurch sind kleinere Abweichungen im Prozess unproblematisch und der Prozess ist leicht auf neue Aufgaben ähnlicher Art oder gar andere Robotersysteme übertragbar.
Dazu werden der Prozess sowie Werkstück- und Prozessparameter (wie Maße des Werkstücks oder die für die Montage nötigen Kräfte des Roboters) in allgemeiner Form als Prozessbaustein modelliert. Die Montageaufgabe liegt dann als Abfolge von Prozessbausteinen vor. Durch Zuweisung variantenspezifischer Werte und mithilfe aktueller Sensordaten, wie Kontaktkräften, Abständen oder Objekt­erkennung, berechnet das Robotersystem, wie es sich bewegen muss. Es arbeitet die Prozessbausteine als eine Folge von Aufgaben ab.

Über die Cloud-Architektur können auch externe Sensoren eingebunden und gewinnbringend für alle FTS genutzt werden. Im Bild: Trackingsystem für das millimetergenaue Positionieren.

Über die Cloud-Architektur können auch externe Sensoren eingebunden und gewinnbringend für alle FTS genutzt werden. Im Bild: Trackingsystem für das millimetergenaue Positionieren. Fraunhofer IPA/Rainer Bez

Die Software ist ähnlich einem Baukastensystem strukturiert und auch Nicht-Experten können die Prozesse intuitiv instruieren. Einzelne Fähigkeiten des Roboters, zum Beispiel eine Bewegung oder eine Kraftregelung, stehen für Nutzer als ‚Skill‘ (direkt einsatzbereiter Programmbaustein) in einer zentralen Datenbank bereit. Skills können beliebig oft wiederverwendet, mit anderen Skills je nach Montageaufgabe neu zusammen­gesetzt oder priorisiert werden.

Auch diese Software ist über eine Cloud-Architektur nutzbar, sodass alle verbundenen Robotersysteme die Skills über einen Dienst nutzen können. Zudem sind alle Montageprozesse zentral verfolg- und steuerbar und somit wandlungsfähiger. Wird ein Skill aus der Cloud bezogen, liegt immer die aktuellste Version vor. Gleichermaßen lassen sich lokal optimierte Montageprozesse wieder in die Cloud zurückgegeben. Somit profitieren alle Systeme von einmaligen Programmänderungen.

Künftig werden auch flexible Transport- und Logistiklösungen eine zentrale Rolle in der Produktion übernehmen, weil fahrerlose Transportsysteme (FTS) je nach Produktvariante die richtige Komponente zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitstellen können. Anstelle der bisher üblichen physikalischen Spurführung ermöglichen innovative Navigationslösungen, basierend auf fusionierten Sensordaten, eine freie und autonome Navigation: Die FTS passen ihre Bahnen flexibel an aktuelle Produktionsbedarfe an, sodass die Anlage wandlungsfähig wird. Auch hier bietet die Anbindung an eine Cloud-Architektur einen Mehrwert: Die von den FTS erfassten Sensordaten stehen nicht mehr nur lokal zur Verfügung, sondern der ganzen Flotte. So erfolgt die Bahnplanung kooperativ. Zudem werden FTS durch die Cloud-Navigation ‚schlanker‘ und verfügen trotzdem über eine hohe Navigationsintelligenz, weil sich rechenintensive Navigationsalgorithmen in den Cloud-Server auslagern lassen.

Mensch und Roboter im Team

Auch die sichere Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter wird in Zukunft dazu beitragen, dass mehr und insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) auf Automatisierung setzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit und Produkte zu verbessern. Während sich klassische Roboter mit aufwendigen Sicherheitseinrichtungen überwiegend für die Großproduktionen rentieren, eröffnen Leichtbauroboter verbunden mit Sensorik neue Anwendungsfelder für die sichere Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) in KMU.

Welche Technologien die Robotik für kleine und mittelständische Fertigungen künftig prägen, zeigen Ergebnisse der EU-Initiative SMErobotics. Wichtig ist beispielsweise, dass auch Fachkräfte ohne spezielle Expertise die Roboter bedienen können. Dies gelingt mithilfe von intuitiven grafischen Bediensystemen und fertig einsetzbaren Programmbausteinen. Auch die weitgehend automatische Programm­erstellung basierend auf Sensor- und CAD-Daten ist entscheidend, damit KMU auf individuelle Produktänderungen reagieren können. Eine robuste Programmausführung ermöglicht den transparenten Umgang mit Ungenauigkeiten in der Umgebung oder am Werkstück.

Schweißen für Losgröße 1: 'CoWeldRob' scannt Werkstücke und findet automatisch Schweißnähte, die der Werker in einem grafischen System anpassen kann.

Schweißen für Losgröße 1: 'CoWeldRob' scannt Werkstücke und findet automatisch Schweißnähte, die der Werker in einem grafischen System anpassen kann. Fraunhofer IPA/Rainer Bez

Eine Entwicklung, die im Rahmen von SMErobotics entstanden ist, ist beispielsweise der kognitive Schweißroboterassistent ‚CoWeldRob‘ (collaborative welding robot). Durch Vergleich von CAD- und 3D-Sensordaten bestimmt das Robotersystem die Position des Werkstücks im Arbeitsraum mit einer Genauigkeit von weniger als 0,2 mm. Dies verkürzt die Einrichtzeiten und macht das automatisierte Schweißen auch bei kleinen Losgrößen wirtschaftlich. Denn es sind keine aufwendigen Fixierungen nötig. Über eine intuitive Bedienoberfläche wählt der Schweißexperte die vorgeschlagenen Schweißnähte direkt aus. Die vom Fraunhofer IPA entwickelte Programmiersoftware generiert daraufhin das Roboterprogramm kollisionsfrei und vollautomatisch für verschiedene Robotertypen. Dabei berücksichtigt sie auch Toleranzen des Werkstücks. Dies ist deshalb für KMU wichtig, weil der Roboter oft von Hand vorbehandelte Teile schweißt, die kleinere Abweichungen aufweisen können.

Mit all diesen technologischen Fortschritten werden Roboter für viele neue Einsatzgebiete einen wirtschaftlichen und qualitativen Mehrwert bieten. Neben der bisher verbreiteten Großserienfertigung, die einmal eingerichtet über Jahre läuft, werden sie zum intelligenten und variabel einsetzbaren Betriebsmittel und somit zu einem nutzbringenden Assistenten des Menschen.

Martin Hägele

ist Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart.

(mns)

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