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Wir wollen möglichst viel Intelligenz unmittelbar im Greifer unterbringen. (Bild: Redaktion IEE)

Herr Dr. Klaiber auf welcher Evolutionsstufe sehen Sie heute das Greifen?

Dr. Markus Klaiber: Das industrielle Greifen, so wie wir es heute kennen, ist eine vergleichsweise junge Disziplin. Anfangs der 80er Jahre im Umfeld der entstanden, ging es zunächst darum, grundlegende Greifstrategien für unterschiedliche Objekte zu entwickeln. In der Folge standen vor allem Prozesssicherheit, Produktivität und Effizienz beim Greifen im Fokus. Heute geht es um Flexibilität, Wirtschaftlichkeit und darum, möglichst viele Daten aus dem Prozess zu generieren.

Wohin geht die Reise?

Dr. Markus Klaiber: Auf dem Weg zur Industrie 4.0 stehen drei Aspekte im Fokus. Erstens: Die Kommunikation sämtlicher Komponenten sowohl untereinander als auch zur übergeordneten Hierarchie. Zweitens: Transparenz auf Anlagenebene wie auch auf Unternehmensebene. Und drittens: Die Möglichkeit, flexibel auf externe und interne Ereignisse zu reagieren. Alle drei Aspekte betreffen das Greifen unmittelbar. Mir ist wichtig, dass das Greifen nicht mehr isoliert betrachtet wird, sondern mit dem Greifen immer auch Mehrwerte für den Prozess zu liefern. Unser Ziel ist, künftig das , aber auch Cloud-Lösungen mit unseren Greifern kontinuierlich mit Prozessdaten zu versorgen und eine flexible Reaktion auf die jeweiligen Ereignisse zu ermöglich. Dazu unabdingbar ist eine Kommunikation zwischen , und Anlagensteuerung.

Was gehört für Sie zu so einem intelligenten Greifen?

Dr. Markus Klaiber: Intelligentes Greifen umfasst zusätzlich zum eigentlichen Greifprozess das sensorgestützte Detektieren unterschiedlicher Prozessparameter, deren Verarbeitung sowie die Möglichkeit der Situation entsprechend zu reagieren. Dazu zählt im Anschluss auch die Kommunikation zwischen Greifer und Anlagensteuerung beziehungsweise übergeordneten Ebenen bis hin zur Webfähigkeit unserer Greifer.

Intelligentes Greifen bedeutet aber nicht zwingend, dass mechatronische Greifer eingesetzt werden. Auch pneumatische Greifer können mit geeigneter Sensorik und Ventiltechnik mit einem gewissen Maß an Intelligenz ausgestattet werden. Allerdinges bieten elektrisch gesteuerte Greifer aufgrund ihrer Regelbarkeit deutlich mehr Möglichkeiten bei der Prozessgestaltung.

In der höchsten Ausbaustufe sprechen wir von smarten Greifern, sprich cyber-physikalischen Systemen. Sie sind in der Lage auf Basis der gewonnenen Daten eigenständig zu reagieren, über das Internet zu kommunizieren und sogar die eigene Funktionsfähigkeit zu prognostizieren. Beim Konzept des ‚Smart Grippings‘ nutzen wir die exponierte Position unserer Greifer, um systematisch Informationen über das gegriffene Bauteil, den Prozess und die Komponenten selbst zu erfassen, zu verarbeiten und entsprechende Reaktionen ausführen.

Eine Messstation in den Greifer integrieren. Bis zu welchem Grad an Qualitätskontrolle funktioniert das?

Dr. Markus Klaiber: Das hängt ganz von der jeweiligen Anwendung ab. Wir haben gezeigt, dass bei Nutzentrennern für die allein mithilfe des intelligenten EGL-Greifers, Bauteile vermessen, identifiziert und anhand einer Elastizitätsmessung auf Qualität geprüft werden können. Dies alles voll integriert in den eigentlichen Handhabungsprozess und ohne externe Sensorik. Sämtliche Daten werden noch auf Ebene des Greifers zu nutzbaren Informationen verarbeitet und stehen über eine einzige sowohl innerhalb der Anlage zur Inline-Prozessregelung sowie auf Cloudlösungen als Grundlage für die Prozessoptimierung zur Verfügung. In der Batterieproduktion wiederum können unsere Greifer über integrierte Merkmale wie Gewicht, Temperatur, Dimension, Impedanz und Strom erfassen. Zugegeben, es gibt auch Grenzen: Im Mikrometer-Bereich kommen manche Greifer sicher an ihre Grenze.

Dr. Markus Klaiber

Der Benchmark für intelligentes Greifen ist und bleibt der Mensch. Redaktion IEE

Drückt die integrierte Qualitätssicherung nicht zu sehr auf den Maschinentakt?

Dr. Markus Klaiber: Das Messen erfolgt während des Handhabungsvorgangs. Der Messvorgang geschieht meist in Sekundenbruchteilen und wirkt sich daher in der Regel nicht auf die Taktzeit aus. Die Herausforderung liegt eher in der Datenübertragung, Auswertung und Regelung.

Hat die notwendige Messtechnik für die Erfassung, Auswertung und Datenspeicherung überhaupt Platz oder wandert das in die Steuerung oder gar ?

Dr. Markus Klaiber: Wenn die Verarbeitung der Daten unmittelbar im Greifer stattfinden soll, ist der Bauraum ein entscheidendes Thema. Schließlich muss jede Menge Sensorik und in den Greifer integriert werden. Hier gibt es selbstverständlich physikalische Grenzen. Aber, uns kommt die rasante Entwicklung beispielsweise bei den embedded Computern und Kamerasystemen entgegen. Innerhalb weniger Jahre hat sich hier extrem viel getan. Unser klares Ziel ist es, möglichst viel Intelligenz unmittelbar im Greifer unterzubringen.

Wieso unterscheiden Sie zwischen intelligentem Greifen und der ?

Dr. Markus Klaiber: Technisch gibt es zwar einige Parallelen, jedoch unterscheiden sich die Anforderungen deutlich. Intelligente Greifer sind in der Lage, Bauteile zu vermessen oder optische Merkmale zu überwachen. Die Greifgeschwindigkeit, -kraft und -position lassen sich individuell regeln. Zudem ist es im Zusammenspiel mit vor- und nachgelagerten Stationen möglich, Aussagen über den Prozess zu treffen. Es geht also primär um eine Optimierung und Flexibilisierung von Handhabungsprozessen. hingegen haben vor allem ein Ziel: Sie sollen den Menschen unmittelbar unterstützen. Hierfür muss konstruktiv sichergestellt sein, dass es auch bei einem Fehlverhalten des Menschen nicht zu Verletzungen kommt. Sobald sich eine Hand oder auch der kleine Finger zwischen den Fingern des Greifers befindet, muss die Greifkraft auf ein unschädliches Maß reduziert sein. Das gelingt zunächst auch ohne Intelligenz. Jedoch gehen wir davon aus, dass MRK-Greifer künftig ähnlich wie die Fahrdynamikregelung oder das ABS im PKW Extremsituationen vorwegnehmen und schneller reagieren muss als es der Mensch je könnte. Je mehr Sensorik und Auswertemöglichkeiten der Greifer dazu an Bord hat, sprich je intelligenter er ist, desto mehr Möglichkeiten hat er.

Einschätzungen zur Marktentwicklung finden Sie auf Seite 2

5 Finger Hand Schunk

Die Schunk 5-Fingerhand – der weltweit erste Greifer mit MRK-Zertifikat Schunk

Werden die Eigenschaften des Schunk Co-act Greifers und der 5-Fingerhand auch in Ihre anderen Systeme einfließen?

Dr. Markus Klaiber: Ja, definitiv. Der JL1 definiert derzeit die Spitze des technologisch Machbaren in der Greiftechnik. An diesem Benchmark werden sich viele Entwicklungen orientieren.

Ist ihre 5-Fingerhand nicht vor allem ein Prestigeobjekt, vergleichbar einer Technologiestudie, die das technisch Machbare aufzeigt, aber nie in Serie geht?

Die Schunk 5-Fingerhand – wohl gemerkt der weltweit erste Greifer mit MRK-Zertifikat – wird bereits seit mehreren Jahren erfolgreich als Serienprodukt eingesetzt, vor allem im Institutsbereich zur Forschung in der Service-Robotik, aber auch in sozialen Disziplinen.
Sie haben aber insofern recht, als es bislang eher um Nischenanwendungen und nicht um den Massenmarkt geht. Man darf aber nicht unterschätzen welche kreativen technischen Impulse von derartigen Highend-Komponenten ausgehen. Denn die 5-Fingerhand hat eine Eigenschaft die kein anderer Greifer besitzt: Sie ist absolut flexibel in der Bewegung und kann alles Greifen; genauso, wie die menschliche Hand. Das erlaubt völlig neue Szenarien, beispielsweise die individuelle Zubereitung von Mahlzeiten per Roboter im smarten Zuhause der Zukunft.

Die Co-act Greifer umfassen alle Safety-Maßnahmen. Sind auch abgespeckte Varianten möglich, abhängig vom MRK-Grad?

Dr. Markus Klaiber: Alle Greifer der Co-act Familie erfüllen die grundlegenden Voraussetzungen für eine unmittelbare Kollaboration mit dem Werker. Die Basis sind die DIN EN ISO 10218 und DIN EN ISO 20218. Je nach Anforderung können dabei unterschiedliche Technologien und Komponenten zum Einsatz kommen. Beispielsweise hat der MRK-zertifizierte Kleinteilegreifer EGP in der Basisversion eine Greifkraftbegrenzung auf 140 N in Ge-fahrensituationen. Zusätzlich minimiert ein MRK-gerechtes Design mit abgerundeten Ecken und Kanten das Verletzungsrisiko. Größere Teile, wie Felgen hingegen lassen sich mit dem Co-act Greifer EGN handhaben. Darüber hinaus sind ‒ immer abgestimmt auf die konkrete Anwendung ‒ zusätzliche Features möglich, etwa Vision-Sensoren zur Bauteilprüfung.

Wie schätzen Sie die Marktentwicklung ein? Wie viele Greifer-Applikationen werden kooperativ, kollaborativ oder auch nur intelligent sein, also wie bisher komplett abgeschottet?

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Das Greifen darf man nicht mehr isoliert betrachten. Redaktion IEE

Dr. Markus Klaiber: Wir befinden uns gerade am Anfang einer neuen Ära. Niemand weiß, wie sich der Markt künftig verteilen wird. Jedoch stellen wir fest, dass insbesondere Branchen mit einem hohen Automatisierungsgrad großes Interesse an smarten Greiferlösungen zeigen.
Vor allem intelligente werden sich unserer Einschätzung nach schnell verbreiten, da diese auf vorhandenen Automationskonzepten aufbauen und deren Möglichkeiten erweitern. MRK-Systeme hingegen werden vor allem dort nachgefragt, wo es bislang nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich war, Prozesse zu automatisieren. Derartige Anwendungen müssen stets neu konzipiert werden. Das braucht zunächst etwas mehr Zeit, wird aber für Anwender erhebliche Effizienzeffekte bringen.

Wie schätzen Sie die Normenlage bei kollaborativen Arbeiten ein. Sind die in der Norm definierten Grenzwerte in der Praxis einzuhalten?

Dr. Markus Klaiber: Unsere Erfahrung zeigt, dass die Grenzwerte praxisnah definiert sind. Hier gibt es aus unserer Sicht keinen Nachbesserungsbedarf.

Was nutzt es dem Werker, wenn der Greifer sicher ist, der Roboterarm aber nicht?

Dr. Markus Klaiber: Das wird in der Praxis so nie eintreten. Bevor ein MRK-System genutzt wird, muss es stets als Ganzes für den kollaborativen Betrieb zertifiziert werden, sprich der Roboter mit seiner gesamten Peripherie. Eine einzelne Komponente, und sei es ein MRK-zertifizierter Greifer, reicht für sich nie aus. Allerdings minimiert das MRK-Zertifikat der Komponente den Aufwand bei der des Gesamtsystems.

Wie lässt sich das Gesamtsystem MRK-fähig machen?

Dr. Markus Klaiber: Damit die DGUV eine komplette Anlage für den MRK-Betrieb zertifiziert, muss nachgewiesen sein, dass sich der Bediener bei einem Kontakt nicht verletzen kann. Hier greifen die Schutzprinzipien der DIN EN ISO 10218-1/-2 und DIN EN ISO/TS 15066 sowie die Maschinenrichtlinie. Es gilt, sehr präzise zu analysieren, welche Arbeitsräume existieren, welche Risiken bei einer Applikation konkret bestehen und die Arbeitsräume daher eingeschränkt werden müssen, um Verletzungen auszuschließen. Hierzu müssen Applikation, Aufgabe und Werkstücke stets individuell betrachtet werden.

Als Schnittstelle zum Prozess propagieren Sie OPC UA. Wäre nicht ebenso geeignet?

Dr. Markus Klaiber: IO-Link ist als Peer-to-Peer-Verbindung ideal, um busunabhängig einzelne Aktoren anzusteuern und zusätzliche Funktionen und Auswertungen zu ermöglichen. Es eignet sich aber nicht für eine übergreifende Vernetzung. Hier bietet OPC UA weitaus bessere Möglichkeiten.

Was bringen hier Aktivitäten wie Universal Robots+, die eine API für ihre kollaborierenden Roboter entwickelt haben?

Dr. Markus Klaiber: Solche Maßnahmen begrüßen wir. Sie schaffen die Möglichkeit, gezielt Applikationen auf die jeweiligen Robotersteuerungen zuzuschneiden, um Anwendern ein echtes Plug & Work zu ermöglichen.

Wäre das nicht eine interessante Standardisierungsaufgabe für den VDMA Fachverband Robotik & Automation oder die International Federation of Robotics?

Dr. Markus Klaiber: Hier gibt es bereits diverse Initiativen. Beim VDMA arbeiten zwei Projektteams an der von OPC UA in der – eines bei VDMA Integrated Assembly Solutions, eines bei VDMA Robotik.

macht das bestimmt nicht einfacher. Wie unterstützen Sie die Anwen-der bei der Projektierung?

Dr. Markus Klaiber: Beim Thema MRK betreten alle Beteiligten Neuland. Insofern ist ein aktiver Ideen- und Erfahrungsaustausch essentiell. Speziell hierfür haben wir ein interdisziplinär besetztes Team zusammengestellt, das Anwender und Anlagenplaner bei der Realisierung ihrer MRK-Projekte unterstützt. Das Team besteht aus Fachleuten in den Bereichen Konstruktion, Produktmanagement, Montage und Vertrieb, die speziell für MRK-Themen geschult wurden. Sie arbeiten eng mit den relevanten Roboterherstellern sowie mit der Berufsgenossenschaft zusammen und helfen bei der Entwicklung und Analyse von MRK-Szenarien sowie bei der Risikobeurteilung. Zudem sorgen sie für eine schnelle und zielgerichtete technische Umsetzung – unabhängig von den eingesetzten Robotern oder Handlingsystemen.

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Unsere Greifer versorgen ERP und Cloud mit Prozessdaten. Redaktion IEE

Tangiert das intelligente bzw. sichere Greifen nicht auch Unternehmensbereiche wie die Spanntechnik?

Dr. Markus Klaiber: Ja, durchaus. Zum einen lässt sich das Konzept des Smart Gripping auch bei Werkzeugmaschinen nutzen. Zum anderen forciert Schunk auch im Bereich der Spanntechnik den Einsatz intelligenter Technologien. Ein Beleg dafür ist unser auf der EMO vorgestellte, weltweit erste elektrisch gesteuerte 24V-Nullpunktspannmodul. Die Technologiestudie ermöglicht eine permanente Überwachung von Einzugskraft, Spannschieberstellung, Innentemperatur und Zyklenzahl. Zudem detektiert das Modul die Anwesenheit der Werkstücke beziehungsweise Spannpaletten. So ist sichergestellt, dass der gesamte Spannprozess jederzeit unter optimalen Bedingungen abläuft. Noch einen Schritt weiter geht eine des Kraftspannblocks Tandem. Neben einer integrierten Spannweg- und Spannkraftüberwachung sowie der Überwachung der Innentemperatur und Zyklenzahl, können bei dem intelligenten Kraftpaket sowohl die Spannkraft als auch die Position der Spannbacken individuell an das jeweilige Werkstück angepasst werden. So ist es bei der Spannung empfindlicher Teile möglich, Werkstückdeformationen oder Beschädigungen der Oberfläche zu verhindern.

Wo sehen Sie derzeit die technologischen Grenzen des intelligenten Greifens?

Dr. Markus Klaiber: Die größten Herausforderungen sind derzeit die Vielzahl der Kommunikationsschnittstellen und die zunehmende Komplexität. Zudem gibt es zeit- und sicherheitskritische Anwendungen, die sehr hohe Übertragungsraten erfordern. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn Auswertungen auf oder in einer Cloud erfolgen. Wir empfehlen daher, immer schrittweise vorzugehen und step-by-step Erfahrungen mit intelligenten Greifsystemen zu sammeln.

Inwiefern sich die Grenzen der intelligenten Greiftechnik verschieben, wird vor allem von der Entwicklung der Sensorik abhängen. Benchmark bei intelligenten Anwendungen ist und bleibt der Mensch, der die herausragenden sensorischen Fähigkeiten des menschlichen Auges und der menschlichen Hand mit der einzigartigen Rechenleistung des menschlichen Gehirns vereint.

Wie sieht ihre Vision des intelligenten Greifens aus?

Dr. Markus Klaiber: Das industrielle Greifen wird sich grundlegend verändern. In zehn bis fünfzehn Jahren bekommt ein Roboter nur noch die Info, dass in einem Quadranten ein Werkstück liegt mit dem Bild eines digitalen Zwillings. Der Greifer selbst vermeidet dann Kollisionen und weiß, wie Werkstücke zu greifen sind, und wird im intelligenten Zusammenspiel mit dem übergeordneten Handhabungssystem die optimale Greifstrategie entwickeln. Das Greifen wird also völlig neu erfunden.

SPS IPC Drives 2017, Halle 3, Stand 418

(sk/ml)

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