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(Bild: Alfred Vollmer)

Herr Monti, wie laufen die Geschäfte?

Die Geschäfte laufen trotz aller Herausforderungen gut. Die Umsätze wachsen meist um etwa 6 bis 8 Prozent von Jahr zu Jahr, wenn wir einmal vom absolut ungewöhnlichen Jahr 2009 absehen. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 nimmt der Markt stark an Fahrt auf. Wir wuchsen ab Q3/2017 auf einmal zweistellig, wobei die erste Ziffer eine zwei ist.

ST ist ein großer Player im Bereich Automotive, wo wir 2,4 Milliarden US-$ und damit im Jahr 2017 rund 30 Prozent unseres Umsatzes machen. 70 Prozent unserer Automotive-Aktivitäten wandern in das, was wir konventionelle Anwendungen nennen: Halbleiter zur Steuerung von Verbrennungsmotoren, Bremsen, Airbags, Chassis-Elektronik etc. Die Anwendungen sind zwar konventionell, aber die Halbleiter durchaus innovativ; Beispiele hierfür sind Smartpower, klassische Power-MOSFETs und IGBTs. Der Rest geht in die neuen Applikationen: ADAS, wo wir ein Marktführer sind, oder die die Elektrifizierung von reinen E-Fahrzeugen und Mild-Hybriden, wo wir ein echter Markttreiber sind – auch im Bereich Siliziumcarbid (SiC). Hinzu kommen Lichtanwendungen auf LED-Basis und weitere Anwendungen wie zum Beispiel Cybersecurity.

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Marco Monti, STMicroelectronics: „Heutzutage kann man keinen Mikrocontroller für eine sensible Automotive-Applikation mehr ohne ein integriertes Krypto-Modul verkaufen.“ Alfred Vollmer

Wir haben ja ein starkes Volumenwachstum in den Bereichen ADAS, Elektrifizierung des Antriebsstrangs und Mikrocontroller erwartet, aber zu unserer Überraschung gab es ein starkes Wachstum über alle Anwendungen, alle Länder und alle Kunden hinweg, ja sogar in sehr  etablierten Anwendungen wie dem Verteiler- beziehungsweise Sicherungskasten. Die Durchdringung von Halbleitern hat dramatisch zugenommen, und das wurde nicht in vollem Umfang  vorhersehbar.

Das ist eine einzigartige Geschwindigkeitsänderung bei Automotive, die auch in den ersten beiden Quartalen dieses Jahres andauert. Das ist ein angenehmes Problem aber in gewisser Hinsicht ist es unerwartet; fast jeder sagt uns, dass dieses Problem sicher noch das gesamte Jahr 2018 und auch 2019 noch anhalten wird. Unsere erste Priorität besteht somit derzeit darin, die Fertigungskapazitäten an die Bedürfnisse unserer Kunden anzupassen.

Wie wollen Sie diese Nachfrage bedienen?

In der zweiten Jahreshälfte 2017 hat ST eine 8-Zoll-Waferfab in Singapur zurückgekauft, die ST zuvor an Micron verkauft hatte. Damit werden wir jede Woche 1000 zusätzliche Wafer mit Smartpower-Bausteinen fertigen. Darüber hinaus verdoppeln wir etwa die Kapazität in unserer 12-Zoll-Fab in Crolles. Zusätzlich bauen wir gerade eine neue 12-Zoll-Pilotlinie in Agrate bei Mailand, wo wir 2020 die ersten Wafer fertig haben wollen; diese Fab ist für analoge Produkte, möglicherweise auch für Power-MOS. Wir wollen die Fertigung parallel zur steigenden Marktnachfrage hochfahren.

Wann fertigen Sie inhouse, wann setzen Sie auf Foundries?

Aktuell fertigen wir 100 Prozent unserer Produkte für den Automotive-Markt inhouse, sowohl reife als auch Leading-Edge-Produkte: Mikrocontroller, Infotainment, digitale ADAS-Halbleiter etc. Derzeit arbeiten wir weiter daran, das interne Double-Sourcing auszuweiten.

ST hat die interne Entwicklung der CMOS-Technologie beim 28-nm-Knoten gestoppt. Wir werden dann sehr selektiv Foundries nutzen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die 7-nm-FinFET-Technologie. Allerdings laufen alle Designarbeiten intern, denn wir haben inhouse eine starke Design-Expertise für komplexe digitale Programme.

Welche Bedeutung haben ADAS und das automatisierte Fahren für ST?

ADAS ist eine der Schlüsselanwendungen, von denen wir denken, dass sie unsere Umsätze stark erhöhen werden. Active-Safety und assistiertes Fahren sind wesentliche Wachstumsbereiche, und längerfristig werden auch das autonome Fahren und die V2X-Kommunikation zu den Schlüssel-Wachstumsmärkten zählen. Wir haben wesentliche Partnerschaften, die uns die Lage versetzen, eine klare Führungsposition einzunehmen: von Bildsensorik über Radar, V2X und Lidar bis zur GNSS-Positionierung decken wir das volle Segment ab – von hochperformanten Systemen bis zu stärker kostenorientierten Produkten und Lösungen. Am High-End befindet sich dabei Mobileye. Wir haben aber auch noch ein anderes Programm mit einem japanischen Tier-1 sowie ein drittes Programm in China, wobei letzteres eine geringere Verarbeitungsleistung aufweist.

Auf der nächsten Seite lesen Sie mehr über STMicroelectronics zu Lidar und dem EyeQ-Chip.

Welche Aktivitäten hat ST bei 77-GHz-Radarchips?

Wir sind beim 77-GHz-Radar mit zwei Technologie-Optionen bereits in der zweiten Generation. Wenn der Kunde eine rein analoge Lösung haben möchte, die aus einem Transmitter und einem Empfänger oder mehreren integrierten Transmittern/Empfängern besteht, dann verwenden wir eine BiCMOS-Technologie. Wenn unser Kunde eine Lösung wünscht, bei der Empfänger, Transmitter und Basisband auf einem Chip integriert sind, dann nutzen wir die Option FD-SOI RF.

Wie sehen die Pläne von ST bei Lidar aus?

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Marco Monti, STMicroelectronics: „Wir arbeiten aktuell mit einigen OEMs, um Lidar-Lösungen zu bezahlbaren System­kosten zu ermöglichen.“ Alfred Vollmer

Wir wollen unsere Time-of-Flight-Technologie auch in Applikationen jenseits des Smartphones bringen – und eine dieser Applikationen ist Lidar. Den Namen unseres Kunden können wir nicht nennen, aber bei uns läuft ein großes Lidar-Programm mit einem deutschen Tier-1, mit dem wir bereits an einer Prototypen-Lösung arbeiten. Im Laufe dieses Jahres sollten wir das Silizium haben, und Ende 2019 dann ein Produkt, wobei das Kundensystem dann in 2020 fertig sein wird. Wir arbeiten aktuell mit einigen OEMs, die sehr an unseren Technologien interessiert sind, um Lidar-Lösungen zu bezahlbaren Systemkosten zu ermöglichen.

ST fertigt ja auch den EyeQ-Chip für Mobileye …    

Das ist unser am besten in der Öffentlichkeit bekanntes Kundenprogramm. Mobileye ist dabei für die Architektur verantwortlich, ST für die Integration. Das bedeutet, dass wir für Design und Engineering des physikalischen Designs genauso verantwortlich sind wie für Qualifizierung und Fertigung des Chips. Bei den EyeQ-ICs handelt es sich um Full-Custom-Chips, die ST herstellt, die man aber nur von Mobileye kaufen kann. Wir haben das gleiche Geschäftsmodell mit anderen Kunden und Projekten.

2017 begannen wir mit der Produktion des EyeQ-Chips der vierten Generation, der auf unserer 28-nm-FD-SOI-Plattform basiert. Beim Design von EyeQ5 sind wir bereits in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium, wobei dieser Chip dann in 7-nm-FinFET-Technologie gefertigt wird. Das ist das erste Mal, dass wir gemeinsam mit Intel eine Entwicklung durchführen, nachdem Intel Mobileye übernommen hat. Auch mit den Arbeiten an EyeQ6 haben wir schon begonnen – mit Hinblick auf einen Produktionsbeginn in 2022, immer noch auf FinFET-Basis.

Inwiefern wirkt sich Intel als neuer Eigentümer von Mobileye auf Ihre EyeQ-Aktivitäten aus?

Das Geschäftsmodell ist nach wie vor unverändert, aber es gibt eine Veränderung auf der Produktebene. In den ersten fünf Mobileye-Generationen kam ein MIPS-Core zum Einsatz. Da EyeQ6 das erste, gemeinsam mit Intel entwickelte Design ist, wird es das erste Produkt sein, in dem wir einen Intel-Core verwenden, den Atom.

Wie sehen die nächsten Schritte bei EyeQ aus?

Die stärkste treibende Kraft bei der EyeQ-Familie ist der Kamerasensor. Dann ermöglichte EyeQ4 die Sensorfusion, wobei dieser Prozessor ein Signal vom Radar und vielleicht auch vom Lidar empfängt. EyeQ5 wird noch mehr Sensorfusion ermöglichen, und EyeQ6 wird dem gleichen Konzept folgen.

Treten Sie dabei in direkten Wettbewerb mit Nvidia?

In punkto Applikationsklasse steht Mobileye in Wettbewerb mit Nvidia. Bei ST laufen übrigens zwei weitere Programme mit unterschiedlichem Performance-Level. In einem weiteren wesentlichen Programm, das wir mit einem japanischen Tier-1 haben, entwickeln wir das Design einer ADAS-Applikation für das maschinelle Sehen inklusive Sensorfusion. Der Chip ist in der Lage, eine 360-Grad-Sicht, Vogelperspektive und Front-/Rückkamera-Management etc. zu verarbeiten. Weil der Kamerasensor hier der wichtigste Sensor ist, will unser Kunde einen Prozessor, der in der Lage ist, die proprietäre Kunden-IP für das Videosignal-Management zu integrieren – beispielsweise mit Deep-Learning. Daher stellen wir eine Art offene Plattform mit all den Support-Systemen wie Input, Output, ASIL-D und Multi-Core-Verarbeitung zur Verfügung; das Unternehmen integriert dann auf unserem IC seine Verarbeitung von Videodatenströmen.

Derzeit läuft auch noch ein weiteres Programm, das ich auch bereits kurz zuvor angesprochen habe und dessen Verarbeitungsleistung geringer ist. Dieses Projekt, das wir mit chinesischen Partnern realisiert haben, zielt auf hochvolumige Aftermarket-Anwendungen für den Entry-Level ab. Es kombiniert einen Kamerasensor und einen Prozessor für Basis-ADAS-Funktionalitäten – sowohl für die Frontkamera als auch für die rückwärts gerichtete Kamera. Auch die Implementierung eines Systems zur Kollisionsvermeidung, für LDW und Objekterkennung ist damit möglich. Einige OEMs in China setzen das System bereits ein.

Auf der nächsten Seite sind STs Aktivitäten bei Leistungshalbleitern, Außenlicht und Security Thema.

Welche Strategie verfolgt ST bei den Leistungshalbleitern für das Automobil?

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Marco Monti, STMicroelectronics: „Im weiteren Verlauf dieses Jahres werden wir unsere dritte SiC-Generation auf den Markt bringen.“ Alfred Vollmer

Wir unterstützen die Verschiebung sowohl hin zu Mild-Hybriden als auch zu rein elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. Das wird einige Zeit dauern, und viele unterschiedliche Lösungen werden zur Anwendung kommen. Wir haben eine komplette Systemlösung für Mild-Hybride. Bei den EVs konzentrieren wir uns auf den Inverter für den Antrieb, das Batteriemanagement-System und den Ladeteil. Hierfür haben wir eine breite Palette von Leistungsleistungshalbleitern, zu denen auch unsere Siliziumkarbid-Technologie gehört.

Bei SiC liefern wir jetzt schon die zweite Generation, wobei die Marktakzeptanz viel schneller verläuft als wir es erwartet haben. Dieses Jahr werden wir SiC-Bauelemente für die Anwendungen Antrieb und Laden im Wert von 100 Millionen US-Dollar liefern. Im weiteren Verlauf dieses Jahres werden wir unsere dritte SiC-Generation auf den Markt bringen. Dabei sind Module und Gehäuse wichtig; wir haben bereits ein kundenspezifisches Modul für einen Kunden. Für uns ist SiC eine riesige Möglichkeit, und wir sind in engem Kontakt mit über 25 Automobilherstellern für Elektrifizierungs-Projekte, bei denen meistens auch SiC zum Einsatz kommt. Natürlich haben wir sicher gestellt, dass unsere Kunden auch die Substrate bekommen, die sie benötigen.

Darüber hinaus sind wir auch sehr aktiv bei Galliumnitrid, wo wir im Laufe dieses Jahres mehr Details bekannt geben werden.

Welche Pläne hat ST im Bereich Außenlicht?

Wir sind sehr aktiv bei konventionellen Beleuchtungslösungen, und wir sind mit einem Marktanteil von 40 Prozent Marktführer. Über 50 Prozent unserer VIPower-Technologie geht in diese Applikationen. Wir sehen natürlich, dass konventionelles Licht zunehmend von LED-Lichtlösungen ersetzt wird, für die wir sowohl VIPower-Lösungen als auch LED-Treiber liefern.

ST ist schon lange sehr aktiv bei Security-Lösungen…

Die Digitalisierung macht die Autos sehr verwundbar, so dass Security sowohl im Fahrzeug selbst als auch zwischen Fahrzeug und der Außenwelt implementiert werden muss. Jedes System muss datensicher, also secure sein. Wir haben Security-Elemente, um die Verbindung zwischen dem Auto und der Cloud zu schützen. Wir ergänzen diese mit einer speziellen Mikrocontroller-Palette, die über ein Secure-Element verfügen, das in der Lage ist, die Ver- und Entschlüsselung auf dem Chip durchzuführen. Heutzutage kann man keinen Mikrocontroller für eine sensible Automotive-Applikation mehr ohne ein integriertes Krypto-Modul verkaufen. Wir sind derzeit Marktführer in punkto Stückzahlen bei den Gateway-Anwendungen im Auto – für EAL-Level 3 und jenseits davon.

Wo besteht Innovationspotenzial durch die Nutzung entsprechend fortschrittlicher Halbleitertechnologie?

Die Halbleitertechnologie arbeitet mit Nachdruck an Innovationen, um die Anforderungen unserer Kunden in punkto Kosten und Leistungsfähigkeit zu erfüllen. Wir können in punkto F&E und neue Technologien viel tun, um Innovationen zu bieten, während wir gleichzeitig die Kosten von traditionellen Applikationen senken. Ich denke hier zum Beispiel an Motorsteuerungen oder Sicherheits-Anwendungen wie Airbags. Die Basisarchitektur wird sich in den nächsten zwanzig Jahren nicht dramatisch verändern, aber um Generation für Generation die erforderlichen Kostensenkungen zu bekommen, werden viel F&E-Aufwand und technische Innovationen erforderlich sein – sowohl auf Applikations- als auch auf Systemebene.

In punkto Performance werden disruptive Technologien in vielen Domänen Einzug finden. Dazu gehören auch neue Materialien. Ich habe ja schon SiC erwähnt – ein Material, das nach unserer Ansicht in Leistungsanwendungen disruptiv sein wird. Wir glauben, dass Galliumnitrid – GaN – die nächste große disruptive Technologie sein wird und sowohl bei den Hochfrequenz-Leistungsanwendungen wie den Onboard-Ladegeräten als auch bei Hf-Leistungsanwendungen für 5G eine wichtige Rolle spielen wird.

Bei den MCUs gibt es in der Branche eine große Debatte über die Flash-Technologie der nächsten Generation, die mit CMOS integriert werden soll. Wir glauben, dass die Kombination aus FD-SOI-Technologie und Phase-Change-Memory – PCM – die Performance und die Kosten für Automotive-MCUs in den Systemen der nächsten Generation auf eine neue Ebene bringen wird. Wir sind überzeugt, dass PCM auch in Smartpower-Prozessen mit hoher Packungsdichte eine wichtige Rolle spielen wird, um ein ganzes System auf einem Stück Silizium zu implementieren, besonders in mechatronischen Applikationen.

Inwiefern beeinflussen die US-amerikanischen  Zölle Ihr Geschäft?

Ich glaube, dass es derzeit in China ein Vorteil ist, dass wir ein europäisches Unternehmen sind… Allerdings müssen Performance, Preis und Qualität stets passen. Ehrlich gesagt, bin ich sehr glücklich darüber, dass wir europäisch sind. Wir sollten stolz darauf sein, Europäer zu sein.

Das Interview führte Alfred Vollmer, Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK.

Alfred Vollmer

Chefredakteur der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK

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