Der VDI nennt die Lage "prekär": Angesichts 170.300 offener Stellen auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieur:innen fehle es an allen Ecken und Enden. Laut dem jüngsten Ingenieurmonitor des Vereins deutsche Ingenieure nahm im vierten Quartal 2022 die Anzahl der offenen Stellen im Ingenieurwesen um 21,6 Prozent zu. Zugleich nahm mit dem demografischen Wandel die Zahl der Studienanfänger:innen in ingenieurwissenschaftlichen Kernfächern, Maschinenbau oder Elektrotechnik in den letzten Jahren massiv ab.
VDI: Fachkräftemangel wird sich "dramatisch verschärfen“
"Der Fachkräftemangel kann bereits heute nicht annähernd abgedeckt werden und die Situation wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verschärfen“, so Dieter Westerkamp, Bereichsleiter VDI Technik und Gesellschaft. „Im Studienjahr 2016 betrug die Zahl der MINT-Studierenden im ersten Hochschulsemester bundesweit noch rund 143.400 und sank stark auf 125.600 im Studienjahr 2022 ab. In den kommenden Jahren ist folglich mit einem deutlichen Rückgang der Absolventenzahlen zu rechnen“, bekräftigt Prof. Dr. Axel Plünnecke vom IW in Köln diese Entwicklung.
Größte Engpässe bestehen in der Energie- und Elektrotechnik
Prof. Plünnecke unterstreicht den Ernst der Lage: „Setzt man die Zahl der offenen Stellen ins Verhältnis zur Zahl der Arbeitslosen, erhält man die Engpassquote in den Ingenieur- und IT-Berufen. Im vierten Quartal 2021 kamen rechnerisch noch 387 offene Stellen auf 100 Arbeitslose. Im vierten Quartal 2022 stieg diese Engpasskennziffer auf 471 - ein deutlicher Anstieg, aber immer noch eine Engpasskennziffer unter dem Rekordwert vom zweiten Quartal 2022 mit 492.
Die Engpässe unterscheiden sich deutlich zwischen den Berufen: Die größten Engpässe bestehen in den Ingenieurberufen Energie- und Elektrotechnik, gefolgt von den Ingenieurberufen Bau/Vermessung/Gebäudetechnik und Architektur. An dritter Stelle folgen die Informatikberufe. Stark ausgeprägt sind die Engpässe auch in den Ingenieurberufen Technische Forschung und Produktionssteuerung sowie Maschinen- und Fahrzeugtechnik.
Die sinkende Zahl der Studienanfänger:innen in den Ingenieurswissenschaften „ist ein großes Problem“, warnt Prof. Jens Wulfsberg, Präsident der WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik), dem Zusammenschluss führender Professor:innen der Produktionswissenschaft. „Denn das trifft nicht nur unsere Universitätsinstitute, von denen – sollte der Trend anhalten – manche in einigen Jahren nur noch halb so groß sein werden und nur noch halb so viel Forschung betreiben können. Das betrifft natürlich auch unsere Industrie, die schon heute große Schwierigkeiten hat, gut ausgebildeten Nachwuchs zu finden."
Angesichts dieser Situation hat die WGP auf ihrer Frühjahrstagung in Schwerin die Nachwuchsgewinnung und -förderung zu einem Schwerpunktthema höchster Priorität gemacht. Die WGP-Mitglieder beschlossen daher erste Maßnahmen und gaben Gelder frei, um unter anderem mehr Schülerinnen und Schüler für die sogenannten MINT-Fächer zu begeistern. Dass sich bereits andere Akteure ähnliche Ziele gesetzt haben, betrachten die Professor:innen als Vorteil. So könne man mit interessierten Verbänden sowie Partnern aus Industrie und Politik kooperieren und eine umso breiter angelegte, bundesweite Kampagne starten. Kontakte hat die WGP bereits geknüpft, und ein erster Termin für die Entwicklung eines Konzeptes steht im Sommer.
"Wir bieten Ausbildungsplätze an wie sauer Bier"
Den Ernst der Lage bestätigte in Schwerin Jörg Schaupp, Leiter des Airbus-Standorts Stade. Im Rahmen seines Impulsvortrags betonte er, dass bei Airbus der Fachkräftemangel die „größten Kopfschmerzen“ bereite. In den kommenden zwölf Monaten könnte der Konzern 1.000 Ingenieurinnen und Ingenieure einstellen. Woher die Kandidatinnen und Kandidaten allerdings kommen sollen, wusste Schaupp nicht. „Auch unsere Ausbildungsplätze bieten wir an wie sauer Bier.“
Neben der demographischen Entwicklung sah Schaupp ein zusätzliches Problem darin, dass Wissen ans Ausland verloren gehe, weil Unternehmen neue Werke aus wettbewerblichen Gründen jenseits deutscher Grenzen eröffneten. „In Deutschland verfügen wir nur über einen einzigen Rohstoff, und das sind die Menschen und das, was in ihren Köpfen steckt“, mahnte er. Diese Ressource wird nun bedenklich knapp.
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VDI begrüßt Lockerung der Zuwanderungskriterien
Vor diesem Hintergrund begrüßt Dieter Westerkam vom VDI, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Zuwanderungskriterien und die bürokratischen Hemmnisse entschärfen will „Es ist ein erster wichtiger Schritt. Deutschland muss sich fit machen für den weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe“, sagt Westerkamp. “Darüber hinaus müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um die internationalen Fachkräfte, die wir mühsam gewonnen haben, auch länger in Deutschland zu halten. Wir müssen eine Willkommenskultur entwickeln,“
Dieter Westerkamp weist darauf hin, dass diese Entwicklung den Technologie- und Innovationsstandort Deutschlands gefährdet. „Nur mit einer qualifizierten Zuwanderung können wir Wohlstand und zukünftiges Leben und Arbeiten in Deutschland sichern.“
Pilot-Projekt in NRW: VDI zeigt konkrete Lösungen
Der VDI mit seiner vielfältigen regionalen Organisation will für ausländische Ingenieur:innen eine Heimat sein, in der die Integration dieser Beschäftigtengruppe noch besser gelingen kann. „Wir wollen zeigen, dass das geht und starten mit Unterstützung des Bundesarbeitsministeriums in Nordrhein-Westfalen ein Pilotprojekt mit drei VDI-Bezirksvereinen, in dem wir bereits in Deutschland befindlichen ausländischen Ingenieur:innen, aber auch Studierenden nachhaltig auf den Weg zu einer ausbildungsadäquaten Beschäftigung in Deutschland bringen wollen.“ Das Pilotprojekt wird als Teilvorhaben des Regionalen Integrationsnetzwerks NRW – West vom Bundesarbeitsministerium im Rahmen des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung“ (IQ) gefördert. Ziel des Projektes ist es, am Ende einen Werkzeugkoffer geeigneter Maßnahmen zur erfolgreichen Integration ausländischer Ingenieur:innen zur Verfügung zu haben, der es allen VDI-Bezirksvereinen ermöglicht, in diesem Feld aktiv zu sein.
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