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(Bild: KD Busch)

Neue Generationen, neue Herangehensweisen an die Dinge des Lebens: Dr. Stefan Sommer, Vorstandsvorsitzender der ZF Friedrichshafen AG, nahm die sich wandelnden Nutzergewohnheiten der „Generation Y“ zum Aufhänger, um die Herausforderungen zu beschreiben, denen sich die Autoindustrie gegenübersieht. Als erste Generation in der Menschheitsgeschichte von Kindesbeinen an mit der Digitaltechnik vertraut, stellt diese Generation neue Anforderungen an das Auto. „Die Generation Y tickt anders“, sagte Sommer.

Dr. Stefan Sommer (ZF): Die Aufgaben sind so komplex, dass sie sich teilweise nur mit lernenden Algorithmen bewältigen lassen.

Dr. Stefan Sommer (ZF): Die Aufgaben sind so komplex, dass sie sich teilweise nur mit lernenden Algorithmen bewältigen lassen. KD Busch

Dieser veränderte Blick auf das Auto, auf die Mobilität schlechthin ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass junge Leute heute „always on“ sind; sie sind praktisch gewohnheitsmäßig vernetzt; ihr soziales Leben, ihr Austausch mit anderen; all das findet weitgehend im Internet statt. War früher die Mobilität wichtig für die soziale Interaktion, so kann die Generation Y durch Vernetzung interagieren. Was wie eine Marginalie klingt, wird mittelfristig das Kauf- und Nutzungsverhalten im Fahrzeugmarkt massiv beeinflussen.

Auf diese Herausforderung haben sich die Friedrichshafener unter anderem durch den Zukauf der US-Firma TRW Automotive eingestellt. TRW, das jetzt unter dem Dach der ZF AG als Division Active and Passive Safety Technology firmiert, brachte viel Know-how für Fahrerassistenzsysteme ins Haus, das auch für das automatisierte Fahren benötigt wird. Immerhin entstammen heute, wie Dr. Sommer betonte, 80 % der Innovationen im Autobau den Bereichen Elektronik und Software.

Dr. Sommer, dessen Keynote den Kongress eröffnete, kam nicht umhin, auch das Mega-Thema dieser Tage anzusprechen: Das autonome Fahren. Die Entwicklung zum automatisierten Fahren in all seinen Schattierungen wird unter drei Aspekten vorangetrieben. Diese sind Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer (Stichwort: Zero Accidents), Verkehrseffizienz (optimierte Fahrstrategien und verbesserter Verkehrsfluss) sowie Komfort (im Stop-and-Go-Verkehr nicht unbedingt seine gesamte Aufmerksamkeit auf den zähen Verkehr richten müssen). Heruntergebrochen auf die Fahrzeugelektronik resultieren daraus drei große Technikbereiche, die von der Elektronik beherrscht werden müssen, wenn sich das autonome Fahren durchsetzen soll. Diese Disziplinen seien „See, Think, Act“ – und darunter versteht ZF (maschinelles) Sehen, Denken und Handeln.

Diese Aufgaben sind so komplex, dass sie sich teilweise nur mit lernenden Algorithmen bewältigen lassen. „Nur das alles zusammen macht letztendlich das autonome Fahren aus“, erklärte der ZF-Vorstandschef. Aus alldem ergeben sich auch für ZF neue Themen – von der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen bis zur Innenraumgestaltung. Dabei sieht ZF große Potenziale, auch und vor allem im Bereich der Nutzfahrzeuge. Der Schwerpunkt werde dabei auf der Bereitstellung von Antriebsaggregaten mit der nötigen Funktionalität liegen.

Von der Mechatronik  zum cybertronischen Gesamtmodell

Unter den Leitgedanken „Digitalisierung als Erweiterung der Wertschöpfung für Zulieferer“ stellte Prof. Dr. Peter Gutzmer, im Vorstand der Schaeffler AG für das Ressort Technik zuständig, seine Keynote-Ansprache. Seiner Analyse zufolge wird noch auf Sicht von etwa 15 Jahren der Verbrennungsmotor dominieren. Allerdings werden unter dem Zwang zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes alternative Antriebe Marktanteile gewinnen. Für das Jahr 2030 schätzt Schaeffler den Anteil der rein elektrischen Antriebe auf 11 bis 20 %, denjenigen der hybriden Ansätze auf zirka 37 %.

Für den fränkischen Automobilzulieferer mit seinen tief in der Mechanik verwurzelten Historie ergibt sich daraus eine konkrete Zukunftsstrategie. „Wir werden unsere angestammten Felder wie Getriebe und Motorsysteme nicht verlassen, sondern ergänzen“, erläutert der Schaeffler-Vorstand. Im Mittelpunkt werden dabei Entwicklungen in den Bereichen Elektronik und Mechatronik stehen. Die Auswirkungen dieser Ergänzungen auf die realen Produkte sollen die Branche dem Ziel einer deutlichen Verringerung des CO2-Ausstoßes Schritt für Schritt näherbringen.

So werde auch in Zukunft das Getriebe eines Fahrzeugs eine Schlüsselstellung für die Steigerung der Energieeffizienz des Verbrennungsmotors enthalten, und auch bei Elektrofahrzeugen und Hybriden spiele das Getriebe eine sehr große Rolle. Große Themen für die Franken sind zudem 48-V-Systeme und die Elektrifizierung der Aggregate, beispielsweise in Gestalt der E-Clutch, der elektrisch gesteuerten Kupplung, die ebenfalls als Beitrag zur Verbesserung der Effizienz gesehen werden kann.

Weitere Impulse in Richtung Effizienz könnten vom Radnabenantrieb ausgehen, der auf Schaefflers Entwicklungs-Roadmap mit einem mittelfristigen Horizont von fünf Jahren auftaucht und vor allem für urbane Fahrzeuge in Frage kommt. Im gleichen Zeitraum plant das Unternehmen, seinen Personalstand in den Bereichen Fertigung sowie Forschung und Entwicklung von heute 1200 Personen zu verdoppeln. Um den gleichen Faktor sollen auch die Investitionen in diesem Segment  steigen: auf eine Milliarde Euro.

Bei der Digitalisierung verfolgt Schaeffler einen ganzheitlichen Ansatz. Er umfasst nicht nur die Produkte, sondern auch die Art, wie sie gefertigt werden, bis hin zum 3D-Druck. Hinzu kommen Daten und Prozesse sowie externe Partnerschaften. Gutzmer schwebt eine Verschmelzung von Mechanik, Elektronik und Daten vor,  aus der sich ein „cybertronisches“ Gesamtmodell ergebe: mit Komponenten wie Cloud Computing, modellbasierter Entwicklung und Industrie 4.0. Auf die Zusammenarbeit mit Kunden wird das ebenfalls Auswirkungen haben. „Es wird wichtiger, mit Kunden und weiteren Lieferanten enger vernetzt zu sein“, sagte Gutzmer. „Es wird neue Strukturen brauchen, die über die heutigen Wertschöpfungsbetrachtungen hinausgehen.“

Nielsen statt Moore

Bosch-Geschäftsführer Dr. Dirk Hoheisel zeichnete in seiner Keynote ein Bild von der Mobilität der Zukunft, die von den globalen Megatrends einer alternden Bevölkerung, Urbanisierung und Einbindung in Datennetze grundlegend bestimmt ist. Als Ergänzung zu dem berühmten Moore’schen Gesetz stellte Hoheisel das „Nielsen’sche  Gesetz“ vor, das eine Verdoppelung der Bandbreite der Datenkanäle alle 21 Monate postuliert. Vor dem Hintergrund der preiswerten Verfügbarkeit von Computerleistung und Kommunikationsmöglichkeiten sei die Mobilität der Zukunft „elektrisch, automatisch und eingebunden in Datennetze.“

Dr. Dirk Hoheisel (Bosch): Das Auto wird gewissermaßen zum dritten Lebensraum seiner Benutzer – nach dem Heim und dem Arbeitsplatz.

Dr. Dirk Hoheisel (Bosch): Das Auto wird gewissermaßen zum dritten Lebensraum seiner Benutzer – nach dem Heim und dem Arbeitsplatz. KD Busch

Die Automatisierung des Fahrens wird Hoheisel zufolge schrittweise kommen und sich in bestimmten Szenarien jeweils als Kristallisationskern vollziehen. Erste Schritte sind bereits getan; der „Traffic Jam Pilot“, der Staufolgeassistent ist seit diesem Jahr in Serie erhältlich. Bis 2020 erwartet Hoheisel die Möglichkeit des automatisierten Fahrens auf Autobahnen, bis 2025 das voll automatisierte Fahren ohne diese Beschränkung.

Das „Connected Driving“, die Netzeinbindung der Fahrzeuge als einer der wichtigsten Säulen des automatisierten Fahrens, ist zunehmend von Diensten aus der Cloud geprägt. Cloud-Dienste werden beispielsweise für die Bereitstellung intermodaler Mobilitätsmodelle benötigt. Mit seiner IoT Cloud stehe Bosch bereit, Services für derartige Modelle anzubieten.

Mit Automatisierung des Fahrens und die Netzeinbindung von Fahrzeug und Fahrer sind die Grundlagen geschaffen, das Auto gewissermaßen zum dritten Lebensraum seiner Benutzer werden zu lassen – nach dem Heim und dem Arbeitsplatz. Mit seiner Dateninfrastruktur ermöglicht das Auto den Usern, ihren von zu Hause und vom Arbeitsplatz gewohnten digitalen Lebensstil auch unterwegs beizubehalten.

Dazu wird es einer neuen E/E-Architektur der Fahrzeuge bedürfen. Hoheisel stellte eine Roadmap für deren Entwicklung vor. Danach ist der heutige Ist-Zustand dadurch gekennzeichnet, dass für jede Funktion im Auto ein eigenes Steuergerät existiert. Der nächste Schritt, bereits in wenigen Jahren zu realisieren, sieht eine Teilzentralisierung der Rechenleistung und der Fahrzeugfunktionen in Domänenrechnern vor. In der weiteren Zukunft werden Fahrzeug-Zentralrechner diese Domänenrechner ablösen. Gleichzeitig werden bestimmte Fahrzeugfunktionen in die Cloud migriert, so die Vorstellung von Bosch, die deutliche Parallelen zu den in anderen Vorträgen während des Kongresses geäußerten Plänen anderer Teilnehmer der automobilen Wertschöpfungskette aufweist.

Halbleiter an Schlüsselpositionen der Innovation

Die Perspektive des Halbleiterherstellers steuerte Dr. Reinhard Ploss in seiner Keynote bei. Der CEO von Infineon erinnerte daran, dass es die Halbleiter sind, die im heutigen technischen Fahrzeugumfeld für 80 % aller Innovationen verantwortlich zeichnen. Sie sind es, die den Autoingenieuren Fortschritte bei Sicherheit, Komfort und Abgasreduzierung ermöglichen. Mit der Automatisierung des Fahrens wird ihre Bedeutung noch zunehmen.

Dr. Reinhard Ploss (Infineon): . „Nur wenn wir die zu integrierende Funktionalität wissen, können wir den gewünschten Kostenpunkt erreichen.“

Dr. Reinhard Ploss (Infineon): . „Nur wenn wir die zu integrierende Funktionalität wissen, können wir den gewünschten Kostenpunkt erreichen.“ KD Busch

Autonomes Fahren erfordere Dr. Ploss zufolge drei wesentliche Zutaten: Rechenleistung, Sensoren und leistungselektronische Bauelemente. Während bei tradierten E/E-Architekturen die Daten jedes Sensors in einer dedizierten ECU verarbeitet werden, werde sich das Bild in Zukunft massiv verändern: Sensoren machen ihre Daten mehreren ECUs zugänglich, während auch die ECUs zunehmend die Daten mehrerer Sensoren verarbeiten. Bis Mitte der nächsten Dekade erwartet Dr. Ploss, dass Domänenrechner die Ergebnisse vieler Sensoren gleichzeitig verarbeiten, während umgekehrt die Sensoren eingebaute Intelligenz zur lokalen Datenvorverarbeitung erhalten werden. Begleitet wird diese Entwicklung vom Einsatz neuer Sensoren wie Lidar, von der Einführung hochauflösender Straßenkarten und von Car-to-x-Konnektivität.

Um die drastisch anschwellende Datenflut zu bewältigen, werden auch neue Architekturen auf Mikroprozessorebene nötig. So kommen etwa GPUs (Grafikprozessoren) zur Lösung komplexer Aufgaben zum Einsatz. Auch auf der Softwareebene gilt es, neue Wege zu beschreiten; das Stichwort heißt hier Virtualisierung. Zudem wird die IT-Landschaft im Fahrzeug die Fähigkeit erhalten, über die Luftschnittstelle Updates herunterzuladen. Neue Anwendungen und Geschäftsmodelle binden das Auto immer stärker in externe informationstechnische Zusammenhänge ein.

All das, erklärt Dr. Ploss, erfordere eine sicherheitstechnische Aufrüstung des Autos. Hier hat Infineon einiges zu bieten; das Unternehmen fertigt schon seit langem Security-Chips für Rechner und Reisepässe. „Wir können sichere Datentresore bereitstellen“, versprach der Chipmanager. Offen ist aber die Frage der Kosten. „Niemand weiß, was das alles kosten darf, um die Kompaktklasse zu adressieren“, mahnte der Infineon-Chef. „Nur wenn wir die zu integrierende Funktionalität wissen, können wir den gewünschten Kostenpunkt erreichen.“ Bei Infineon denke man jedenfalls über eine neue Klasse von Mikroprozessoren nach, die nach der ISO 26262 entwickelt werden sollen und auch die Belange der IT-Sicherheit berücksichtigen.

Auch einen kurzen Ausblick auf die Entwicklung der Leistungselektronik für elektrische Antriebsstränge gab der Infineon-Chef. Danach werde es mittelfristig eine Verschiebung von Silizium-IGBTs zu MOSFETs auf SiC-Basis geben. Das gelte vor allem für Onboard-Ladegeräte, Booster und Hochspannungs-Inverter.

Rezepte gegen die Komplexität

Laut Continental-Vorstandsmitglied Helmut Matschi vollzieht sich zurzeit in der automobilen Lieferkette ein Paradigmenwechsel: Bisher drehte sich bei der Vergabe der Aufträge zwischen OEM und Zulieferer alles um das Auto. Mit zunehmender Bedeutung von Konnektivitätsdiensten rücke dagegen der Mensch in den Mittelpunkt. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Digitalisierungsstrategie des Autozulieferers, die Matschi in seiner Keynote erläuterte.

Helmut Matschi (Continental): Mit Software-Reuse lässt sich „um Längen stabilere Software“ erzielen.

Helmut Matschi (Continental): Mit Software-Reuse lässt sich „um Längen stabilere Software“ erzielen. KD Busch

Was die Mobilitätsdienste von der Entwicklung der Fahrzeugelektronik in der Vergangenheit unterscheidet, ist der Grad ihrer Vernetzung: Diese Services haben ihre technische Basis in der Cloud. Ein Beispiel ist der E-Horizon, jener Dienst, der dem Fahrzeug mitteilt, wann es gut wäre, vom Gas zu gehen, weil demnächst eine Kurve oder eine Gefällstrecke vor ihm liegt. In Anspruch genommen wird dieser Service laut Matschi von mittlerweile mehr als 200.000 Lastwagenfahrern, die damit im Durchschnitt 3 % Kraftstoff einsparen können. Das scheint wenig, hat sich aber seit der Einführung des Dienstes im Jahr 2012 auf immerhin 267 Millionen Liter Diesel aufsummiert – eine Ersparnis von 345 Millionen Euro.

Der Continental-Vordenker unterschied in seinem Vortrag zwischen drei Kategorien von Services: Da sind zunächst Dienste, die das Fahrzeug attraktiver machen. Sie fallen ins Auge, weil sie im Infotainment-Bereich angesiedelt sind. Hierzu gehören Dienste, die das Smartphone des Benutzers in das Fahrzeug integrieren. Die zweite Gruppe macht das Auto besser; sie hilft beispielsweise, die Kraftstoffkosten durch die Optimierung der Fahrweise zu senken. Der erwähnte E-Horizon ist ein Beispiel für diese Kategorie. Die dritte Kategorie macht nicht die Fahrzeuge besser, sondern den Verkehr; sie optimiert beispielsweise in Gestalt eines Traffic-Light-Assist den Verkehrsfluss, sie hilft Fahrern dabei, einen Parkplatz zu finden oder sie stellt per App eine intermodale Reiseplanung zur Verfügung.

So weit zum Nutzen der Digitalisierung. Der Preis für diesen Nutzen besteht in einer enormen Zunahme der Komplexität – der Strukturen, der eingesetzten Hard- und Software und ebenso der Entwicklungsprozesse. Aber auch dagegen ist laut Matschi ein Kraut gewachsen: Mit Software-Reuse beispielsweise lasse sich „um Längen stabilere Software“ erzielen. Wichtig seien auch agile Entwicklungsverfahren und modellbasierte Ansätze. Man müsse zudem quer über die Disziplinen einen klaren und realen Blick für diese Themen entwickeln, forderte Matschi. „Dann werden wir das auch schaffen.“

Die Branche im radikalen Umbruch

Die wesentlichen Inhalte der Keynote „Die Automobilindustrie im (radikalen) Umbruch – Chancen, Risiken, Trends, Herausforderungen“, die Audis E/E-Leiter Ricky Hudi hielt, erhalten Sie ab dem 9.8.2016 auf all-electronics.de.

Christoph Hammerschmidt

Freier Redakteur

(av)

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