Die Steckverbinder M12 x-codiert sind geeignet für künftige 100 G-Lösungen.

(Bild: Harting)

100 GBit/s über symmetrische Kupferadern – das ist das Ziel des 2013 gestarteten Forschungsprojekts.

100 GBit/s über symmetrische Kupferadern – das ist das Ziel des 2013 gestarteten Forschungsprojekts. Leoni

Big Data, Cloud Computing, Industrie 4.0 und das Internet der Dinge intensivieren die Kommunikation von Objekten jeglicher Ausprägung. Auf die industrielle Anwendung bezogen, verlangt diese Entwicklung zwangsläufig die Aufrüstung der Hardware in den Rechenzentren. Sie bilden künftig die Grundlage für Vernetzung der Geräte und Versorgung mit Daten bis hinunter in alle Bereiche der Automation. Die Hardware im Rechenzentrum muss so ausgelegt sein, dass sie den stetig steigenden Anforderungen hinsichtlich Geschwindigkeit und Bandbreite gerecht wird. Das betrifft Kabel, Steckverbinder und andere Schnittstellen. Letztlich werden immer mehr industrielle Anwendungen mit dem Rechenzentrum gekoppelt, sodass diese Entwicklung dort ebenfalls Auswirkungen auf die Infrastruktur haben wird. Vor diesem Hintergrund haben die Hochschule Reutlingen, Leoni und Harting 2013 das Verbundprojekt initiiert.

100G als wirtschaftlich sinnvoller Technologiesprung

Im Rahmen des Projekts soll aufgezeigt werden, dass eine Erhöhung der Datenraten auf 100G über verdrillte Doppeladern theoretisch und künftig technisch möglich sowie wirtschaftlich sinnvoll ist. Die zu erstellenden Anforderungen bedeuten eine signifikante Verbesserung der Eigenschaften von Kabeln und Steckverbindern. Weiterhin soll bei der ISO/IEC JTC 1/SC 25 ein neues Projekt (NWIP: New Work Item Proposal) zum Thema 100 GBit/s über verdrillte Doppeladern initiiert werden, um eine internationale Richtlinie zu erarbeiten. Dafür soll ein erster Entwurf erstellt werden.
Die Erhöhung der Datenrate über symmetrische Kupferkabel von derzeit 10 GBit/s auf zunächst 40 GBit/s und schließlich 100 GBit/s stellen jeweils enorme Technologiesprünge dar. Die Erhöhung der Datenrate um den Faktor 4 (aktuell) beziehungsweise 10 bedeutet eine Vervielfachung der Anforderungen an die hochfrequenztechnischen Übertragungseigenschaften.

Erst simulieren, dann probieren

Prüfaufbau in der Hochschule Reutlingen, mit dem die theoretische realisierbaren Überragungsraten nachgewiesen wurde.

Prüfaufbau in der Hochschule Reutlingen, mit dem die theoretische realisierbaren Überragungsraten nachgewiesen wurde. Hochschule Reutlingen

Um Aussagen über die technische Machbarkeit einer 100G-Übertragung über symmetrische Kupferverkabelung zu erhalten, wurde die Aufgabenstellung auf die wesentlichen Kriterien konzentriert: Die Übertragung von 25 GBit/s über ein Aderpaar nebst Steckverbinder (4 x 25G = 100G).
Die Einzelkomponenten wurden mathematisch beschrieben. Diese Matrizen lassen sich mittels Messungen auf ihre Richtigkeit in der Praxis hin überprüfen. Anschließend kann man die mathematisch beschriebenen Einzelkomponenten zu einem Gesamt-Übertragungskanal zusammensetzen. So ist es möglich, Grenzwerte zum Beispiel hinsichtlich der Bandbreite (in GHz), des Nah-Nebensprechens (NEXT in dB) oder der Leitungslängen (in m) zu simulieren beziehungsweise vorauszusagen. Über diesen Ansatz wurden die notwendigen Schritte zur Untersuchung eines 100G-Kanals definiert.
Ausgehend vom Platine/Platine-Kanal wurde der passive Übertragungskanal der Verkabelung (ISO/IEC-Channel) definiert und mittels M-Matrix-Daten vollständig mathematisch beschrieben.

Um die M-Matrizen letztlich mit Werten füllen zu können, müssen die übertragungstechnischen Eigenschaften der Einzelkomponenten bekannt sein. Dazu wurden verschiedene Messreihen für Kabel und Verbinder aufgestellt. Parallel dazu wurden die Messaufbauten mit Anschlusseinheiten, Equalizern und Prüflingen entwickelt, getestet, beschrieben und auf ihre Einsatzfähigkeit und Genauigkeit bei Bandbreiten bis 2,5 GHz überprüft. Um die Stabilität und Richtigkeit der Messergebnisse bewerten zu können, wurden immer wieder Round-Robin-Tests durchgeführt, bei denen vorbereitete Prüflinge – in diesem Fall war es der Prototyp eines 2,5-GHz-Kupferkabels – von allen drei Partnern in ihren Laboren mit ihrer jeweiligen Messtechnik den gleichen Prüfungen unterzogen wurden. Am Ende der Testreihen lagen belastbare Werte für Kabel und Steckverbinder über einen Frequenzbereich bis 2,5 GHz vor.

Kabel- und Steckverbinder im Messlabor

Die Untersuchungsergebnisse der verschiedenen Kabel-Prototypen haben zur stetigen Verbesserung des Designs der Kabelkonstruktion geführt. Ein finaler Prototyp (Vorserien-Status) erfüllt alle wesentlichen übertragungstechnischen Parameter weitgehend zufriedenstellend. Dabei wurde gegen eine angenommene Grenzkurve geprüft, die als notwendig für die 25-GBit/s-Übertragung über ein Adernpaar ermittelt wurde. Bei der Untersuchung des Übertragungsverhaltens der Steckverbinder wurde auf bestehende Steckverbinder-Typen zurückgegriffen. Dabei bestätigte sich, dass je besser die separate Schirmung der einzelnen Kontaktpaare konstruktiv ausgeführt ist, umso mehr verbesserte sich auch das Übertragungsverhalten bei hohen Frequenzen und großen Bandbreiten.

Die belastbaren Testergebnisse der einzelnen Komponenten wurden im Channel-Model zusammengeführt. Die mathematischen Untersuchungen ließen den Schluss zu, dass eine Übertragung von 25 GBit/s über ein Adernpaar von 30 m Länge mit Bandbreiten um 2,5 GHz möglich ist. Um die Gültigkeit dieser Aussage zu untermauern, wurden Kanalmessungen durchgeführt. Dabei wurde der 30-m-Übertragungskanal mit 26m Kabel und je 2 m langen, konfektionierten Kabeln (Patchcords) mittels eines mobilen Testgerätes bis 2 GHz gemessen. Weitere Untersuchungen vereinfachter 30 m langer Kanäle mittels Labormesstechnik lieferten dann auch zusätzliche Parameter wie Insertion Loss (IL) und Group Delay bis 3 GHz und das für mehrere Paare gleichzeitig. Alle Ergebnisse unterstützen die Aussage: 100G-Übertragung über vier Paare eines symmetrischen Kupferkanals ist machbar.

Umsetzung der Erkenntnisse

In abschließenden Tests wurde der real aufgebaute 30-m-Übertragungskanal mit Nutzsignalen belastet. Dadurch sollte herausgefunden werden, welches Codierungsverfahren für die Übertragung von 100 GBit/s am sinnvollsten ist. Wie bei den anderen Tests wurde wieder mit der Betrachtung eines Adernpaares – also 25 GBit/s Übertragungsrate – begonnen. Dabei wurden geordnete Bitfolgen und ungeordnete, stochastische Bitfolgen mittels PAM 16- und PAM 32-Codierung über den Testaufbau geleitet. Die Auswertung ergab, dass zur sicheren Datenübertragung von 100G über einen symmetrischen Kupferkanal das Codierungsverfahren PAM 32 anzuwenden ist.

Das Verbundprojekt 100G hat die technische Machbarkeit der Übertragung von 100-GBit/s-Ethernet über symmetrische Kupferverkabelungssysteme nachgewiesen. Der Aufwand in die Verbesserung bestehender Kabel- und Steckverbinder zur Ertüchtigung in Richtung 2,5-GHz-Übertragung ist überschaubar, sodass auch die Wirtschaftlichkeit einer solchen Lösung gegeben ist. Somit ist der Entwicklung der nächsten Generation High-Speed-Kupferverkabelungen für den Ausbau der Netzwerkinfrastruktur vom Rechenzentrum bis zur Industrie 4.0 der Boden bereitet. Im nächsten Schritt sind die Beschreibung der notwendigen Protokolle bei der IEEE 802.3 und der dazu erforderlichen Verkabelung in der ISO/IEC JTC 1/SC 25/WG 3 anzuregen.

Hannover Messe 2016: Halle 11, Stand C13

Rainer Schmidt

ist als BDM (Business Development Manager Industrial Cabling) für Industrieverkabelung bei Harting in Espelkamp tätig und arbeitet in einer Reihe nationaler und internationaler Standardisierungsgremien mit.

Prof. Dr. Albrecht Oehler

ist Inhaber des Lehrstuhls für Informations- und Kommunikationstechnik an der Hochschule Reutlingen.

Yvan Engels

arbeitet im Strategic Market Development/Standardisation der Business Unit Infrastructure & Datacom von Leoni.

(sk)

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