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Wer Geräte und Schaltungen entwickelt, sollte sich frühzeitig um die EMV-Optimierung kümmern: Zwar hat sich der Pegel der Störaussendungsquellen aufgrund der kleineren Schaltungsstrukturen und der niedrigeren Versorgungsspannungen verringert; die gestiegenen Signalfrequenzen allerdings, die bei höherer Performance entstehen, heben diesen Vorteil wieder auf. Im Allgemeinen hat sich für die Störaussendung also nichts Wesentliches geändert. Eine Ausnahme sind die Elektroantriebe im Kfz. Dort haben sich durch hohe HF-Ströme die Probleme mit der elektromagnetischen Verträglichkeit wesentlich verschärft.

Auf einen Blick

Katastrophenberatung oder entwicklungsbegleitende Beratung: Wer sich technologisch auf Neuland bewegt, kann nur begrenzt abschätzen, welche EMV-Probleme auf ihn zukommen. Statt mit dem Hilferuf bis zur Beinahe-Katastrophe zu warten, empfiehlt es sich, bereits frühzeitig einen Berater einzubinden. Der Beitrag zeigt anhand eines High-Speed-Bussystems, wie knifflig EMV-Probleme sein können.

Bei der Störfestigkeit haben sich die Probleme im Allgemeinen verstärkt. Ursache dafür sind die geringeren Versorgungsspannungen und die kürzeren Schaltzeiten der ICs. Mit sinkender Versorgungsspannung verringern sich auch die Störschwellen der ICs. Durch die größere Schnelligkeit erfasst der IC auch kurze Störimpulse als Störungen.

Neue EMV-Phänomene

Durch die technologische Weiterentwicklung der Elektronik entstehen sogar Phänomene, die besonderes neues EMV-Know-how verlangen. Zum Beispiel:

  • ESD und ICs: Moderne schnelle ICs reagieren in besonderer Art und Weise auf sehr kurze Störimpulse und erzeugen damit ein vollkommen neues EMV-Verhalten des Prüflings.
  • Neue Technologien bringen neue technische Anforderungen, zum Beispiel die Störaussendung von Elektroautomobilen.
  • Neue technische Systeme stellen hohe EMV-Anforderungen an die Verbindungstechnik.

Wenn man technisches Neuland betritt, ist es erforderlich entsprechendes Know-how als Begleitung zu haben. Ein Berater mit dem entsprechenden Wissen auf Spezialfeldern kann das leisten.

Bild 1: Kein Land in Sicht wenn der Prüfling durch den EMV-Gerätetest fällt. EMV-Maßnahmen sind dann am wirkungsvollsten, wenn bereits zu Beginn der Entwicklung ein fundiertes EMV-Konzept erarbeitet wird.

Bild 1: Kein Land in Sicht wenn der Prüfling durch den EMV-Gerätetest fällt. EMV-Maßnahmen sind dann am wirkungsvollsten, wenn bereits zu Beginn der Entwicklung ein fundiertes EMV-Konzept erarbeitet wird.Langer EMV

Guter Rat

Gute Berater haben ständig Kontakt zu aktuellen und meist komplizierten EMV-Problemen und erweitern ihr Know-how beim Lösen dieser Probleme: Die schwersten EMV-Fälle, die in der Industrie auftreten, kommen zum Berater. Er kann sein Wissen anwenden, aber gleichzeitig sammelt er neue Erfahrungen. Bei dieser Arbeit erkennt er die durch Technikentwicklung bedingten neuen EMV-Phänomene bereits bei ihrem ersten Auftreten. Das kann Jahre vorher sein, bevor diese Phänomene in der Praxis allgemein bekannt werden. Zum Beispiel können schnelle Einschwingvorgänge bei ESD-Entladungen nur schnelle ICs beeinflussen. Das geschieht über neue, noch nicht bekannte Wirkungsketten. Der Entwickler sieht nur das Ergebnis beim EMV-Test. Dort verhält sich der Prüfling unerklärlich abnorm (Bild 1).

Die schnellen Einschwingvorgänge bei ESD-Entladungen dauern zirka 200 ps. Nur schnelle ICs können sie wahrnehmen und durch sie beeinflusst werden. Die Laufzeit des Störpulses ist so kurz, dass normale Ableitsysteme nicht in der Lage sind, sie kurzzuschließen. Das heißt, die Störspannung baut sich in voller Größe kurz auf und stört die Elektronik. Der Fachmann meint allerdings, es wäre alles kurzgeschlossen. Die auftretenden Fehlerbilder sind abnorm und nicht mehr eindeutig interpretierbar.

Zur Normalität geworden

Heute tritt dieser Effekt häufig auf, vor zehn Jahren war das noch selten. Wenn man die zugrunde liegenden Probleme kennt, sind sie beherrschbar. Je nach dem zu lösenden EMV-Problem gibt es verschiedene Eingriffstiefen in den Entwicklungsablauf. Diese Eingriffstiefen ziehen mehr oder weniger Aufwand nach sich. Folgende globale Möglichkeiten ergeben sich um ein Gerät zu entstören:

Bild 2: IC-Testplatz für Pulsstörfestigkeit. Mit diesem Messaufbau kann der Entwickler oder IC-Hersteller die Störschwelle jedes einzelnen IC-Pins ermitteln. Entsprechende Schutzmaßnahmen können im Layout daraufhin für den IC berücksichtigt werden.

Bild 2: IC-Testplatz für Pulsstörfestigkeit. Mit diesem Messaufbau kann der Entwickler oder IC-Hersteller die Störschwelle jedes einzelnen IC-Pins ermitteln. Entsprechende Schutzmaßnahmen können im Layout daraufhin für den IC berücksichtigt werden.Langer EMV

  • Bestückungsänderungen.
  • Layoutänderungen.
  • Tausch des ICs, der die Schwachstelle verursacht.
  • Verbesserung des ICs, der die Schwachstelle verursacht (Bild 2).
  • Änderung des Gehäuses oder der mechanischen Konstruktion.

Die Bestückungsänderung verursacht den geringsten Aufwand. Sie ist die Hoffnung des Kunden. Meist lässt sich dieser Wunsch jedoch nicht erfüllen und ein tieferer Eingriff ist nötig. Bei Layoutänderungen ist eine Neuentwicklung der Leiterkarte nötig. Verschieben sich Testpunkte, dann hat das auch Auswirkungen auf den Prüfadapter.

Der Tausch eines ICs mit QFP-Gehäuse gegen ein IC mit BGA-Gehäuse kann zum Ziel führen. Er setzt aber voraus, dass überhaupt ein IC mit BGA-Gehäuse gleicher Funktion verfügbar ist. Bei entsprechender Größe des Gesamtprojekts ist es auch möglich, gemeinsam mit dem IC-Hersteller, den IC zu verbessern. Man vermeidet damit zusätzlich konstruktiven Aufwand, mit dem man den IC von außen schützen müsste.

Die konstruktive Änderung des gesamten Produkts zieht hohen Aufwand nach sich. Im einfachsten Fall wäre das ein Schirmteil, welches ergänzbar ist. In anderen Fällen kann es sein, dass der Entwickler Metall- und Kunststoffteile umkonstruieren muss.

Bild 3: Der ESD-Gerätetest kann, wenn er negativ ausfällt, die Markteinführung eines Produktes erheblich hinauszögern. Die EMV-Härtung des Gerätes verursacht oft hohe und ungeplante Kosten.

Bild 3: Der ESD-Gerätetest kann, wenn er negativ ausfällt, die Markteinführung eines Produktes erheblich hinauszögern. Die EMV-Härtung des Gerätes verursacht oft hohe und ungeplante Kosten.Langer EMV

Beratungstypen

Generell kann man zwischen zwei Beratungstypen unterscheiden: Katastrophenberatung und entwicklungsbegleitende Beratung. Bei der Katastrophenberatung wird der Berater aus Verzweiflung um Hilfe gerufen, wenn sich die Markteinführung eines Produkts durch permanente EMV-Probleme verschiebt (Bild 3).

Zur entwicklungsbegleitenden Beratung kommt es meist aus Kundenerfahrung. Die Idee keimt aus vorangegangenen Katastrophenberatungen in Verbindung mit neuen Projekten, die bisher noch nicht dagewesene EMV-Anforderungen enthalten. Das können Neuentwicklungen sein, die um den Faktor 10 bis 100 höhere Performance verlangen, gepaart mit Erstanwendungen von neuen technischen Prinzipien. Bei einem solchen Vorstoß auf Neuland kann es sein, dass der Berater ebenfalls Neuland betritt. Die Idee liegt nahe, Prototypen zu bauen und an ihnen die notwendigen Maßnahmen auszutesten. Komplexe Systeme sind aus Erfahrung so jedoch nicht beherrschbar. Es wird viele Schwachstellen geben, die sich im Prototypen meist undurchschaubar überdecken. Nur mit viel Zeit und Geld entsteht ein Kompromiss, der aber niemanden zufriedenstellt.

Bewährt hat sich dahingegen das Zerlegen des Gesamtsystems in einzelne überschaubare Teile. Dabei ist vom Wirkzusammenhang auszugehen und das Gerät in elementare Abschnitte zu zergliedern. Das lässt sich am Beispiel eines High-Speed-Bussystems zeigen: Das Bussystem soll unter allen Umständen, auch bei einem ESD-Einschlag, ohne einen Bitfehler arbeiten. Den Signalweg des High-Speed-Bussystems zerlegt man in einzelne Komponenten wie: Sende-Empfangs-IC, Leiterkartenabschnitte, Steckverbinder und Kabel. Alle Komponenten werden einzeln auf Eignung getestet und entsprechend verbessert. Dafür müssen entsprechende EMV-Ziele definiert werden. Zum Schluss baut man die optimierten Komponenten zum ersten Muster zusammen und es wird nicht mehr störbar sein, wenn der Berater und der Kunde richtig zusammen gearbeitet haben.

High-Speed-Steckverbinder

Eine interessante Komponente des Bussystems ist der High-Speed-Steckverbinder. Ein Testsystem aus einer kompletten High-Speed-Strecke aufzubauen (Prototyp des High-Speed-Systems) wäre zu unflexibel. Besser ist es, die physikalische Größe des Steckverbinders zu kennen, die ihn im Wirkzusammenhang des ESD-Störpfades beschreibt. Diese physikalische Größe ist die Koppelinduktivität. Sie beschreibt den Zusammenhang vom ESD-Störstrom, der auf dem Außenmantel des Steckerstifts fließt zur induzierten Spannung auf den inneren Signalleitern.

Für den Steckverbinder ist die Koppelinduktivität eine frequenzunabhängige Konstante, die nur von der Konstruktion des Steckverbinders abhängt. Jeder Steckverbinder hat also seinen eigenen individuellen Wert. Wenn von außen der maximale ESD-Störpuls über den Stecker fließt, darf in den Signalleitungen die Spannung nicht größer werden, als die Störschwelle des High-Speed-ICs. Wenn die induzierte Spannung größer ist, wird das High-Speed-System durch den ESD-Störvorgang beeinflusst. Für die praktische Anwendung kann man das folgende Worst-Case-Szenario konstruieren:

  • Der Steckverbinder soll den gesamten 6 kV ESD-Störstrom von IESD = 22,5 A tragen können (Strom nach EN 61000-4-2).
  • Der High-Speed-Empfänger hat eine Störschwelle von US ≈ 100 mV.
  • Die notwendige Koppelinduktivität berechnet sich aus US = L * Δ I / Δ t.
  • Es ergibt sich L = 3 pH.

Für Steckverbinder sind 3 pH ein sehr kleiner Wert, im Schnitt liegen die Koppelinduktivitäten bei 30 bis 1000 pH. Zur Lösung dieser Aufgabe gibt es kaum einen Steckverbinder. Durch eine zusätzliche Schirmblechkonstruktion über dem Steckverbinder kann man die Situation aber retten. Solcherart Konstrukte kosten Geld und Zeit.

Bild 4: Der Koppelimpedanzmessplatz ermöglicht guten Zugriff auf den Prüfling (Steckverbinder) während der Messung. Er kann gut justiert werden, bis sein EMV-Verhalten (Induktivitätswert) optimal ist.

Bild 4: Der Koppelimpedanzmessplatz ermöglicht guten Zugriff auf den Prüfling (Steckverbinder) während der Messung. Er kann gut justiert werden, bis sein EMV-Verhalten (Induktivitätswert) optimal ist.Langer EMV

Know-how-Transfer

Der Steckverbinderhersteller kennt in der Regel die Bedeutung der Koppelinduktivität nicht. Als Entwickler muss man die in Betracht kommenden Steckverbinder einkaufen und ausmessen, um eventuell einen brauchbaren zu finden. Wenn es das Projekt hergibt, kann es erforderlich sein, einen geeigneten Steckverbinder speziell für diese Anwendung zu entwickeln. Das wäre elegant. Der Steckverbinderentwickler kann natürlich relativ zügig einen Steckverbinder nach den Vorgaben der Koppelinduktivität entwickeln. Dabei helfen ihm ein Koppelinduktivitätsmessplatz (Bild 4) und ein Simulationstool.

Wenn man zum Beispiel am Koppelinduktivitätsmessplatz ein Metallteil des Steckverbindermusters etwas verbiegt oder verschiebt, sieht man am Messgerät augenblicklich die Wirkung auf die Induktivität. Mit diesem Verfahren lässt sich der Steckverbinder zügig optimieren. Das Ziel für den Steckverbinder sollte bei 1 bis 2 pH Koppelinduktivität liegen. Das ist ein für Steckverbinder unvorstellbar kleiner Wert. Wenn das Ziel erreicht ist und der fertige Steckverbinder in das erste Muster eingesetzt wird, wird das Stecksystem den ESD-Test auch überstehen.

So ist mit allen EMV-relevanten Komponenten zu verfahren, die in den Störpfaden des High-Speed-Systems liegen.

Wer zu spät kommt…

Wenn man diesen Weg nicht einschlägt, sondern einen gefälligen Steckverbinder einsetzt und dessen Koppelinduktivität gar nicht kennt, wird das erste Muster nicht funktionieren. Dann ist aber die Konstruktion bereits festgelegt, meist sind die Werkzeuge für die Produktion schon gebaut. Es ist schwer bis völlig unmöglich, einen geeigneten zweiten kompatiblen Steckverbinder zu finden. Es gibt an dieser Stelle zwei Möglichkeiten: die Konstruktion eines zusätzlichen Schirmteiles über dem Steckverbinder oder die Neukonstruktion des Gerätes.

Mit dem Elektronikentwickler von Anfang an den richtigen Weg zu organisieren, ist Aufgabe eines Beraters. An den Beispielen ist auch zu erkennen, dass die entwicklungsbegleitende Beratung Vorzüge vor der Katastrophenberatung hat.

Gunter Langer

ist Geschäftsführer der Langer EMV-Technik in Bannewitz bei Dresden.

(lei)

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