AUTOMOBIL-ELEKTRONIK: Warum ist ein EMV-Test in vollelektrischen Fahrzeugen so wichtig?

Peter Mosshammer: Ganz normale Kraftfahrzeuge sind heute ziemlich kompliziert aufgebaut. Sie enthalten mehr als ein Dutzend elektrische und elektronische Systeme: Abstandssensor, Abgassonde, Kommunikationssteuerung, Motorelektronik, ABS, elektronisches Fahrwerk und drahtlose Reifendrucküberwachung. Da ist es keine leichte Aufgabe für den Ingenieur, bei der Vielzahl der elektronischen Systeme auszuschließen, dass die Systeme sich gegenseitig stören.

Peter Mosshammer ist Spezialist für RF Signal Generation

Peter Mosshammer ist Spezialist für RF Signal Generation & Spectrum Analysis bei Agilent TechnologiesAgilent Technologies

Bei Hybrid- oder vollelektrischen Fahrzeugen kommen komplexe Motorsteuerungen hinzu, sie verkomplizieren das Problemfeld EMV weiter. Die Hauptkomponenten eines elektrischen Antriebs sind ein Drehstrommotor, ein Frequenzumrichter, die Stromversorgung und die Leitungen zwischen diesen Baugruppen. Im Frequenzumformer sind schnelle Schalter die Hauptquelle elektromagnetischer Emissionen. Auch Abstrahlungen aus der Steuerelektronik und kabelgebundene Emissionen über die Hochspannungsleitungen können die Fahrzeugelektronik stören und so für Probleme sorgen.
Zusätzlich kann die komplexe Elektronik der Motorsteuerung in einem elektrischen oder Hybridfahrzeug inakzeptable niederfrequente elektromagnetische Störungen erzeugen. Auch der Elektromotor selbst kann Quelle von EMV-Störungen sein. Daher ist es erforderlich, das Impedanzverhalten des Motors im gesamten EMV-Frequenzbereich zu verstehen.
Ein Elektrofahrzeug, das zum Laden seiner Akkus an eine Ladestation fährt, wird dort an das öffentliche Stromnetz angeschlossen. Die Ladestation muss dabei so konstruiert sein, dass kabelgebundene EMV-Störungen aus dem Fahrzeug nicht ins öffentliche Netz gelangen und dort eventuell Fehlfunktionen hervorrufen. Deshalb unterliegen solche Ladestationen erwartungsgemäß entsprechenden Bestimmungen der FCC (Federal Communications Commission) oder vergleichbaren europäischen Normen. Außerdem muss man auch Abstrahlungen des Spannungswandlers der Ladestation in Betracht ziehen.

Welche besondere EMV-Problematik ergibt sich bei Hybridfahrzeugen?

An neueren Hybridfahrzeugen können EMV-Messungen nicht im Leerlauf oder bei niedrigen Motordrehzahlen durchgeführt werden; bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor sind es meist Leerlauf-Tests. Hybrid-Fahrzeuge müssen unter Last auf dem Antriebsstrang bei nennenswerten Geschwindigkeiten gemessen werden, bei etwa 90 km/h. Für solche Freifeld-Messungen in einer reflexionsarmen EMV-Kammer ist somit daher ein Rollenprüfstand erforderlich. Ein Rollenprüfstand ist allerdings ein Ausrüstungsgegenstand, der normalerweise in Messräumen nicht zu finden ist. Außerdem sind eine ausreichende Kühlung sowie die Absaugung der Abgase notwendig. Die zunehmende Komplexität von hybriden und vollelektrischen Fahrzeugen mag für die Nutzer eine Menge Vorteile haben, für den Messingenieur aber bringen sie eine Menge neuer Herausforderungen mit sich: mit zusätzlichen Messungen, für die neue Teststrategien erforderlich sind. 

Wo liegen die Unterschiede beim Test der einzelnen Hybrid-Varianten?

Wir betrachten drei Typen von Hybridantrieben: Da ist zunächst einmal der parallele Hybridantrieb mit einem relativ kleinen Hochspannungsakku, der für eine kurze Zeit einen elektrischen Betrieb erlaubt – ein Mild-Hybrid. Der zweite Typ ist ein paralleler Hybridantrieb mit einem größeren Motor und einer Ladestation zum Laden der Akkus aus dem Netz oder über Bremsenergierückgewinnung; oft nennt man diese Variante auch Full-Hybrid beziehungsweise Plug-in-Hybrid. Die dritte Variante ist der serielle Hybridantrieb wie er beispielsweise in Bussen Verwendung findet. Beim seriellen Hybridantrieb treibt nur der Elektromotor die Räder an, während der Verbrennungsmotor ausschließlich auf einen Generator arbeitet und die Akkus lädt.

Was bedeutet diese Differenzierung für den EMV-Test?

Die großen Ströme zum Betrieb des Elektromotors erzeugen starke Magnetfelder. Die Frequenz dieser Felder ist recht niedrig und liegt bei etwa 100 kHz. Das Magnetfeld muss gemessen werden und darf je nach Standard eine gewisse Feldstärke nicht überschreiten. Neben den Magnetfeldern heißt es, auch die kabelgebundenen Emissionen auf den Hochstromleitungen zu messen. Normalerweise erledigen die Ingenieure diese Aufgabe über ein impedanzstabilisierendes Netzwerk, aber aufgrund der hohen Spannung auf diesen Leitungen ist in diesem Fall eine Stromzange besser geeignet.

Wie sieht es bei vollelektrischen Fahrzeugen aus, bei denen die Energie aus einer Batterie oder einer Brennstoffzelle kommt?

Vollelektrische und von Brennstoffzellen angetriebene Fahrzeuge sind zwei weitere Klassen elektrischer Fahrzeuge. Unter EMV-Aspekten sind sie einander ähnlich, sie stellen sich aber bei der Messung gänzlich anders dar als konventionelle Fahrzeuge. Die Antriebsbaugruppen können mit bis zu 900 V arbeiten und sind gegen die restliche Fahrzeugelektronik isoliert.

Die Hauptbaugruppen des Antriebs (nämlich Stromversorgung, Spannungswandler, Leitungen und Elektromotor) sind zugleich die wesentlichen Quellen niederfrequenter elektromagnetischer Störungen mit hoher Amplitude. Hauptquelle der Störungen ist dabei der Spannungswandler mit seinen schnellen Schaltern.

Der Elektromotor in einem Elektrofahrzeug ist ein normaler Drehstrommotor. Um EMV-Störungen in Elektrofahrzeugen möglichst präzise vorhersagen zu können ist es daher wichtig, dessen frequenzabhängiges Impedanzverhalten genau zu kennen und als Teil des Ausbreitungspfades elektromagnetischer Störungen zu verstehen.

Der Akku ist ebenfalls ein Bestandteil des EMV-Pfades; auch sein Verhalten im betreffenden Frequenzbereich ist für das Systemverständnis wichtig. Zusätzlich müssen die Ingenieure die Leitungen zwischen Spannungswandler und Elektromotor berücksichtigen, denn schließlich strahlen sie den größten Teil der Störungen ab. Es gilt daher, den Abstand zwischen Spannungswandler und Motor so kurz wie möglich zu halten.

Welche EMV-Rückwirkungen hat das Hochvolt-Netz auf das Niedervolt-Bordnetz?

Ein weiteres Problemfeld ist die Beeinflussung des Antriebs auf die konventionellen Systeme in einem Elektrofahrzeug. Es gibt Verbindungen zwischen dem neuen System und der herkömmlichen Fahrzeugelektronik, die überprüft werden müssen. Hierbei können alle Varianten der Verkopplung zwischen dem Antrieb und der restlichen Fahrzeugelektronik auftreten. Das können induktive, kapazitive, galvanische und gestrahlte Verkopplungen sein, und die müssen wir erkennen, analysieren und gegebenenfalls unterdrücken.

In jedem Fall ist eine gute Abschirmung der Hochspannungsleitungen sehr wichtig, um Einkopplungen in andere Systeme des Fahrzeugs wie beispielsweise Audio- oder Navigationssystem zu minimieren.

Welche Standards und Testansätze gibt es für die EMV-Messungen in EVs und Hybriden?

Der Standard J551-5 der SAE – Society of Automotive Engineers – beschreibt Leistungsklassen und Messmethoden für magnetische und elektrische Feldstärken in Elektrofahrzeugen im Frequenzbereich von 9 kHz bis 30 MHz. Auf einige dieser Messungen möchte ich kurz eingehen.

CISPR 25 ist enthält einen relativ neuen Ansatz für Messmethoden zum Test von Elektrofahrzeugen, bei dem von Messungen an Einzelkomponenten auf die Leistung des Gesamtsystems geschlossen wird.

Sehr interessante Information über den Komponententest liefert übrigens eine Präsentation von Todd Hubing, einem Professor für Fahrzeugelektronik. Die Präsentation trägt den Titel “Automotive Component Measurements for Determining Vehicle-Level Radiated Emissions” (Messungen an Fahrzeugkomponenten zur Bestimmung der abgestrahlten Emissionen auf Fahrzeugniveau).

Wo ergeben sich Unterschiede gegenüber der EMV-Messung an Fahrzeugen ohne Elektroantrieb?

Hybride und elektrische Fahrzeuge erfordern Messungen, die für konventionelle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor nicht unbedingt gebraucht werden. Beispielsweise werden sowohl die elektrische Feldstärke E als auch die magnetische Feldstärke H gemessen. In hybriden oder elektrischen Fahrzeugen messen die Ingenieure den Strom auf der Hochspannungsleitung zwischen Steuerelektronik und Elektromotor. Hierzu verwenden sie eine Stromzange, also einen ringförmigen Messwertaufnehmer, der die zu messende Leitung umschließt und mit einem EMV-Messempfänger wie dem MXE verbunden ist. Ein adäquates Messgerät rechnet die Messdaten dann anhand einer Impedanz-Umrechnungstabelle in Spannungen um und zeigt sie an. Der Frequenzbereich dieser Messung reicht von 1 MHz bis 100 MHz. Diese Messungen erfolgen sowohl ohne Last als auch unter Last. In einem typischen Messergebnis an einem elektrischen Fahrzeug nehmen die Emissionen unterhalb von 70 MHz deutlich zu.

Welcher Messaufbau ist dabei besonders geeignet?

Zur Messung niederfrequenter elektrischer Felder positioniert das Mess-Team am besten eine Stabantenne einen Meter vor dem Fahrzeug. Der Frequenzbereich einer solchen Messung mit der Stabantenne reicht etwa von 100 kHz bis 30 MHz. In diesem Fall befindet sich das Fahrzeug im Leerlauf (also ohne Last).

Messungen in höheren Frequenzbereichen erfolgen mit einer bikonischen Antenne im Frequenzbereich 30 MHz bis 85 MHz. Jenseits von 50 MHz sind die Emissionen übrigens deutlich geringer. Außerdem gilt es, das Magnetfeld auch außerhalb des Fahrzeugs zu messen – und zwar mit einer Rahmenantenne über den Frequenzbereich von 100 kHz bis 30 MHz. Für diese Messung hat sich ebenfalls die Positionierung der Antenne einen Meter vor dem Fahrzeug bewährt.

Da fehlt nur noch das passende Messgerät…

Für derartige Messungen haben sich der EMV-Messempfänger Agilent N9038A MXE und dessen Diagnosetools bewährt, weil er es ohne großen Aufwand ermöglicht, einzelne Signale in eine Signalliste aufzunehmen und sie dann in der Spektrumanalysator-Betriebsart näher zu untersuchen. Nach Ende der Messungen können die Ingenieure alle Messkurven sowie die Signalliste als .csv-Datei speichern und die Daten in ein Tabellenkalkulationsprogramm übernehmen.

Was sollten die Ingenieure generell bei ihren EMV-Messungen beachten?

Unabhängig davon, welches Messgerät zum Einsatz kommt, gilt stets ein genereller Grundsatz: Reproduzierbarkeit und Konsistenz der Ergebnisse sind das oberste Gebot. Eine wesentliche Rolle hierbei spielt die Automatisierung der Messung. Eine automatisierte Messung gewährleistet Reproduzierbarkeit und Konsistenz, so dass ich sehr zu einer automatisierten Messung rate. Neben der Vereinfachung von Messaufbau und Messablauf liefert  eine automatisierte Messung ein Testprotokoll, das eine wertvolle Informationsquelle ist.  

Alfred Vollmer

: ist Redakteur der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK.

(av)

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