Im Vorstandsmeeting des mittelständischen Zulieferers drehte sich zu Jahresbeginn mal wieder alles um die Agilität. Das Thema war beileibe nicht neu, hatte man doch vor zwei Jahren eine groß angelegte Organisationsentwicklung in Angriff genommen mit dem Ziel, mehr Kundenorientierung, Geschwindigkeit und Effizienz in den Entwicklungsprojekten zu erreichen. Die Heilsversprechen der hinzugezogenen Berater hörten sich fantastisch an, Wettbewerber setzten schon länger auf Agilität, Mitarbeiter und Bewerber fragten zunehmend danach. Die Entscheidung war schnell klar: Einführen – und sich damit das Leben leichter machen.
Doch der durchschlagende Erfolg wollte sich nicht einstellen. Die Berater waren längst von Bord, Mitarbeiter fanden sich in neuen Rollen wieder sowie in regelmäßigen Stand-ups, machten Sprint-Planungen und Retros. Kanban-Boards waren etablierte Praxis und man hatte Scrum-Master ausgebildet, die energisch die Methodik hochhielten. Das Ganze musste doch endlich die gewünschte Wirkung zeigen, dachte sich der Technik-Chef, sichtlich genervt von der Kritik seiner Vorstandskollegen an der schlechten Prognostizierbarkeit, der häufig chaotischen Arbeitsweise und dem regelmäßigen Überziehen der Budgets in der Entwicklung. Was lief falsch?
Genau hinsehen!
Lapidar gesprochen, stellt sich die Frage, ob die Lösung „Agilität“ zum vorhandenen Problem passt. Die folgenden Punkte geben Aufschluss darüber.
Mehr Varianz, mehr Chaos: Arbeitet eine Organisation chaotisch, d.h. mit mehr Projekten als machbar, mit hoher Variabilität bei Prozessen und Schnittstellen, mit geringer Standardisierung im Produkt, dann verschlimmert Agilität die Situation. Und zwar schlichtweg, weil eine zusätzliche, nicht beherrschte Varianz ins Spiel kommt.
Erst Kompetenz, dann Methode: Hat es mit dem Verständnis der Anforderungen, der Architektur und des Projektmanagements bisher nicht funktioniert, wird es auch mit Agilität nicht besser. Die dafür benötigte Kompetenz kommt via Personalentwicklung, nicht via Methode.
Führung ist unersetzlich: Eine Organisation weiterzuentwickeln, klappt nur mit stringenter Führung, mit Erklären, Unterstützen, Einfordern und Nachhalten. Das ist anstrengend, doch unerlässlich, und keinesfalls ein Beifang von Agilität.
Das Glück liegt also nicht in der Einführung einer bestimmten Methode, sondern darin, genau hinzusehen, welche Probleme bestehen und wie diese passgenau zu lösen sind. Das ist anspruchsvoller als das Ausrufen einer neuen Methode, jedoch wesentlich erfolgversprechender. Wofür werden Sie sich entscheiden?
Dr. Lederers Management Tipps
Management-Profi Dr. Dieter Lederer gibt in seiner Kolumne "Frisch vom Lederer" Einblicke in die Management-Welt deutscher und internationaler Unternehmen. Und Einblick hat der Unternehmensberater sicherlich: Coaching und Beratung von Führungskräften und Managern gehört zum Alltagsgeschäft.
Bisher gab es seine Kolumne nur in der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK, allerdings werden sie künftig auch hier auf all-electronics zu finden sein:
- Lügen haben kurze Beine
- Was den Erfolg von Tesla ausmacht
- Soforthilfe im Transformations-Chaos
- Projekte an der Wand? Kein Wunder!
- Empathie im Business – wirklich?
- Neues Jahr, neues Agilitäts-Glück?
- Mit dem Kollegen Roboter per du?
- Vertrauen wirkt!
- Der Nokia-Moment
- Keine Emotionen, keine Bewegung
- Strukturwandel? So nicht!
- Gewohnheiten ändern – geht nicht!?
- Vorbild Taskforce?
- Mehr miteinander reden?
- Wohin mit der Autoindustrie?
- BANI ist das neue VUCA
- KPIs forever?
- Und täglich grüßt der Change
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