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Disruptive Messtechnik analog zu Smartphone und Tablet: auf modularer Hardware werden Funktionen per Software-Apps definiert. (Bild: NI)

Herr Jamal auch Sie strapazieren Themen wie „Disruption“. Was verbirgt sich dahinter?

Rahman Jamal: Wir erleben gerade einen unglaublichen Fortschritt. Laut dem Zukunftsforscher Ray Kurzweil kommt dies daher, dass wir das immense Potenzial exponentiellen Wachstums nutzen. Die Ursache für dieses exponentielle Wachstum ist wiederum die Digitalisierung der Welt. Denn sobald wir Phänomene digitalisiert haben, lässt sich darauf beispielswiese das Mooresche Gesetz anwenden. Und damit steht einer Optimierung nichts mehr im Wege. Das Resultat: Branche für Branche wird auf den Kopf gestellt – im Englischen häufig als „Disruption“ bezeichnet.

Im Englischen klingen Disruption und Destruction ziemlich ähnlich, zerstörerisch.

Rahman Jamal: So negativ ist das gar nicht. Es bedeutet einfach die Zerstörung eines etablierten Ökosystems durch ein neues, getriggert durch Technologien, die den Markt umkrempeln – aber auch gleichzeitig den Nährboden für neue Trends bilden.

Ein bekanntes disruptives Unternehmen, das disruptiv auf andere wirkt, ist beispielsweise Uber. Dieses Taxiunternehmen mischt gerade den Taximarkt ordentlich auf – und das, obwohl es gar keine Taxis hat! Und vielleicht wird es sogar auch dafür sorgen, dass wir künftig gar kein eigenes Auto mehr benötigen, weil Fahrer und Passagiere alles per App regeln.

Oder Apple: Einst ein Unternehmen, das PCs in einer Garage entwickelte, hat den Markt klassischer, fragmentierter Stand-alone-Geräte wie Kamera, Navigationssysteme, MP3-Player ordentlich durcheinandergewirbelt – mit einem Telefon, nicht etwa mit einem PC. Möglich war dies allein durch Apples Plattform, bestehend aus iOS und einem Ökosystem von mehr als zwei Millionen Apps – Tendenz steigend, denn jeder kann eine solche App entwickeln.

Und was hat Disruption mit Ihrer Kerndisziplin zu tun, der Messtechnik?

Rahman Jamal: Nichts Anderes passiert in der Mess-, Prüf-, Steuer- und Regeltechnik. Auch hier gibt es einen Umbruch getriggert durch plattformbasierte Ansätze wie unser Labview und dessen gewaltiges Ökosystem. Dies führt zu einer massiven Verschiebung – weg von herstellerdefinierten Messboxen hin zu benutzerdefinierten Systemen.

Wie definieren Sie das Ökosystem?

Rahman Jamal: Seit jeher setzen wir auf eine Plattform aus modularer Hardware wie PXI und unserer flexiblen Software (Labview). Das erlaubt es, jede Lösung sowohl zu automatisieren als auch benutzerspezifisch anzupassen – unterstützt durch ein Ökosystem externer Unternehmen, Entwickler, Alliance Partner und Integratoren. Als wir unsere Plattform aufbauten, entwickelte sich parallel dazu ein Ökosystem, ein globales Support-Netzwerk für Ingenieure im Bereich intelligenter Tests entstand. Der Grund: Wir haben es unseren Alliance Partnern und Integratoren leicht gemacht, unsere Plattform als Basis für eine Komplettlösung für ihre Kunden zu nutzen. Aber es geht weit über pure Integration hinaus: Im Labview Tools Network gibt es hunderte, von der Community erstellte Toolkits. Auch unsere Vertriebs- und Supportingenieure arbeiten eng mit unseren Kunden zusammen. Aber das Allerwichtigste: Es gibt mehr als 300 000 Anwender, die bereitwillig ihren Programm-Code und ihre Erfahrungen in Online-Foren und Anwendergruppen mit anderen teilen.

Wie erklären Sie sich den Erfolg?

Rahman Jamal: Durch die Arbeit unserer Kunden können wir direkt miterleben, wie unsere Gesellschaft sowie die Wissenschaft und Technik beeinflusst werden. Der plattformbasierte Ansatz – eine einheitliche Softwarearchitektur und modulare, programmierbare Hardware – verringert die Komplexität intelligenter, vernetzter Systeme und unterstützt Anwender dabei, ihre Innovationen schneller umzusetzen und neue technische Entwicklungen am Markt unkompliziert in Anwendungen einzubinden.

Welche Themen beschäftigt NI?

Rahman Jamal: Technologie entwickelt sich heutzutage rasant. Damit Schritt halten zu können heißt, über den Tellerrand aktueller Herausforderungen hinauszublicken und Lösungen zu entwickeln, die auch zukunftsfähig sind. Mit einem branchenübergreifenden, plattformbasierten Ansatz unterstützt NI Ingenieure bei der Systemerstellung und Erkenntnisgewinnung, so dass sie die größten Herausforderungen, denen sie heute gegenüberstehen, meistern können, allem voran:

  • das Internet der Dinge
  • Prototyping für 5G
  • Big Analog Data
  • Time Sensitive Networks (TSN) und
  • Test smarter Geräte.

Künftige Systeme auf Basis der Infrastruktur und Standards von heute zu erstellen, ist unmöglich. Daher sind Innovationen von NI zukunftsorientiert. Ihre Grundlage sind Systemarchitekturen der nächsten Generation, noch nicht endgültig abgeschlossene Technologien sowie bislang nicht standardisierte Kommunikationsprotokolle. Nur so stellen wir sicher, dass unsere Kunden technologisch immer die Nase vorn haben. (sk)

Das Interview führte Chefredakteur Stefan Kuppinger.


Die großen Fünf

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„Bei disruptiven Technologien wird viel zu oft nur der zerstörende Charakter gesehen, die darin liegende Innovationskraft jedoch ignoriert.“ Rahman Jamal, Global Technical & Marketing Director bei National Instruments. Redaktion IEE

Die wichtigsten Themenfelder, an denen die Entwickler von National Instruments arbeiten.

  • Internet der Dinge

Seien es nun Sensoren zum Erfassen riesiger Datenmengen oder die Nutzung intelligenter Systeme, die Informationen in Erkenntnisse verwandeln: Das Zeitalter des Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) ist da, angefangen bei Smart Homes und vernetztem Spielzeug bis hin zum industriellen Internet der Dinge (IIoT) mit intelligenten Fabriken, Smart Grid, intelligenter Landwirtschaft und Smart Cities. Das IIoT lässt sich als riesige Anzahl vernetzter Industriesysteme beschreiben, die ihre Datenanalysen und Aktionen kommunizieren und koordinieren, um die Leistungsfähigkeit zu verbessern.

Industriesysteme, die Schnittstellen von der digitalen Welt zur physischen Welt über Sensoren und Aktoren bereitstellen, um komplexe Steuer- und Regelprobleme zu lösen (Cyber Physical Systems) werden mit Lösungen für Big Analog Data kombiniert, so dass durch Daten und Analysen vertiefte Einblicke gewonnen werden.

  • Big Analog Data: Von Edge Computing bis
    Enterprise Data Management

Durch die rasant wachsende Verbreitung von Sensor- und Netzwerktechnologien ist die Integration von Messtechnik in Systeme so leicht und kosteneffizient wie nie zuvor. Erstklassige Mess- und Analyse-­Lösungen müssen zwei grundlegende Fähigkeiten aufweisen: Auswertungen direkt am Edge (vor Ort) sowie unternehmensweites Daten­management und die Fähigkeit zur analyse dieser Datenmengen.

Da die Verarbeitung näher an den Sensor rückt, muss auch die Analyse weiter in Richtung Edge wandern. Künftige Software für Edge-basierte Systeme wird es gestatten, tausende vernetzter Messgeräte zügig zu konfigurieren, zu verwalten sowie riesige Mengen an Analyse- und
Signalverarbeitungsdaten zu den Knoten zu übertragen. Um mit der Datenmenge mithalten zu können, müssen Unternehmen auf
intelligentere, softwarebasierte Messknoten umsteigen.

  • Time Sensitive Networks (TSN)

IIoT und Big Data schreien regelrecht nach der Standardisierung von Kommunikationsnetzwerken. Denn die vernetzten Systeme werden
Unmengen an Daten, so genannte Big Analog Data, generieren, die transportiert, analysiert und verarbeitet werden müssen. Der Großteil dieser Roh-Daten ist zwar nicht zeitkritisch. Dennoch gibt es eine Reihe zeitkritischer Daten, die, was Latenz und Zuverlässigkeit betrifft, innerhalb strikter Grenzen übertragen werden müssen. Die meisten der heutigen Netzwerkinfrastrukturen sind jedoch nicht in der Lage, solch zeitkritische
Daten parallel zu der weniger kritischen Datenmenge zu handhaben. Time Sensitive Networking (TSN) geht diese Schwachstellen an. Der
Standard wird gegenüber den bisherigen Ethernet-Protokollen einige Vorteile bieten, unter anderem in Bezug auf Bandbreite, Sicherheit,
Interoperabilität, Latenz und Synchronisation.

  • Prototyping für 5G

5G wird Wireless-Netzwerken zu unvorstellbaren Bandbreiten verhelfen, birgt jedoch Herausforderungen: Forscher müssen die Anforderungen bislang unerreichter Wireless-Datenraten angehen und Lösungen für die Netzwerklatenz und -reaktionszeit finden. Wie löst man diese komplexen Herausforderungen am besten? Die Antwort darauf sind spezielle Prototypen, die es ermöglichen, noch im Experimentierstadium bereits erste Tests in Kombination mit realen Systemen unter realen Einsatzszenarien durchzuführen.

Ein plattformbasierter Entwicklungsansatz für die Erstellung eines funktionstüchtigen Prototypen verspricht, diese neuen Entwicklungen schneller zu ermöglichen.

5G wird in vielen Bereichen Einsatz finden, so etwa bei Connected Cars. Weltweit wird daran gearbeitet, die Interaktion zwischen automatisierten Fahrzeugen und Objekten im Straßenverkehr zu verbessern, Radar- und Kommunikationstechnologien zusammenzuführen und die Entwicklung bandbreitenstarker Kurzstreckenradar-Systeme voranzutreiben.

  • Testen smarter Geräte unabdingbar

Statt für jeden Gerätetyp ein eigenes Prüfsystem zu entwickeln, müssen Anwender intelligente Prüfsysteme erstellen, die sich an alle smarten Geräte anpassen lassen. Unabdingbar dabei ist die Fähigkeit, unterschiedlichste physikalische Stimuli zu reproduzieren – beispielsweise für Sensor- oder Wandlertypen. Das führt bei klassischen Systemen schnell zu einem Prüfstand mit einer Vielzahl dedizierter Geräte, die immens kostspielig sind und viel Energie und Platz verbrauchen.

Einziger Ausweg aus diesem Dilemma ist ein intelligentes Software-definiertes Testsystem. Wie bei einem Smartphone kann dann die Funktionalität des Prüfstands über Apps und Firmware-Updates erweitert werden. Dies erlaubt es, das System stets auf dem aktuellen Stand der Technik zu halten und mit der rasant steigenden Gerätefunktionalität Schritt zu halten. Ein softwarezentrierter plattformbasierter Ansatz gestattet die problemlose und flexible Anpassung.

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