Herr Paulus, welcher Invest steht denn hinter der Verdopplung der Stückzahlen auf 1 Million.
Jörg Paulus: Nachdem wir Ende 2014 mit der Übernahme des Know-hows sowie der Maschinen aus dem Nachlass des US-Erfinders John Wiegand direkt in die Fertigung des speziellen Drahts eingestiegen waren, haben wir in den letzten Jahren konsequent am Aufbau einer skalierbaren Produktion gearbeitet. Unsere weitere Investitionen in die Wiegand-Technik sind für ein Unternehmen unserer Größe signifikant. Aber wir merken, dass das Thema Energy Harvesting deutlich mehr Potenzial hat als ‚nur’ Umdrehungszähler für Drehgeber.
Wo denn noch?
Jörg Paulus: Vor allem beim integrierten Motorfeedback geht der Trend zu Multiturn – ganz ohne aufwendige Getriebe oder lästige Batterien.
Wie viele der Wiegand-Harvester sind denn für den Eigenbedarf gedacht?
Jörg Paulus: Pro Jahr bauen wir inzwischen über 200 000 Drehgeber. Davon ist die Mehrzahl magnetisch und nutzt demzufolge auch den Wiegand-Effekt für die Multiturn-Funktionalität. Der Trend geht klar in Richtung magnetisches Messprinzip, weshalb auch immer mehr Marktbegleiter auf diese Technik einschwenken. Um das tun zu können, nutzen einige unsere Wiegand-Sensoren als Zukaufteile.
Wiegand-Harvester für Hohlwellen-geber
Bereit für die Robotik
Für Hohlwellen-Geber sind magnetische Erfassungsprinzipien recht aufwendig. Daher kommt bei den Through Hollow Kits ein völlig anderes Design und Erfassungsprinzip zum Einsatz: kapazitiver Messtechnik. Trotzdem konnte Posital einen energieautarken Betrieb sicherstellen: Im Gegensatz zu den Gebern mit Vollwelle sitzen hier die Wiegand-Elemente auf dem äußeren Radius des Hohlwellengebers.
Die Hohlwellen-Einbau-Drehgeber sind so konzipiert, dass sich das Messelement auf der Achse eines Motors oder Roboterarms montieren lässt. Ihre schlanke Bauart (nur 18 mm dick) und die große zentrale Bohrung (30 oder 50 mm) prädestiniert sie für viele Anwendungen.
Gehen die restlichen 800 000 alle nur in Drehgeber?
Jörg Paulus: Heute kommt der Bedarf primär noch von Drehgeberherstellern oder Motorkunden, die damit einen energieautarken Umdrehungs-Zähler bauen. Es gibt aber immer öfters Anfragen aus ganz anderen Bereichen. Schon länger bedienen wir mit unseren Wiegand-Sensoren Hersteller von Gas- oder Wasserzählern sowie von Ventilatoren.
Auch aus der Robotik kommt der Wunsch nach absoluten Drehgebern mit Multiturn-Funktionalität. Da Roboter gerne Hohlwellen-Geber nutzen, um ihre Kabel im Inneren des Roboters führen zu können, haben wir auf der SPS 2018 erstmals einen entsprechenden Geber mit Wiegand-Multiturn vorgestellt. Dieser kapazitive Geber zielt genau auf den schnell wachsenden Markt der Roboter. Bislang gab es Durchgangs-Hohlwellen-Geber fast ausschließlich nur als Singleturn-Lösung, da die richtige Multiturn-Technologie noch gefehlt hat. Diese Lücke schließen wir jetzt mit einer Variante unseres Wiegand-Sensors.
Welche Verbesserungspotenziale gibt es denn bei der Wiegand-Technik?
Jörg Paulus: Einerseits wollen wir den Wiegand Sensor weiter miniaturisieren. Hierdurch wird er auch für Motoren interessant, die ein Flanschmaß von 28 mm oder sogar nur noch von 20 mm haben. Daneben arbeiten wir daran, noch mehr Energie aus dem Wiegand-Sensor herauszukitzeln. Aktuell liegen wir serienmäßig bei einer garantierten Spannungs- beziehungsweise Energieausbeute von 7 V oder 190 nJ. Das reicht, um die Rotationszähler und die dazu gehörige Elektronik ständig zu aktivieren.
Mehr geht nicht?
Jörg Paulus: Schon jetzt kommen wir bei speziellen Testläufen punktuell auf 10 V – und damit langsam in die Nähe von Low Power-Funklösungen. Unser Ziel ist, drahtlose Kommunikation via Wiegand-Effekt zu verwirklichen. Dies würde noch deutlich mehr Applikationen erschließen. Ein Riesenthema, wenn man an die Abermillionen Aktoren und Sensoren denkt, die sich in der Industrie 4.0-Welt nicht nur autark mit Energie versorgen, sondern ihre Daten permanent untereinander austauschen sollen.
Keine Sorge, dass die Konkurrenz eigene Wiegand-Module entwickelt?
Jörg Paulus: Wir erwarten nicht, immer der einzige Player zu sein, der Wiegand Sensoren auf diesem Performance-Level liefern kann. Dazu ist der Markt einfach zu spannend und zu dynamisch. Wir haben aber einiges an Vorsprung, da wir den Wiegand-Effekt bereits seit 2005 nutzen. Darüber hinaus haben wir durch die Übernahme des Wiegand-Nachlasses aus dem Stand 40 Jahre Erfahrung in der Fertigung des ‚magischen’ Drahts mitbekommen. Das stärkt unsere Position nochmals. Auch ganz wichtig: Da unsere Produktionsvolumina schon länger richtig groß sind, konnten wir bereits wichtige Skaleneffekte nutzen.
Was tut sich denn in Sachen Präzision?
Jörg Paulus: Das Schöne an unseren Drehgebern ist, dass die Präzision inzwischen aus den Algorithmen der Auswerteelektronik kommt und nicht mehr von der mechanischen Genauigkeit. Wir nutzen sozusagen bereits KI. Mit den kommenden Generationen von Micro-Controllern lassen sich die Daten noch schneller verarbeiten. Damit werden die magnetischen Drehgeber, die aktuell mit einer elektronischen Auflösung von 17 Bit und Zykluszeiten von weniger als 100 µs aufwarten, noch dynamischer und genauer. Allerdings zeigt ein Blick in die Praxis, dass schon heute bei der Mehrzahl aller Anwendungen keine höhere Genauigkeit benötigt wird.
Wozu eigentlich der Drehgeber für Schrittmotoren. Der Vorteil dieses Motorprinzips ist doch gerade, ohne Feedback-System positionieren zu können.
Jörg Paulus: Bei einem größeren Lastmoment ist eine exakte Positionierung nicht mehr unbedingt gewährleistet, es entsteht quasi ein ‚mechanischer Schlupf‘, durch den der Rotor gegenüber dem Drehfeld Schritte verliert. Außerdem kann ein Stepper nicht selbstständig die Winkelposition feststellen und benötigt eine externe Referenz, zum Beispiel einen Näherungs- oder Endschalter.
Haben Stepper-Steuerungen überhaupt einen passenden Feedbackeingang und die passenden Regelalgorithmen an Bord?
Jörg Paulus: Als Schnittstelle bieten wir SSI und die fortschrittlichere BiSS C zur bidirektionalen Kommunikation. Wir setzen aber insbesondere in Europa auf BiSS Line in der 4- und 2-Draht Technologie. Vor allem die BiSS 2 Wire Configuration ermöglicht erhebliche Einsparungen im Systemaufbau für den Maschinenbauer hinsichtlich Anforderungen an Stecker und Kabel. Letztere können den Sensorpreis in der Installation durchaus übersteigen. Es lohnt sich daher nicht nur auf den Sensor ein Augenmerk zu legen, sondern auch auf den Systemansatz.
Posital arbeitet also bereits mit Stepper-Motor-Herstellern zusammen?
Jörg Paulus: Ja, mit Herstellern in Amerika, Asien und Europa. Neben vielen Design In-Projekten befinden wir uns teilweise auch schon in der Serienphase.
Worin besteht denn der Unterschied zu ihren klassischen magnetischen Feedbacksystemen/Aufbauten?
Jörg Paulus: Wir haben ein lagerloses System mit den sich daraus ergebenden Vorteilen wie Verschleißfreiheit, mechanisch robuster Aufbau und kleinere Baulängen. Des Weiteren ermöglicht unser Design ein Upgrade für inkrementelle Kits, ohne die mechanische Aufnahme am Motor anpassen zu müssen.
Gibt es die auf der SPS vorgestellten analogen Drehgeber auch mit dem Wiegand-Energiespeicher?
Jörg Paulus: Klar nutzen auch unsere neuen analogen Drehgeber den Wiegand-Effekt, um die batterielose Multiturn-Funktion sicherzustellen.
Wieso überhaupt noch ein Analogausgang, die Automatisierungswelt denkt doch vor allem digital.
Jörg Paulus: Ja, das fragen wir uns auch manchmal (lacht). Aber in vielen Anwendungen funktioniert die analoge Technik einfach wunderbar, ist bewährt, einfach und kostengünstig. Techniker sagen uns immer wieder: Analoge Signale kann ich so schön einfach messen, da brauche ich keine digitale Schnittstelle. Und wer will schon gegen seine Kunden argumentieren.
Das Interview führte IEE-Chefredakteur Stefan Kuppinger
(sk)