Vor der Messe ist nach der Messe: Während der electronica 1974 fiel es dem Veranstalter, der Münchener Messe- und Ausstellungsgesellschaft (MMG), wie Schuppen von den Augen: Die Messe electronica mit ihren Schwerpunkt Bauelemente und ihren anwenderorientierten Problemen benötigte einen Konterpart, eine Veranstaltung, die nicht nur Fertigungsprobleme der Elektronik erörtern sollte, sondern auch eine Vielzahl von Randproblemen. Dem verstärkten Informationsdrang im Bereich der Elektronikfertigung wollte man gezielt begegnen: Im November 1974 fiel daher die Entscheidung, gemeinsam mit der Industrie eine vollkommen praxisbezogene Veranstaltung zu schaffen. „Es stellte sich die Frage, ob die Elektronikfertigung mit ihren Problemen in der Arbeitsvorbereitung, beim Arbeitsablauf sowie bei der Zuverlässigkeits- und Qualitätskontrolle nicht weltweit eine Veranstaltung im Zweijahresturnus benötigt, um ihre Probleme zwischen den Fachleuten diskutieren zu können“, argumentierte der damalige Geschäftsführer der MMG Gerd vom Hövel den Vorstoß zu einer neuen Veranstaltung und damit die Geburtsstunde der heutigen Weltleitmesse der Elektronikfertigung, die productronica.

Neuartiges Messekonzept

„Mit der productronica 75 wurde ein Versuch gestartet, eine Messekonzeption einzuführen, die von den auf Messen üblichen Standsystemen insofern abweicht, als hier mit so genannten Demonstrationszonen versucht wurde, die Weiterentwicklung in den verschiedenen Bereichen der Fertigungsindustrie deutlich zu machen“, erläutert vom Hövel im Messebericht zur productronica. Das war in der Tat ein neuartiger Vorstoß, denn damals musste ein Besucher, der auf einer Ausstellung eine Maschine gesehen hatte, in der Regel noch einmal zur Fertigungsstätte fahren, um sich diese Maschine in Funktion anzuschauen. Es waren also für Aussteller und Besucher zwei Termine erforderlich. „Aus dieser Forderung heraus haben wir den ‚Infomarkt‘ geschaffen, der nun praktisch auf dem ‚Marktplatz‘ in der Mitte die Maschinen in Funktion zeigt, und zwar Maschinen aus dem Bereich der Hybridtechnik oder Leiterplattentechnik.“ So standen auf der Premierenveranstaltung drei Bohrmaschinen von Konkurrenten in der Demonstrationszone nebeneinander. Dadurch bot sich dem Besucher „unmittelbar und ohne werbliche Beeinflussung“ die Möglichkeit zum Vergleich. Im Anschluss daran konnte er sodann in den am Rand des ‚Marktplatzes‘ befindlichen Besprechungskojen besondere Probleme mit dem jeweiligen Lieferanten besprechen.

1985: 10 Jahre Productronica

1985 steht ganz im Zeichen der SMD-Technik: Die SMD-Verfahren erfahren eine erhebliche Wachstumsrate, getrieben von der Miniaturisierung. Durch die beidseitige Bestückung der Leiterplatte lassen sich bis zu 50 Prozent Platz einsparen. Parallel dazu müssen die Stellschrauben hinsichtlich der Auswahl und Auftragsmethode der Lotpaste, die Einflussfaktoren der Siebverfahren und die Merkmale der Siebdruckmaschinen neu justiert werden. Diesem Trend trägt die MMG mit einer SMD-Sonderschau auf der Productronica 1985 Rechnung. Größer als je zuvor: In nur 10 Jahren hat sich die Productronica von der Ausstellungsfläche her fast verzehnfacht. Gegenüber der ersten Veranstaltung 1975 mit 10500 m² hat die 6. Internationale Fachmesse für die Fertigung in der Elektronik mit Fachsitzungen über 94.000 m² Bruttofläche auf dem Münchener Messegelände beansprucht. Die 1374 Aussteller kamen aus 23 Ländern Europas, Nordamerikas und Asiens.

Die Industrie sprang begierig auf das neue Messekonzept auf, das für sie einen erheblichen Kostenvorteil darstellte. Die Ausstellungsfläche (brutto) betrug 10.500 m² und wurde in den fünf farblich abgegrenzten Zonen gegliedert: türkis (Leiterplattentechnik), rot (Hybrid-Mikroelektronik), braun (Mess- und Prüftechnik) und gelb (Vorlagenerstellung). Unter den Ausstellern kam einer aus der DDR und bemerkenswerterweise war ein Israeli unter den Besuchern. Der Tagungsteil war in sechs Programmteile und 16 unterschiedliche Unterrichtssegmente aufgeteilt. Fast jeder fünfte Tagungsteilnehmer kam aus dem Ausland. Auf die Frage, ob er denn zufrieden sei mit der ersten productronica, antwortete vom Hövel in einem Satz: „Die 150 Firmen aus 12 Staaten, die in den Demonstrationszonen der Productronica ihre Produkte in Funktion und Aktion zeigten, die etwa 5000 Besucher aus 28 Ländern, die über 800 Seminarteilnehmer, die zum Teil zweieinhalb Tage an den verschiedenen Seminaren teilnahmen, erklärten zu 90 bis 95 Prozent, dass sie mit der Productronica erstens von der thematischen Abgrenzung her und zweitens mit der Art der Informationspräsentation zufrieden, das heißt, mit der neuen Messekonzeption einverstanden sind. Wir haben mit der Kombination von Demonstrationszonen und Besprechungskojen einen völlig neuen Weg beschritten, und last not least ist es mit der productronica nach unserer Meinung gelungen, im Rahmen der Münchener Messepolitik das Schwerpunktprogramm Elektronikmesse neu zu orientieren und der Öffentlichkeit vorzustellen.“

Dass der anfängliche Versuchsballon mehr als erfolgsversprechend war, beweist die Jubiläums-productronica 2013: Die 20. productronica endete nach vier Messetagen mit einem positiven Ergebnis: Rund 38.000 Besucher aus 83 Ländern nahmen an der internationalen Leitmesse für innovative Elektronikfertigung in München teil. Auf 41.242 m² Netto-Ausstellungsfläche präsentierten 1.220 Unternehmen aus 39 Ländern (vgl. 2011: 1.189 aus 39 Ländern) ihre Innovationen und Lösungen. Der internationale Anteil stieg auch bei den Ausstellern mit 14 Prozent stark an. Zudem gab es in diesem Jahr neun internationale Gemeinschaftsstände: Neben Frankreich, Großbritannien, Japan, Österreich und Ungarn waren erstmals auch Estland, Marokko, die Niederlande und die Tschechische Republik vertreten.

Vier Dekaden Elektronikfertigung

Die Elektronikfertigung ist einem steten Wandel unterworfen – die Messe productronica hat dies stets reflektiert. So waren etwa die 1970er gekennzeichnet von den Mikroprozessoren. Die größte Personalkosten-Entlastung sah man im Jahre 1975 in der Steuerungstechnik, wofür potente Prozessoren nötig waren. In diesem Zuge rückte die computergesteuerte Fertigung immer mehr in den Vordergrund: „Die ‚denkende‘ Halbleiterproduktion ist keine Utopie mehr – sie ist in greifbare Nähe gerückt“, war das Credo der damaligen Zeit. Die productronica trug dem Rechnung durch die gezielte Einbeziehung der Halbleitertechnik. In den 1980er Jahren wurde vermehrt der Fokus auf Leiterplatten und SMD-Technik gelegt. Das waren noch Zeiten: 165 Aussteller zeigten auf der
4. productronica auf 12.500 m² die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Herstellung von gedruckter Schaltungen.Eine leichte Ernüchterung folgte im Jahr 1987: Die SMD-Technik hatte sich inzwischen von jeder Euphorie losgesagt, viele Anwender bei Großserien beherrschten diese Technik.
1989 – mit einem Bein schon in der Fertigungstechnik der 1990er: Dreh- und Angelpunkt waren die Automatisierung und Verfahren für die In-Line-Fertigung sowie Chemikalien, die den gestiegenen Umweltansprüchen genügen sollten. Mit den immer komplexer werdenden Baugruppen erfährt der Lotpastendruck eine besondere Aufmerksamkeit. Was sich anfänglich als trivial darstellt, ist auf den zweiten Blick recht anspruchsvoll. 1993 musste man auf mehr als 30 verschiedene Parameter achten, die Einfluss auf die Qualität des Lotpastendruckes hatten. Mit CoB und TAB drägten Techniken an den Markt, welche versprachen, die Grenze zwischen der Baugruppenfertigung und Halbleiterfertigung aufzuweichen.
„Alles ist in Bewegung“ war in den 2000er Jahren: Die Nuller-Jahre sind geprägt durch die große, hitzige und vor allem emotionale Diskussion rund um die bleifreie Fertigung. Die Signale der Europäischen Kommission waren eindeutig. Im Jahr 2001 fand erstmals die productronica auf dem neuen Messegelände der Messe München statt: Die Premiere war von Erfolg gekrönt: Alle A- und B-Hallen waren ausgebucht.

Belohntes Risiko

Tatsächlich markiert das Jahr 1975 ein besonderes Ereignis: Damals fand erstmals die Productronica statt, sozusagen als Versuchsballon, der den verbreiteten Informationsbedarf hinsichtlich Fertigungstechnologien befriedigen sollte. Heute ist die Elektronikfertigungsindustrie, die auf eine vergleichsweise kurze, aber doch äußerst wechselvolle Historie zurückblicken kann, eine sehr selbstbewusste Branche geworden. Sie hat es verstanden, trotz zahlreicher Hürden – man denke nur an den Exodus ins Gelobte Land Osteuropa und später Asien, die Bleifrei-Diskussion und die händeringende Nischensuche im Überlebenskampf – den Standort Deutschland zu einem Produktionsstandort mit Sogwirkung für ganz Europa zu etablieren.

Marisa Robles Consée

ist Chefredakteurin Productronic.

(mrc)

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