Der digitale SNN-Chip minimiert die Art und Weise, wie biologische Neuronen Sensordatenströme verarbeiten.

Der digitale SNN-Chip minimiert die Art und Weise, wie biologische Neuronen Sensordatenströme verarbeiten. (Bild: Imec)

Imec präsentierte den ersten Chip, der Radarsignale mit Hilfe eines rekursiven neuronalen Netzwerks (SNN, Spiking Neuronal Network) verarbeitet. Das Bauelement ahmt die Art und Weise nach, wie Gruppen biologischer Neuronen arbeiten, um zeitliche Muster zu erkennen, und verbraucht dabei 100 Mal weniger Strom als herkömmliche Implementierungen. Dabei ist die Latenzzeit laut Imec um das Zehnfache reduziert, was eine sehr schnelle Entscheidungsfindung ermöglicht. Beispielsweise können Mikro-Doppler-Radarsignaturen mit einer Leistung von nur 30 mW klassifiziert werden. Die Architektur und die Algorithmen des Bauelements können auf die Verarbeitung einer Vielzahl von Sensordaten (einschließlich Elektrokardiogramm, Sprache, Sonar, Radar und Lidar) abgestimmt werden. Der SNN-Chip soll zunächst für die Schaffung eines hochintelligenten Antikollisionsradarsystems mit geringer Verlustleistung für Drohnen genutzt werden, das effektiver auf sich nähernde Objekte reagieren kann.

Imec bewegt sich damit auf einem Gebiet, auf dem auch die auf neuromorphe Computer spezialisierte Brainchip Holdings tätig ist. Brainchip brachte nach eigenen Angaben als erstes Unternehmen eine gepulste neuronale Netzwerk-Architektur in Serie auf den Markt: den neuromorphen System-on-Chip-Baustein (NSoC) Akida. Dieser neuronale Prozessor NSoC  hat 1,2 Millionen Neuronen und 10 Milliarden Synapsen.

Künstliche Neuronale Netze haben sich in einer Vielzahl von Anwendungsbereichen bewährt und sind zum Beispiel ein wesentlicher Bestandteil der in der Automobilindustrie üblichen radargestützten Antikollisionssysteme. Sie haben jedoch auch ihre Grenzen. Zum einen benötigen sie zu viel Leistung, um in zunehmend eingeschränkte (Sensor-)Geräte integriert werden zu können. Darüber hinaus erfordert die zugrundeliegende Architektur und Datenformatierung, dass die Daten einen zeitintensiven Weg vom Sensorgerät zum KI-Inferenzalgorithmus zurücklegen müssen, bevor eine Entscheidung getroffen werden kann. Deshalb der Name Spiking Neuronale Netze (SNNs).

„Heute stellen wir den weltweit ersten Chip vor, der Radarsignale mit Hilfe eines neuronalen Netzwerks mit wiederkehrenden Spikes verarbeitet“, sagt Ilja Ocket, Programmmanager für neuromorphe Sensoren bei Imec. SNNs funktionierten sehr ähnlich wie biologische neuronale Netzwerke, in denen Neuronen elektrische Impulse über den Zeitverlauf sparsam abfeuern, und zwar nur dann, wenn sich der sensorische Input ändere. Auf diese Weise könne der Energieverbrauch erheblich reduziert werden. Darüber hinaus können die Spikes-Neuronen auf ihrem Chip immer wieder neu verbunden werden, wodurch das SNN zu einem dynamischen System wird, das zeitliche Muster lernt und sich erinnert. Die Technologie sei ein großer Sprung vorwärts in der Entwicklung wirklich selbstlernender Systeme.

Das Imec-Bauelement wurde ursprünglich zur Unterstützung des Elektrokardiogramms (EKG) und der Sprachverarbeitung in Geräten mit in ihrer Leistung begrenzten Stromversorgung entwickelt. Dank seiner generischen Architektur, die ein völlig neues digitales Hardware-Design aufweist, kann es jedoch auch leicht umkonfiguriert werden, um eine Vielzahl anderer sensorischer Eingaben wie Sonar-, Radar- und Lidar-Daten zu verarbeiten. Im Gegensatz zu analogen SNN-Implementierungen sorgt das ereignisgesteuerte digitale Design dafür, dass sich der Chip präzise und reproduzierbar so verhält wie von den Simulationswerkzeugen für neuronale Netze vorhergesagt.

SNN-Chip wird in Anti-Kollisionssystem angewendet

Die Drohnenindustrie arbeitet – noch mehr als die Automobilbranche – mit begrenzten Systemen (zum Beispiel begrenzte Batteriekapazität), die rasch auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren müssen, um auf herannahende Hindernisse angemessen reagieren zu können.

„Daher ist die Schaffung eines Anti-Kollisionssystems mit niedriger Latenzzeit und geringer Leistungsaufnahme für Drohnen einer der Haupteinsatzbereiche für unseren neuen Chip. Da unser Chip seine Verarbeitung in der Nähe des Radarsensors durchführt, sollte er es dem Radar-Sensorsystem ermöglichen, viel schneller – und genauer – zwischen sich nähernden Objekten zu unterscheiden. Dies wiederum wird es den Drohnen ermöglichen, fast augenblicklich auf potenziell gefährliche Situationen zu reagieren“, erklärt Ilja Ocket. „Ein Szenario, das wir derzeit untersuchen, sind autonome Drohnen, die für die Navigation im Warenlager auf ihre bordeigene Kamera und Radarsensorsysteme angewiesen sind, und die bei der Ausführung komplexer Aufgaben einen Sicherheitsabstand zu Wänden und Regalen einhalten. Diese Technologie könnte auch in vielen anderen Anwendungsfällen eingesetzt werden – von Robotik-Szenarien über den Einsatz von fahrerlosen Transportsystemen bis hin zur Gesundheitsüberwachung.“

„Dieser Chip erfüllt die Nachfrage der Industrie nach extrem stromsparenden neuronalen Netzen, die wirklich aus Daten lernen und eine personalisierte KI ermöglichen. Für die Entwicklung dieses Chips haben wir Experten aus verschiedenen Disziplinen innerhalb des imec zusammengebracht – von der Entwicklung von Trainingsalgorithmen und neuronalen Netzwerkarchitekturen, die auf den Neurowissenschaften basieren, über biomedizinische und Radarsignalverarbeitung bis hin zum Design digitaler Chips mit extrem niedrigem Stromverbrauch.“

(gk)

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