Herr Sandhöfner, was gab den Anstoß für die Entwicklung der schnellen I/O-Klemmen?
Das waren hauptsächlich konkrete Kundenanforderungen, die für ihre innovativen Maschinenkonzepte in eine komplett neue Welt hinsichtlich der Reaktionszeiten vorstoßen müssen.
Was heißt neue Welt?
Die klassischen Feldbusse mit Zykluszeiten von 10 bis 100 ms Zykluszeit reichen dafür schon lange nicht mehr aus. Selbst die schnellen Echtzeit-Ethernet-basierten Systeme kommen nur auf Reaktionszeiten um die 100 µs. Diese Reaktionszeit setzt sich aus den Zykluszeiten für die Kommunikation einmal zwischen Peripherie zur CPU und dann wieder zurück zusammen. Dazu kommen noch die Wandlungszeiten der Ein- und Ausgänge sowie die Programmabarbeitung in der CPU. Um mit dem zentralen Ansatz überhaupt in die Nähe von 100 µs Reaktionszeit zu kommen, braucht es äußerst leistungsstarke und entsprechend teure Prozessoren.
Und B&R unterbietet nun diese Marke?
Wir schaffen mit der Reaction-Technologie eine um Zehnerpotenzen schnellere Reaktion. Und mit Reaktionszeit meine ich inklusive Wandlung des Signals, also von der Signalverarbeitung des Eingangssignals bis zur Signalausgabe in einem Modul. Das ist ein wichtiger Unterschied zu anderen Lösungen. In Summe liegen die Reaktionszeiten bei rund 1 µs – ohne überdimensionierte CPUs oder Kommunikationszykluszeiten, die von der Netzwerklast und der Knotenanzahl im Netzwerk abhängen.
Wie schaffen Sie diese Beschleunigung?
Andere Anbieter müssen sich schon sehr, sehr weit strecken, um überhaupt 100 µs Reaktionszeit zu erreichen. Es hat schon etwas revolutionäres, die Reaktionszeit auf 1 µs zu verringern – noch dazu ohne gigantischen Aufwand. Wir platzieren dort, wo der Prozess die schnelle Reaktion braucht, eines unserer Reaction-E/A-Module. Für deren Performance sorgt letztlich der integrierte FPGA, ein Field Programmable Gate Array. Vor Ort extrem schnell, kann sich die CPU wieder mehr Zeit lassen. Deren Leistung muss daher nicht mehr nach der minimalen Zykluszeit des Prozesses bemessen werden und kann kleiner dimensioniert werden, sprich: kostengünstiger.
FPGAs sind keine wirklich neue Technologie.
Nicht die FPGAs, aber die Art, wie sie B&R einsetzt. Das lassen wir uns auch gerade patentierten. Die FPGA-Module sind mit dem Automation Studio frei programmierbar und Code-kompatibel integriert. Daher kann ein erstellter FPGA-Code an unterschiedlichen Stellen in der gleichen Maschine als Referenz verwendet werden oder auch in andere Projekte exportiert werden.
FPGAs gelten als komplexe Technologie in der Umsetzung und Programmierung. Wie ermöglicht es B&R dem Maschinenbauer, seine Projekte trotz FPGA wie bisher zu programmieren?
Indem er in seiner gewohnten Umgebung in einer bekannten Sprache arbeiten kann, dem Funktionsplan. Damit dies möglich ist, haben wir Bibliotheken mit verschiedenen Funktionen entwickelt, die den VHDL-Code beinhalten. Dadurch reduziert sich die Programmierung des FPGAs auf ein Verschalten von Funktionsblöcken. Zudem haben wir dafür gesorgt, dass der FUP-Code für den FPGA mit allen Diagnosemöglichkeiten ausgestattet ist, was bislang eine große Herausforderung war. Wir können die kompletten Function Charts debuggen – bevor sie in das I/O-Modul geladen werden.
Eine FPGA-Kenngröße ist die Anzahl der Gatter. Davon hängt letztendlich die Programmgröße ab, die ein FPGA bearbeiten kann. Wie viele Funktionsblöcke passen denn in ein I/O-Modul?
Es geht hauptsächlich darum, kleine Funktionen in dem E/A-Block unterzubringen, die sehr schnell ausgeführt werden müssen. Daher ist es eher eine Frage, wie viele Funktionsblöcke bei einer vorgegebenen Zykluszeit maximal integrierbar sind. Wir haben Tests mit etwa 15 Funktionsblöcken angestellt und kommen dabei auf Zykluszeiten des FPGAs um 1 µs.
Welche Anwendungsszenarien brauchen diese Reaktionszeiten?
Ich kann mir vorstellen, dass interessante Anwendungen aus der Drucknach- und -Vorverarbeitung kommen oder die Spritzgießmaschinen-/Kunststoffwelt ihre sehr zeitkritischen Anforderungen damit löst. Auch Abfüllmaschinen laufen extrem schnell. Hier erhöht jede Mikrosekunde die Genauigkeit der Dosierung. Auch die Messtechnik braucht neben ultraschneller Erfassung und Verarbeitung von Messwerten sehr schnelle Reaktionen. Bei Tablettenpressen werden üblicherweise Drücke im zweistelligen µs-Bereich erfasst und im gleichen Zeitraster Maximal- und Durchschnittswerte ausgewertet. Mit der Reaction-Technologie geht das im Nanosekundenbereich, wodurch eine bis zu 100fach höhere Auflösung der Druckkurve realisiert werden kann.
In welchen Geräten werden die Reaction-I/Os verfügbar sein?
Als X20- und X67-Klemme sind sie mit allen unseren Prozessorgenerationen kombinierbar. Die Module lassen sich direkt an eine X20 CPU anreihen oder sind dezentral übers Netzwerk mit der Steuerung verbunden. Die ebenfalls auf der SPS IPC Drives vorgestellten X20-Compact-Controller haben wir in zwei Varianten gleich mit Reaction-Klemmen ausgerüstet.
Wie passt das zusammen, ein Low- End-Controller mit Hightech-I/Os?
Das passt hervorragend zusammen, zum Beispiel beim Ausschleusen von schadhaften Verpackungen nach einer Inspektionseinheit. Bei mehr als 100 000 Produkten pro Stunde, die an einem pneumatischen Ausstoßer vorbeirauschen, muss der Luftstoß präzise aktiviert werden, damit der fehlerhafte Behälter zum richtigen Zeitpunkt ausgeworfen wird – vor Ort mit dem Reaction Modul. Der gesamte Transportprozess vor und nach der Inspektion ist an sich trivial und braucht nicht viel Rechenleistung. Somit reicht dafür eine kleine CPU vollkommen aus.
Kann ich die im FPGA verschalteten Funktionen nutzen, um andere Ausgänge im gesamten Netzwerk zu adressieren?
Jegliche Art von Adressierung über das Netzwerk ist möglich: Nicht nur binäre oder analoge Ausgänge, sondern alle Automatisierungskomponenten, auch Antriebe und Regler.
Wie sieht das in diesem Fall mit der Reaktionszeit aus?
Wenn ich Ausgänge in anderen Modulen über das Reaction-Modul ansprechen will, dann addieren sich die Netzwerkzykluszeiten zur Reaktionszeit des E/A-Moduls.
Wie fügen sich die schnellen I/Os in ihre Plattform-Strategie Scalability+ ein?
Sie sind eine wichtige Ausprägung von Scalability+. Erst mit ihnen können wir vergleichsweise günstige CPUs, die mit Zykluszeiten im einstelligen ms-Bereich arbeiten, für extrem schnelle Prozessanforderungen einsetzen. Bislang war B&R im unteren bis mittleren Leistungsspektrum so gut wie noch gar nicht aktiv, sondern eher für komplexere Applikationen bekannt: in anspruchsvollen Konstruktionen, die entsprechende Performance verlangen – nicht nur von der Hardware, auch von der Software, etwa integrierte Softwaretechnologien mit Versionsverwaltung, ECAD-Kopplung und Simulation. Diese Punkte behalten wir auch bei, bieten mit den Compact-Controllern jetzt die Möglichkeit, ohne Technologiebruch einfache, kostensensitive Maschinenkonzepte umzusetzen, beispielsweise eine Maschinenreihe für den asiatischen Markt.
Welche Vorteile bringt Scalability+ hier den Maschinenbauern?
Um in diesen – die Maschinenbauer nennen ihn Mid-Level-Spec-Bereich – reinzukommen, ist die Compact CPU von B&R ein wesentlicher Baustein. Der Vorteil: Der Programm-Code der hochperformanten Maschinenbaureihe lässt sich vollständig übernehmen. Das spart enorm viel Entwicklungszeit. Bislang musste ein Maschinenbauer, wenn er mit einfachen Maschinen den Asiaten in ihrem Heimatmarkt Konkurrenz machen wollte, auf eine komplett andere Automatisierungslösung gehen, den Technologiebruch in Kauf nehmen und zwangsläufig nochmal alles neu programmieren
Machen CPU und Programmierung so einen großen Preisvorteil aus?
Wenn ein Maschinenbauer von der CPU her in den mittleren Bereich oder Low-Level-Bereich gehen will, stößt er oft an eine Grenze, ab der dann Sicherheitstechnik oder Antriebstechnik nicht mehr mit dieser Art von Controller realisiert werden können. Bei uns nicht: Bestehende Antriebe, Servos und Safety funktionieren auch in Verbindung mit dem X20-Controller – selbst Master- und Slave-Achsen sowie Handling-Aufgaben und Robotik sind damit realisierbar bis hin zur zentralen Bahnsteuerung. Der Programmierumfang ist in den letzten Jahren durch ein Mehr an Maschinen- und Visualisierungsfunktionen sowie Antriebsachsen sehr stark angewachsen. Jede Zeile Code, die übernommen werden kann, spart daher bares Geld und verkürzt die Projektlaufzeiten, ein immer wichtigerer Wettbewerbsvorteil!
Gibt es viele Anwender, die gezielt nach dieser Devise ihre Maschinenkonzepte spezifizieren und konfigurieren?
Wenn ich die B&R-Kundschaft betrachte, dann haben sich sehr viele oft für uns entschieden, gerade weil es die Skalierungsfähigkeit gibt, weil es die Möglichkeit der Modularisierung gibt, weil Anwender die unterschiedlichen Prozesse in einem Software-Werkzeug integrieren können und die Aufgaben auf mehrere Standorte und Mitarbeiter verteilen können. Das sind die Punkte, die Maschinenbauer sehr schätzen, weil unsere Lösungen ihnen die Gewissheit geben, für die Zukunft und deren Anforderungen gerüstet zu sein.
Welche sind das?
In der Vergangenheit ging es den deutschen Maschinenbauern vor allem um den Auf- und Ausbau von sehr performanten Maschinen, mit immer mehr Achsen und Funktionalität sowie höheren Durchsatzraten. Jetzt geht es sehr oft darum, chinesischen Wettbewerbern die Stirn zu bieten, diesen nicht komplett das Feld auf der mittleren Leistungsebene zu überlassen. Viele setzen daher eigene Maschinen-Baureihen auf, die von der Funktionalität sehr verwandt mit den High-End-Baureihen sind, aber von der Wertigkeit etwas niedriger angesetzt werden und nur die Funktionen tatsächlich beinhalten, die die Kunden in Asien benötigen. Gerade diese Erweiterung des Marktsegments unterstützen wir mit Scalability+, der X20 Compact CPU und der Reaction-Technologie.
Stefan Kuppinger
(sk)
Sie möchten gerne weiterlesen?
Unternehmen
Bernecker + Rainer Industrie-Elektronik Ges.m.b.H
B&R Strasse 1
5142 Eggelsberg
Austria