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Georg Steinberger vom FBDi: „Als Schnittstelle zwischen Lieferanten und Kunden muss die Bauelemente-Distribution daran arbeiten, nicht nur ihren Wert entsprechend zu definieren, sondern auch neue Konzepte und Dienstleistungen entwickeln.“ (Bild: FBDI)

Weltweit brummt die Konjunktur. Die Branche der Elektronikfertiger ist – zumindest teilweise – in Sektlaune. Eine extrem positive Auftragsentwicklung über gut 10 Quartale hinweg, ist an sich schon ein Rekordwert. Und die Aussichten bleiben rosig, von der Bauteilknappheit einmal abgesehen: Der nach wie vor sehr hohe Wachstumsbedarf der Automobilindustrie bleibt genauso eine hohe Herausforderung wie der ausgeprägte Chiphunger Chinas. Selbst Hersteller von passiven Bauelementen sehen sich damit konfrontiert, dass es immer schwieriger wird, die Bedarfsentwicklung ohne Unterbrechungen zu bedienen.

Im hart umkämpften Markt der Elektronikfertigungs-Dienstleister sind Allokationen und eklatante Lieferengpässe ein Wachstumskiller. Binder Elektronik hat beispielsweise die Erfahrung gemacht, dass die extrem lange Lieferzeit von bis zu 80 Wochen für passive Bauelemente bedeuten kann, dass „man das Teil vermutlich nie bekommt“, erläutert Christian Rückert. Der Geschäftsführer von Binder Elektronik Waldstetten merkt weiter an: „Selbst laufende Bestellungen sind keine Garantie mehr. Immer wieder hört man von Fällen, in denen die Lieferanten laufende Verträge einfach aufkündigen und teilweise auch Strafen dafür in Kauf nehmen.“

 

Karges „Hühnerfutter“ und rare Leistungshalbleiter

Die Lage bei der Bauteilbeschaffung bleibt angespannt. Dennoch gibt es laut Olaf Lüthje, Senior VP Business Marketing Passives von Vishay, einen Silberstreif am Horizont: „Für die meisten passiven Bauelemente haben sich die Lieferzeiten weitestgehend zumindest stabilisiert. Je nach Produktlinie ergeben sich unterschiedliche Lieferzeiten, die abhängig von der Bedarfsentwicklung sind und sich in einen sehr weiten Bereich zwischen zwei bis drei Monaten bis zu über einem Jahr abspielen können.“ Vishay rechnet damit, dass sich die Lieferengpässe in diesem Jahr etwas entschärfen werden. „Zwangsläufig hängt die Entwicklung von der weiteren Bedarfsentwicklung und den makroökonomischen Aussichten ab“, erläutert Lüthje, der „eine Reduzierung der Lieferzeiten eher durch geringere Nachfrage als durch die zusätzlichen Fertigungskapazitäten“ der verschiedenen Hersteller sieht. Besonders für MELF-Widerstände, Leistungsinduktiviitäten und Strommesswiderstände arbeitet das Unternehmen verstärkt an weiteren Kapazitätserhöhungen, um die Liefersituation zu entspannen und die Verfügbarkeit zu verbessern.

Leichte Entwarnung gibt Vishay bei Leistungshalbleitern. Demnach habe sich zwar die Book to Bill Ratio eher normalisiert. Allerdings entwickeln sich die Bestände für Leistungshalbleiter wie Rectifier oder Standard-MOSFETs nach oben und auch die Distribution nehme vermehrt Anpassungen in kleinen Schritten vor.

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Christian Rückert von Binder Elektronik: „Wer entsprechend sorgfältig plant, kann auch weiterhin auf größere Bauformen setzen, muss aber mit entsprechenden Einschränkungen leben.“ FBDI

Mit der Situation richtig umgehen

Für Elektronikfertigungs-Dienstleister ist das ein schwacher Trost. Die extrem hohe Auftragslage zeigt ihre Schwächen: Neukunden zu halten ist angesichts der desolaten Bauteilesituation besonders schwer. Außerdem bleibt es schwierig, die gestiegenen Bauteilpreise an Kunden entsprechend weiterzugeben. Letztlich stehen sie vor dem Dilemma, die Gesamtkosten reduzieren und die Markteinführungszeiten des Kundenprodukts verkürzen zu müssen. Daher versuchen viele ihren Bedarf mit „Hamsterkäufen“ zu decken. „Wer es sich leisten kann, hortet kritische Bauteile für sich oder seine Kunden“, berichtet Christian Rückert von Binder Elektronik, auch mit Blick auf die Spekulationskäufe in Asien: „Knappe Bauteile werden aufgekauft, um sie dann mit sattem Gewinn weiter zu veräußern. Für viele Bauteile fehlen in Asien auch schlicht Fertigungskapazitäten um die aktuelle Nachfrage zu erfüllen. Im Gegensatz zu vergangenen Allokationsphasen werden diese aber nur langsam oder gar nicht aufgebaut.

„Es geht um das Verwalten der Krise“, bekräftigt Rückert, der auch Tipps bereithält, wie sich die Situation meistern lässt. Ein Lösungsansatz ist etwa, Baugruppen zu überarbeiten, um die Bauform 0402 durch 0201 zu ersetzen. „Einfach weil die Verfügbarkeit der Baugröße 0402 insgesamt als zu schlecht betrachtet wird.“ Für viele Baugruppen ist dies aber gar nicht möglich, etwa weil höhere Verlustleistungen benötigt werden. Die größeren Chip-Bauformen werden seiner Ansicht nach nicht von heute auf morgen vom Markt verschwinden: „Vermutlich wird es sie sogar noch lange geben. Aber die Zeiten der ständig sinkenden Preise werden zumindest in diesem Bereich wohl vorbei sein. Höhere Preise und längere Lieferzeiten für das „Hühnerfutter“ sind die Konsequenz der Marktentwicklung. Die ungeliebten C-Teile werden stärker in den Fokus rücken.“

Nach wie vor gelte es, frühzeitig zu planen. Hierbei im engen Schulterschluss mit dem Elektronikfertigungs-Dienstleister zu stehen, ist unabdingbar. Denn die EMS können Bauteil- und Komponenten-Bedarfe für die jeweiligen elektronischen Baugruppen relativ gut abschätzen und stehen selbst im engen Kontakt mit ihren Bauelemente-Distributoren. Parallel dazu ist es sicherlich angebracht, beizeiten Ersatztypen zu definieren, erläutert Christian Rückert weiter: „Wenn ein bestimmtes Bauteil partout nicht verfügbar ist, bleibt die Suche nach einem Ersatztyp. Hier müssen Entwicklungsabteilungen sensibilisiert werden um mit dem Einkauf beziehungsweise mit einem EMS schnell Lösungen zu finden.“ Auch wenn aus Platzgründen keine Notwendigkeit besteht, sollte man darüber nachdenken, bei Neuentwicklungen passive Bauteile nicht größer als 0201 einzusetzen, rät er: „Die Industrieelektronik, selbst Automotive, haben kaum die Marktmacht um die Entwicklungen der Konsumgüter umzukehren. Wer entsprechend sorgfältig plant kann auch weiterhin auf größere Bauformen setzen, muss aber mit entsprechenden Einschränkungen leben.“ Für viele Produkte bedeutet dies eine erhebliche Umstellung auch hinsichtlich der Entwicklungsphase, weshalb der EMS mit seinen Kunden eine enge Partnerschaft hat.

Bauelemente-Distribution im Umbruch

Die desaströse Liefersituation bedeutet für die Bauelemente-Distribution vor allem eines: das Umdenken der bisherigen Strategien. Bauteileknappheit, Exklusivverträge und Margenänderung waren in der Bauelemente-Distribution an der Tagesordnung, berichtet Georg Steinberger. Der Vorstandsvorsitzender vom FBDi zeigt Faktoren auf, die von den Distributoren kaum beeinflussbar sind: „Die Bauteileknappheit ist getrieben vom fehlenden Investment in zusätzliche Produktion, die den ROI der Hersteller schmälern würde. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Halbleiter-Herstellung, wo die Wafer-Fabrikation teuer ist und wertige Produkte verlangt, also Kapital bindet. Auch hinter Exklusivitätsverträgen und Margenänderung steht der Wunsch von Unternehmen, sich profitabel zu zeigen.“ Zudem kommt hier das Thema Exklusivitätsverträge ins Spiel: Eine singuläre Quelle bedeutet die Hand auf der ganzen Marge und damit auch deren Kürzung.

„Beliebtes Argument hierfür ist die These, die Distribution würde keine Demand Creation betreiben“, ärgert er sich, und verweist darauf, dass der Wert der Distribution für die Demand Creation erheblich sei. Distributoren müssen genau im Moment der Entscheidung beim Kunden vor Ort sein und genau wissen, wer angesprochen werden muss, und welcher Lieferant beziehungsweise Hersteller das geeignete Produkt für das Design im Portfolio anbietet. Gerade im Internetzeitalter ergeben sich für die Bauelemente-Distribution viele neue Geschäftsfelder und Chancen, und damit verbunden neue Aufgabenstellungen. Zugleich treibt die Digitalisierung des Handels den Konkurrenz- und Preisdruck voran und schafft neue Wettbewerber wie Onlinehandelsriesen oder Suchmaschinenbetreiber. Diese neuen Aufgaben untermauern die Forderung der Distribution nach Wertstellung durch die Hersteller bzw. Wertschätzung der geleisteten Services.

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Olaf Lüthje von Vishay: „Lieferzeiten und darauf abgestimmte langfristige Forecast-Planungen sind entscheidend, um die notwendige Lieferkontinuität auch für andere Industriesegmente sicherzustellen.“ FBDI

Handel muss seine Hausaufgaben machen

Me Too“ war gestern. Heute muss sich die Bauelemente-Distribution wegen der zunehmenden Digitalisierung neu definieren, um ihre Dienstleistungen zu schärfen und Value Add zu schaffen, ist sich Georg Steinberger sicher: „Als Schnittstelle zwischen Lieferanten und Kunden muss sie daran arbeiten, nicht nur ihren Wert entsprechend zu definieren, sondern auch neue Konzepte und Dienstleistungen zu entwickeln.“ Von der Idee bis zur neuen Generation eines Produktes sind es viele Schritte, auf denen Distributoren ihre Kunden begleiten können.

Für Steinberger steht die Bauelemente-Distribution am Scheideweg: Es gelte, die Konsequenzen realistisch und selbstkritisch zu evaluieren und sich zu fragen, ob und wie die Distribution weiter mitspielen will: „Andere Branchen machen es schon vor. Beispielsweise wird das Revenue-Management in der Hotelbranche, bei dem die Marktsituation die Preisfindung entlang der gesamten Lieferkette bestimmt, irgendwann auch in der Distributionsbranche auftauchen.“

Wenn demnach die Distributoren in Zukunft eine vernünftige Rolle spielen wollen, müssen sie ihr Geschäftsmodell permanent hinterfragen und optimieren – also aktiv gestalten. Müssen etwa Serviceleistungen weiterhin kostenlos bleiben? „Ein denkbarer Ansatz wäre etwa die Aufteilung zwischen Standardservices und Premiumservices mit jeweils unterschiedlich definierten Ingenieursleistungen“, argumentiert Steinberger, der zudem auch VP Communications EMEA von Avnet ist. „Große Chancen bietet hier die Digitalisierung, da sie mit entsprechenden Regeln und Algorithmen eine Automatisierung ermöglicht. Sobald sich der Kunde für ein Level entscheidet, könnte er vordefinierte Leistungen erhalten, etwa in punkto Projektplanung und Entwicklung.“ Insgesamt müssten die Distributoren prüfen, wo sie sich als Dienstleister positionieren wollen, ist er überzeugt. „Will man einfach Lieferant für Bauteile sein, oder will man sich als wichtiger Player bei kundenspezifischen Design-Ins, bei Security und bei Business Cases etablieren? Für mich gilt mehr denn je: Der Handel sollte die Wahrnehmung seiner Kunden schärfen, dass sie bei uns auch diese Kompetenzen finden.“

 

Marisa Robles

Marisa Robles
Chefredakteurin Productronic

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