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(Bild: Vector Informatik)

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Bild 1: Entwurf des Steuergerätenetzwerks in PREEvision. Vector Informatik

Der Entwurf und die Optimierung moderner Elektrik-/Elektronik-Architekturen ist heute mehr denn je eine Aufgabe für Spezialisten. Sie müssen zahlreiche Entwurfskriterien berücksichtigen und sich mit neuen Anforderungen und Trends auseinandersetzen. Dazu gehören etwa die Einführung von Domänenrechnern, der Einsatz von Ethernet zur Onboard-Kommunikation, die Verwendung von Connectivity-Gateways und nicht zuletzt auch steigende Sicherheitsanforderungen im Sinne von funktionaler Sicherheit und Informationssicherheit. Um diese komplexen Aufgaben zu meistern, sind modellbasierte Entwicklungswerkzeuge wie PREEvision mit vielfältigen Engineering-Funktionen nötig.

Viele Funktionen, die vom Elektrik/Elektronik-System (E/E) moderner Fahrzeuge bereitgestellt werden, können nach wie vor den klassischen Domänen Antriebsstrang, Fahrwerk, Karosserie oder Multi-Media zugeordnet werden. Durch das Vordringen neuer Technologien in das Fahrzeug gewinnen Domänen wie Fahrerassistenz und Konnektivität (Car2x/V2x) jedoch massiv an Bedeutung: Hier entstehen völlig neue Funktionen, die nicht mehr nur auf das Fahrzeug beschränkt sind, sondern auch im „Backend“ außerhalb des Fahrzeugs bereitgestellt werden. Ein derartig komplexes Funktions- und Steuergerätenetzwerk lässt sich wesentlich einfacher beherrschen, wenn bereits im Entwurfsstadium fundierte Designentscheidungen getroffen werden können (Bild 1).

Komplexe Netzwerke in den Griff bekommen

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Bild 2: Optimierungsziele einer E/E-Architektur. Vector Informatik

Die meisten E/E-Funktionen sind Steuerungs-, Regelungs-, Überwachungs- und Diagnosefunktionen. Sie interagieren mit den mechanischen Fahrzeugkomponenten über Sensoren und Aktuatoren. Da die Sensoren und Aktuatoren an verschiedenen geometrischen Orten im Fahrzeug installiert sind, sind E/E-Systeme natürlicherweise geometrisch verteilte Systeme. Viele Funktionen sind innerhalb einer Domäne, aber auch über Domänengrenzen hinweg miteinander vernetzt.

Besonders die Fahrerassistenzfunktionen sind mit den Funktionen der Antriebs-, Lenkungs- und Bremssysteme eng verknüpft. Deshalb stellt die Verteilung und Zuordnung der Funktionen auf das Steuergerätenetzwerk einen großen Freiheitsgrad beim Entwurf dar – und ist damit eine wichtige Designentscheidung. Nahezu alle Bewertungskriterien einer E/E-Architektur werden durch den Entwurf des Steuergerätenetzwerks und durch die Zuordnung der Funktionen zu den Steuergeräten direkt oder indirekt beeinflusst.

Die sich daraus ergebenden Anforderungen an den Leitungssatz oder die Onboard-Kommunikation sind wichtige Kriterien, die bereits frühzeitig im Entwurfsprozess zu berücksichtigen sind. Und es gibt viele weitere: Zum einen müssen die Designkriterien um Offboard-Kommunikationsanforderungen erweitert werden. Zum anderen liefern Fahrerassistenzsysteme mit Kameras und Radarsensoren ein Umgebungsmodell des Fahrzeugs. Hier wird zunehmend Ethernet-Technologie eingesetzt, um die nötigen Übertragungsleistungen in der Onboard-Kommunikation zu realisieren. Etabliert sich Ethernet wie erwartet als zukünftiger Standard, der mit CAN, LIN und Flexray kombiniert eingesetzt wird, ergeben sich enorme technische Konsequenzen für die E/E-Architektur: Die Vernetzung ist nicht mehr auf das Fahrzeug beschränkt, sondern schließt auch außerhalb des Fahrzeugs bereitgestellte Funktionen ein. Dies wiederum wird zu steigenden Security-Anforderungen an die E/E-Architektur führen, denn das Fahrzeug ist drahtlos „over the air“ mit Kommunikationsteilnehmern und Diensten verbunden.

Der Trend zum automatisierten Fahren, der steigende Safety-Anforderungen nach sich zieht, ist eine weitere Herausforderung. Ebenso die wachsende Anzahl von Fahrzeugvarianten und die damit verbundene Zunahme der Bedeutung von Produktlinien-, Varianten- und Plattformansätzen. Und auch die weithin akzeptierte Plattform Autosar für die klassischen Domänen unterliegt dem Wandel: Für die neuen Domänen wird aktuell die Autosar Adaptive Platform diskutiert.

Die am besten geeignete E/E-Architektur finden

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Bild 3: Leitungssatzdesign in PREEvision. Vector Informatik

Wie lassen sich alle diese Aspekte beim Architekturentwurf zusammenführen? Wie kann die dafür am besten geeignete E/E-Architektur definiert werden? Offensichtlich ist, dass das komplette System betrachtet werden muss – nur einen Teil davon zu entwerfen und zu optimieren, führt auch nur zu einem lokalen Optimum. Außerdem muss die Machbarkeit neuer Konzepte frühzeitig bewertet werden, um Risiken in der späteren Serienentwicklung zu reduzieren. Und zuletzt müssen auch die Optimierungsziele einer „guten“ Architektur definiert sein (Bild 2).

Da sind zunächst die von den Zielen des Gesamtfahrzeugs abgeleiteten „harten“ Ziele, wie Kostenschranken, Gewichtsvorgaben, Bauraum- und Geometrievorgaben und maximal zulässige elektrische Verbrauchswerte. Diese Ziele beeinflussen die Hardware-Komponenten der E/E-Architektur sowie den Leitungssatz (Bild 3). Die Architekturoptimierung ist jedoch nicht darauf beschränkt. Es gibt eine weitere Gruppe von Zielen, die von den implementierten Fahrzeugfunktionen abgeleitet werden. Darunter fallen Echtzeitanforderungen an Busse und Steuergeräte und alle Diagnose- und Serviceanforderungen. Auch Buslastbeschränkungen sowie Safety- und Security-Anforderungen zählen dazu. Schließlich werden E/E-Architekturen nicht nur für ein einzelnes Fahrzeug entworfen – vielmehr muss ein Portfolio von Fahrzeugen, Fahrzeugvarianten und Fahrzeugoptionen durch eine E/E-Architektur unterstützt werden. Die dafür nötige, weitere Zielkategorie der Produktlinienanforderungen berücksichtigt deshalb:

  • Varianten und Optionen,
  • erwartete Stückzahlen und Ausstattungsraten,
  • funktionsorientierte Dekomposition oder komponentenorientierte Wiederverwendung und
  • Baukästen mit dedizierten Verwendungsstrategien für Komponenten und Subsysteme.

Hier ist die Lösung immer ein Kompromiss zwischen zwei Extremen: Auf der einen Seite stehen spezielle E/E-Komponenten für eine bestimmte Variante mit geringen Produktionsstückzahlen. Dem gegenüber stehen generelle E/E-Komponenten für mehrere Varianten mit hohen Produktionsstückzahlen, aber entsprechenden Zusatzkosten für gegebenenfalls nicht benötigte Funktionalität. Die Festlegung der „besten“ E/E-Architektur ist daher ein nicht-triviales, mehrdimensionales Optimierungsproblem.

Modellbasiertes Vorgehen mit PREEvision

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Bild 4: Die Abstraktionsebenen im PREEvision Modell. Vector Informatik

Um alle relevanten Aspekte einer E/E-Architektur zu berücksichtigen, unterstützt PREEvision eine modellbasierte Vorgehensweise. In einem integralen Ansatz werden dabei alle Aspekte einer Architektur modelliert: Netzwerk und Funktionsverteilung, Hardware-, Leitungssatz- und Geometrie, Kommunikation und Software sowie alle Funktionen, Merkmale und Anforderungen. Um komplexe E/E-Systeme zu beherrschen, folgt PREEvision dabei den drei bewährten Systems-Engineering-Prinzipien Abstraktion, Dekomposition und Wiederverwendung – und unterstützt die Modellierung von Produktlinien und Produktvarianten mit verschiedenen Modellebenen (Bild 4).

In vertikaler Richtung sind im PREEvision-Modell die Abstraktionsebenen von der Geometrieebene mit Einbauorten und Verlegewegen über die Leitungssatzebene und die elektrologische Ebene bis zur Steuergerätenetzwerk-Ebene dargestellt. Parallel dazu werden die Software- und Kommunikationsdetails modelliert. Hardware- und Software-Aspekte lassen sich abstrakt in der Ebene der logischen Funktionsarchitektur beschreiben; ein noch größerer Abstraktionsgrad erfolgt auf den Ebenen für Anforderungen und Kundenfunktionen. Die horizontale Richtung des PREEvision-Modells unterstützt die Dekomposition: In jeder Ebene stehen Hierarchiekonzepte zur Verfügung, welche „bottom up“ oder „top down“ modelliert werden können. Die dritte Richtung ist orthogonal zu den beiden anderen angelegt und ermöglicht Wiederverwendungs- und Variantenkonzepte auf jeder Modellebene und Hierarchiestufe.

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Bild 5: Mehrdimensionale Bewertung eines Architekturentwurfs. Vector Informatik

Relevante Automotive-Standards prägen dabei das Engineering-Datenmodell. Konkret gehören dazu etwa RIF und ReqIF für Anforderungen, Kundenfunktionen und Testfälle; Autosar für das System-, Software- und Kommunikationsdesign sowie KBL und VEC für Leitungssatz- und Geometriespezifikationen.

Ein zusätzlicher Nutzen entsteht durch die logische Funktionsarchitektur, die von der Implementierung in Hardware und Software abstrahiert. Für viele Fahrzeugfunktionen bleibt diese Ebene über viele Jahre stabil, während sich die Hardware-, Software- oder Kommunikationstechnologien für deren Implementierung von Fahrzeuggeneration zu Fahrzeuggeneration ändern. Alle diese Ebenen sind über sogenannte „Mappings“ miteinander verbunden.

Safety-Aspekte werden durch Sicherheitsanalysen wie HARA (Hazard and Risk Analysis), FMEA (Failure Mode and Effects Analysis) und FTA (Fault Tree Analysis) unterstützt und auf dem bestehenden Produktlinienmodell durchgeführt. Der integrierte, modellbasierte Ansatz unterstützt das Single-Source-Prinzip. Das Modell lässt sich auf Inkonsistenzen und Vollständigkeit prüfen.

Mit dem Kundenfunktionsmodell kann eine gültige Selektion von Kundenfunktionen für eine Fahrzeugvariante erfolgen, die mit den entsprechenden Artefakten aller anderen Ebenen verbunden ist. Damit wird es möglich, eine E/E-Architektur für ausgewählte Varianten abzuleiten und durch individuelle Optimierungskriterien (Metriken) zu bewerten. Teamarbeit unterstützt PREEvision mit einer Kollaborationsplattform: Ein Team von Architekten kann parallel in einer Produktlinie arbeiten; alle Architekturartefakte unterliegen einer Versionsverwaltung und werden für koordinierte Änderungs- und Freigabeprozesse mit Tickets verlinkt.

Die modellbasierte Architekturentwicklung startet in der Regel nicht auf der grünen Wiese, sondern ist eine Weiterentwicklung bestehender Architekturen. Dabei werden Optimierungen oder Innovationen für die nächste Architekturgeneration berücksichtigt. Typische Schritte sind hier das Importieren von Daten der Vorgänger-Architektur und ihre Integration und Validierung. Anschließend geht es darum, die Innovationen für die nächste Architekturgeneration zu entwerfen sowie verschiedene Alternativen mit anwenderdefinierten Optimierungszielen zu bewerten und zu vergleichen. Ist die beste Lösung festgelegt, wird die Architektur als Basis für die Serienentwicklung exportiert. So wird eine hohe Konzeptqualität neuer E/E-Architekturen von Beginn an sichergestellt. Architekturentwicklung ist aber nicht nur eine Aktivität vor dem Start des Entwicklungsprojekts. Sie wird vielmehr kontinuierlich während der Serienentwicklung ausgeführt und bewertet.

Bewerten und Optimieren des Architekturentwurfs

Eck-Daten

E/E-Architekten stehen vor der Aufgabe, Innovationen bei Fahrerassistenz und Connectivity mit den klassischen Domänen Antriebstrang, Fahrwerk, Karosserie und Multimedia zu verbinden. Dabei müssen sie oft mehrdimensionale Optimierungsziele erfüllen. Das modellbasierte Entwicklungswerkzeug PREEvision unterstützt sie bei dieser Aufgabe. So können etwa flexibel definierbare Optimierungskriterien für ausgewählte Ausstattungsvarianten berechnet werden. Der modellbasierte Ansatz berücksichtigt dabei durchgängig, dass Architekturarbeit ein fortlaufender, parallel zur Serienentwicklung stattfindender Prozess ist, der einen permanenten, engen Austausch aller Beteiligten erfordert.

In der Praxis wird die E/E-Architektur anhand typischer Fahrzeugkonfigurationen und Ausstattungsvarianten bewertet – häufig kommen hier die Konfigurationen Basisausstattung, meist verkauftes Fahrzeug und Vollausstattung zum Einsatz (Bild 5): Bei der Basisausstattung geht es vor allem um einem günstigen Preis – das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist hier das dominante Designkriterium. Als meist verkauftes Fahrzeug wird das Fahrzeug mit den zu erwartenden, höchsten Produktionsstückzahlen definiert – dessen Funktionalität muss sich für einen wettbewerbsfähigen Preis bereitstellen lassen. In der Kategorie Vollausstattung müssen alle verfügbaren E/E-Systeme und Ausstattungsoptionen zusammenarbeiten und Randbedingungen wie etwa Gewicht, Bauraum, Buslast und Stromverbrauch erfüllen. Die erwarteten Stückzahlen sind hier gering, und der Fahrzeugpreis ist hoch – Kostenkriterien sind hier nicht dominant.

Die Optimierungsziele sind damit nicht nur mehrdimensional, sie sind auch unterschiedlich für verschiedene Ausstattungsvarianten und Fahrzeugkonfigurationen. Außerdem ändern sie sich mit der Zeit, wenn beispielsweise anfangs selten georderte, optionale Fahrzeugfunktionen später häufiger nachgefragt oder sogar Teil der Basisausstattung werden. Aus diesen Gründen existiert derzeit kein allgemein akzeptiertes Optimierungskriterium – vielmehr wird die Optimierungsstrategie als geistiges Eigentum des Fahrzeugherstellers angesehen.

PREEvision bietet deshalb durch Skripte (Metriken) Zugriff auf das komplette Datenmodell – der Anwender kann so seine Optimierungsstrategie flexibel festlegen. Für dieses Konzept sprechen mittlerweile über zehn Jahre erfolgreicher Projekteinsatz bei führenden Fahrzeugherstellern weltweit. Große Fahrzeugproduktlinien umfassen hier Millionen von Artefakten; das Datenmodell, die Engineering-Werkzeuge und die Metrik-Schnittstellen werden in enger Kooperation mit den Anwendern ständig weiterentwickelt.

 

Dipl.-Ing. Jörg Schäuffele

(Bild: Vector)
Produktmanager PREEvision bei Vector Informatik.

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