Stimmt es, dass symmetrische Leitungen die Lagerströme bei Krananwendungen verringern? Dieser Frage ging Igus in einem sechsmonatigen Test nach.

Stimmt es, dass symmetrische Leitungen die Lagerströme bei Krananwendungen verringern? Dieser Frage ging Igus in einem sechsmonatigen Test nach.Hafen Hamburg

Der Mythos von der möglichen Reduktion der Lagerströme durch den Einsatz von symmetrischen Leitungen hält sich seit vielen Jahren in der gesamten Antriebswelt. Besonders fatal wirkt sich diese Annahme aber bei Antrieben aus, die über bewegte Energiezuführungen versorgt werden, beispielsweise auf Krananlagen in der Hafenkrantechnik.

Der Stand der Technik ist, dass die Katzfahrten auf Krananlagen über Energieketten versorgt werden. In diesen Energieketten liegen neben Datenleitungen und Lichtwellenleitern häufig auch Motorleitungen mit großen Querschnitten, die die großen Hubwerks- und Katzmotoren mit Energie versorgen.

Für die elektrische Energieversorgung gibt es zwei Ansätze: mit symmetrischen Leitungen und mit Einzeladern, jeweils geschirmt oder ungeschirmt. Einzeladerlösungen sind kostengünstiger zu fertigen und haben gegenüber vergleichbaren Lösungen mit symmetrischen Leitungen eine geringere Zusatzlast in der Energiekette. Der größte Vorteil liegt aber in der längeren Lebensdauer bei kleinerem Platzbedarf: So lässt sich bei gleichen Querschnitten ein bis zu 35 % kleinerer Bauraum für die Energiekette realisieren. Und das bedeutet neben geringeren Kosten für den Stahlbau auch eine kleinere Windlast, eine kürzere Energiekette sowie eine höhere Haltbarkeit. Also spricht eigentlich alles für die Einzelader.

Dennoch nutzen nicht alle Kranbauer die Vorteile der Einzeladern beim bewegten Einsatz in Energieketten, da hier der Mythos Lagerstrom seit vielen Jahren durch die Branche geistert. Die Behauptung, dass symmetrische Leitungen Lagerströme reduzieren, führt seit Jahren zu Verunsicherungen. Die Folge: Manche Kranbauer entscheiden sich, auf die vermeintlich sichere Karte zu setzen, und nehmen gleichzeitig höhere Kosten, Bauraum-Nachteile und eine kürzere Lebensdauer der Energiezuführung in Kauf.

Mythos auf dem Prüfstand

Aber hat die Leitungsart wirklich etwas mit dem Lagerstrom zu tun? Diese Frage beantwortete Igus im Rahmen einer sechs Monate dauernden Untersuchung. Dabei waren die genauen Fragestellungen:

  • Tritt ein Lagerstrom tatsächlich in der Praxis bei Frequenzumrichter-betriebenen Großantrieben auf?
  • Wird ein in der Praxis eventuell vorhandener Lagerstrom in seiner Höhe und Intensität durch besondere Maßnahmen, Installationen oder gar Leitungsarten beeinflusst?

Aufbau der Versuchsanlage mit einem 580 kVA-Antrieb. Typische Lastprofile wurden mit einem weiteren Motor simuliert. Steuerung (1) Umrichter (2), Kranmotor (3) und Bremse (4) Bremse, (5) Lastmotor.

Aufbau der Versuchsanlage mit einem 580 kVA-Antrieb. Typische Lastprofile wurden mit einem weiteren Motor simuliert. Steuerung (1) Umrichter (2), Kranmotor (3) und Bremse (4) Bremse, (5) Lastmotor.Igus

Um die Lagerströme praxisgerecht zu überprüfen, hat das Unternehmen einen großen Portalkran mit Frequenzumrichter, 580-kVA-Motor, 30 m langer Energie­kette und der dazu notwendigen Steuerung in einem Versuchsfeld nachgebaut.

Um die Lagerströme des Asynchronmotors messen zu können, musste der Motor entsprechend vorbereitet werden. Damit die Ströme nicht verteilt über das Lagerschild fließen konnten, wurde ein isoliertes Lager eingebaut. Zur Messung der Ströme wurden Stromabnehmer über der Welle montiert, um dann über Messwandler die Lagerströme bestimmen zu können

In aufwendigen Testreihen wurden Motorleitungen mit unterschiedlichem Aufbau auf ihren Einfluss auf Lagerströme untersucht.

In aufwendigen Testreihen wurden Motorleitungen mit unterschiedlichem Aufbau auf ihren Einfluss auf Lagerströme untersucht.Igus

Mit der Versuchsanlage, die mit einem eigenen Transformator an das öffentliche EVU-Netz angeschlossen wurde, wurden unterschiedliche Kranfahrten simuliert. Dabei diente ein Lastmotor als Containerersatz. Die Untersuchungsreihen bewerteten dabei die Entstehungsdauer, die Art und Höhe von Lagerströmen bei der Verwendung von unterschiedlichen Leitungsarten sowie Installations- und Erdungsmethoden. Um aussagekräftige Ergebnisse in Bezug auf den Einsatz von Leitungen in Krananlagen zu erhalten, wurden die einzelnen Leitungsarten unter gleichen Bedingungen getestet. Hierbei wurden krantypische Bewegungszyklen simuliert, die sich durch häufige Drehrichtungs- und Drehzahländerungen auszeichnen. Aber auch die Dauerbeanspruchung und die damit einhergehende Erwärmung wurden beobachtet.

42055.jpg

Igus

Falsche oder schlechte Erdungskonzepte, wie sie in der Praxis immer wieder anzutreffen sind, wurden ebenfalls untersucht. Dafür wurde der tonnenschwere 580-kVA-Motor vom Stahlgerüst abgehoben, isoliert und wieder montiert. So ließen sich unterschiedliche Potenzialzustände zwischen Stator und Gesamtsystem simulieren.

Eindeutige Ergebnisse

Das Ergebnis: Der höchste Lagerstrom tritt bei niedriger Geschwindigkeit und hoher Temperatur auf. Bei hoher Geschwindigkeit bildet sich ein Lagerstrom mit steigender Temperatur und Zeit aus. Wird die Drehzahl oder Drehrichtung verändert, bricht der Lagerstrom zusammen. Der Aufbau des Lagerstroms erfolgt außerdem über die Zeit und kommt bei konstanter Drehzahl nach rund 50 bis 100 s zu seinem Maximum. Bei konstanter Drehzahl über einen langen Zeitraum bildet sich ein niedriger Lagerstrom bei symmetrischen Leitungen aus. Bei ungleicher Erdung zwischen Motor und Umrichter treten besonders hohe Lagerströme auf.

42056.jpg

Igus

Nach den Testreihen steht fest: Liegt ein guter Potenzialausgleich vor und wird der Antrieb in einem krantypischen Betriebsprofil gefahren, so hat die Verwendung der Leitungsart, symmetrisch oder Einzelader keinen Einfluss auf die Höhe des Lagerstroms. Das liegt daran, dass das krantypische Betriebsprofil ständig die Drehzahl und Drehrichtung des Antriebsmotors verändert. Dabei bricht der Lagerstrom immer wieder zusammen, bevor es zu einer zerstörenden Wirkung am Lager kommen kann.

Lagerströme

Die Theorie zur Praxis

Als wesentliche Ursache für den Stromfluss über die Maschinenlager im reinen Netzbetrieb gilt die Wellenspannung. Der Begriff Wellenspannung bezeichnet die Spannung, die in die Leiterschleife induziert wird, bestehend aus Motorwelle, den beiden Lagern, Lagerschilden sowie dem Gehäuse. Die zwischen den beiden Wellenenden gemessene Spannung gilt ab einem Grenzwert von 500 mV als kritisch. Die Wellenspannung hat physikalische Ursachen: Asymmetrien innerhalb der Maschine kompensieren die magnetischen Teilflüsse nicht komplett und verursachen deshalb einen magnetischen Ringfluss. Dies induziert eine Spannung im elektrischen Stromkreis (Welle, Lager, Lagerschild und Gehäuse).

Eine zusätzliche elektrische Beanspruchung der Lager entsteht bei der Speisung aus einem Pulswechselrichter. Pulswechselrichter werden benötigt, um einen drehzahlvariablen Betrieb zu ermöglichen. Die dabei zum Einsatz kommenden Umrichter haben teilweise hohe Taktfrequenzen. Eine hohe Taktfrequenz ermöglicht einen nahezu sinusförmigen Maschinenstrom und verringert die Zusatzverluste in den Wicklungssträngen, die magnetischen Geräusche und die Drehmomentschwankungen.

Die vom Umrichter verursachte Lagerspannung wird kapazitiv eingekoppelt. Sie hat ihre physikalische Ursache in den steilen Spannungsflanken am Wechselrichterausgang. Diese entstehen durch die schnellen Schaltvorgänge sowie das Steuerverfahren des Pulswechselrichters. Diese Spannung hängt von der Schaltfrequenz des Umrichters ab. Bei Frequenzen über 1 kHz spielen die Kapazitäten zwischen den verschieden Maschinenkomponenten eine entscheidende Rolle. Aufgrund der kurzen Schaltzeiten treten hohe Spannungsänderungen (du/dt) bis 10 kV/µs auf. Bei dieser Spannungssteilheit sind die Kapazitäten der Wicklung gegen das Ständerpaket (CWG), Wicklung gegen das Rotorpaket (CWR) und Ständer gegen Läufer (CRG) nicht zu vernachlässigen. Die daraus resultierenden Lagerströme kann man dabei unterteilen in:

  • EDM-Ströme: Entladungsströme, die dadurch entstehen, dass sich über dem Lagerfett eine Spannung aufbaut, die sich bei Erreichen ihres Schwellwertes (8 bis 15 V) schlagartig entlädt.
  • Zirkularströme: Zirkularströme treten in beiden Lagern gleichzeitig auf, haben eine entgegengesetzte Polarität zueinander und vom Betrag her eine nahezu gleichhohe Amplitude. Die Frequenz beträgt mehrere kHz.
  • Rotor-Erdströme: Ist die Welle und somit über diese der Rotor per angeschlossenem Bauteil mit der Erde leitend verbunden, können Rotorströme auftreten. Diese können umso größer werden, je mehr sich die Erdungsimpedanz (Impedanz des Umrichters zur Erde) von der Impedanz des Rotors und der Impedanz zum Statorgehäuse unterscheidet. Der Rotor-Erdstrom kann Amplituden von mehreren Ampere betragen, bei Frequenzen von einigen kHz.
  • Kapazitive Lagerströme: Durch die am Lager anliegende Spannung und der Kapazität des Lagers werden kleine Ströme hervorgerufen. Diese werden nach heutigem Kenntnisstand als nicht kritisch für die Lebensdauer eines Maschinenlagers betrachtet

Rainer Rössel

ist Leiter Geschäftsbereich Chainflex bei der Igus GmbH in Köln.

(mf)

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

Igus GmbH

Spicher Straße 1a
51147 Köln
Germany