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Bild 1: Partikel auf einem elektronischen Bauteil

Bild 1: Partikel auf einem elektronischen BauteilWürth Elektronik iBE

Eine VDA-Richtlinie und eine ISO-Norm 16232 thematisieren die Technische Sauberkeit, doch verbindliche Nachweismethoden oder Reinheitsklassen für elektronische Bauteile sucht man vergeblich. Das Thema beschäftigt die Automobilindustrie seit Beginn der 1990er-Jahre. Anfänglich eher eine Nischenanforderung für komplexe Systeme und Fluid-Technik (zum Beispiel ABS-Systeme, Direkteinspritzsysteme in Dieselfahrzeugen) ist Technische Sauberkeit heute ein Thema in vielen Elektronikanwendungen. Ein Treiber dabei: In den immer kleiner werdenden Strukturen elektronischer Baugruppen können selbst mikroskopisch kleine Partikel Fehler (Bild 1) verursachen. Während der Bestückung von Platinen führen Verschmutzungen zu Lötfehlern. Kleine metallische Partikel verursachen Kurzschlüsse, nichtmetallische beeinträchtigen die Leitfähigkeit oder führen an Messstellen in der Qualitätskontrolle zu Messfehlern. Beim Verguss von Platinen können Fremdkörper dazu führen, dass ein Coating schadhaft oder anfällig für späteren Schaden wird.

Eck-Daten

Technisch gesehen ist die Sauberkeit eines elektronischen Bauteils ein relativer Begriff. Er muss durch eine bestimmte Analysen- beziehungsweise Messmethode definiert werden. Dann kann die Technische Sauberkeit eines Bauteils (oder auch einer Baugruppe) zu einem quantifizierbaren Produktmerkmal werden, auf das sich Hersteller und Abnehmer einigen können. Wie man dabei praktisch vorgeht, das zeigt dieser Fachbeitrag des Herstellers Würth Elektronik iBE anhand eines elektronischen Bauteils.

Ein weiteres Problem: Partikel wandern im Verlaufe der Fertigung in den Anlagen. Was zuvor als Verschmutzung auf großen elektronischen Bauteilen unproblematisch war, findet sich so auf kleinen Bauteilen wieder und erhöht hier die Fehlerrisiken. Im Automobilbereich werden Fehler, wenn überhaupt, nur noch im ppm-Bereich toleriert. Wie bei vielen Qualitätsthemen gilt zwar auch hier: Völlige Reinheit ist wirtschaftlich sinnvoll nicht zu erreichen. Dennoch sollten die Risiken über die Prozesskette minimiert werden.

Wie definiert man Sauberkeit?

Technisch gesehen ist Sauberkeit ein relativer Begriff. Er muss innerhalb eines Prozesses definiert werden. Welche Größe von Partikeln ist bis zu welcher Zahl akzeptabel? Neben den Spezifikationsgrenzen ist zudem die zu verwendende Analytik zu definieren. Schließlich ist es ja oft eine Frage der gewählten Analytik, ob und in welcher Häufigkeit etwas gefunden wird.

Im Jahr 2004 wurde die Richtlinie VDA Band 19 „Prüfung der Technischen Sauberkeit – Partikelverunreinigung funktionsrelevanter Automobilteile“ veröffentlicht. Darin wird empfohlen, wie bei der Sauberkeitsprüfung vorzugehen ist. Im Wesentlichen läuft diese in drei Hauptschritten ab:

  • Partikel-Extraktion (= Partikelgewinnung) mit einer Flüssigkeit
  • Filtration der abgelösten Partikel mit einer Analysemembrane
  • Klassifizierung und Quantifizierung dieser Partikel

Das internationale Pendant zum VDA Band 19 ist die ISO 16232, erstmals veröffentlicht im Jahr 2007. Diese Standards schaffen die Möglichkeit, Sauberkeitsergebnisse hinsichtlich Methode, Klassifizierung, Darstellung und so weiter vergleichbar und somit auch objektiver zu machen.

Eine produktbezogene Festlegung zu Grenzwerten bezüglich der Menge, Größe und Art der zulässigen Partikel oder statistische Modelle findet sich aber in keinem der beiden Regelwerke. Die darin aufgezeigten Wege und Methoden sind bewusst allgemein gehalten, um sie auf das komplette Spektrum der Automobilindustrie anwenden zu können. Daher ist die Adaptierung und Qualifizierung dieser Methoden nach wie vor Aufgabe produktspezifischer Experten. Diese müssen sich dem Thema autodidaktisch annähern – Technische Sauberkeit ist nach wie vor kein Lehrinhalt einer Hochschulausbildung.

Die Sauberkeit eines elektronischen Bauteils wird messbar

Die Elektronik-Experten der bayerischen Würth Elektronik iBE – eines Herstellers von Stabkern- und Sonderdrosseln über Hochstrom-Induktivitäten, Automotive-Ferriten und Speicherdrosseln für die Automobilindustrie – sind in der glücklichen Situation, nicht der einzige Automobilzulieferer in der Würth-Gruppe zu sein und sind somit nicht allein mit der vagen Forderung „frei von Verunreinigungen und losen Partikeln“ konfrontiert. Im intensiven Austausch mit Experten zum Beispiel bei Arnold Umformtechnik stellten sie sich der Aufgabe, entsprechende Spezifikationen für die Sauberkeit zu entwickeln.

Bild 2. Analysemembrane mit abgelösten und gefilterten Partikeln

Bild 2. Analysemembrane mit abgelösten und gefilterten PartikelnGläser

Dabei wurde auch klar, warum es so schwierig ist, Verfahren zur Analyse vorzugeben: Die Partikel-Extraktion (Bild 2) ist der kritische Punkt. Für jedes Bauteil muss die Frage gestellt werden, wie die Partikel mit einer Flüssigkeit abgelöst werden können, um damit einerseits einen möglichst hohen Anteil von Verschmutzung zu erfassen und andererseits nicht das jeweilige Bauteil zu beschädigen. Die Partikel ablösen, ohne das Bauteil anzulösen – hier galt es für die Produktverantwortlichen bei Würth Elektronik iBE intensiv zu forschen. Die Basis ist dabei das Fachwissen des Herstellers über die technischen und physikalischen Eigenschaften des Produktes, über die Materialien beziehungsweise Werkstoffen, aus denen es besteht, und über die Fertigungsschritte, die zu dem Produkt führen. Konkret ging es im Projekt um gewickelte Induktivitäten, die das Unternehmen für Automotive-Zulieferer herstellt.

Über Beprobungsreihen ein Standard-Analyseverfahren ermitteln

Welches Lösungsmittel in welcher Menge ist für die Partikel-Extraktion geeignet? Spülen oder spritzen? Zusätzlicher Ultraschalleinsatz? Wenn ja, wie lange? Bei der Beprobung von Bauteilen zur Extraktion von Partikeln gibt es viele Entscheidungen zu treffen. Die Methode, um zu einem Verfahren zu kommen, das als Standard für ein Produkt gelten kann, ist die Abklingmessung. Dabei werden mit demselben Verfahren wiederholt Beprobungen derselben Testobjekte durchgeführt. Die Abnahme der jeweils extrahierten Partikel (Bilder 3 und 4) wird statistisch ausgewertet. Zeigen die Abklingmesswerte die erwünschte Kurve abnehmender Partikelbelastung, ist dies als ein Beleg für die Eignung des jeweiligen Extraktionsverfahrens zu werten.

Bild 3: Metallisch glänzender Partikel (Zinnpartikel)

Bild 3: Metallisch glänzender Partikel (Zinnpartikel)Würth Elektronik iBE

Für gewickelte Induktivitäten wurde ein Verfahren mit bloßem Spülen beziehungsweise Fluten und einer definierten Einwirkzeit als geeignet festgelegt. Nach der Definition des Beprobungsverfahrens wurden die gewonnenen Ergebnisse klassifiziert, statistisch ausgewertet und dokumentiert. Dadurch war es erstmals möglich, Grenzwerte festzulegen und Ergebnisse vergleichbar zu machen: die Geburtsstunde des ersten Standards für Technische Sauberkeit des Unternehmens für die Produktgruppe „gewickelte Induktivitäten“.

Grenzwerte für die Technische Sauberkeit festlegen

Das beschriebene Messverfahren macht es jetzt möglich, gemeinsam mit den Abnehmern Grenzwerte für Technische Sauberkeit des Produkts zu vereinbaren. Dort wo die Anforderungen das im Fertigungsprozess technisch Machbare überschreiten, gibt es nun die Möglichkeit, über zusätzliche und nachgeschaltete Reinigungsprozesse die vom Abnehmer definierte Sauberkeitseigenschaft zu erlangen. Auch hierfür wurden entsprechende Konzepte erarbeitet. Grundsätzlich gilt aber, dass eine gemeinsame und tiefgreifende Abwägung zwischen Aufwand zur Einhaltung der Grenzwerte und einem möglichen (Ausfall-)Risiko stattfinden muss.

Bild 4: Nichtmetallisch glänzender Partikel (Ferritpartikel)

Bild 4: Nichtmetallisch glänzender Partikel (Ferritpartikel)Würth Elektronik iBE

Mithilfe des Ende 2013 erstmals erschienenen ZVEI-Leitfadens „Technische Sauberkeit in der Elektrotechnik“ konnte der Elektronik-Hersteller mittlerweile Vergleiche mit anerkannten Erfahrungswerten für Induktivitäten aus der Praxis anstellen. Dabei zeigte sich, dass der Hersteller typischerweise eine doppelt so hohe Sauberkeit erreicht als das, was man als „State of the Art“ bezeichnet. Entscheidend ist jedoch, dass nun die Technische Sauberkeit als Produktmerkmal spezifiziert werden kann und diese bereits in der Entwicklungsphase (im Zuge der Herstellbarkeitsprüfung) exakt und zuverlässig bewertet werden kann. Mit den Abnehmern können nun überprüfbare Grenzwerte für Verschmutzungen vereinbart werden, damit diese im weiteren Fertigungsprozess sicher sein können, dass sie Störungen durch Partikel weitestgehend ausgeschlossen haben.

Werner Trautner

Leitung Fertigungstechnologie bei Würth Elektronik iBE

(dw)

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