Eben diese Prozesse zu analysieren, ist Schiegl am Niedernhaller Standort von Würth Elektronik angetreten. Dass für den Erfolg von Change-Projekten die Unterstützung von ganz oben entscheidend ist, ist zwar eine Binsenweisheit, doch bewahrheitet sie sich immer wieder. Im Fall von Würth Elektronik ist „ganz oben“ Jörg Murawski. Der Geschäftsführer der Unternehmensgruppe, außerdem Mitglied der Führungskonferenz der Würth Gruppe, informiert sich direkt in der Produktion und will die Veränderung und den damit verbundenen Erfolg sehen.

Grundlage, um die Veränderungen möglichst produktiv mit den Arbeitern umsetzen zu können, kann der spielerische Einstieg sein: So plante und baute etwa das Team beim Lötstopplack einen Rennwagen in mehreren Runden zusammen, nach denen jeweils die Arbeitsabläufe besprochen wurden. Mit dem Ergebnis, dass die Gruppe jedes Mal deutlich schneller und effizienter produzierte.

Dasselbe machen Schiegl und die Mitarbeiter danach in der Produktion: In der Multilayer-Abteilung arbeiten die Würth-Mitarbeiter in komplexen Arbeitsgängen und müssen verschiedene Prozesse beherrschen. Die Bereitstellung der Materialien hat sich mittlerweile deutlich vereinfacht. Pro Auftrag sparen die Werker an diesem Arbeitsplatz nun mehrere Minuten ein. Wo früher Materialien unübersichtlich auf einem Tischwagen übereinander gestapelt waren, gibt es heute Fächerwagen, wodurch pro Auftrag auf das Material direkt zugegriffen werden kann. Zudem werden die Materialwagen auch schneller und übersichtlicher für die Folgeabteilung gerüstet.

Sonderfall Lötstopplack

Ähnliche Effekte erreichte das Team beim Lötstopplack. Hier konzentrierte man sich nach der ABC-Analyse auf die Fokusthemen. „Zum Beispiel haben wir den Materialfluss optimiert, Arbeitsabläufe standardisiert und uns auf rein wertschöpfende Tätigkeiten konzentriert“, erzählt Daniel Klein von der Niedernhaller Geschäftsführung. Entsprechend stieg die Produktivität hier innerhalb von zwei Jahren um 47 Prozent. „Dadurch haben wir in einem Kernprozess eine deutlich verbesserte Anlagenverfügbarkeit erreicht“, ergänzt Produktionsleiter Georgios Sarantoudis. „Etwa durch eine Optimierung des Wartungszyklus‘, Überarbeitung der Checklisten und Integration neuer Erkenntnisse aus der Qualitätssicherung.“ Eine schlanke Produktion ist überlebensnotwendig für die Firma, die täglich im internationalen Wettbewerb der Leiterplattenindustrie steht.

Würth Elektronik arbeitet seit 2005 mit Sebastian Schiegl zusammen. Der Spezialist für Lean- und Change-Management aus Stuttgart hat schon an anderen Standorten der Würth-Elektronik-Gruppe Prozessabläufe und interne Kommunikation verbessert, beispielsweise durch Wertschöpfungsanalysen und Problemlösungsmethoden. „Das Erarbeiten von Zielen, Analysieren der Potenziale und Umsetzen der Methoden ist ein kontinuierlicher Prozess. Nur so kann in dutzenden Abteilungen und mit hunderten Mitarbeitern für weniger Verschwendung und mehr Produktivität gesorgt werden“, erklärt Unternehmensberater Schiegl. Gemeinsam mit Jörg Murawski entwickelte er das Management- und Produktionssystem „Qool“. Dabei versteht sich Murawski als Mentor und interner Treiber im Teil der Würth Elektronik Gruppe, die an drei Standorten Leiterplatten produziert. Ein wesentlicher Aspekt: Die Einbindung der Mitarbeiter. Von Beginn an nutzt Schiegl das Wissen der Mitarbeiter für Verbesserungen. Für volle Transparenz visualisiert er regelmäßig alle Produktionskennzahlen.

Mitarbeiter gestalten Prozesse aktiv mit

„Wichtig ist, dass die Mitarbeiter nicht das Gefühl haben, es geht ihnen an den Kragen. Sondern sie gestalten den Prozess mit und realisieren einen optimierten Ablauf“, betont der Stuttgarter. Um diese Voraussetzung zu erreichen, installierte der 43-Jährige in besonders fokussierten Abteilungen sogenannte „Qool-Boards“, auf denen Mitarbeiter Schichtleistung, Störungen und Lösungsvorschläge aufschreiben. Verbindlich halten die Arbeiter fest, wer sich bis wann um das Problem kümmert und wie sich die Ergebnisse entwickeln. „So weiß jeder, was mit seinen Informationen passiert und wie der Umsetzungsstand ist. Außerdem sieht man schneller, wo man Dankeschön sagen oder Hilfe anbieten kann“, beschreibt der Lean-Manager.

Denn Mitarbeiter erledigen ihre Arbeit am gleichen Arbeitsplatz oft auf unterschiedliche Weise. Der Berater hält die Abläufe mit verschiedenen Methoden fest, beispielsweise per Videokamera, und überlegt gemeinsam mit den Mitarbeitern, welche Handgriffe in welcher Abfolge am effektivsten sind. Zeitnah bauen die Produktionsleute und Schiegl eine erste Dummystation. Damit existiert schnell ein erstes Ergebnis, zu dem alle Mitarbeiter beigetragen haben, und das in der Praxis weiter entwickelt wird, bis das gewünschte Ziel erreicht wird.

Dummystationen helfen verbessern

Dieses Analyse-Instrument kommt auch in allen anderen Wertschöpfungsprozessen zum Einsatz: Schiegl zerlegt gemeinsam mit den Mitarbeitern jeden Ablauf in Sequenzen und verbessert sie Schritt für Schritt. Doch dafür muss jeder raus aus seiner Routine. „Das hat schon einige Monate gedauert, denn gegenüber Veränderung sind die Leute erst einmal kritisch“, erzählt Produktionsleiter Sarantoudis. Sie könnten sich einen anderen Ablauf gar nicht vorstellen, glauben nicht an eine erfolgreiche Umsetzung. Deshalb bindet Schiegl die Arbeiter unablässig in die Umsetzungen mit ein. Besonders die Geschäftsführung muss konsequent dran bleiben, damit Mitarbeiter verinnerlichen, dass Verbesserung kontinuierlich stattfinden kann. Hier unterstützen klare Zielvereinbarungen mit Teamleitern und Controlling.

Murawski überzeugt es, dass Schiegl sich mit dem Unternehmen identifiziert, indem er bei der Umsetzung selbst mitwirkt und sein Honorar von der erreichten Produktivitätssteigerung zu einer bestimmten Frist abhängig macht. Mit gemeinsamem Erfolg. Im Juni überreichte die Würth Konzernführung den Würth Quality Award an das Werk Niedernhall für seine besonderen Ergebnisse im Bereich Produktivitätssteigerung und Senkung der Kundenreklamationen.

„In vielen Betrieben fehlt die nötige Konsequenz, Verbesserungen tatsächlich umzusetzen“, sagt Schiegl, „Powerpoint-Präsentationen alleine reichen nicht aus, um messbare Ergebnisse zu erzielen.“ Viele Mitarbeiter seien deshalb zuerst skeptisch, ob die x-te Initiative etwas Positives bewirkt. So haben schnelle Umsetzungen und Erfolge, und seien sie noch so klein, eine große psychologische Bedeutung.

Mitarbeiter: Ein wertvolles Gut

Bei der Analyse von Würth Elektronik durch Schiegl zeigte sich einiges Verbesserungspotenzial. Wenn Mitarbeiter die Veränderung mittragen sollen, brauchen sie mehr als nur eine Information am Rande. Der Königsweg: Jeder arbeitet aktiv an den Verbesserungen mit. Nach der Realisierung stieg die Produktivität der einzelnen, an der Fertigung beteiligten Mitarbeiter.

Daniela Reichart

ist freie Journalistin.

(mrc)

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Unternehmen

Würth Elektronik GmbH & Co. KG

Salzstraße 21
74676 Niedernhall
Germany