Hans Bell von Rehm

(Bild: Marisa Robles)

Für Dr. Hans Bell steht Technik für Innovation und Herausforderung, der stets mit großer Leidenschaft zu begegnen ist. Entsprechend auch sein Abschied in den Ruhestand: Mit dem Technologieseminar „Das Potential innovativer Technologien“ wurde ihm ein würdiger und gleichzeitig berührender Rahmen für seine Abschiedsfeier gegeben.

Abschied von Hans Bell von Rehm.

Joachim Erhard übergibt das Abschiedsgeschenk der Rehm-Belegschaft an Hans Bell. Marisa Robles

Jahrzehntelange Wegbegleiter, allesamt Experten aus Forschungsgremien, Arbeitskreisen oder hinsichtlich kundenspezifischer Applikationen, waren eingeladen. Die eng gestrickte Agenda stellte das künftige Potential neuester Technologien in der SMT-Welt vor. Klar erkennbar: Hier ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht.

Hans Bell von Rehm mit Pinocchio-Abschiedsgeschenk

Hans Bell sichtlich erfreut über das Abschiedsgeschenk der Rehm-Belegschaft: Die Pinocchionase, ein von ihm kreierter Begriff für die durch Void ausgelöste Lötausbuchtung in einem LGA. Marisa Robles

Innovationen für die Zukunft

Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Paul Wild, nunmehr Leiter von Forschung und Entwicklung von Rehm, der die Position am 1. Februar 2019 von Bell übernommen hatte. „Im Rahmen dieses Seminars möchten wir mit Experten aus Industrie und Forschung das Potential neuester Technologien in der SMT-Welt diskutieren“, erläuterte Paul Wild zum Auftakt den anwesenden, handverlesenen Gästen. Der Einladung nach Blaubeuren waren die „Celibrities“ der Elektronikfertigungsbranche gefolgt. Jene also, die mit ihrem Engagement quer durch die Wertschöpfungskette der elektronischen Baugruppenfertigung die Fahnen für den Standort Deutschlands hochhalten. Dass sich die Elektronikfertigung im Hochlohnland Deutschland gegenüber der schweren Konkurrenz der zunächst osteuropäischen und seit einigen Jahren weitestgehend asiatischen Billiglohnländern behaupten konnte, ist einigen Faktoren zu verdanken. Der herausstechenste Faktor dürfte jedoch jener sein, dass der Ehrgeiz, Entwicklungen voranzutreiben und gleichzeitig Herausforderungen in der Forschung zu begegnen, gerade in Deutschland ausgeprägt hoch ist.

Dr. Paul Wild von Rehm moderierte die Technologietagung.

Dr. Paul Wild von Rehm Thermal Systems moderierte den an Dr. Hans Bell gewidmeten Technologietag und hielt zudem den Vortrag: „Aktuelle Anforderungen an thermische Prozesse – Ziele und Strategien“. Marisa Robles

„Wie jeder weiß, hält nicht jede Innovation flächendeckend und zügig in allen relevanten Bereichen Einzug. Daher ist es umso wichtiger, frühzeitig die richtigen Ansätze zu erkennen, um für die dynamische Welt der Technologie gewappnet zu sein“, mahnt daher Paul Wild in seiner Begrüßungsansprache. Er stellt sogleich die rhetorische Frage: „Was ist Innovation?“ Um diese zu beantworten, zieht er Vergleiche: „Ist es etwa die Bleifrei-Technologie? Wohl eher nicht, denn die meisten von uns würden auch heute noch am liebsten bleihaltig Löten.“ Auch wenn die bleifreie Löttechnik extrem prägend für die weltweite Elektronikfertigung war und nach wie vor ist: Es gibt verschiedene Ursachen, ob eine Innovation tatsächlich eine Innovation ist und auch, ob sie realisiert wird oder nicht. Als Beispiel nennt er das Nokia-Handy: Im Rennen darum, ob Siemens oder Nokia in den 1990er Jahren das erste mobile und tragbare Telefon auf dem Markt lancieren würde, konnte zunächst zwar Nokia punkten. Spätestens mit der multitaskingfähgien Modellserie „Communicator“ (Nokia 9000 war erstmals am 15. August 1996 in Deutschland für sagenhafte 2700 Deutsche Mark erhältlich) konnten die Finnen noch eins drauflegen: Der Urahn der heutigen Smartphones konnte neben Kurznachrichten, auch E-Mails und Faxe versenden und empfangen und mit einem HTML-fähigen Webbrowser auf Webseiten zugreifen. Dies gehörte damals sogar am Büroarbeitsrechner noch nicht zum Standard. Doch falsche Entscheidungen in der Führungshierarchie sorgten dafür, dass Nokia schließlich nicht nur die Vorherrschaft verlor, sondern auch nachhaltig den Anschluss. Heute sind Apple, Samsung und Huwei die Handy-Riesen unserer Zeit.

Referenten der Rehm-Technologietagung für Hans Bell.

Die Referenten der Technologietagung (v.l.n.r.): Johann Weber (Zollner Elektronik), Hans Bell (Rehm Thermal Systems), Christoph Hippin (Endress + Hauser), Prof. Mathias Nowottnick (Uni Rostock), Dr. Frank-Peter Schiefelbein (Siemens), Prof. Dr. Klaus-Dieter Lang (Fraunhofer IZM), Helmut Öttl und Dr. Paul Wild (beide Rehm Thermal Systems). Marisa Robles

Auf welche Faktoren kommt es also an, dass eine Innovation sich eine solche nennen dar? Wie gelingt eine einfache und schnelle Umsetzung? Wie sieht es mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis aus? Sind politische Entscheidungen oder eine reine Kostenbetrachtung die Treiber für Innovationen? Die Technologietagung wollte hierauf fundierte Antworten liefern und dabei bewährte Technologien und zukünftige Trends aufzeigen.

Digitalisierung und KI im Fokus

Das Ziel von Zollner Elektronik ist es, Kunden über den gesamten Produktlebenszyklus zu begleiten. Dafür muss sich der EMS-Anbieter kontinuierlich an neue Gegebenheiten anpassen. Dass es dem Unternehmen gut gelingt, zeigen die aktuellen Eckdaten: Mit in neun Ländern strategisch positionierten 19 Werken ist der EMS global aktiv und kann auf ein Heer von 11.400 Mitarbeitern und auf einer Produktionsfläche von 329.000 m² blicken. Worauf fußt der Erfolg? Johann Weber, Vorstandsvorsitzender von Zollner Elektronik stellte in seinem leidenschaftlich gehaltenen Vortrag „Digitale Transformation – eine Herausforderung für die EMS-Industrie“ klar, dass „die EMS-Industrie Werkzeuge und Verfahren einsetzen muss, um bestehende Prozesse anpassen und durch wesentlich effizientere digitale Prozesse ablösen zu können. Nur so können wir den künftigen Herausforderungen gerecht werden.“

Productronic-Ehrenurkunde für Hans Bell

Productronic-Ehrenurkunde für Hans Bell, überreicht von Chefredakteurin Marisa Robles. Productronic

An der digitalen Transformation, einer Plattform für ein umfangreiches Netzwerk, kommt heute kein EMS mehr dran vorbei. „Die digitale Transformation ist keine Option, sondern absolut notwendig“, bekräftigt er und nennt dabei aktuelle Zahlen des Unternehmensberaters Roland Berger. Demnach drohen beim Verpassen der digitalen Transformation Wertschöpfungseinbußen in Europa von 605 Mrd. Euro. Dass sich auch kleine und mittelständische EMS-Anbieter dieser Herausforderung nicht verwehren dürfen, mahnt er damit an, dass „jeder EMS dem Kunden einen Mehrwert geben muss, damit dieser im Wettbewerb bestehen“ könne. Das sichere schließlich das eigene Überleben im hart umkämpften EMS-Markt. Dass die EMS-KMUs nicht alleine sind, macht er auch klar: Der ZVEI mit seinen Arbeitskreisen sei eine gute Anlaufstelle, nicht zuletzt, weil auch der Fachverband mit “Watts On” eine informative Serie auf dem YouTube-Kanal der Elektroindustrie aufgelegt hat.

Heutzutage erfolgt die Bedienung von Benutzerschnittstellen typischerweise durch Tastatur, Schalter, Maus oder Touchscreen. Dieses Verhalten führt jedoch oft dazu, dass sich die Aufmerksamkeit des Bedieners weg von der Arbeit und auf die Mensch-Maschine-Schnittstelle richtet. Daraus resultiert eine potenzielle Fehlerquelle. „Die Brillen, die es am Markt gibt, kommen zum Großteil aus dem Consumerbereich und sind nicht für die Industrie geeignet“, erklärt Dr. Frank-Peter Schiefelbein, Senior Key Expert Research Scientist von Siemens, dem ein „handsfree work“ der Werker ein wichtiges Anliegen ist. In seinem Vortrag „Augmented Reality in der Elektronikfertigung“ stellte er eine unter seiner Ägide mit Siemens und weiteren Partnern durchgeführte Studie vor, inwiefern sich intelligenten Datenbrillen im Fertigungsalltag an den SMT-Linien eignen könnten und welche Hürden noch zu nehmen sind. „Die Arbeitsschritte können so schneller und sicherer durchlaufen werden. Dem Mitarbeiter wird gezielt gezeigt, wo und was er als nächsten Arbeitsschritt zu tun hat. Außerdem erhöht sich die Qualität, weil bestimmte Prüfschritte quittiert werden müssen“, erläutert er die Vorteile. Für den Einsatz in der Produktion spiele der Arbeits- und Sichtschutz aber eine große Rolle. „Es gibt hohe Anforderungen an die Brille, damit die Mitarbeiter keine Beeinträchtigungen wie Haltungs- oder Augenschäden davontragen.“ Für den breiten Einsatz gebe es noch einige Hürden zu nehmen: Wie bekommt man die Konstruktionsdaten auf die Brille? Solche Daten, seien teilweise 20 Jahre alt, lägen teilweise nur auf Papier vor oder als inaktives PDF. Außerdem müssen die Daten laut Schiefelbein sicher in die IT-Landschaft eingebunden werden.

Die Welt der AVT und Löttechnik

Der zweite Teil widmete sich sowohl den künftigen Anforderungen der Aufbau- und Verbindungstechnik, aber auch, welche Technologien in den 20 Jahren, in denen Hans Bell bei Rehm aktiv war, aus der Taufe gehoben und vorangetrieben wurden. Den Auftakt bildete Prof. Dr. Dr. Klaus-Dieter Lang, Institutsleiter des Fraunhofer IZM mit seinem Vortrag „System in Package – Hochwertige Aufbautechnologie auf allen Integrationsebenen“. In nahezu allen Bereichen unserer heutigen Welt vollzieht sich derzeit der Prozess der Digitalisierung. Was bei diesen Anwendungen oft stillschweigend vorausgesetzt wird, ist die optimierte Bereitstellung von miniaturisierten, multifunktionellen und autark hinsichtlich Energiebedarf, Vernetzungsfähigkeit und Betriebsdauer operierenden Elektroniksystemen um Daten aufzunehmen, zu verarbeiten und zu übertragen und auf die von ihnen gesteuerten Systeme und Kommunikationsnetzwerke einzuwirken. Das Fraunhofer IZM hat mit Industriepartnern die Systemintegration konsequent vorangetrieben. Die Miniaturisierung und viel höhere Leistungsfähigkeit wurden entscheidend durch die Einführung des Wafer Level Packagings (WLP) ermöglicht. Diese 18 Zoll x 24 Zoll großen Panels reduzieren die Fertigungskosten gegenüber den Wafern mit 300 mm Durchmesser um 30 Prozent. „Die Wertschöpfungskette in der Systemintegration auf muss auf ein neues Niveau gehoben werden, um ‚System-on-a-Chip‘ und ‚System-in-Package‘ Lösungen auf Wafer- und Substratebene umzusetzen“, bekräftigt Prof. Lang. Daher wurde ein zweites Konsortium ins Leben gerufen: Daher ist im PLC-2.0-Konsortium das Ziel, eine Verdrahtungsdichte bis zu 2 μm Linienbreite und 2 μm Abstand zu realisieren. Dabei soll auch eine möglichst hohe Systemzuverlässigkeit erreicht werden.

Über die „Technischen Herausforderungen der letzten 20 Jahre in der Elektronikfertigung“ referierte Christoph Hippin, TPP (Prozesstechnology) von Endress+Hauser. Er stellte die gemeinsam mit Rehm und aktiver Mitarbeit von Hans Bell gemeisterten Herausforderungen vor. Insbesondere die Technologie der Back-Side-Reflow (BSR) von THTs wurde gemeinsam im engen Schulterschluss entwickelt und mündete schließlich in der Reflow-Lötanlage VPX von Rehm. „Wir dachten damals, dass ich der THT-Anteil in elektronischen Baugruppen signifikant reduzieren würde und suchten deshalb nach Lösungen, um den separaten THT-Prozessschritt möglichst im allgemeinen Lötprozess zu integrieren“, erinnert sich Christoph Hippin. Weitere Herausforderungen wie die zuverlässige Verarbeitung von Bauformen wie QFN/DFN oder die lungengängigen SOTs und SODs wurden ebenfalls gemeinsam bestritten.

Prof. Dr. Mathias Nowottnick, Dekan der Universität Rostock, stellte die „Vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Bismut-Loten“ vor. Wismut ist ein chemisches Element mit dem Elementsymbol Bi und der Ordnungszahl 83. Seine Eigenschaften machen ihn besonders für niedrigschmelzende bleifreie Lote attraktiv. Eines der Merkmale ist, dass sich Wismut beim Erkalten ausdehnt und dabei spröde und kristallin wird. Die einzigartig geformten Kristalle gibt das Metall vor und die Farben entstehen in Verbindung mit Sauerstoff. Prof. Nowottnick ließ es sich nicht nehmen, ein selbst im Labor „gezüchtetes“ Kristall mit bunten Anlauffarben zu überreichen.

Während Helmut Öttl, Leiter Prozessentwicklung/Applikation von Rehm, in seinem Vortrag „Das richtige Lötverfahren – Möglichkeiten & Auswahlkriterien“ die Brücke von seinen Anfängen mit Hans Bell über die Entwicklungen in der Löttechnik und den aktuellen Lotanlagen berichtete, konzentrierte sich Dr. Paul Wild von Rehm auf die Vorstellung der „Aktuellen Anforderungen an thermische Prozesse – Ziele und Strategien“.

20 Jahre im Schnelldurchgang

Das Schlusswort hatte Dr. Hans Bell, der in seinem Vortrag „Konsequenzen der fortlaufenden Miniaturisierung – Beispiele aus der Praxis“ interessante Bezugspunkte zwischen seinem Leben nebst Abenteuern, der elektronischen Baugruppenfertigung und der jüngsten deutschen Geschichte zog. Wie sonst ließe sich erklären, dass die Miniaturisierung nicht nur SODs ihre Ausprägung findet, sondern auch die Berliner Mauer, die zu wenigen Metern als Anschauungsbeispiel geschrumpft ist?

In seiner gesamten beruflichen Laufbahn habe er nur vier Arbeitgeber gehabt, bekundete Bell, zwei zu DDR-Zeiten und mit DeTeWe und Rehm Thermal Systems auch zwei im heutigen wiedervereinten Deutschland. Bei Rehm ging er im Jahr 1999 an den Start und forcierte hier bedeutsame Neu- und Weiterentwicklungen der Lötanlagenflotte von Rehm.

Sein fundiertes Wissen rund um die elektronische Baugruppenfertigung und im speziellen der hierzu erforderliche Löttechnik und der damit verbundenen Metallurgie gab er mittels Vorträgen auf zahlreichen Technologietagungen und Konferenzen genauso wie in Forschungsgremien und Arbeitskreisen preis. Kultstatus erreichte er als launiger Moderator mit Köpfchen und Berliner Schnauze des jährlich auf Mallorca stattfindenden Branchentreffs EE-Kolleg.

Zum Ende der Technologietagung gab es von seinen Kollegen ein besonderes Geschenk, das von Joachim Erhard, Chief Administrative Officer & Chief Human Ressource Officer von Rehm Thermal Systems, überreicht wurde: Ein auf einem Panel aufgebrachtes Schliffbild, das den „Pinocchio-Effekt“ in einem LGA zeigt – ein von ihm kreierter Begriff für die durch ein Void hervorgerufene Lotpastenausbuchtung. Die Productronic-Redaktion bedankte sich für die langjährige Zusammenarbeit mit einer Ehrenurkunde.

Marisa Robles

Chefredatkeurin Productronic

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

Rehm Thermal Systems GmbH

Leinenstraße 7
89143 Blaubeuren
Germany