Der Prozess steht: Virtuelle Produktentwicklung eines Schaltschranks in 3D und dessen automatische Fertigung.

Der Prozess steht: Virtuelle Produktentwicklung eines Schaltschranks in 3D und dessen automatische Fertigung. (Bild: Rittal)

Das Wesentliche in 20 Sek.

  • Schaltschränke in Losgröße 1 werden hochautomatisiert gefertigt
  • Vollständige Daten sind essenziell für
    eine automatisierte Schaltschrankfertigung
  • Cl@ss und AutomationML sorgen für eine durchgängige Prozesskette bis zu den Maschinen
  • Schaltschrankbau 4.0 ist bei W. Althaus AG weitgehend Realität

Mehr denn je müssen Hersteller die Flexibilität und Produktivität ihrer Fertigungsanlagen steigern. Gleichzeitig sollen Energie und Ressourcen eingespart werden. Diese Anforderungen haben sowohl Auswirkungen auf die Gestaltung der Produktionssysteme als auch auf die Produktentwicklung. Wesentliches Ziel ist die Herstellung einer größeren Variantenvielfalt selbst in Losgröße 1, ohne umfangreiche Umbauten oder Änderungen am eigentlichen Fertigungsprozess. Die Voraussetzung dafür bilden effizientere Entwicklungs-, Produktions- und Geschäftsprozesse, die Zulieferer und Kunden in die Lage versetzen, sich besser in die immer komplexeren Wertschöpfungsnetzwerke zu integrieren. Dazu müssen bewährte Fertigungsabläufe, Konzepte und Denkweisen kritisch hinterfragt und neu aufgesetzt werden. Denn künftige Produkt­entstehungs-Prozesse benötigen durchgängig nutzbare digitale Artikeldaten und -beschreibungen sowie durchgängig vernetzte Engineering-Tools. Mehr noch: Die Engineering-Werkzeuge müssen mit den anderen Software-Lösungen entlang des Produktentstehungsprozesses – wie ERP-,­ PDM- und PLM-Systeme – gekoppelt und in die IT-Infrastruktur der Unternehmen eingebunden sein. Nur so entstehen ganzheitliche digitale Produktdatenmodelle, die über dessen Lebenszyklus nutzbar sind.

Standardisierte Datenformate und Schnittstellen

Hier setzt das Technologie-Netzwerk ‚Smart Engineering and Production‘ von Rittal, Eplan und Phoenix Contact an. Die Unternehmen haben es sich zur Aufgabe gemacht, den notwendigen Standardisierungsgrad von Daten, Schnittstellen, Software-Lösungen, Produkten und Systemlösungen sowie Fertigungssystemen voranzutreiben. Da es derzeit keine einheitlichen Standards für alle nachgelagerten Systeme gibt, müssen Komponentenhersteller ihre Produktdaten nach wie vor in unterschiedlichen Formaten für die diversen Engineering-Tools vorhalten. Wirtschaftlicher wäre es, generell standardisierte Datenformate und Schnittstellen wie ‚eCl@ss‘ sowie darauf aufbauende Schnittstellen nutzen zu können.

Mit der Engineering-Plattform von Eplan werden diese standardisierten digitalen Artikelbeschreibungen übernommen, mit entsprechenden Zusatzmerkmalen erweitert und dann über das Eplan-Data-Portal system- und prozesskompatibel für die nachfolgenden Engineeringprozesse bereitgestellt. Komponentenhersteller wie Rittal und Phoenix Contact stellen solche Artikelbeschreibungen bereits zur Verfügung. Diese umfassen nicht nur die für Kataloge und Datenblätter üblichen Informationen. Sie umfassen ebenso Artikelmerkmale, die nachfolgende Prozesse in der Fertigung wesentlich unterstützen und den Automatisierungsgrad erhöhen.

Virtueller Prototyp als Basis

Eine ganzheitliche Beschreibung des Endprodukts erfordert jedoch mehr als eine Auflistung der einzelnen Produktmerkmale. Darüber hinaus müssen Zusammenhänge zwischen den verwendeten Komponenten definiert werden:

  • Wie ist der Schaltschrank mechanisch aufgebaut?
  • Wie sind die Komponenten untereinander verdrahtet?
  • Wird ein Feldbussystem genutzt und wie ist es konfiguriert?

Zwar sind die Daten und Zusammenhänge bereits im Eplan-Datenmodell beschrieben. Jedoch wird zudem eine geeignete Beschreibung der Daten für die dem Engineering nachgelagerten Prozesse wie Fertigung, Montage, Test oder Inbetriebnahme benötigt. Dafür bedarf es einer weiteren Beschreibungssprache, deren Fokus auf der Darstellung von Zusammenhängen im Maschinen- und Anlagenbau liegt, beispielsweise AutomationML.
Beide Standards lassen sich auf verschiedene Arten verknüpfen. Beispielsweise kann eCl@ss-XML in eine sogenannte Rollenklassen-Bibliothek von AutomationML überführt werden. Dies stellt sicher, dass es in der gesamten Prozesskette ein gemeinsames Verständnis gibt, welche Art von Komponenten verbaut wurden. Somit kann der im Engineering geschaffene virtuelle Prototyp als Daten- und Informationsbasis der Fertigung dienen.
Die Automationssysteme der Maschinen erhalten über dedizierte Schnittstellen vom Engineering-System die erforderlichen Informationen aus dem virtuellen Prototyp. Bei einer Anlage zur mechanischen Bearbeitung von Montageplatten und Flachteilen sind das beispielsweise die Flächenmaße der Bauteile sowie die Koordinaten und Geometrien der Bohr- und Befestigungslöcher oder Fräsungen.

Unterstützung manueller Tätigkeiten

Um Gehäuse und Baugruppen wie Schaltschranktüren, Seitenteile und Montageplatten zu bearbeiten, kommen unter anderem Perforex-Bearbeitungszentren von Rittal zum Einsatz.

Um Gehäuse und Baugruppen wie Schaltschranktüren, Seitenteile und Montageplatten zu bearbeiten, kommen unter anderem Perforex-Bearbeitungszentren von Rittal zum Einsatz. Rittal

Mithilfe der digitalen Produktbeschreibung lassen sich auch manuelle Prozessschritte unterstützen, die es im Steuerungs- und Schaltanlagenbau weiterhin geben wird. Auch rein händische Arbeitsschritte profitieren also von den Informationen aus dem virtuellen Prototyp, etwa in Visualisierungs-Tools an Handarbeitsplätzen zur Unterstützung des Elektrikers bei der Verdrahtung von Komponenten im Schaltschrank.

Mit standardisierten Methoden gelingt es beispielsweise der Schweizer W. Althaus AG international wettbewerbsfähig zu bleiben – trotz hoher Lohnkosten. Der Steuerungs- und Schaltanlagenbauer hat sämtliche Prozesse – vom Hardware-Engineering und der Elektroplanung über die Fertigung bis hin zur Prüfung – soweit wie möglich automatisiert. Zum Einsatz kommen dabei Schaltschrank-Systemtechnik und Automatisierungstechnik von Rittal sowie Engineering-Tools von Eplan.

Bei Althaus werden viele Projekte umgesetzt, die alle in individuell entwickelte Steuerungs- und Schaltanlagen münden. Um die Optimierungspotenziale im Steuerungsbau zu erschließen, wurden innerhalb des Unternehmens alle Prozesse unter die Lupe genommen. Das Hardware-Engineering entwickelt zunächst die Lösung. Grundlage der Elektroplanung ist Eplan Electric P8. Im Anschluss daran erstellen die Ingenieure einen virtuellen Schaltschrank-Prototyp in Eplan Pro Panel. Dessen Qualität hängt vor allem davon ab, dass für alle eingesetzten Komponenten die entsprechenden Daten vorliegen. Diese müssen neben den mechanischen Abmessungen auch Details zu den elektrischen Anschlüssen enthalten. Außerdem sind die kaufmännischen Daten wie Artikel- und Bestellnummern wichtig. Auch diese Informationen laden sich die Techniker aus dem Eplan Data Portal in ihre lokale Eplan Datenbank. Weitere, für den Gesamtprozess wichtige Informationen, zum Beispiel Montagezeiten oder Preise, werden über eine Schnittstelle zum ERP-System beigesteuert. Über die Eplan-Tools und deren ERP-Anbindung steuert der Schaltanlagenbauer praktisch alle Prozesse innerhalb des Unternehmens. Deswegen ist es besonders wichtig, dass die Daten möglichst komplett vorliegen, wie dies zum Beispiel bei den Systemkomponenten von Rittal der Fall ist.

Automatischer Schaltschrankbau steht und fällt mit der Datentiefe

Bereits heute lassen sich Montageplatten mit dem Averex-Verdrahtungsroboter vollautomatisch verdrahten.

Bereits heute lassen sich Montageplatten mit dem Averex-Verdrahtungsroboter vollautomatisch verdrahten. Rittal

Bei Komponenten von Herstellern, deren Daten unvollständig sind, muss das Unternehmen einen großen Aufwand betreiben, um die eigene Datenbank komplett und aktuell zu halten. Letztendlich steht und fällt die ganze Automatisierung bei W. Althaus mit der Qualität dieser Komponentendaten. Grundvoraussetzung ist, dass die bei der Elektroplanung und der Prototypen-Erstellung erzeugten Daten durchgängig weiterverwendet werden können. Nur so lassen sich die nachfolgenden Prozesse mit der notwendigen Effizienz steuern.
Beispielsweise wird aus Pro Panel heraus das Routing für die Kabelkonfektionierung durchgeführt. Die entsprechenden Maschinen erhalten auf Basis der Daten aus der Elektroplanung und dem virtuellen Prototypen ihre Arbeitsanweisungen, konkret: Kabeltyp auswählen und ablängen, beschriften, abisolieren und je nach Anschlusstechnik zum Beispiel mit Aderendhülsen versehen und final bündeln. Fast alle Leitungen eines Auftrags lassen sich so auftragsbezogen fertig konfektioniert und für die manuellen Arbeitsschritte beschriftet der eigentlichen Verdrahtung und Verkabelung bereitstellen.

Längst ist auch die mechanische Bearbeitung des Schaltschranks automatisiert: Schaltschranktüren, Seitenteile und Montageplatten, aber auch komplette Gehäuse werden unter anderem mit dem Bearbeitungszentrum Perforex mit Löchern, Gewindebohrungen und Ausbrüchen automatisiert versehen, egal ob die Teile aus Stahl, Edelstahl, Aluminium, Kupfer oder Kunststoff bestehen. Auch diese Maschinen erhalten ihre Informationen direkt aus Pro Panel.

Klemmen automatisiert bestücken

Der Bestückungsautomat Athex kann je nach Ausstattung bis zu 6 000 Klemmen aufnehmen und diese automatisiert auf Hutschienen montieren.

Der Bestückungsautomat Athex kann je nach Ausstattung bis zu 6 000 Klemmen aufnehmen und diese automatisiert auf Hutschienen montieren. Rittal

Neben Kabelkonfektionierung und mechanischer Bearbeitung ist das Montieren von Klemmen auf Hutschienen ein weiterer arbeitsintensiver Fertigungsschritt. Auch diesen Prozess hat W. Althaus modernisiert, zumal das Setzen und Aufschnappen der Klemmen einen sehr zeitintensiven Prozess darstellt. Daher entstand die Idee, die Bestückung von Hutschienen ebenfalls zu automatisieren – mit dem Klemmenbestückungsautomaten ‚Athex‘. Zentrale Komponente dieser Maschine ist ein Bestückungsarm, der die passende Klemme aus einem Magazin entnimmt und sie an der richtigen Stelle auf die Hutschiene aufrastet. Je nach Ausstattung kann der Bestückungsautomat bis zu 6 000 Klemmen aufnehmen. Auch die Beschriftung übernimmt die Maschine. Eine Ergänzung für den Bestückungsautomaten ist die Zuschnittvorrichtung ‚Cutex‘. Diese schneidet die Hutschienen automatisiert auf die richtige Länge zu und beschriftet sie. Werden mehrere Aufträge parallel abgearbeitet, erfolgt eine Zuschnittsoptimierung, die den Verschnitt deutlich reduziert. Auch hier wird mit den Planungsdaten aus Pro Panel gearbeitet. Der Einsatz reduziert die manuellen Arbeitsschritte und führt zu einer deutlichen Produktivitätssteigerung. Stets auf die neuesten Entwicklungen setzend, um die Effizienz weiter voranzubringen, wird derzeit der Verdrahtungsroboter ‚Averex‘ von Rittal bei Althaus in die Schaltschrankfertigung integriert.

Jan-Henry Schall

ist Teamleader Wertschöpfungskette bei der Rittal GmbH & Co. KG in Herborn.

(sk)

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

Rittal GmbH & Co.KG

Auf dem Stützelberg2
35745 Herborn
Germany