1_Kreislauf

Bild 1: Optimierungsprozess. (Bild: Amitronics)

1_Kreislauf

Bild 1: Optimierungsprozess. Amitronics

Vibrationen sind neben Temperaturlasten eine der Hauptursachen für den Ausfall von Elektronik. Beispielsweise werden in einer älteren Studie des US Air Force Avionics Integrity Program die Schadensursachen an Bordelektronik auf 55 Prozent Temperatur, 20 Prozent Vibrationen, 19 Prozent Feuchtigkeit und 6 Prozent Verschmutzung beziffert. Dabei lässt sich schwingungsbedingtes Bauteilversagen leicht vermeiden, insbesondere dann, wenn experimentelle und simulative Analyse- und Optimierungsmethoden früh in den Entwicklungsprozess integriert werden. Aber wie? Der gesamte Prozess der Schwingungsoptimierung ist in Bild 1 aufgezeigt. Welche Methoden dabei zum Einsatz kommen, wird im Folgenden beschrieben – am Beispiel eines Mikrocontroller-Boards.

Schwingprüfung und Schocktests

2_Messaufbau und Messgitter

Bild 2: Messaufbau mit Shaker und Vibrometrie (links) sowie das definierte, virtuelle Messgitter (rechts). Amitronics

Die Beständigkeit von Elektronik gegenüber Stößen und Vibrationen sowie Aussagen über die Lebensdauer werden üblicherweise durch Schwingprüfungen und Schocktests ermittelt. Eingangsgrößen sind Prüfspektren und -vorschriften nach den jeweiligen Normen oder Prüfspektren auf Basis von Mission Profiles. Die Prüfung kann jedoch aufgrund der späten Durchführung im Schadensfall kosten- und zeitintensive Iterationsschleifen im Entwicklungsprozess nach sich ziehen. Dies lässt sich vermeiden, indem vorab Schwachstellenanalysen an den virtuellen und physischen Prototypen durchgeführt und Maßnahmen zur Optimierung abgeleitet werden.

Modalanalyse

Mithilfe der Modalanalyse lassen sich Bauteile in Bezug auf ihre strukturdynamischen Eigenschaften, den modalen Parametern – Eigenfrequenzen, Schwingformen (Moden) und Dämpfungen, beschreiben. Experimentell erfolgt die Modalanalyse, indem die Baugruppe an den Anbindungsstellen synthetisch durch einen Shaker angeregt wird und die Schwingungsantworten an definierten Punkten erfasst werden. Aus den gemessenen Übertragungsfunktionen zwischen Anregung und Antwort können durch Transformation die modalen Parameter extrahiert werden.

PowerPoint-Präsentation

Bild 3: Ergebnisse der Modalanalyse als Summenfunktion und Darstellung der Moden dominanter Eigenfrequenzen. Amitronics

Je nach Struktur und gewünschtem Frequenzbereich kommen unterschiedliche Messverfahren zum Einsatz. Im Bereich der Elektronik eignet sich die Laser-Scanning-Vibrometrie. Diese ermöglicht hochauflösende und berührungslose Schwingungsmessungen von flächigen Bauteilen mit Schwingungsamplituden im Nanometerbereich und Frequenzen bis etwa 1 MHz.

Im Falle des Mikrocontrollers wurde die Platine über die vorgesehenen Befestigungspunkte auf dem Shaker montiert und die Schwingungen mithilfe eines Scanning-Vibrometers erfasst (Bild 2). Die Ergebnisse der Modalanalyse sind in Bild 3 in Form einer Summenfunktion aller gemessenen Übertragungsfunktionen und den relevanten Moden dargestellt.

Analyse der Betriebslasten

Das Wissen über die realen Betriebslasten ist essenziell für eine zielgerichtete Optimierung. Hierbei müssen insbesondere die größten dynamischen Belastungen sowie die Anregungscharakteristik hinterfragt werden: Handelt es sich primär um harmonische Anregungen mit definierten, dominierenden Frequenzen, um stochastische Anregungen oder um stoßartige, transiente Vorgänge (Bild 4), und wie hoch sind die maximalen Beschleunigungsamplituden?

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Bild 4: Charakteristik harmonischer, stochastischer, transienter Anregungen im Zeit- und Frequenzbereich. Amitronics

Die im Betrieb auftretenden Schwingungen entsprechen der Überlagerung aus den vorerst unbekannten Anregungsspektren und den aus der Modalanalyse gewonnenen Übertragungsfunktionen. Für linear skalierte Spektren, wie in Bild 5 dargestellt, erfolgt die Berechnung durch einfache Multiplikation.

Alternativ ist auch die Messung der Betriebsschwingungen in situ unter realen Betriebslasten möglich. Zwar lassen sich so einfach und unmittelbar die realen Strukturschwingungen messen, jedoch nur jene, die auch angeregt werden; Moden, die nicht detektiert werden, können später aufgrund von Modifikationen der Struktur (Eigenfrequenzverschiebungen) oder veränderten Betriebsbedingungen relevant und problematisch werden. Folglich sollten für eine nachhaltige und robuste Schwingungsoptimierung die Mechanismen der Anregung sowie die des dynamischen Bauteilverhaltens getrennt betrachtet werden.

Simulation und Modellabgleich

PowerPoint-Präsentation

Bild 5: Berechnung des Betriebsschwingungsspektrums aus Anregungsspektrum und Übertragungsfunktion. Amitronics

Die Simulation erlaubt die schnelle Umsetzung und Bewertungen von Optimierungsmaßnahmen an virtuellen Prototypen und ist damit ein wesentlicher Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung schwingungsbeständiger Hardware. Ausgangspunkt ist ein Simulationsmodell, das alle relevanten dynamischen Eigenschaften der Elektronikbaugruppe abbildet – bestehend aus der Geometrie, den Materialdaten sowie den Kontaktbedingungen zwischen den Komponenten. Die Geometrie wird über ein CAD-Modell definiert oder kann, falls nicht vorhanden, mittels 3D-Oberflächen-Scans und Reverse Engineering erzeugt werden (Bild 6).

Modellabgleich

Alle Eingangsdaten sind mit Unsicherheiten behaftet, weswegen die experimentelle Validierung des Modells erforderlich ist, spätestens dann, wenn die ersten physischen Prototypen existieren. Hierzu werden die modalen Parameter aus der experimentellen und simulativen Modalanalyse verglichen und die Modellparameter so angepasst, dass Fehler minimiert werden.

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Bild 6: Schritte der FE-Modellierung über CAD und gegebenenfalls Scandaten. Amitronics

Zum quantitativen Vergleich der Schwingformen eignet sich das Modal Assurance Criterion (MAC). Damit können die Schwingformen aus Experiment und Simulation zugeordnet, wie in Bild 7 dargestellt, und die entsprechenden Eigenfrequenzen (und Dämpfungen) verglichen werden. Diese Abweichungen werden im Rahmen des Modellabgleichs minimiert.

Simulation in der Vorentwicklung

Große Potenziale birgt die Schwingungsoptimierung bei früher Integration in den Entwicklungsprozess, da konzeptionelle Maßnahmen mit großer Wirksamkeit noch einfach und wirtschaftlich umsetzbar sind. Doch in der Vorentwicklung besteht oftmals das Problem, dass noch keine Prototypen für experimentelle Analysen verfügbar sind. Zudem besteht die Sorge, dass bei Entwurfsänderungen des Layouts der Optimierungsprozess erneut durchlaufen werden muss. Das trifft nur bedingt zu, denn bereits durch stark vereinfachte Modelle lassen sich die globalen Schwingungseigenschaften gut approximieren und damit Schwachstellen detektieren. Grund dafür ist, dass die dynamischen Struktureigenschaften durch die Massen- und Steifigkeitsverteilung bestimmt werden und folglich kleine Bauteile mit geringer Masse nur wenig Einfluss auf die globalen Schwingungsamplituden haben. Relevant sind jene Komponenten, die eine große Masse besitzen und/oder versteifend wirken. Diese vereinfachten Modelle lassen sich schnell erstellen, ändern und parallel zur Elektronikentwicklung mitführen und mit zunehmendem Entwicklungsfortschritt ausdetaillieren und validieren.

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Bild 7: MAC-Vergleich der Moden aus experimenteller und simulativer Modalanalyse. Amitronics

Im Falle des gewählten Beispiels konnte ein Modell mit sehr guter Übereinstimmung nur durch wenige Komponenten realisiert werden: Der Platine als Schalenkörper, der USB- und DC-Buchse als Punktmasse sowie den Ports und dem Mikrocontroller samt Socket als quaderförmige Volumenkörper (Bild 8 und Bild 9).

Simulation

Das validierte dynamische Modell ermöglicht eine Vielzahl von simulationsbasierten Analysen und Auswertungen. So können virtuelle Schwingprüfungen und Schocktests der Elektronik nach gewünschter Spezifikation durchgeführt und damit potenzielle Schwachstellen noch vor der realen Prüfung identifiziert und behoben werden. Je nach Charakteristik der Betriebslasten kann zwischen Modalanalysen, harmonischen Analysen (harmonische, periodische Anregungen), PSD-Analysen (statistische Anregungsspektren) und transienten (stoßartige Lasten) Analysen unterschieden werden.

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Bild 8: Vereinfachtes FE-Modell zur Abschätzung der strukturdynamischen Eigenschaften in der Vorentwicklung. Amitronics

Neben Schwingungsamplituden und -beschleunigungen, können auch Dehnungen, Spannungen und – falls im Materialmodell definiert – Schädigungen der gesamten Baugruppe ausgewertet werden. Im Simulationsmodell können selbst die kleinsten, messtechnisch nur schwer erfassbaren, Komponenten detailliert modelliert werden, um die Materialbeanspruchung, zum Beispiel von Lötverbindungen, unter realen Lasten zu berechnen (Bild 10).

Schwachstellenanalyse und Optimierung

Ausgehend von den Ergebnissen aus Experiment und Simulation können Schwachstellen identifiziert und Optimierungsmaßnahmen abgeleitet werden. Viele Schwachstellen lassen sich auf Lagerungskonzepte und ungünstige Massenverteilungen zurückführen, beispielsweise durch:

·         Relativbewegungen von Substrukturen,

·         Platzierung von Massen (zum Beispiel größere Kondensatoren) in Bereichen hoher Schwingungsamplituden,

·         flächige Komponenten in Bereichen großer Dehnungen (mechanische Ermüdung der Lötverbindungen),

·         ungünstige Wahl der Lagerpositionen,

·         starre Ankopplung an eine Erregerquelle.

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Bild 9: Schwingformen des kompletten (oben) und vereinfachten Modells (unten) der ersten drei Moden. Amitronics

Abhängig von der Anregungsart können unterschiedliche Optimierungsstrategien verfolgt werden. Im Gegensatz zu stochastischen und transienten Anregungen ist das harmonische Anregungsspektrum durch diskrete, schmale Frequenzbänder gekennzeichnet. Werden die Eigenfrequenzen der Struktur so abgestimmt, dass diese in Frequenzbereiche mit geringer Anregungsamplitude fallen, können Schwingungsminderungen erzielt werden und damit eine geringe Schwingungsbelastung der Baugruppe. Diese Art der Abstimmung ist für stochastische und transiente Anregungen nicht möglich, da diese im Frequenzbereich breitbandig wirken. Die weiteren möglichen Maßnahmen können grob in folgende Kategorien unterteilt werden:

·         Impedanzsprünge: Schwingungsenergie wird durch Steifigkeitssprünge (zum Beispiel durch elastische Lagerungen) reflektiert und somit der Energieeintrag in die Struktur reduziert.

·         Optimierung der Lagerung und Ankopplung: Position und Gestaltung der Lagerung hat einen großen Einfluss auf die Gesamtdynamik (Bild 11).

·         Optimierung von Massen- und Steifigkeitsverteilungen, zum Beispiel wie in Bild 12 durch Versteifung der Platine.

·         Erhöhung der Dämpfung, zum Beispiel durch Wahl anderer Platinenmaterialien.

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Bild 10: Vergleichsdehnungen ausgewählter SMD-Bauteile und Lötverbindungen. Amitronics

Die Wahl der Optimierungsmaßnahmen hängt allerdings stark von den jeweiligen Struktureigenschaften sowie den Einsatzbedingungen ab. Daher ist es schwierig, pauschale Empfehlungen zu geben.

ECK-DATEN

Als Entwicklungsdienstleister in den Bereichen Strukturdynamik und technische Akustik unterstützt Amitronics gerne bei allen Herausforderungen der schwingungstechnischen Analysen, Schwingprüfungen und Schocktests, Schwachstellenidentifikationen und Bauteiloptimierungen.

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Bild 11: Summenspektrum für unterschiedliche Kombinationen von starren und elastischen Lagerungselementen (Platinenhalter). Amitronics

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Bild 12: Mögliche Optimierung durch Steifigkeitserhöhungen – hier durch ein durchgängiges Portdesign. Amitronics

Lukas Berbuer

Projektingenieur bei Amitronics

Dominik Felsl

Projektingenieur bei Amitronics

Dr. Norbert Rümmler

Dr. Norbert Rümmler, Geschäftsführender Gesellschafter der Amitronics

(jj)

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