Mit dem Cube genanten Entwicklungsträger entwickelt Continental Technologien für fahrerlose Fahrzeuge und testet diese bereits am Standort Frankfurt/Main.

Mit dem Cube genanten Entwicklungsträger entwickelt Continental Technologien für fahrerlose Fahrzeuge und testet diese bereits am Standort Frankfurt/Main. (Bild: Continental)

Auf der IAA wird Continental unter anderem erstmals seine neue Kamera-Plattform MFC 500 (Multi Function Camera) vorstellen, die als Baukasten maßgeschneiderte Kamera-Lösungen ermöglicht, deren Bildauflösung von 1 bis 8 Megapixel reicht, während der Öffnungswinkel auf bis zu 125 Grad deutlich erhöht wurde, um querende Objekte im Straßenverkehr noch früher erkennen zu können. „Die entscheidenden Merkmale der MFC 500 sind Modularität, Skalierbarkeit und Vernetzung“, erklärt Karl Haupt, Leiter des Geschäftsbereichs Fahrerassistenzsysteme und Mitglied des Management Boards der Continental Division Chassis & Safety. „Unser modularer Baukasten besteht hierbei aus der intelligenten MFC-500-Kamera, verschiedenen Satellitenkameras sowie einem Zentralrechner für das assistierte oder automatisierte Fahren (Assisted & Automated Driving Control Unit, ADCU), die sich je nach Kundenwunsch kombinieren lassen.“ Umfelderkennung und Fahrfunktionen sind wahlweise in der Kamera, genauso gut aber auch in einem separaten Steuergerät (ADCU) beheimatet, denn der modulare Ansatz unterstützt beide Möglichkeiten – und zwar mit 50 Updates/s. Ferner lässt sich die skalierbare Software direkt an die gegebenen Rahmenbedingen im Fahrzeug wie beispielsweise Infrastruktur und Rechenleistung anpassen.

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m Rahmen der komplexen Umfelderkennung kommen bei der MFC 500 neben den klassischen Computer-Vision-Verfahren auch neuronale Netze zum Einsatz, die sich entsprechend der zur Verfügung stehenden Hardware skalieren lassen. Neuronale Netze bestehen aus mathematischen Einheiten, die lernen und komplexe Funktionen verarbeiten sowie ausführen können.

Darüber hinaus ist die Kamera vernetzt mit der Umwelt, denn durch Anbindung an den elektronischen Horizont (E-Horizon) und die Road-Database besteht die Möglichkeit,  Straßeninformationen und Landmarken an die zu übertragen und von dort zu empfangen werden. Per OTA-Update (over the air) lassen sich die Funktionalitäten dann stets auf dem aktuellsten Stand halten.

Reinigungssystem für Kameras

Das Reinigungssystem entfernt bei Bedarf automatisch Verschmutzungen auf der Kameralinse mithilfe eines Wasserstrahls.

Das Reinigungssystem entfernt bei Bedarf automatisch Verschmutzungen auf der Kameralinse mithilfe eines Wasserstrahls. Continental

Damit die Kamera auch verlässliche Daten für das automatisierte Fahren liefert, hat Continental ein Reinigungssystem für Fischaugenkameras entwickelt, das Verschmutzungen auf der Kameralinse durch einen Wasserstrahl entfernt. Während sich Night-Vision-Reinigungslösungen bereits in der Serienproduktion befinden, werden ‚Surround View‘ Kamerareinigungssysteme ab 2019 in Fahrzeugen verfügbar sein, bei denen ein Wasserstrahl die Kameralinse reinigt. Das Reinigungswasser gelangt dabei über ein Schlauchsystem vom Wasserbehälter zu einer Düse, die direkt an der Kameralinse sitzt. Der Wasserstrahl, der mit einem vom wählbaren Wasserdruck von 2 bis 4,5 bar austritt, läuft dann entlang der gewölbten Oberfläche der Linse und entfernt den Schmutz Continental zufolge „vollständig“ – Dank Frostschutzmaßnahmen auch im Winter.

Cruising Chauffeur für die hochautomatisierte Autobahnfahrt

Eine bei Continental Cruising-Chauffeur genannte Funktion gibt den Fahrzeugen die Fähigkeit, auf Autobahnen die Fahraufgabe entsprechend den nationalen Verkehrsregeln komplett zu übernehmen. Dabei gehört es zum Zusammenwirken zwischen Mensch und Fahrzeug, dass der Fahrer am Ende der Autobahnstrecke die Fahraufgabe wieder übernimmt. Diese Übergabe leitet eine spezielle Mensch-Maschine-Schnittstelle ein, die sich gerade in Erprobung befindet. Falls der Fahrer allerdings nicht auf diese Übernahmeaufforderung reagieren sollte, etwa aus gesundheitlichen Gründen, ist das Fahrzeug in der Lage, automatisiert sicher anzuhalten. Hierfür sorgt das sogenannte Minimum Risk Maneuver. Das Fahrzeug erkennt dabei, wo Platz für einen sicheren Stopp ist und steuert diese Stelle selbsttätig an. „Diese Funktion wird bei der Serienreife im Jahr 2020 Teil des Cruising Chauffeurs sein“, konstatiert Ralph Lauxmann, Leiter Systems & Technology in der Continental Division Chassis & Safety. „Erstens vermeidet die Automation im Regelbetrieb menschliche Fahrfehler und bietet gleichzeitig Fahrkomfort. Zweitens beinhaltet der Cruising Chauffeur eine zusätzliche Rückfallebene, die konventionelle Fahrzeuge nicht haben. Wenn der Fahrer aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr in der Lage sein sollte, das Steuer wieder selbst zu übernehmen, bringt der Cruising Chauffeur das Auto trotzdem sicher zum Stehen.“

Die Trained-Parking-Funktion zeichnet den Verlauf eines Parkvorgangs auf, speichert diesen ab und wiederholt die Prozedur bei Bedarf.

Die Trained-Parking-Funktion zeichnet den Verlauf eines Parkvorgangs auf, speichert diesen ab und wiederholt die Prozedur bei Bedarf. Continental

Auch wenn Autofahrer es nicht gerne hören, ist und bleibt der Mensch bekanntlich das größte Unfallrisiko im Straßenverkehr, denn sein Verhalten ist ursächlich an rund 90 Prozent aller Unfälle beteiligt. Ist der Cruising Chauffeur aktiviert, wertet ein zentrales Steuergerät, die Assisted & Automated Driving Control Unit (ADCU), die Daten der Umfeldsensoren wie Kamera, Radar und Lidar aus. Die Algorithmen des Cruising Chauffeur entwickeln daraus ein 360-Grad-Umfeldmodell des Fahrzeugs. In Kombination mit einer hochauflösenden Karte enthält es alle bewegten und statischen Objekte sowie den Fahrbahnverlauf und die Fahrstreifen, wobei die permanent die Eigenposition des Fahrzeugs in diesem Modell ermittelt. Damit können die Algorithmen für das Fahrzeug innerhalb der Verkehrsregeln sicher nutzbare Bereiche erkennen und diese im Rahmen der Fahraufgabe ansteuern. Der Cruising Chauffeur kann so automatisiert die Spur wechseln und auch überholen.

Interaktionskonzept mit künstlicher Empathie

Kommt das Ende des Autobahnabschnitts näher, so wird der Fahrer je nach Situation rechtzeitig zur Übernahme der Fahraufgabe aufgefordert. Damit das Fahrzeug erkennen kann, ob ein Fahrer anwesend ist und ob dieser bereit ist, die Fahraufgabe zu übernehmen, nutzt Continental eine Innenraumkamera, bei der entsprechende Algorithmen das Blickverhalten des Fahrers analysieren und interpretieren. „Wie mit künstlicher Empathie zieht das Fahrzeug damit Rückschlüsse darauf, wie stark der Fahrer noch am Verkehrsgeschehen beteiligt ist oder ob er sich vollständig anderen Dingen widmet, ob er müde ist, oder gar schläft“, erläutert Ibro Muharemovic, Leiter des Projekts Cruising Chauffeur bei Continental. Greift der Fahrer nicht zum Steuer, wenn das Fahrzeug sich dem Punkt der Übernahme nähert, intensiviert sich die Informationsausgabe. Neben optischen und akustischen Kanälen kann der Cruising Chauffeur der Übernahmeaufforderung auch durch Sitzvibration Nachdruck verleihen. Reagiert der Mensch am Steuer immer noch nicht, so leitet der Cruising Chauffeur das Minimum-Risk-Maneuver ein. Dabei fährt das Fahrzeug entweder selbsttätig auf den Standstreifen und hält dort an. Falls kein Standstreifen existiert oder dieser blockiert ist, hält das Fahrzeuf mit eingeschalteten Warnblinker entweder in der Fahrspur an oder fährt mit abnehmender Geschwindigkeit weiter, bis es einen passenden Haltepunkt findet.

Automation mit sicherer Architektur und Safety Manager

Ein Minimum Risk Maneuver ist nicht nur bei einem Ausfall des Fahrers wichtig, sondern auch bei einem möglichen Technikausfall. So erkennt eine ständig mitlaufende Überwachungsebene namens Safety Manager den möglichen Ausfall eines Sensors. Die Continental-Tochter Elektrobit (EB) hat hier mit EB Tresos Safety eine Lösung für den Cruising Chauffeur beigesteuert. EB stellt Softwarelösungen für sicherheitsrelevante elektronische Steuergeräte zur Verfügung, welche ein wichtiger Baustein bei der Entwicklung des Cruising Chauffeurs waren. „Diese Fähigkeit zum Minimum-Risk-Maneuver ist für das automatisierte Fahren extrem wichtig, weil wir in jeder Lage eine sichere Fahrsituation herstellen wollen“, ergänzt Ibro Muharemovic. „Beim Cruising Chauffeur haben wir inzwischen einen fortgeschrittenen Entwicklungsstand erreicht.“

Der Cruising Chauffeur ist redundant aufgebaut, um auch bei einem möglichen Ausfall einzelner Sensoren noch die Fahraufgabe beherrschen zu können. Dazu gehört neben der getrennten Vernetzung unterschiedlicher Sensorarten auch die Safety Domain Control Unit () als zweiter Automationspfad neben der ADCU. Die SDCU beinhaltet für sich genommen ebenfalls eine Automationslösung. Sollte somit die Automation an eine Regelgrenze kommen oder eine Sensorart beispielsweise aus technischen Gründen ausfallen, dann tritt das Minimum-Risk-Maneuver ein. Auch für das im Fahrzeug installierte Bremssystem und für die Lenkung existiert eine Rückfallebene.

Lidar und der Steuergerätebaukasten

Diese kompakte Antriebseinheit enthält Motor, Elektronik und Getriebe. Sie eignet sich für Plug-in-HEVs bis EVs.

Diese kompakte Antriebseinheit enthält Motor, Elektronik und Getriebe. Sie eignet sich für Plug-in-HEVs bis EVs. Continental

Neben Kamera- und Radarsensorik ist für das automatisierte Fahren auch ein Lidar-Sensor erforderlich. 2020 will Continental mit der Serienproduktion eines 3D-Flash-Lidar-Sensors beginnen, der ein komplettes 3D-Modell der Fahrzeugumgebung bis zu einer Entfernung von über 200 m auf wenige Zentimeter genau ermöglichen soll, um so binnen 1,32 µs insgesamt 30 mal pro Sekunde die Lage und die Entfernung von Objekten zu bestimmen. „Aufgrund der geringen Komplexität und damit guten Industrialisierbarkeit lassen sich effizient mehrere Sensoren rings um das Fahrzeug realisieren, um in Echtzeit komplette 360-Grad-Abbildungen der Umgebung zu erzeugen“, berichtet Arnaud Lagandré, Leiter des Segments High Resolution 3D-Flash-Lidar bei Continental. Die technischen Details zu Continentals Lidar-Sensor finden Sie hier.

Nach Angaben von Michael Zydek, Leiter der Produktgruppe Assisted & Automated Driving Control Unit im Geschäftsbereich Fahrerassistenzsysteme, hat Continental das Ziel, „bis 2019 eine skalierbare Produktfamilie für assistiertes und automatisiertes Fahren mit höchsten Sicherheitsanforderungen ( D) anzubieten“. Das Steuergerät wird eine Vielzahl von Anschlüssen für Ethernet und LVDS (Low Voltage Differential Signaling) für den notwendigen Datenfluss zur Verfügung stellen. „Wir unterscheiden bei der Entwicklung in eine Assisted Driving Control Unit und eine Automated Driving Control Unit“, führt Michael Zydek weiter aus. „Die erste ist ein skalierbarer Steuergerätebaukasten für Fahrerassistenzsysteme, der für jedes Ausstattungspaket eine kostenoptimale Lösung für Sensorik und Steuergerät bietet. Das Steuergerät für automatisiertes Fahren ist ein Hochleistungsrechner, der den Anforderungen des hochautomatisierten Fahrens entspricht und bei dem spezifische Digitalstrukturen für das Umfeldmodell, Rechner für ASIL D sowie Echtzeitperformance im Vordergrund stehen.“

Alfred Vollmer

Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK

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