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Bild 1: Das V-Modell veranschaulicht die Praxis, Entwicklungs- und Prüfprozesse zu integrieren.

Bild 1: Das V-Modell veranschaulicht die Praxis, Entwicklungs- und Prüfprozesse zu integrieren.National Instruments

Das V-Modell wurde jahrelang zur Verdeutlichung der Integration von Entwurf und Test in Branchen genutzt, die äußerst komplexe Produkte herstellen, so insbesondere in der Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie. In diesen Branchen, in denen das Endprodukt ein äußerst komplexes System ist, das sich aus vielen Systemen zusammensetzt, bildet die linke Seite des V-Modells (Bild 1) die Entwurfsphase, die rechte die Testphase ab.

Das V-Modell beruht auf der Idee, dass eine höhere Effizienz erreicht werden kann, wenn mit dem Test und der Validierung eines untergeordneten Systems begonnen wird, bevor die Entwicklung des Gesamtsystems abgeschlossen ist. Während der Einsatz von aufeinander abgestimmten Entwurfs- und Testansätzen wie dem V-Modell in Branchen mit äußerst komplexen Produkten bereits üblich ist, wird diese Vorgehensweise auch in anderen Industriezweigen immer häufiger angewendet. In diesem Beitrag wird anhand eines Beispiels gezeigt, wie innovative EDA-Technologie eine ähnliche Konvergenz von Entwurf und Test in der HF- und Mikrowellenbranche ermöglicht.

Weshalb lohnt sich die Kombination von Simulationen und Messungen?

Da der Ansatz, Simulationen und Messungen zu kombinieren, eher widersprüchlich ist, soll vorab erläutert werden, wie die Entwickler von HF- und Mikrowellentechnik derzeit Produkte auf den Markt bringen und wie sie dabei sowohl Simulations- als auch Messsoftware einsetzen. Vor diesem Hintergrund werden einige Anwendungen vorgestellt, die den Zusammenhang zwischen EDA- und Prüfstandsumgebungen als wertvolle Unterstützung für die Ingenieure von heute hervorheben.

Auf einen Blick

Die engere Integration von Entwurfs- und Testverfahren wird zweifelsohne eine erhebliche Rolle bei der Verbesserung der Produktentwicklung spielen. Besonders in der HF- und Mikrowellenbranche sorgen engere und effizientere Verbindungsmöglichkeiten zwischen EDA- und Testsoftwareumgebungen für einen konkreten Nutzen, denn Produktentwürfe gelangen so schneller in den Produktionsprozess. Die im Beitrag genannten Beispiele sind nur der Anfang. Die kommenden Jahre werden sicher weitere neue Möglichkeiten bringen, Design- und Testprozesse über die Software miteinander zu verbinden und die Produktivität bei der Entwicklung von Produkten vom Entwurf bis zur Produktion zu verbessern.

Ein Ingenieur oder ein Entwicklerteam könnte beispielsweise damit betraut sein, ein neues Projekt umzusetzen, für das ein leistungsstarkes Gerät der nächsten Generation (IC, Leiterplatte, Modul oder Kommunikationssystem) entwickelt werden muss. Einer der ersten Schritte für den Ingenieur bei diesem Prozess ist das Starten der EDA-Software (Laden eines älteren beziehungsweise ähnlichen Designs oder mit einem leeren Schaltplan beginnen), auf die er sich zudem als Hauptwerkzeug für das Modellieren und Optimieren der Leistung des neuen Designs verlässt. Allgemein werden EDA-Softwarewerkzeuge – wie jene der AWR Corp. eingesetzt, um die Leistung virtueller Prototypen vor der Fertigung zu entwerfen und zu validieren.

Diese Klasse von Software modelliert das Verhalten eines virtuellen Produkts sowohl auf Ebene des Schaltplans als auch des Layouts. In der Welt der Simulation können Variationen eines Entwurfs schnell und mit wenig Kostenaufwand realisiert werden. Aufgrund der Simulation und des von ihr vorhergesagten Verhaltens können Entwickler die Leistung entsprechend der Spezifikationen (zum Beispiel Größe, Kosten, Frequenz, Effizienz) anpassen und optimieren. So erstellt ein Ingenieur, der einen HF-Leistungsverstärker entwickelt, den Entwurf innerhalb einer EDA-Umgebung und nutzt die Simulations-Engines in dieser Umgebung, um eine Prognose zu den HF-Leistungskennzahlen – wie Verstärkung, 1-dB-Kompressionspunkt oder Intercept Point dritter Ordnung (IP3) – abzugeben und die physikalischen Eigenschaften des Layouts und des Materials zu variieren.

Auf die umfassende Validierung des Entwurfs in der virtuellen Welt folgen die Erstellung eines Prototyps des Produkts und Testläufe mit realen Messgeräten. Der Kunde mag zwar die eigentliche Verstärkung und den 1-dB-Kompressionspunkt messen, wird aber auch anspruchsvollere Messungen durchführen. Wenn sein Leistungsverstärker beispielsweise für ein LTE-Mobiltelefon ausgelegt ist, will er eventuell auch LTE-spezifische Leistungsmessungen wie Error Vector Magnitude (EVM) und Nachbarkanalleistung (ACP) vornehmen.

Der zuvor beschriebene Ablauf ist ein typischer Entwicklungsprozess – er lässt sich allerdings noch effizienter gestalten. So kann etwa vom Ingenieur im Beispiel erwartet werden, dass er simulierte Ergebnisse zu Messwerten in Beziehung setzen soll. Dazu muss er genau verstehen, wie die Simulationswerkzeuge und die Prüfausrüstung ihre jeweiligen Messungen durchführen.

Verknüpfung von Simulations- und Testsoftware

Vor dem Hintergrund der derzeitigen Nutzung von EDA-Software und -Testsystemen durch Ingenieure wird nachfolgend betrachtet, wie neue Verbindungsmöglichkeiten von EDA- und Testsoftwareumgebungen die Effizienz des Entwicklungsprozesses steigern können. Im Grunde kann die EDA-Softwareumgebung als ein Programm abstrahiert werden, das mathematische Modelle nutzt, die die Ausgaben eines Prüflings auf Grundlage seiner Eingaben prognostiziert. Als Beispielprodukt dient der bereits genannte HF-Leistungsverstärker, bei dem eine Spannung ausgegeben wird. Sie wird jedoch als Ausgangsleistung gemessen, die eine Funktion der Eingangsleistung und der Frequenz ist.

Bild 2: Vergleich der EDA- und der Prüfstandsarchitektur.

Bild 2: Vergleich der EDA- und der Prüfstandsarchitektur.National Instruments

Der Messvorgang dagegen weist etliche eindeutige Ähnlichkeiten  auf, wie ein virtuelles Produkt in der Welt der EDA gemessen wird (Bild 2). EDA-Software misst die virtuellen Ausgänge eines Prüflings und verfasst dazu Berichte. Entsprechend werden mit Messgeräten ähnliche Daten in der physikalischen Welt erfasst. Somit besteht eine Möglichkeit zur Steigerung der Effizienz des Entwicklungsprozesses in der Wiederverwendung von Messalgorithmen der Prüfausrüstung, die zum Beispiel schon zu einem früheren Zeitpunkt des Designprozesses erfolgen kann.

Bislang war das Konzept, einen Messalgorithmus vom Testsystem innerhalb des Designprozesses wiederzuverwenden, praktisch unmöglich umzusetzen. Vor Jahrzehnten waren die ersten Messgeräte, die für die Tests drahtloser Ausstattung konzipiert wurden, komplett in sich geschlossen. Diesen Geräten fehlte die Flexibilität, irgendeine andere Funktionalität als die eines Messgeräts zu bieten.

LabVIEW-Messungen in der EDA-Umgebung nutzen

Heute jedoch ändert sich die für Messgeräte bevorzugte Architektur grundlegend. Im Gegensatz zu den Messgeräten mit festgelegtem Funktionsumfang nutzen die heutigen softwaredefinierten Messgeräte häufig eine PC-gestützte Architektur, die größere Flexibilität bieten kann. Aktuelle EDA-Softwareumgebungen sind auch in der Lage, mehr Anbindungsmöglichkeiten an Softwareumgebung wie zum Beispiel NI LabVIEW bereitzustellen. Eine neue Funktion der VSS-Software (Visual System Simulator) von AWR beispielsweise ist ein Knoten auf dem Diagramm, über den der Anwender Daten mit LabVIEW austauschen kann (Bild 3).

Bild 3: Messalgorithmen in LabVIEW können direkt in das Systemdiagramm importiert werden.

Bild 3: Messalgorithmen in LabVIEW können direkt in das Systemdiagramm importiert werden.National Instruments

Die Verbindungsmöglichkeit zwischen VSS und LabVIEW ist ein typisches Beispiel dafür, wie die Grenzen zwischen EDA- und Prüfstandsumgebungen durchlässiger werden und wie dies wiederum einen direkten Weg zur Erzielung größerer Entwicklungseffizienz bietet. Um noch einmal auf das Verstärkerbeispiel zurückzukommen: Die endgültigen Designkriterien (EVM und ACP) werden seit jeher mit einem realen und nicht mit einem virtuellen Gerät gemessen. Allerdings erlaubt die zunehmende Verbindung zwischen EDA- und Testsoftwareumgebungen dem Entwicklungsingenieur die Durchführung einer breiteren Palette von Messungen.

In Bild 3 ist das Beispiel eines Systemdiagramms zu sehen, mit dem ein LTE-HF-Leistungsverstärker getestet wird. Das Diagramm besteht aus drei Blöcken, zwei davon sind so konfiguriert, dass sie mit LabVIEW kommunizieren können. Im ersten Block erstellt der zugrundeliegende LabVIEW-Code einen LTE-Signalverlauf, mit dem der Leistungsverstärker stimuliert wird. Er verhält sich im Grunde wie eine virtuelle Quelle. Im nächsten VSS-Block wird das Signal an den Verstärker übergeben, wo es verstärkt und verzerrt wird. Dieser zweite Block fungiert als virtueller Prüfling, wobei sein Verhalten durch inhärente mathematische Modelle in der EDA-Umgebung prognostiziert wird. Die Ausgabe des Prüflings wird schließlich an einen LabVIEW-Messblock übergeben. In diesem Block wird ein Demodulations- und Messalgorithmus für LTE auf das verstärkte und verzerrte LTE-Signal angewendet. Anhand dieses Blocks konnten die LTE-spezifischen Messungen wie EVM und ACP bestimmt werden.

Bild 4: Simulierte EDA-Messungen im Vergleich zu gemessenen Ergebnissen.

Bild 4: Simulierte EDA-Messungen im Vergleich zu gemessenen Ergebnissen.National Instruments

Die Verbindungsmöglichkeiten von EDA- und Testumgebungen bieten Ingenieuren den Vorteil, Messalgorithmen zwischen Simulations- und Prüfverfahren austauschen zu können. Wie sich herausstellte, ist der in Bild 3 gezeigte Messalgorithmus mit den LTE-Algorithmen, die in Verbindung mit den PXI-HF-Signalanalysatoren genutzt wurden, identisch. Diese Tatsache mag zwar auf den ersten Blick trivial erscheinen, aber nur, wenn man die Komplexität neuer Wireless-Standards wie 3GPP LTE nicht berücksichtigt. Da es komplexe Algorithmen zusammen mit einer breiten Palette an Messeinstellungen erschweren können, Messungen in Beziehung zu setzen – selbst zwischen HF-Signalanalysatoren –, stellt die Wiederverwendung desselben Algorithmus sowohl beim ersten Entwurf als auch beim endgültigen Test einen bedeutenden Vorteil dar. Entsprechend können Ingenieure Simulationen enger zu den gemessenen Ergebnissen in Beziehung setzen. Auch die Chancen, den richtigen Produktentwurf gleich beim ersten Durchgang zu realisieren, verbessern sich so erheblich. In Bild 4 ist das Frontpanel des LabVIEW-Messblocks zu sehen, auf dem Messungen eines virtuellen Beispielprüflings mit einem physikalischen Verstärkerprototypen verglichen werden.

Über das Diagramm können Anwender Messgrößen wie EVM und ACP direkt nebeneinander vergleichen. So erhalten sie umfassendere Daten, die ihnen schlussendlich eine Verbesserung der Simulationstechnik ermöglichen.

David A. Hall

ist Senior Product Marketing Manager bei National Instruments für Hard- und Software zum RF- und Wireless-Test zuständig.

Sherry Hess

ist Vice President of Marketing bei der NI-Tochtergesellschaft AWR und hat langjährige Erfahrungen auf dem EDA-Gebiet im Marketing, im Support und im Management sammeln können.

(jj)

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