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(Bild: Mentor)

Die Elektrifizierung von Fahrzeugen ist im Massenmarkt angekommen. Verschiedene Länder kündigten bis 2040 Verbote für Verbrennungs- und Dieselmotoren an; und das Zeitalter der individuellen Mobilität und selbstfahrender Autos auf Basis von Elektroantrieben rückt immer näher.

Allerdings haben alle Automobilhersteller, die Elektrofahrzeuge anbieten, erhebliche Verluste erlitten. Dies lag vor allem an den hohen Kosten für Engineering, F&E-Investitionen und Elektroantriebe, die immer noch weit über denen von herkömmlichen Fahrzeugantrieben liegen. Der Artikel beschreibt, wie Automobilhersteller diesen Erfordernissen gerecht werden können und wie Siemens sie bei der Integration von Technologien unterstützt, die die unterschiedlichsten Anforderungen an die Elektrifizierung von Fahrzeugen erfüllen.

Innovationen lösen Probleme und schaffen Mehrwert

Bild 1: Die Schnellladung von Elektrofahrzeugen ist der Schlüssel zur Kundenakzeptanz und Markendifferenzierung.

Bild 1: Die Schnellladung von Elektrofahrzeugen ist der Schlüssel zur Kundenakzeptanz und Markendifferenzierung. Mentor

GM und Nissan sind federführend bei den Investitionen in die Fahrzeugelektrifizierung, allerdings hat das gerade einmal 15 Jahre alte Unternehmen Tesla das Interesse der Menschen an Elektromobilität geweckt und sich zu einem dominierenden Akteur in der Elektrofahrzeugindustrie entwickelt. Teslas Modell S war 2017 das meistverkaufte Elektrofahrzeug in den Vereinigten Staaten. Einer der wesentlichen Gründe für den Erfolg des Unternehmens ist, dass der Fokus nicht nur auf dem Antriebsstrang lag. Aufgrund der Einführung von zusätzlichen Innovationen, kann das Unternehmen für seine Elektrofahrzeuge einen höheren Preis verlangen. Zu diesen Neuheiten gehören Over-the-Air-Software-Updates, Autopilot und Schnellladung. Diese Fähigkeiten resultierten aus enormen Verbesserungen in den Bereichen Software, Fahrzeug- und Elektrotechnik sowie aus technischen Fortschritten bei der Entwicklung von Elektroantrieben.

Laut Prognosen wird bis 2040 jedes dritte verkaufte Auto elektrisch sein. Bevor es dazu kommt, müssen die Automobilhersteller noch eine ganze Reihe von Punkten klären. Eines der größten Probleme ist die Reichweite der Fahrzeuge. Diese muss durch Innovationen bei den Batteriematerialen und der Zellenentwicklung sowie beim Design von elektrischen Fahrzeugsystemen verbessert werden. Weitere zu berücksichtigende Faktoren sind die Verringerung des Fahrzeuggewichts, Verbesserung des Produktlebenszyklusmanagements und der Bau von Antriebsstrangkomponenten (beispielsweise Batterie, Elektromotoren und Leistungselektronik), die weniger Probleme mit Geräuschen und Vibrationen haben.

Vorteile der virtuellen Validierung

Fahrzeughersteller haben schon immer große Investitionen in die Sicherheit getätigt. Elektrofahrzeuge verlangen jedoch mehr und andere Sicherheitsüberlegungen. Der Bau und Verkauf von autonomen Fahrzeugen erfordert ausfallsichere Systeme mit stärkerem Informationsaustausch über das Datennetzwerk und stellt höhere Anforderungen an die Absicherung, insbesondere die virtuelle Validierung.

Um die Sicherheit gewährleisten, gleichzeitig Innovationen durchführen und Elektrofahrzeuge in den Massenmarkt bringen zu können, benötigen die Hersteller eine Möglichkeit zum Überprüfen und Validieren von Funktionalität und Zuverlässigkeit der Fahrzeugsystemkomponenten sowie ihr Zusammenspiel. Die Validierung dieser Systeme erfordert viele Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte an Tests unter allen denkbaren Umgebungsbedingungen. Die Bewältigung dieser Herausforderungen verlangt anspruchsvolle, intelligente und kollaborative virtuelle Lösungen.

Mehr Reichweite und schnelleres Batterieladen

Während sich die Automobilindustrie auf das Auto 2.0 vorbereitet, wo die gefahrenen Kilometer wahrscheinlich ein wichtigerer Leistungsindikator sein werden, als die Anzahl der verkauften Fahrzeuge, ist beim Kunden das Thema akzeptable Ladezeiten von zentraler Bedeutung. Entscheidend sind eine ausreichende Reichweite sowie eine Technik zum schnellen Laden.

Das Laden von Hochenergie-Akkus der Stufe 1 oder 2 dauert mehr als acht Stunden. Daher investieren sowohl Automobilhersteller als auch Ladeinfrastrukturunternehmen in erheblichem Maß in schnelles Laden (80 Prozent Ladung in 30 Minuten, Bild 1) und ultraschnelles Laden (80 Prozent Ladung in 15 Minuten).

In den letzten Jahren lagen die aktuellsten Lithium-Ionen-Zellen mit einer Energiedichte von 500 bis 600 Wh/l bei einem Preisniveau von 130 bis 170 €/kWh. Unternehmen streben die Entwicklung von Lithium-Ionen-Zellen mit einer um etwa 50 Prozent höheren Energiedichte der Zellen bei gleichzeitiger Kostensenkung um ungefähr 30 Prozent an. Um dies zu erreichen, müssen sich OEMs und Batterielieferanten auf Innovationen in mehreren Bereichen konzentrieren. Dazu gehören neue chemische Zusammensetzungen mit hoher Energiedichte, Materialoptimierungen zur Reduzierung der Kosten, verbesserte Zell- und Batteriepack-Designs sowie die Optimierung des elektrischen Antriebsstrangs zur Maximierung der Reichweite von Elektroautos. Ebenso entscheidend für die Sicherheit und Haltbarkeit der Batterie sind ein robustes Zelldesign und das Wärmemanagement.

Batterien optimieren und schonend Nutzen

Die Entwicklung hierfür geeigneter Batterien ist eine große Herausforderung. Simulationsgestützte Entwicklung, von der Optimierung der Batteriechemie über das Zellen- und Gehäusedesign bis hin zur Fahrzeugintegration, trägt dazu bei, Entwicklungszeit und -kosten zu reduzieren. Genaue Vorhersagen mittels Software helfen, für jedes Fahrszenario und jede Wetterlage einen optimalen Stromspeicher zu entwerfen, zu verifizieren und Begrenzungsmechanismen aufzudecken.

Darüber hinaus müssen Unternehmen nicht nur optimale Ladealgorithmen entwickeln und validieren, sondern auch die Auswirkungen der Schnellladung auf die Lebensdauer der Akkupacks berücksichtigen. Übersteigt die Temperatur der Batterie oder des Ladegeräts während des Ladevorgangs eine kritische Höhe, reduziert die Fahrzeugsteuerung die Ladegeschwindigkeit, was eine längere Ladezeit zur Folge hat. Somit gehen Elektronikdesign, Algorithmen-Entwicklung und Wärmemanagement von Akkupacks und Schnellladegeräten Hand in Hand.

Leistungsfähigkeit und Lebensdauer verbessern

Die Entwicklung von Elektrofahrzeugen stellt die Automobilindustrie vor besondere Herausforderungen. Sie muss die geforderte Leistung und den gewünschten Komfort bieten, ohne die Reichweite und Lebensdauer des elektrischen Antriebsstrangs zu beeinträchtigen. Weil die lauten Betriebsgeräusche des Verbrennungsmotors entfallen, treten die zuvor überlagerten wie auch neuartigen Nebengeräusche des Elektromotors, Getriebes und der anderen Fahrzeugsubsysteme in den Vordergrund und beeinflussen somit die Designentscheidungen. Zur Optimierung von Reichweite und Beschleunigung müssen die Automobilhersteller nicht nur die Batterie richtig dimensionieren, sondern auch einen Kompromiss zwischen Motorleistung und Batteriedesign finden. Ein leistungsfähiger, jedoch teurer Motor kann die Gesamtzahl der Zellen im Akkupack senken und damit einen effizienteren elektrischen Antriebsstrang bilden.

Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Zuverlässigkeit und Langlebigkeit von Batterien, Motoren und Leistungselektronik im Feld. Bei diesen Komponenten sind die maximale Temperatur und ihre Verteilung während des Betriebs ein entscheidender Stressfaktor, der die Lebensdauer begrenzen kann. Zulieferer und OEMs müssen bei diesen Komponenten nicht nur die Materialeigenschaften, sondern auch die ungleichmäßige Verteilung von Strom, Spannung, magnetischem Fluss und Temperatur berücksichtigen. Die gegenseitige Störeinwirkung der Komponenten untereinander erhöht die technische Komplexität noch weiter. Zum Beispiel beeinflussen Batteriespannung und -strom die Motorleistung, was wiederum mehr Wärme erzeugen kann. Um die Lebensdauer und Zuverlässigkeit des elektrischen Antriebsstrangs zu gewährleisten, sind bei dem Wunsch, den Motor und/oder die Batterie mit Leistungselektronik auszustatten, die Auswirkungen auf die gesamte Wärmemanagementstrategie auf Systemebene zu berücksichtigen. Der Multidomänen-Datenaustausch zwischen MCAD-, ECAD- und CFD-Software ist entscheidend, um das Systemdesign bereits in der frühen Konzeptphase auf Informationsstand zu halten.

Die Entwicklung auf Systemebene verfolgen

Der traditionelle Ansatz, welcher die verschiedenen Komponenten und Subsysteme unabhängig voneinander konzipiert und optimiert, eignet sich nicht für die Entwicklung von Elektrofahrzeugen. Werden Integrations- und System-Level-Exploits für spätere Phasen aufgehoben, führt dies wahrscheinlich zu Design-Iterationen, die die Kosten in die Höhe treiben und die Markteinführungszeit erhöhen.

Beispielsweise lassen sich Umrichter und Elektromotor bezüglich der elektrischen wie auch mechanischen Anforderungen separat optimieren. So reduzieren sich Bauvolumen, Gewicht oder auch thermische, akustische und elektrische Abstrahlung des Umrichters oder Elektromotors entsprechend der Anforderungen. Bei der Systemintegration kann es jedoch vorkommen, dass die Komponenten Anforderungen wie Geräuschentwicklung, Herstellbarkeit und andere Integrationsvoraussetzungen nicht erfüllen. Darüber hinaus ist eine standardmäßig optimierte Lösung nur für eine bestimmte Anwendung zulässig und darf nicht für andere zum Einsatz kommen. Für Hochleistungsantriebe macht eine Entwicklung und Analyse auf Systemebene mehr Sinn, als nur auf Komponentenebene.

Für einen frühen Markteinführungszeitpunkt bei weniger Entwicklungskosten ist eine schnelle, relativ genaue Analyse auf Systemebene in Verbindung mit detaillierten Modellen auf Komponentenebene unumgänglich. Diese Analyse ermöglicht es den Ingenieuren, Komponenten unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf die Systemebene zu entwerfen. Die Simulation von Komponenten auf Systemebene gestattet es Unternehmen, potenzielle Kompromisse bei der Entwicklung hochgradig voneinander abhängiger Elektrofahrzeugsysteme zu erforschen und zu nutzen, die Designzyklen zu verkürzen und ein optimiertes Produkt zu gewährleisten.

Herausforderungen bei der elektrischen Architektur meistern

Bild 2: Ein virtueller digitaler Zwilling begleitet die Fahrzeugentwicklung vom Design über die Fertigung bis hin zum Kundeneinsatz auf der Straße.

Bild 2: Ein virtueller digitaler Zwilling begleitet die Fahrzeugentwicklung vom Design über die Fertigung bis hin zum Kundeneinsatz auf der Straße. Mentor

Das elektrische Bordnetz ist nach Chassis und Antriebsstrang das dritt-schwerste System eines Fahrzeugs. Die Gewichtsreduzierung des Kabelbaums leistet deshalb einen entscheidenden Beitrag zur Minimierung des Gesamtgewichtes. Das Managen der physikalischen Größen und Massen, die für die Durchleitung hoher Ströme erforderlich sind, ist eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung von Steckverbindern und Kabeln für Elektrofahrzeuge.

Eine Möglichkeit, die OEMs zur Optimierung von Gewicht und Karosserie in Betracht ziehen, ist die Reduktion oder gar Eliminierung der Schirmung von Hochspannungskabeln. In Folge dessen ist eine genaue Analyse elektromagnetischer Störungen hoch- und niederfrequenter Emissionen aus den Hochspannungskabeln, dem Batteriemanagementsystem und der Leistungselektronik erforderlich. Dieser Schritt geht Hand in Hand mit der Untersuchung und Optimierung von Kabel- und Kabelbaumführungen. Entwicklerteams benötigen deshalb Werkzeuge, die eng mit 3D-CAD integriert sind.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Analyse der optimalen Ein- und Ausschaltreihenfolge des Hochspannungs-Systems. Ein Beispiel ist hier die Analyse der Kapazität des HV-Bordnetzes bezüglich des richtigen Zeitpunkts für einen Selbsttest des Systems, um eventuell verschweißte HV-Kontakte zu erkennen – alle Elektrofahrzeuge führen diesen Test entweder beim Ein- und/oder Ausschalten des HV-Systems durch. Es handelt sich in der Regel um eine funktionale, sichheitsorientierte Schadenbegrenzungsmaßnahme. Dabei genügt es, nur die für den jeweiligen Fahrzeugmodus (Ladebetrieb oder Fahrbetrieb) benötigten Komponenten im HV-System zu berücksichtigen.

Umfangreiche Entwicklungs- und Management-Werkzeuge

Siemens‘ Tool-Suite Capital unterstützt das Design elektrischer Systeme und Netzwerke für große Plattformen. Es ist ein Beispiel dafür, wie sich die Entwicklung unternehmensübergreifend transformieren lässt. Mit Hilfe eines modellbasierten Design-Paradigmas kann die Entwicklungssoftware Systemarchitekturen definieren und mittels integrierter Metriken und Designregelprüfungen mehrere potenzielle Architekturen vergleichen und gegenüberstellen. Auf diese Weise stellt sie sicher, dass das Plattformdesign der ursprünglichen Absicht entspricht.

Die Werkzeuge können dann die Bordnetze automatisch integrieren und sie in ein repräsentatives topologisches Layout des Fahrzeugs einbinden. Systemkomponenten werden automatisch platziert und miteinander verbunden. Das gesamte Bordnetz wird gemäß der Regeln und Bedingungen, die vom Unternehmen in die Software eingebettet sind, automatisch generiert. Designaufgaben, die bisher Monate in Anspruch genommen haben, sind nun in Stunden oder Tagen zu erledigen. Entscheidend ist dabei, dass sich die Entwürfe bereits während der Erstellung verifizieren lassen. Die Daten sind dabei über Fahrzeugprogramme hinweg und in den nachgelagerten Prozessen von Fertigung und Service wiederverwendbar.

Das Lösungsportfolio von Siemens

Mit dem Lösungsportfolio von Siemens zur Entwicklung von Elektrofahrzeugen können Automobil-OEMs und Key-Player in der Elektrofahrzeug-Lieferkette die vom Markt gewünschten Elektrofahrzeuge in verschiedenen Fahrzeugsegmenten schneller und profitabler entwickeln. Die Entwicklung von Elektrofahrzeugen mit mehr als 320 km Reichweite, Schnellladefähigkeit, mehreren Designvarianten und für verschiedene Fahrzeugsegmente mit den gleichen Betriebskosten wie bei Fahrzeugen mit Verbrennungs-/Dieselmotor erfordert Innovationen und eine technische Effizienz, die in der Automobilindustrie bisher undenkbar waren – ohne die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Qualität zu beeinträchtigen. Für die Konstruktion und Entwicklung von Elektrofahrzeugen besteht in den verschiedenen Bereichen Elektrik, Mechanik, Thermik, Software und Steuerung eine starke gegenseitige Abhängigkeit, die bei traditionellen Fahrzeugkonzepten auf Basis von Verbrennungsmotoren entweder fehlt oder eine schwache Wechselwirkung aufweist.

Mit seiner domänenspezifischen Simulationssoftware, die durch ein Lifecycle-Management-Framework für digitale Kontinuität und Designkontinuität von den Spezifikation bis zur Fertigung gestützt wird, bietet Siemens den Rahmen für einen echten digitalen Zwilling, der sich von der Mechanik über E/E bis hin zu Steuerungs- und Softwarebereichen für die Elektrofahrzeugentwicklung erstreckt (Bild 2). Mit der Einführung von Siemens-Lösungen können Unternehmen durch genaue, vorhersehbare Konstruktionsergebnisse die Entwicklungszeit verkürzen, eine korrekte Konstruktion liefern (Daten erfordern bis zu 60 % weniger Softwarenachbearbeitung zu Beginn der Produktion), die Kosten senken (bei einer typischen Automobilplattform ergeben sich Kosteneinsparungen von bis zu 40%) und die Fähigkeit erlangen, Anpassungen vorzunehmen, Designalternativen zu erforschen und in jeder Phase des Prozesses leicht Änderungen einzubeziehen.

Die Lösungen von Siemens kommen aber nicht nur etablierten Automobilherstellern und Zulieferern zugute. Auch Start-ups und neue Unternehmen mit begrenzten Ressourcen erzielen damit hervorragende Ergebnisse, um ihre Produkte schnell auf den Markt zu bringen und Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Zum Beispiel entwickelte die in Vancouver ansässige Firma Electra Meccanica in weniger als zwei Jahren das dreirädrige Elektroauto Solo. Das schwedische Startup-Unternehmen Uniti hat mit Hilfe des Elektrifizierungsportfolios von Siemens ein Elektroauto für neue urbane Realitäten vom Konzept bis zur Markteinführung realisiert.

Puneet Sinha

(Bild: Mentor)

Automotive Manager bei Mentor, a Siemens Business

(jwa)

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