Bild 1: Wie wäre es in der Zukunft Oszilloskope mit Sprachbefehlen zu steuern?

Bild 1: Wie wäre es in der Zukunft Oszilloskope mit Sprachbefehlen zu steuern? (Bild: National Instruments)

Bild 1: Wie wäre es in der Zukunft Oszilloskope mit Sprachbefehlen zu steuern?

Bild 1: Wie wäre es in der Zukunft Oszilloskope mit Sprachbefehlen zu steuern? National Instruments

Wir erwarten beispielsweise von jeder neuen iOS-Version von Apple neue, massentaugliche Funktionen, die sich auf unserer bestehenden Hardware nutzen lassen. Gleichzeitig setzen wir für spezielle oder Nischenfunktionen ein entsprechendes App-Angebot voraus, das wieder ohne Änderungen an der Hardware heruntergeladen und verwendet werden kann.

Auch bei Benchtop-Messgeräten zeichnet sich eine Entwicklung hin zu softwaredefinierten Architekturen ab, um von ähnlichen Vorteilen zu profitieren. Auf dem Markt findet sich derzeit eine Fülle von Beispielen von führenden Herstellern. Einige nutzen einen hybriden Ansatz, wobei der Funktionsumfang eines Stand-alone-Messgeräts über proprietäre Software-Patches und Touchscreens oder sogenannte Softbuttons verändert werden kann. Andere wiederum setzen auf einen vollständig softwaredefinierten Ansatz, der die bereits vorhandene grafische Oberfläche und Verarbeitungsleistung – häufig eines PCs oder Tablets – nutzt und jederzeit mit von Herstellern oder der Community bereitgestellter Software aktualisiert werden kann. Der Schritt hin zu softwaredefinierten Technologien eröffnet im Bereich der Messtechnik neue und spannende Möglichkeiten für Innovationen. Gleichzeitig müssen jedoch noch zahlreiche technische Hürden überwunden werden, um die gleichen Funktionen zu erzielen, wie wir sie von bestehenden Messtechnikstandards kennen. Diese Hürden lassen sich wie folgt zusammenfassen: Funktionsumfang versus Zuverlässigkeit, unmittelbare Anforderungen versus zukünftige Skalierbarkeit und Innovation versus Bedienfreundlichkeit.

Funktionsumfang vs. Zuverlässigkeit

Bild 2: Das Virtualbench-Modell VB-8034 verfügt unter anderem über 350 MHz Bandbreite, besitzt 4 analoge und 34 digitale Kanäle sowie eine Abtastrate von 1,5 GS/s pro Kanal.

Bild 2: Das Virtualbench-Modell VB-8034 verfügt unter anderem über 350 MHz Bandbreite, besitzt 4 analoge und 34 digitale Kanäle sowie eine Abtastrate von 1,5 GS/s pro Kanal. National Instruments

Im Gegensatz zu anderen softwaredefinierten Geräten wie zum Beispiel Smartphones oder Spielekonsolen sind Abstürze oder plötzliche Neustarts bei technischen Messgeräten absolut inakzeptabel. Verlorene Daten können zu einem Vertrauensverlust führen und Messgeräte in erster Linie zu Staubfängern machen. Daher liegt die Herausforderung bei der Messgeräteentwicklung darin, die Funktionen zu optimieren, ohne dabei die Zuverlässigkeit zu beeinträchtigen.

Die einfachste Möglichkeit, den Funktionsumfang zu erweitern, besteht darin, die jeweilige Plattform für die Entwickler-Community zugänglich zu machen. Im Bereich der automatisierten Messungen ist das längst Standard. So sind beispielsweise zahlreiche benutzerdefinierte Analysealgorithmen, Bedienelemente, Testsequenzen und vieles mehr für Entwicklungsumgebungen wie C oder Labview über Online-Communitys verfügbar. Allerdings erfordern diese häufig ein gewisses Maß an Software-Debugging, um die Stabilität zu gewährleisten. Interaktive Anwender würden zwar auch von benutzerdefinierten Analysefunktionen profitieren, jedoch stellen die Debugging-Anforderungen ein großes Hemmnis dar, da diese Anwendergruppe häufig nicht über die Zeit oder Kenntnisse verfügt, um sich detailliert mit dem Programmcode auseinanderzusetzen. Da Community-Beiträge genaue Überprüfungen und Akkreditierungen erfordern, sind die meisten Messgerätehersteller dazu übergegangen, Aktualisierungen in-house zu entwickeln. Die Ideen stammen zwar häufig aus der Community, umgesetzt werden sie jedoch von internen Softwareentwicklern.

Ein gutes Beispiel hierfür ist der Smart-Capture-Modus von Virtualbench, der Teil der kürzlich veröffentlichten Softwareversion 16.0 ist. Diese Funktion, die aus Anwenderfeedback entstand, ermöglicht die freihändige Bedienung des Mixed-Signal-Oszilloskops und erfasst Daten automatisch, sobald ein stabiles Signal anliegt. Darüber hinaus lassen sich auch wiederholte Messungen wesentlich schneller aufzeichnen als zuvor. Diese Art von Funktion verdeutlicht die Vorteile des softwaredefinierten Ansatzes: Die Verarbeitungsleistung des PCs wird dazu genutzt, ein stabiles Signal zu erkennen und anschließend die Messungen in PNG- oder CSV-Dateien direkt auf der Festplatte oder auf einem Server zu speichern.

Unmittelbare Anforderungen vs. zukünftige Skalierbarkeit

Bild 3: Die Bedieneroberfläche des 5-in-1-Kombimessgeräts Virtualbench, bestehend aus Mixed-Signal-Oszilloskop, Funktionsgenerator, Digitalmultimeter, Netzgerät und digitale I/O.

Bild 3: Die Bedieneroberfläche des 5-in-1-Kombimessgeräts Virtualbench, bestehend aus Mixed-Signal-Oszilloskop, Funktionsgenerator, Digitalmultimeter, Netzgerät und digitale I/O. National Instruments

Ingenieure erwarten von Messgeräten eine längere Lebensdauer als von Verbraucherendgeräten. Während es völlig normal ist, sich alle drei bis fünf Jahre ein neues Mobiltelefon anzuschaffen, sollen Oszilloskope in der Regel mindestens zehn Jahre halten. Vor zehn Jahren gehörten Laptops noch zu den Luxusgütern, Tablet-Computer waren schwer zu finden und große Touchscreens befanden sich größtenteils noch in der Entwicklungsphase. Mittlerweile sind alle drei Technologien aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Wie werden wir also in zehn Jahren mit unseren Messgeräten interagieren? Wird unsere Welt von Hologrammen, Augmented Reality und Sprachbefehlen geprägt sein? Werden uns heutige Touchscreens in der Zukunft genauso altmodisch vorkommen wie die Phosphoranzeigen und Papierkarten aus der Vergangenheit? Da auch zukünftig noch analoge Signale in digitale umgewandelt werden und eine FFT immer eine FFT bleiben wird, muss sich unsere Messhardware vielleicht gar nicht großartig verändern, um neue Technologien zu nutzen. Benötigt wird lediglich eine Schnittstelle, um Daten zu kommunizieren und anzuzeigen.

Durch den Einsatz von FPGAs in Benchtop-Messgeräten lassen sich Daten schon während der Erfassung inline verarbeiten und dezimieren, ohne dass sich dies auf die Messgeschwindigkeit oder -bandbreite auswirkt. Diese Art der Dezimierung verringert zudem die für die Busübertragung erforderliche Bandbreite und eröffnet neue Möglichkeiten für die Datenanzeige auf unterschiedlichen Host-Geräten. FPGAs bieten bei Messgeräten deutliche Vorteile gegenüber ASICs, da sie über einfache Firmware-Updates jederzeit mit zusätzlichen oder geänderten Funktionen neu konfiguriert werden können. Da das Host-Betriebssystem integraler Bestandteil des Messgeräts ist, muss bei jeder Funktionsänderung auch die Software entsprechend angepasst werden, um eine optimale Messleistung sicherzustellen. Verwendet man jedoch ein standardmäßiges I/O-Streaming-Framework und erwartungsgemäß langlebige Entwicklungssprachen wie zum Beispiel C#, spricht eigentlich nichts dagegen, Hardwarekomponenten wie Digitalisierungs- und Analogfilter auch mit zukünftigen Plattformen zu nutzen, um so von den rasanten Fortschritten im Bereich User Experience zu profitieren.

Innovation vs. Bedienfreundlichkeit

Bild 4: Virtualbench kann von Notebooks und Tablets aus bedient werden.

Bild 4: Virtualbench kann von Notebooks und Tablets aus bedient werden. National Instruments

Die meisten Menschen halten sich neuen Ideen und Technologien gegenüber für aufgeschlossen. Jedoch sollte man sich dabei die Frage stellen: Wie hoch muss der Nutzen sein, damit man bereit ist, sich auf ein Risiko einzulassen? Im Falle von Fehlerbehebung und Validierung, welche zusätzlichen Einblicke in Signale und welche langfristigen Produktivitätssteigerungen müssten erzielt werden, um vorübergehende Schwierigkeiten und Verzögerungen in Kauf zu nehmen? Erfolgreiche Werkzeuge sollten immer eine Mischung aus neuen Lösungskonzepten und vertrauten Bedienelementen sein – Ersteres, um die Leistung zu optimieren und Letzteres, um Schwierigkeiten bei der Nutzung zu minimieren. Eine Möglichkeit, die Akzeptanz für neue Technologien oder Prozesse zu beschleunigen, liegt darin, deutliche Parallelen zu etablierten Technologien zu ziehen, die wir bereits in anderen Lebensbereichen verwenden.

Einfache Beispiele hierfür lassen sich zum Beispiel beim Benutzeroberflächendesign finden. Seit Jahrzehnten verfügen Messgeräte über Knöpfe und Drehregler, um Funktionen wie Zeit und Spannung pro Abschnitt präzise einzustellen. Allerdings lassen sich diese Elemente schlecht in einer Softwareoberfläche realisieren, da weder Maus noch Tastatur für Drehbewegungen optimiert sind. Durch die zunehmende Verbreitung von Multi-Touch-Smartphones wird es jedoch immer mehr zur Gewohnheit, Zieh-Gesten zu verwenden, um beispielsweise zu zoomen. Diese vertraute Technik lässt sich genauso leicht auch für Oszilloskopsignale verwenden, sodass bestimmte Bedienelemente überflüssig werden. Das wirft die Frage auf: Welche Technologie wird wohl als nächstes vom Heimgebrauch auf technische Messgeräte übergreifen?

Der größte Vorteil softwaredefinierter Messgeräte liegt darin, dass Technologien von bestehenden Plattformen genutzt werden können, anstatt eine eigene Version der jeweiligen Technologie erstellen zu müssen, wie es bei klassischen Stand-alone-Messgeräten der Fall ist. Angesichts der wachsenden Popularität kontextsensitiver virtueller Assistenten wie zum Beispiel Apples Siri, Microsofts Cortana und Google Assistant, die anhand von Situations- und Umgebungsinformationen die Nutzerbedürfnisse quasi vorausahnen und relevante Inhalte und Aktionen bereitstellen, ist der Gedanke nicht abwegig, dass wir in wenigen Jahren vielleicht auch mit unseren Oszilloskopen sprechen. Das könnte völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Die Vorteile von Sprachbefehlen leuchten jedem ein, der schon mal eine Konfigurationsänderung durchführen musste mit Oszilloskopsonden in jeder Hand. Zusätzlich ließen sich jedoch mithilfe von prediktiven, kontextsensitiven intelligenten Funktionen zum Beispiel relevante Daten automatisch hervorheben. Ein Oszilloskop könnte bei einem interessanten Teil eines Signals automatisch zoomen oder konfigurieren oder anhand einer Signalform zusätzliche relevante Messungen durchführen.

Die rasanten Fortschritte bei Verbrauchertechnologien wirken sich auf die Erwartungen von Nutzern in den verschiedensten Bereichen aus. In fünf Jahren werden Ingenieure zwar höchstwahrscheinlich immer noch mit ähnlichen Werkzeugen arbeiten, die Art und Weise, wie die Werkzeuge verwendet werden, wird sich jedoch mit Sicherheit verändern.

Eck-Daten

Virtualbench kombiniert ein Mixed-Signal-Oszilloskop, einen Funktionsgenerator, ein Digitalmultimeter, ein einstellbares Netzgerät und digitale I/O in einem einzigen Gerät, das sich mit dem PC oder iPad integrieren lässt. Messgerätehersteller müssen sich entscheiden, ob sie weiterhin im ruhigen Fahrwasser der Stand-alone-Messgeräte treiben oder, wie es bereits in der Kommunikations-, Spiele- und sogar Automobilbranche der Fall ist, die neuen und vielversprechenden Ufer der softwaredefinierten Messgeräte betreten wollen.

Joe Friedrichsen

Senior Software Engineer Modular Instruments R&D bei National Instruments in Austin/Tx.

(jj)

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