Bild 1: Infotainment-Head-Unit. Infotainmentsysteme für Fahrzeuge sollten sich hinsichtlich Funktionsumfang und Kosten flexibel gestalten lassen.

Bild 1: Infotainment-Head-Unit. Infotainmentsysteme für Fahrzeuge sollten sich hinsichtlich Funktionsumfang und Kosten flexibel gestalten lassen. (Bild: Harman)

Infotainmentsysteme für Fahrzeuge sollten in möglichst allen Modellreihen eines Herstellers enthalten sein und sich hinsichtlich Funktionsumfang und Kosten flexibel gestalten lassen (Bild 1). Insbesondere die Wiederverwendung möglichst vieler Komponenten und Baugruppen (Re-Use) spielt bei der Kontrolle der Kosten eine wichtige Rolle. Aufgrund der langen Vorlaufzeiten bei der Markteinführung neuer Fahrzeuge ist es wichtig, das richtige Infotainmentsystem mit der passenden Architektur und Leistungsfähigkeit zum richtigen Zeitpunkt anbieten zu können. Da die Entwicklungszyklen in der Automobilindustrie bislang wesentlich länger als im Infotainmentbereich waren, verfügten die angebotenen Infotainmentsysteme selten über die bestmöglichen Leistungsmerkmale und waren schnell veraltet. Eine Lösungsmöglichkeit für diese Problematik liegt in einem umfassenden strategischen Benchmarking-Ansatz.

Bild 1: Infotainment-Head-Unit. Infotainmentsysteme für Fahrzeuge sollten sich hinsichtlich Funktionsumfang und Kosten flexibel gestalten lassen.

Bild 1: Infotainment-Head-Unit. Infotainmentsysteme für Fahrzeuge sollten sich hinsichtlich Funktionsumfang und Kosten flexibel gestalten lassen. Harman

Fortlaufende Analysen

Damit sich die gesamte Struktur eines neuen Infotainmentsystems später optimal abstimmen lässt und die maximal mögliche Leistungsfähigkeit bietet, bewertet Harman zunächst die einzelnen relevanten Parameter des Infotainment-Technologieprozesses getrennt voneinander. Zu diesem Basis-Benchmarking gehören die unterschiedlichen Prozessoren von der CPU über die GPU bis hin zur Digital- und Vektorsignalberechnung, die Module mit Arbeits- und Datenspeichern, die Schnittstellen sowie die Connectivity und die Vernetzung. Durch diese fortlaufenden Analysen können die verantwortlichen Ingenieure die künftige Entwicklung der Einzelkomponenten für die Infotainmentsysteme in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit und Kompatibilität absehen. Dies erleichtert die Planung künftiger Systeme, da die Entwickler einen Automobilhersteller im Vorfeld einer Neuentwicklung bezüglich ihrer Wünsche optimal beraten oder ihm Möglichkeiten zu noch mehr Systemleistung und damit besseren Ausstattungsmerkmalen aufzeigen können.

Eckdaten

Um seine Infotainmentsysteme genau zum benötigten Zeitpunkt und zum bestmöglichen Preis anbieten zu können, hat Harman eine Infotainment-Benchmarking-Strategie entwickelt. Kernbestandteil der Strategie ist der kontinuierliche Dialog mit den Automobil- und IT-Herstellern in allen Phasen der Entwicklung. Diese ganzheitliche Abstimmung bietet allen Beteiligten erhebliche Vorteile.

Wenn die Entwickler in einer kommenden Systemgeneration eine bestimmte Idee für Navigation oder HMI umsetzen möchten (Bild 2), können sie bereits vorab verifizieren, ob und wann die zur Implementierung erforderliche Leistungsfähigkeit in Bereichen wie zum Beispiel Grafik- oder Arbeitsspeicher gegeben ist und ob die Hardware die nötigen Funktionen und IPs unterstützt (Bild 3). Entsprechend lassen sich die Perspektiven für kommende Systemgenerationen einschätzen. Harman kann so seine nächsten Systemwechsel präzise vorausplanen und im Dialog mit dem jeweiligen OEM genau auf die real existierenden Möglichkeiten in den nächsten Jahren eingehen. Durch diese Kenntnis der jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen der Infotainmentsysteme der nächsten und übernächsten Generation kann die Beratung optimal erfolgen. OEMs und damit die Fahrer künftiger Modellbaureihen können daher die jeweils besten Lösungen in der jeweiligen Systemarchitektur nutzen.

Hierbei kann Harman die Automobilhersteller auch vor falschen Erwartungen und Planungen schützen. So werden beispielsweise die Speichermodule der nächsten Generation nicht vor 2018/2019 für Automotive-SOP zur Verfügung stehen. Entsprechend macht es derzeit keinen Sinn, die 2017/2018 verbauten SoCs mit CPUs und GPUs der nächsten Generation zu bestücken oder Entwicklungen zu forcieren, die zwar die maximal mögliche Rechenleistung nutzen können, aber ohne entsprechende Arbeitsspeicher nicht funktionieren würden. Im Rahmen der vorausschauenden Analysen ist beispielsweise abzusehen, dass heute vollständig autonom fahrende Autos aufgrund der notwendigen Hardware in der Massenfertigung technisch nicht vor dem Jahr 2020 verfügbar sind.

Kurze Entwicklungszeiten

Gleichzeitig erlaubt das kontinuierliche Benchmarking Harman auch, Einfluss auf die Entwicklung der bewerteten Einzelkomponenten zu nehmen. So kann das Unternehmen Ingenieure nachgeordneter Teilbereiche gezielt auf bestimmte Leistungsreserven hinweisen, um so die Gesamtleistung eines Systems zu verbessern. Ist zum Beispiel die CPU- und Grafikleistung für eine bestimmte Lösungsidee mehr als ausreichend gegeben, erhalten etwa die Bereiche für Virtual Reality oder Software-basierte ADAS-Lösungen die Aufforderung, die Leistungsreserven auszuschöpfen, damit das bestmögliche Gesamtsystem entsteht.

Gleichzeitig kann Harman zum Beispiel feststellen, ob alle Komponenten die gleiche Leistungsfähigkeit aufweisen oder mangelnde Fähigkeiten einer bestimmten Einzelkomponente die Entwicklung einer geplanten Lösung gefährden oder unmöglich machen. In Gesprächen mit dem Hersteller der Komponente, zum Beispiel ein Chipsatz, oder mit den eigenen Entwicklern lässt sich sicherstellen, dass die nächste Technologiegeneration eine entsprechend höhere Leistungsfähigkeit bietet. Angesichts zunehmend vernetzter Infotainmentsysteme steigen aktuell vor allem die entsprechenden Sicherheitsanforderungen überproportional, womit der Hypervisor-Entwicklung momentan eine sehr hohe Priorität zukommt.

Bild 2: Blick in die Entwicklungsabteilung von Harman.

Bild 2: Blick in die Entwicklungsabteilung von Harman. Harman

Basierend auf den eigenen Anforderungen an die künftige SoC-Architektur sowie spezifischen Modellen der Automobilhersteller entwirft Harman im Rahmen seiner Benchmarking-Strategie mögliche Anwendungsszenarien. Bei den dabei vorgenommenen Leistungsabschätzungen spielen die Entwickler verschiedene Marktsegmente wie Infotainment, Telematik, Cluster oder ADAS sowie unterschiedliche Skalierungen von Einstiegs- bis Premiumprodukten durch. Hierbei definieren die Verantwortlichen die notwendige Leistungsfähigkeit sowie die Anforderungen an alle Bauteile einschließlich Schnittstellen. Außerdem definieren die Ingenieure, was die Software leisten muss und in welcher Qualität welche IT-Komponenten vorliegen müssen, um die jeweiligen Kundenwünsche zu erfüllen. Dies ist mit der wichtigste Schritt der gesamten Strategie und kann, bei einem entsprechend präzisen Entwicklungsansatz, bereits in dieser Phase die endgültige Infrastruktur beinhalten. Sobald klar ist, welche Leistungsparameter ein System erfüllen muss, übermittelt die zuständige Abteilung die entsprechenden Spezifikationen an den SoC-Hersteller.

Hohe Flexibilität

In dieser Phase des Abstimmungsprozesses klären die Entwickler von Harman gemeinsam mit dem SoC-Hersteller, wie leistungsfähig die kommende SoC-Generation in welchen Teilbereichen sein wird und vor allem wo sich die technischen Grenzen befinden werden. Sollten sich Defizite abzeichnen, versucht Harman, im Vorfeld gemeinsam mit den SoC-Hersteller die geplante Chiparchitektur zu optimieren und so eine bessere Lösung für die kundenseitig benötigte Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Harman favorisiert hierbei keinen bestimmten Hersteller, sondern strebt stets danach, die bestmögliche SoC-Lösung für die benötigten Bedürfnisse zum bestmöglichen Preis zu erhalten.

Neben der Frage der technischen Machbarkeit müssen sich die verschiedenen SoC-Lieferanten in diesem Dialog auch an ihren eigenen Vorstellungen und Zielmärkten orientieren und können entsprechend nicht alle Wünsche berücksichtigen. Es ist daher durchaus möglich, dass im Einzelfall ein anderer SoC-Lieferant die beste Lösung für das jeweilige Vorhaben bietet. Gerade im Premium-Segment kommt es dabei auf die spezifischen Leistungsdetails an. Im direkten Vergleich mehrerer SoCs zeigt sich immer wieder, dass sich eine von vielen vergleichbaren Lösungen für eine spezifische Anwendung als jeweils beste Möglichkeit erweist. Um eine möglichst hohe Flexibilität zur Erfüllung aller denkbaren Wünsche der Autohersteller zu erreichen, versucht Harman stets, mehrere gute Lösungen zu erhalten beziehungsweise bei Bedarf abrufen zu können.

Bild 3: Blick in die Produktion bei Harman.

Bild 3: Blick in die Produktion bei Harman. Harman

Nach der Evaluierung der in Frage kommenden SoC-Lösungen entscheiden die Ingenieure, Einkäufer und Qualitätsverantwortlichen der verschiedenen Harman-Bereiche gemeinsam, welches SoC letztendlich zum Einsatz kommt. Neben Entscheidungskriterien wie Qualität, Leistungsfähigkeit, Skalierbarkeit, Systempreis bei verschiedenen Ausstattungsstufen und in unterschiedlichen Marktsegmenten sowie der Zeitspanne bis zur Verfügbarkeit des SoC berücksichtgen die Zuständigen dabei auch Präferenzen der Autohersteller, etwa für bestimmte Anbieter oder Bauteile.

Einheitliche IP-Plattform

Parallel zur Arbeit an der SoC-Infrastruktur entwickelt Harman die nötige Software und stimmt sich mit den Anbietern der anderen Komponenten für das Infotainmentsystem, wie zum Beispiel Arbeits- und Datenspeicher sowie Peripheriegeräte, ab, um alle Bauteile verfügbar und bereits getestet zu haben, sobald das erste SoC-Muster erhältlich ist. Der Prototyp kommt in der Regel direkt nach seiner Fertigstellung zu Harman und wird sofort zum Testbetrieb in die vorbereitete komplette Infrastruktur eines neuen Infotainmentsystems eingebaut. Daraus resultieren kurze Entwicklungszeiten und damit die bestmögliche Markteinführungszeit.

Harman versucht im Dialog mit SoC-Herstellern und Automobilbauern stets eine möglichst einfache und einheitliche IT-Plattform für die nächste SoC-Generation zu finden, die sich leicht anpassen beziehungsweise erweitern lässt. Dadurch entsteht ein Basisprodukt für eine Vielzahl von Anwendungen, das sich einfach herstellen sowie vielfältig strukturieren und erweiteren lässt. Diese Basis können die Entwickler dann entsprechend den Anforderungen skalieren und für eine breite Palette von Lösungen für verschiedene Kunden jeweils zielgerichtet erweitern und bestücken.

Diese Herangehensweise verursacht gegenüber einzeln entwickelten Systemen erheblich weniger Zeitaufwand sowie Kosten bei der Planung und Produktion und erhöht gleichzeitig die erreichte Qualität. Wichtig bei diesen Basislösungen ist, dass die neuen SoC-Module in punkto technischer Ausstattung und Komplexität zwar das jeweils beste Produkt auf dem Markt sind, aber in ihrer Grundform keinerlei Kundentechnologie enthalten.

Basismodul für zahlreiche Lösungen

Die aktuelle Basislösung von Harman hat nur ein Design, einen Boot Loader und ein BSP (Board Support Package). Sie ist in vier SoC-Varianten (Low, Mid, High, Premium) erhältlich, die jeweils mit Speichermodulen mit einer Kapazität von 0,5, 1, 2, 3, 4, 6 oder 8 Gigabyte kombinierbar sind. So entsteht aus einer einzigen Hardware-Infrastruktur eine große Anzahl von SoC-Varianten in allen technisch machbaren Preis- und Leistungsklassen, die sich um beliebige Infotainmentelemente erweitern lässt. Das aktuelle Basismodul stammt aus der Entwicklung von wenigen Mitarbeitern und kommt weltweit in einer Vielzahl von Projekten zum Einsatz. Die Ingenieure und Techniker, die in den einzelnen Abteilungen die spezifischen Kundenprojekte entwickeln, müssen daher nie ein System komplett neu entwerfen und aufsetzen, sondern stets nur die Basis an kundenspezifische Anforderungen anpassen. Gleichzeitig lassen sich bereits bestehende Lösungen auf einfache Weise ergänzen.

Da die Entwickler hierbei auf die gesamte Vorarbeit inklusive Software zurückgreifen können, lassen sich unterschiedliche Kundenprojekte aus einem einzigen, wiederverwendeten Trägerprojekt ableiten. Da die meisten der grundlegenden komplexen Entwicklungsschritte bereits erledigt wurden, sind hierzu nur kleine, spezialisierte Teams nötig. Diese Herangehensweise bei der Systementwicklung spart Harman und seinen Kunden viel Zeit und Kosten. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich die Hauptentwickler bei Harman parallel zu den laufenden Kundenprojekten schon um das Design und die Entwicklung der nächsten SoC-Generation kümmern können.

Fazit

Durch sein umfassendes strategisches Benchmarking kann Harman aktuelle und künftige Anforderungen an die Systemarchitektur von Infotainmentsytemen frühzeitig bewerten. In einem kontinuierlichen Dialog mit den Produzenten der IT-Hardware und den Automobilherstellern werden diese in jeder Entwicklungsphase eines Infotainmentsystems über den aktuellen Stand, die Wünsche und Möglichkeiten sowie die Vor- und Nachteile informiert und in die weiteren Schritte eingebunden. Als Ergebnis kann Harman die bestmögliche Balance zwischen aktuell möglichen Strukturen ebenso gewährleisten wie die Entwicklung möglichst passender hochleistungsfähiger Einzelkomponenten.

Die Strategie von Harman nutzt allen Beteiligten außerdem durch die gewonnenen Erkenntnisse, die der Hersteller mit seinen Partnern teilt. Alle am Entwicklungs- und Herstellungsprozess einer Infotainmentgeneration Beteiligten sind so nicht nur über die realen Rahmenbedingungen, sondern auch über künftige Perspektiven und Wünsche informiert. Diesen Wissensvorsprung können SoC- und Autohersteller nutzen, um sich vom Wettbewerb abzusetzen.

Günther Kraft

Vice President, CoC Systems, Harman International

Krunoslav Orčić

Senior Principle Engineer, CoC Systems, Harman International

(hb)

Sie möchten gerne weiterlesen?