Wir gehen in die Tiefe 2016

(Bild: Marisa Robles Consée)

Die Referenten des diesjährigen Technologieseminars (v.l.n.r.): Dr. Matthias Hutter (Fraunhofer IZM), Prof. Matthias Nowottnik (Uni Rostock), Dominik Bösl (Kuka), Christoph Hippin (Endress Hauser), Dr. Heinz Wohlrabe (TU Dresden), Dr. Hans Bell (Rehm Thermal Systems), Wolfgang Motzek (Coronex Electronic), Jürgen Zacherl (Continental), Jörg Trodler (Heraeus) und Thomas Schmidthausen (4-Tec Marketing).

Die Referenten des diesjährigen Technologieseminars (v.l.n.r.): Dr. Matthias Hutter (Fraunhofer IZM), Prof. Matthias Nowottnik (Uni Rostock), Dominik Bösl (Kuka), Christoph Hippin (Endress+Hauser), Dr. Heinz Wohlrabe (TU Dresden), Dr. Hans Bell (Rehm Thermal Systems), Wolfgang Motzek (Coronex Electronic), Jürgen Zacherl (Continental), Jörg Trodler (Heraeus) und Thomas Schmidthausen (4-Tec Marketing). Marisa Robles Consée

Alles rund um die aktuellen Technologietrends der SMT-Branche versprach das diesjährige Technologieseminar „Wir gehen in die Tiefe“. Ein buntes Themenfeld, von Veranstalter 4-Tec-Marketing zusammengetragen, erwartete den Teilnehmer und damit zwei interessante, informative Veranstaltungstage in Dresden. Gut 150 Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, sich im exklusiven Kreis über die neuesten Innovationstreiber für die Elektronikfertigung auszutauschen. Zweifelsohne steht die hiesige Elektronikfertigungsbranche vor großen Herausforderungen. Da sind flexible und skalierbare SMT-Fertigungskonzepte mehr als gefragt. Der Erfolg des Technologieseminars zeigt anschaulich, dass in solch spannenden Zeiten der fachkundige Austausch über Technologien und Innovationstreiber wertvoll ist. Die Veranstaltung bot denn auch ausgiebige Gelegenheit zum Networking und Erfahrungsaustausch.

Die Table-Top-Ausstellung der Sponsoren ASM Assembly Systems, Christian Koenen, Asys, Heraeus, Vliesstoff Kasper, Rehm Thermal Systems und Zevac sowie die weiteren Aussteller Kolb Cleaning Technology, Viscom, Samtec, Stannol und Zestron Europe vervollständigte die Plattform zum Wissensaustausch bezüglich der neuesten Technologien in Entwicklung oder Design. Durch die Veranstaltung führte Prof. Mathias Nowottnick von der Universität Rostock IEF/IGS.

Moderne Elektronikfertigung – wie?

Wer künftig bestehen will, muss kontinuierlich an der Effizienzschraube drehen. Doch bekanntlich steckt der Teufel im Detail, weshalb es nicht mehr nur allein damit getan sein wird, stets in Systeme und Anlagen zu investieren. Vielmehr gilt es immer mehr, die Fertigungsumgebung genauer unter die Lupe zu nehmen. Gerade im Zuge der Miniaturisierung bis hin zur Nanotechnologie, aber auch der steigenden Kunden- und Zuverlässigkeitsanforderungen gelte es, die Partikel in der Umwelt gut im Auge zu behalten, unterstreicht Jürgen Zacherl von Continental Regensburg in seinem Vortrag über technische Sauberkeit mit Blick auf die zunehmenden Sauberkeitsanforderungen in der Elektronikfertigung. Dabei unterscheidet er zwischen sedimentierten, luftgetragenen, filmischen und ionischen Kontaminierungen genauso wie zwischen leitenden und nichtleitenden Partikeln, die sich in laufende Prozesse einschleichen und schließlich die Zuverlässigkeit einer elektrischen Baugruppe empfindlich stören können: „Kritische Partikel dürfen rumschwirren, aber nicht im Fertigungsgeschehen, also da wo Schäden können entstehen und es demzufolge teuer werden kann“, betont er und verweist auf Ansätze wie clevere Luftstromlösungen. Sicherlich wird in absehbarer Zeit kaum eine Elektronikfertigung um zumindest einen Sauberraum herumkommen, so manches Unternehmen wird sich auch über die Investition in einem Reinraum Gedanken machen müssen, aber: „In der Fertigung muss es so sauber wie nötig und nicht so sauber als möglich sein, sonst sind wir nur noch in Reinraumklassen 1 unterwegs“, gibt er zu bedenken.

Wir gehen in die Tiefe 2017

Alle Jahre wieder: Das 12. Technologieseminar „Wir gehen in die Tiefe“ für aktuelle Trends in der Aufbau- und Verbindungstechnologie findet am 21. und 22. Juni 2017 in Dresden statt.

Ein weiterer Aspekt, dem sich Elektronikfertiger in der Zukunft vermehrt widmen müssen, ist die steigende Tendenz der Produktpiraterie, die großen Schaden durch Funktionsausfälle hervorrufen kann. Wie groß, das zeigte Wolfgang Motzek von Coronex Electronic anschaulich anhand einer VDMA-Studie aus dem Jahr 2012. Damals waren mehr als zwei Drittel der über 3000 gemeldeten VDMA-Mitgliedsunternehmen von Produkt- oder Markenpiraterie betroffen. Der geschätzte Schaden für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau betrug im Jahr 2012 gut 7,9 Mrd. Euro jährlich. Ein Umsatzanteil in dieser Höhe entspricht ca. 37.000 Arbeitsplätzen im Maschinen- und Anlagenbau. Wähnte man bislang die Plagiatstreiber in Asien, so warnt der VDMA In seiner aktuellen Studie aus dem Jahr 2014, dass sich schleichend auch Deutschland zur Plagiatshochburg entwickelt hat: Im Jahr 2014 sah sich der VDMA erstmals in der Lage, die alarmierenden Zahlen zu „Produktpiraterie Made in Germany“ auszuwerten und kam dabei zu einem erschreckenden Ergebnis: Demnach liegt Deutschland mit 23 Prozent als Herkunftsland von Plagiaten auf Platz zwei hinter der Volksrepublik China. Für Wolfgang Motzek ist Produktpiraterie klar eine tickende Zeitbombe. Der Elektronikfertigungs-Dienstleister legt daher großes Engagement in Testequipment und einen lückenlosen Prüfablauf, um sich zuverlässig von Plagiaten zu schützen. Zudem gelte es, auf eine sorgfältige Auswahl der Beschaffungsquellen zu achten: Auch wenn die Verlockung groß sei, Angeboten zweifelhafter Herkunft nachzugeben, ist es unabdingbar Bauteile und Komponenten bei Original-Herstellern, authorisierten Distributoren oder bei qualifizierten unabhängigen Distributoren zu besorgen. Schließlich gelte es auch, Obsolescencen vorzubeugen. Nur so ließen sich spätere Schadensersatzansprüchen vermeiden und eine Kundenzufriedenheit sicherstellen.

Herausforderungen in der Löttechnik

Traditionell nimmt die Löttechnik in dieser etablierten Veranstaltung den Löwenanteil ein. So wundert es nicht, dass wieder Stellschrauben entlang der SMT-Fertigung vorgestellt wurden. Den Auftakt hierzu bildete Thomas Lehmann von Christian Koenen, der die jüngsten Entwicklungen der Schablonentechnik skizzierte und die Schablonenanforderungen jenseits des Standards vorstellte. Durch die komplexer werdenden Baugruppen stieg gerade in den letzten Jahren die Nachfrage nach Stufenschablonen mit ihrer 3D-Schablonentechnik enorm, ermöglichen sie doch den gleichzeitigen Druck auf verschiedenen Höhenleveln einer Leiterplatte. Der zarte Anfang mit einem Embedded-Projekt des österreichischen Leiterplattenherstellers AT&S vor gut sieben Jahren gestaltete sich zu einem großen Geschäftsbereich: „Mit der 3D-Schablone konnten wir letztes Jahr aufgrund der hohen Nachfrage eine Verzehnfachung der Produktion verzeichnen“, erläutert Lehmann und zeigt dabei die verschiedenen Vorteile dieser Schablonenlösung auf. Nahtlos leitet er zu den weiteren Schablonenlösungen aus dem Hause Christian Koenen über, wie etwa der sowohl für den Kleber- und Lotpastendruck ausgelegten Pump-Print-Schablone, die zur Bedruckung von Substraten mit erheblichen Höhenunterschieden ausgelegt ist, oder der M-Teck-Schablone. Parallel zur komplexen Baugruppe entwickelt sich durch die steigenden Einsatzmöglichkeiten der LED-Technik auch der Trend hin zu überlangen Platinen, die ebenfalls mit Lotpaste zu bedrucken sind. Vor gut fünf Jahren gelang Christian Koenen ein Weltrekord mit einer Druckschablone in Übergröße, die stolze 3 m lang und 70 cm breit war. In Zusammenarbeit mit Ekra entstanden nun Druckschablonen, die für das Spezialdruckverfahren „Multistep“ geeignet sind und Leiterplattengrößen von 1500 mm x 200 mm in drei Segmenten mit Lotpaste zu bedrucken vermögen.

Der Lotpastendruck ist der erste Schritt, dem sich der Lötprozess anschließt. Welchen Einfluss die Prozessparameter auf das Lötergebnis haben, darüber referierte Dr. Hans Bell von Rehm Thermal Systems. Dabei unterschied er zwischen den durch das Reflowlöten nicht beeinflussbaren qualitativen Größen und den Einflussgrößen des Reflowprozesses. Mittendrin sei der Mensch, der ebenfalls Einfluss auf das Lötergebnis haben kann. Dabei führte er zahlreiche Beispiele an, um die verschiedenen Einflussgrößen anschaulich darzustellen. Gezeigt wurde unter anderem ein Messboard, um Methoden und Messergebnisse für eine optimale Auswahl zu vergleichen. Schließlich lenkte Bell die Aufmerksamkeit auf den Zustand der Reflowlötanlage selbst: So können etwa verschmutzte Transportketten einen erheblichen Einfluss auf das Lötergebnis haben. Ebenfalls praxisbezogen erläuterte Christoph Hippin von Endress+Hauser, wie sich die effiziente Verarbeitung von Micro- und Macrobauteilen im Reflowprozess gestalten lässt. Dabei erläuterte er, dass die THT-Bestückung noch lange nicht am Ende ist. Mit dem Pin-in-Paste-Prozess ließen sich THTs durchaus in SMT-Prozessen berücksichtigen, wodurch er nahtlos zum Back-Side-Reflow-Verfahren überleitete. Gemeinsam mit Rehm wurde ein Lötprofil erarbeitet, das einen effizienten und zuverlässigen Back-Side-Reflowprozess erlaube, berichtet er.

Von der Praxis in die Forschung

Dr. Matthias Hutter vom Fraunhofer IZM stieg in seinem Vortrag „Qualität von Lötstellen“ tief in die Metallurgie ein und erläuterte anhand von verschiedenen Beispielen, wie sich das Materialgefüge in den jeweiligen Lotlegierungen in den verschiedenen Lötprozessen verhält. Vorgestellt wurde unter anderem das Forschungsprojekt SEEL und das für hohe Löttemperaturen geeignete drucklose Silbersintern. Auch Jörg Trodler von Heraeus Deutschland nahm seine Zuhörer mit in die Welt der Lötlegierungen, als er von dem Sprödbruchrisiko an keramischen Bauelementen in Abhängigkeit von den eingesetzten Lotwerkstoffen SAC, Innolot und HT1 berichtete. Der siegverwöhnte Napoleon lernte im Russlandfeldzug Zinn zu verfluchen. Letztlich wurde sein Abstieg nicht zuletzt durch das fünfzigste Element des Periodensystems verursacht: Denn die klirrende Kälte machte der 1812 in Moskau stationierten Armee Napoleons schwer zu schaffen. Bei klirrender Kälte und fehlender Versorgung zerfielen den Soldaten Napoleons auch noch die aus Zinn gefertigten Uniformknöpfe. Heute weiß man: Wäre bei der Knopfherstellung dem Zinn geringe Mengen von Elementen wie Arsen, Blei, Antimon oder Bismut zugesetzt worden, wäre die Zinnpest nicht aufgetreten. Auch heute machen die Zinnkristalle der Elektronikfertigung zu schaffen – vor allem, wenn es um Niedrigtemperaturlöten geht. Er zeigte Beispiele für Sprödbrüche an keramischen Zweipolern bei Test- und Feldbelastungen und das damit einhergehende Lotkriechen für bleifreie Weichlote SAC 375/ 305, Innolot und HT1-Lot. Bei der Finite-Elemente-Simulation wurden keramische Chipwiderstände und -kondensatoren unter Temperaturbelastungen genauso wie unter Temperaturschock und Temperaturwechsel gestellt und die Ergebnisse vorgestellt. Prof. Mathias Nowottnick von der Universität Rostock IEF/IGS ging der Frage nach, welche Auswirkung eine beschleunigte Alterung auf elektronische Baugruppen hat und zog dabei den Vergleich zwischen aktiven und passiven Zyklentests, die auf Eigenuntersuchungen basierten.

Die Veranstaltung bot denn auch ausgiebige Gelegenheit zum Networking und Erfahrungsaustausch.

Die Veranstaltung bot denn auch ausgiebige Gelegenheit zum Networking und Erfahrungsaustausch. Marisa Robles Consée

Elektronikfertigung der Zukunft

Dr. Heinz Wohlrabe, TU Dresden widmete sich dem Thema der Optimierung der Qualität des SMT-Montageprozesses mittels Simulation. Dabei konzentrierte er sich auf die geometrische Montagegenauigkeit von oberflächenmontierbaren Bauteilen und Komponenten, denn: „Die aktuellen Herausforderungen für die geometrische Montagegenauigkeit liegen in den kleiner werdenden Strukturen mit größeren Anschlussanzahlen bei teilweise zunehmenden Leiterplattengrößen.“ Darauf aufsetzend nahm er seine Zuhörer in die Pflicht, sich darüber Gedanken zu machen, ob sich mit den vorhandenen Ausrüstungen ein gegebenes Produkt mit einer ausreichenden Montagequalität fertigen lässt, was zu ändern ist um effektiv die notwendige Qualität erreichen zu können und welche Anforderungen an das zu verwendete Material zu stellen sind. Mit Blick auf die Fertigung der Zukunft stellte er eine „konkrete Beispielfrage an Smart-SMT-Factory: Kannst Du 03015 mit dem vorhandenen Material in ausreichender Montagequalität bestücken?“

Dieser Frage nahmen sich die Experten der zukunftsweisenden Fertigungslösungen gerne an: Während Hubert Egger, Leiter Produktmarketing von ASM Assembly Systems, seine Zuhörer in die Welt der selbstoptimierenden Maschinen als Basis für die Smart SMT Factory mitnahm, gab ASM-Partner Dominik Bösl von Kuka spannende Einblicke in die Zukunft von Robotik und Digitalisierung. Für Bösl steht fest: „Technologie ist eine Möglichkeit zur nächsten Evolution.“ Und die heißt bei Kuka kollaborierende Roboter für den Alltag und für die Fertigung. Beide Unternehmen arbeiten eng an einem Robotikprojekt zusammen, das kollaborierende Roboter als Unterstützung im SMT-Materialmanagement einsetzt. Das Projekt hatte den Kuka-Roboter LBR iiwa (intelligent industrial work assistent) in zwei Varianten im Einsatz: als stationärer Roboter im Vorrüstbereich und auf einer verfahrbaren Plattform als KMR iiwa während der laufenden Fertigung einer Siplace-SMT-Linie. Der selbstfahrende Roboter unterstützt das Linienpersonal bei Rüst- und Nachschubprozessen. Seine Steuerungsanweisungen für die Abholung und rüstoptimierte Bereitstellung von Bauteilrollen an den Stellpätzen der SMT-Linie erhielt der Kuka-Roboter über die Vernetzung mit der Materialflusslösung Siplace-Material-Manager. Ziel der Anwendung war es, die Möglichkeiten für die Smart-Factory aufzuzeigen. Hubert Egger unterstrich, dass sich mit Smart-Factory die manuellen Tätigkeiten reduzieren und Bediener vielmehr „on-demand“ an den SMT-Linien agieren werden. „Industrie 4.0 darf sich nicht auf den Produktionsprozess beschränken“, bekräftigt er und verweist auf die Nutzung der “neuen Medien” nach dem Herstellungsprozess. So könnten bereits ausgelieferte Produkte und Systeme mit dem Hersteller kommunizieren und die Statuszustände und Störungen melden. Auch sei es möglich, die Bearbeitung von Rückläufern aus dem Feld schon vor Eintreffen des Produktes vorzubereiten. Unabhängig von den Zukunftsszenarien müssen die Maschinen und Anlagen kontinuierlich den Anforderungen entsprechen. Mit insgesamt 11.000 Patenten der gesamten ASM-Group ist er zuversichtlich, dass die Ideenschmiede auch weiterhin heißlaufen wird: weitere Smart-Factory-konforme SMT-Plattformen sind bereits in der Pipeline.

Doch ohne linienübergreifende Vernetzung hilft die beste Smart-Factory nichts. Davon ist Herbert Natterer von Asys überzeugt, der Pulse als Human Centered Solutions vorstellte. Die linienübergreifende Software ist eine Etappe auf der langfristig ausgelegten Strategie, eine „wirklich smarte“ Produktion – also eine selbstorganisierte Fertigung mit menschlicher Unterstützung bei den Kernaufgaben – zu ermöglichen. Mittels mobiler Geräte wie Smartphone, Smartwatch oder Tablet wird die tägliche Arbeit in einer Produktionsumgebung für den Anwender vereinfacht, da wichtige Informationen dem Bediener in Echtzeit aufgezeigt werden. So hat der Mensch nicht nur eine SMT-Linie, sondern auch Insellösungen unter vollständiger Kontrolle. Doch auch bei Asys werden weiterhin zukünftige Lösungen entwickelt. So lenkte Natterer die Aufmerksamkeit auf Augmented Reality als bewusstseinserweiternde Technik.

Marisa Robles Consée

Chefredakteurin Productronic

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