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(Bild: Alfred Vollmer)

Wie laufen denn die Geschäfte im Elektronikbereich?

Torsten Gollewski: Die Geschäfte laufen sehr gut. 2017 hat ZF einen Konzernumsatz von 36,4 Milliarden Euro erzielt, wir sind in allen Bereichen sehr zufrieden. Die Elektronik-Aktivitäten ziehen sich durch unsere unterschiedlichen Divisionen: Von der Antriebs- und Fahrwerktechnik über aktive und passive Sicherheit bis hin zu ADAS und dem automatisierten Fahren. Derzeit erweitern wir unser Elektronikentwicklungszentrum in Polen, womit wir das weitere Wachstum in der Sicherheitstechnik stärken. Unsere Elektronik-Aktivitäten unterstützen auch die Elektromobilität: Das umfasst Hybridmodule, Plug-in-Hybridgetriebe sowie elektrische Antriebe inklusive Leistungselektronik und Systemintegration. Bei ZF sind wir nicht nur im Pkw-Bereich, sondern auch im Truck-und Transport- sowie Industriebereich unterwegs.

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Torsten Gollewski: „Wir betrachten das automatisierte Fahren über mehrere Marktsegmente hinweg – von Industrie über Nutzfahrzeug, People und Cargo Moving bis Pkw.“ Alfred Vollmer

Wie weit ist ZF mit der Integration von TRW?

Torsten Gollewski: Die letzten drei Jahre ist der Integrationsprozess stringent durchgelaufen. Die Integration von TRW in den ZF-Konzern ist mittlerweile weitgehend abgeschlossen. Dass sich die Integration positiv auf unser Geschäft ausgewirkt hat, sieht man auch an den Zahlen. Mit der Integration an sich und dem Prozess dahinter sind wir sehr zufrieden. An der einen oder anderen Stelle gilt es jetzt, die Dinge im Gesamtkonzern gemeinsam weiterzuentwickeln. Die Akquisition von TRW war ein wichtiger Schritt für ZF. Man kann das leicht an den Elektronikinhalten der Technologiefelder Automatisiertes Fahren, Integrierte Sicherheit, Vehicle Motion Control und elektrifizierter Antriebsstrang ablesen.

Welche Aufgaben liegen in Ihrem persönlichen Verantwortungsbereich?

Torsten Gollewski: Ich verantworte die zentrale Vorentwicklung des ZF-Konzerns. Vorentwicklung zieht sich bei uns quer durch das Unternehmen – vom Pkw bis zum Nutzfahrzeug und auch in industrielle Anwendungen. Meine Aufgaben umfassen u.a. die Bereiche ADAS und AD inkl. Sensorik, Domain-ECUs, Fahrwerk, Antriebsstrang, Integrierte Sicherheit, Industrieanwendungen und Innovationsfahrzeuge. Gerade die Bereiche Automatisiertes Fahren, AD-Capabale Safety und Vehicle Motion Control wollen wir noch stärker ausbauen. Außerdem bin ich als Geschäftsführer für Zukunft Ventures zuständig, unsere Organisationseinheit, die sich auf die Erschließung von Zukunfts- und Schlüsseltechnologien konzentriert. Das kann sowohl Startups als auch etablierte Unternehmen umfassen.

Was dürfen wir in diesem Jahr auf der IAA Nutzfahrzeuge in punkto Fahrerassistenz beziehungsweise Automatisierung sowie rund um die Elektromobilität erwarten?

Torsten Gollewski: Im Nutzfahrzeug-Bereich ist die Entwicklung der Fahrerassistenz u.a. stark vom Gesetzgeber getrieben. Denn viel zu oft kommt es noch zu Unfällen mit Nutzfahrzeugen. Zu den häufigsten Szenarien zählt vor allem der Längsverkehr, beispielsweise bei Auffahrunfällen. Beim Abbiegen in der Stadt besteht die Gefahr, dass Fußgänger oder Fahrradfahrer übersehen werden – oft mit tödlichem Ausgang. Hier könnten Assistenzsysteme Abhilfe schaffen. Auch sehen wir im Logistikbereich ein großes Marktpotenzial im Bereich Last Mile Delivery und in Richtung autonomes Fahren, z.B. Automated Freightyard. Die ersten Level-4-Funktionen in Nutzfahrzeugen werden wir wahrscheinlich noch vor der Realisierung im Pkw-Bereich sehen, in abgegrenzten Bereichen, den sogenannten Dedicated Areas. Dies ist für uns ein wichtiges Erfahrungsfeld. Unabhängig davon, dass sich die Systemkosten im Business Case schneller amortisieren.

Themen auf der nächtsen Seite: Level-4-Nutzfahrzeuge im Regeleinsatz und People-Moving

Torsten Gollewski zeigt Alfred Vollmer, Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK, die neuste Hardware-Generation von ZF ProAI: „Der Markt braucht skalierbare Lösungen für das automatisierte Fahren. Aus diesem Grund haben wir die dritte Generation der ZF ProAI entwickelt, unserer zentralen Recheneinheit für das automatisierte Fahren.“

Torsten Gollewski zeigt Alfred Vollmer, Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK, die neuste Hardware-Generation von ZF ProAI: „Der Markt braucht skalierbare Lösungen für das automatisierte Fahren. Aus diesem Grund haben wir die dritte Generation der ZF ProAI entwickelt, unserer zentralen Recheneinheit für das automatisierte Fahren.“ Dr. Nicole Ahner

Wann werden wir Level-4-Nutzfahrzeuge im Regeleinsatz sehen?

Torsten Gollewski: Wir gehen davon aus, dass die ersten Level 4 Anwendungen schon ab 2019/2020 im Markt sein werden. Ein denkbares Szenario ist hier ein autonomer Betriebshof. Für uns ist das eine sehr gute Möglichkeit, beim autonomen Fahren schon einen frühen Markteintritt mit unseren Systemlösungen zu erreichen, noch bevor derartige Lösungen in der komplexen Welt der Pkw in Serie gehen. Beim Cargo-Moving wird ein relativ starker Bedarf aus dem Markt in Richtung autonomes Fahren kommen.

Und wie sieht es beim People-Moving aus?

Torsten Gollewski: Sowohl beim Cargo-Moving als auch beim People-Moving geht der Trend hin zum autonomen Fahren. Warum ist das so? Wir sprechen heute über neue Mobilitätskonzepte in Städten. Diese sind stark von der Idee geprägt, emissionsfrei und autonom zu fahren. Das geht bis hin zu autofreien Innenstadtbereichen, in denen der individuelle Mobilitätsbedarf über autonom fahrende People Mover Tag und Nacht sichergestellt sein muss. Das lässt sich nur  in einen akzeptablen Kostenbereich umsetzen, muss aber gegen die derzeitigen Herausforderungen bei der Personalgewinnung gegengerechnet werden. Deswegen sehen wir gerade beim Thema People-Mover eine starke Nachfrage und sind hier bereits mit dem Joint Venture e.GO Moove GmbH auf dem Markt unterwegs, um diesen Paradigmenwechsel im ÖPNV mit unseren Technologieansätzen abzubilden. Das Konzept von e.GO Moove ist prädestiniert für einen derartigen Einstieg, zumal der Marktbedarf hier viel höher ist, als im Pkw-Bereich.

Was bedeutet das für die Automatisierung der Pkw?

Torsten Gollewski: Fahrerassistenz auf Level 1 und 2 funktioniert bereits bestens. Ein Blick auf die Randbedingungen von Level 3 zeigt, dass es sich eigentlich um eine reine Autobahnfunktion handelt, also eher ein Nischenbereich ist, denn Level 3 ist im urbanen Bereich noch nicht realisierbar. In den komplexen Verkehrsszenarien asiatischer Städte beispielsweise sind die erforderlichen Übernahmezeiten bei Level 3 einfach nicht realistisch.

Für Level 4 sind die Fahrer per Definition gar nicht in der Verantwortung, dann sind wir genau beim autonomen People- und Cargo-Mover – und da kommen andere Konzepte mit ins Spiel. Hier ist der Kunde ein Transport-as-a-Service-Provider, während das Fahrzeug genau genommen nur als Mittel zum Zweck dient, aber nicht als Differenzierungsmerkmal. Exakt das ist die Disruption, die wir gerade im Markt sehen: Unternehmen wie Lyft oder Uber bieten Transport-as-a-Service an und erscheinen im Markt plötzlich mit Mobilitäts- und Flottenkonzepten zum autonomen Fahren, mit denen sie natürlich eine ganz andere Dimension eröffnen.

Wie gehen Unternehmen wie Uber oder Lyft dabei vor?

Torsten Gollewski: Ein Level-3/4-Paket ist sehr komplex und hat damit natürlich auch bei einem entsprechenden Volumen einen adäquaten Preis – und das muss sich der Endkunde auch leisten können und wollen. Vor diesem Hintergrund wird sich zeigen, ob der klassische Pkw-Verkauf an Endkunden der richtige Weg ist, der das große Volumen bringt. Denn hier muss der Endkunde davon überzeugt werden, einen signifikanten Preis für dieses Paket zu bezahlen. Aber da sind die Automobilhersteller bereits dran. Für die Flottenkunden ist das Modell vollkommen anders, hier können sich Systemkosten schneller im Business Case rechnen.

Die Transport-as-a-Service Unternehmen, also TaaS, haben ein anderes Geschäftsmodell: Für die ist ein Fahrzeug Mittel zum Zweck, so dass die Nordschleifentauglichkeit oder die Premium-Anmutung für diese Unternehmen irrelevant ist. Da zählt nur eines, nämlich Cost per Mile, die Kosten pro Kilometer – darum geht es im Transport-Business. Hier hat ZF einen Vorteil über seine Nutzfahrzeugkompetenz, denn über das Truck-Geschäft haben wir ganz andere Zugänge. Auf dem TaaS-Flotten-Markt besteht zum einen die Nachfrage nach einem Gesamtfahrzeugkonzept und zum anderen nach einer Gesamt-AD-Architektur. Die Unternehmen erwarten vom Tier-1 die komplette Systemintegration, also das, was heute ein traditioneller OEM eigentlich selbst macht.

Wir sehen jetzt schon weltweite Einsatz-Beispiele wie e.GO, Navya oder EasyMile. Diese setzen so genannte Dedicated Urban Carriers ein. An e.Go Moove liefern wir die AD-Plattform mit L4 Funktion, die damit das komplette Fahrzeug herstellen und an den TaaS-Provider ausliefern.

 

Auf der nächsten Seite nehmen People Mover an Fahrt auf.

Welche Konsequenz ergibt sich daraus für die automatisierten Systeme in punkto Redundanz?

Torsten Gollewski: Level 4 benötigt sehr viele Redundanzebenen, das berücksichtigen wir in unserer Architektur. In unser Sensor-Set integrieren wir redundante Sensorprinzipien: Radar, Lidar und Kamera. Teilweise kommt sogar Infrarotbeleuchtung für die Kamera hinzu, weil beispielsweise zur Seite keine geregelten Beleuchtungsverhältnisse herrschen wie in Fahrtrichtung durch die Schweinwerfer. Zu unterschiedlichen Sensorfusionsprinzipien kommt dann die Trajektorien-Planung hinzu. In der Domain-ECU setzen wir auf redundante Prinzipien und Hardwarekonzepte, und in der Trajektorienumsetzung haben wir ebenfalls entsprechende Redundanzen.

Torsten Gollewski: „Level 4 ist viel mehr als nur die reine Elektronik; hier gilt es, auch die ganze Mechanik und das Gesamtsystem im Blick haben – inklusive entsprechender Redundanz.“

Torsten Gollewski: „Level 4 ist viel mehr als nur die reine Elektronik; hier gilt es, auch die ganze Mechanik und das Gesamtsystem im Blick haben – inklusive entsprechender Redundanz.“ Alfred Vollmer

Wenn ein Problem auftritt, benötigen auch die Aktuatoren Rückfallebenen. Deswegen denken wir auch in sogenannten Level-4-Bremssystemen oder Level-4-Lenksystemen, die das Gesamtsystem komplettieren. Level 4 ist viel mehr als nur die reine Elektronik; hier gilt es, auch die ganze Mechanik und das Gesamtsystem im Blick haben – inklusive entsprechender Redundanz. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von intelligenten mechanischen Systemen. Beispielsweise haben wir in einem Versuchsfahrzeug, das wir auf der CES in Las Vegas dieses Jahr zeigten, eine Konfiguration für Level-4-Fahrfunktionen realisiert. Diese Konfiguration lässt sich modularisiert über die ZF-Domänen see.think.act. auf den jeweiligen Anwendungsfall applizieren. Sie verhilft den Fahrzeugen zur notwendigen Seh- und Denkfähigkeit, etwa für innerstädtischen Verkehr. Natürlich braucht es auch mechanische Redundanzen, die sich aus der Kombination der Elektronik mit der Funktionssoftware ergeben. Wenn zum Beispiel die Frontlenkung auszufallen droht, dann gilt es, eine Trajektorie anders umzusetzen, also nicht mehr nur in der Vorderachslenkung sondern zum Beispiel auch unter Einsatz der Hinterachslenkung.

Die Hinterachslenkung dient dabei nicht nur als zusätzliche Redundanz. So kommt etwa bei einem  Ausweichmanöver per Hinterachslenkung weniger Kippmoment auf. Dass dies den Komfort deutlich erhöht, haben wir im Vision Zero Vehicle gezeigt. Beim People-Mover ist auch Fahrkomfort ein wichtiges Thema, damit den Passagieren nicht übel wird. Dann heißt es, nicht nur an die eigentliche Fahraufgabe zu denken, sondern die Trajektorie möglichst komfortabel umzusetzen. Damit kommen ganz andere Systemaspekte hinzu – inklusive sehr viel Elektronik beziehungsweise Softwarefunktionen.

Hinzu kommt, dass sich ein wesentlicher Teil des automatisierten Fahrens nicht in der ADAS-Welt, sondern in der Welt der Fahrzeugsicherheit entscheidet. Die öffentliche Erwartungshaltung besteht darin, mit autonomem Fahren die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Entsprechend müssen wir die Fahrzeuge auslegen. Die Diskussionen aufgrund aktueller Unfallbeispiele zeigen, wie wichtig dieser Aspekt ist, denn die Erwartung an die neue Technologie ist groß. Und sie muss sicher sein. Querende Radfahrer und Fußgänger sind Szenarien, die wir eigentlich aus der Fahrzeugsicherheit rund um Euro-NCAP kennen, und die spielen natürlich mit in das automatisierte Fahren rein. Automatisierung orientiert sich nicht nur am Fahren; es muss vor allem an den Sicherheits- und Unfall-Trajektorien ausgerichtet sein, um die Erwartungshaltung eines sicheren Verkehrs erfüllen zu können. Selbst bei guter automatisierter Fahrfunktion wird das Fahrzeug in Unfälle verwickelt werden. Dann entscheidet sich, wie gut Insassenschutz-Szenarien in den Fahrzeugen realisiert sind. Aber es gibt auch physikalische Grenzen, und daran wird auch autonomes Fahren nichts ändern.

Derzeit sind die People-Mover noch ziemlich langsam unterwegs – in Bad Birnbach genauso wie im Pariser Stadtteil La Défense. Wann werden People-Mover mit normalen innerstädtischen Geschwindigkeiten von 50 bis 60 km/h unterwegs sein?

Torsten Gollewski: Grundsätzlich müssen wir hier mehrere Aspekte unterscheiden: Was ist technisch möglich, was ist den Zonen möglich und was gestattet das Gesetz? Noch gibt es keine Kriterien für eine Level-4-Zulassung. Vor allem der Betrieb in abgegrenzten Bereichen, Dedicated-Areas, treibt den Markteintritt von Level-4-Systemen voran. Auch für People-Mover gibt es Werksgelände und abgesperrte Bereiche. Wir werden zudem erste Stadtteile oder erste Buslinien in diesem Umfeld sehen. Das wird sich sehr deutlich vom Pkw-Bereich unterscheiden. Die höheren Geschwindigkeiten werden wir auf jeden Fall erst nach 2020 haben, aber zumindest im nächsten Jahrzehnt. Ein wesentlicher Faktor dabei ist die Aufrüstung der Infrastruktur in den Städten mit den adäquaten Systemen.

Was tut sich bei den Pkw in punkto automatisiertes Fahren?

Torsten Gollewski: Der Markt braucht skalierbare Lösungen für das automatisierte Fahren. Aus diesem Grund haben wir die dritte Generation der ZF ProAI entwickelt, unserer zentralen Recheneinheit für das automatisierte Fahren. Anfang 2017 haben wir die erste Generation der ZF ProAI auf der CES vorgestellt, jetzt sind wir bei der dritten Generation – ein skalierbares Konzept mit drei Slots, das sich entsprechend konfigurieren lässt und von Level 2 bis Level 4 nutzbar ist. Eventuell eignet es sich später auch für Level 5.

ZF ProAI ist skalierbar und gleichzeitig redundant. Die Mechanik haben wir für alle drei Kühlarten vorbereitet, nämlich Luftkühlung, Wasserkühlung und Wärmeableitung. Das kommt auch unserem Prinzip entgegen, über die einzelnen Divisionen und Märkte hinweg Lösungen zu bieten. Wir betrachten das automatisierte Fahren über mehrere Marktsegmente hinweg –  von Industrie über Nutzfahrzeug, People und Cargo Moving bis Pkw.

 

Auf der nächsten Seite erfahren Sie, warum sich nach Torsten Gollewskis Ansicht das Thema autonomes Fahren vor allem in der Welt der Fahrsicherheit entscheidet.

Sie haben vorhin gesagt, dass sich das „Thema autonomes Fahren nicht in der ADAS-Welt, sondern in der Welt der Fahrzeugsicherheit“ entscheidet. Was meinen Sie damit explizit?

Torsten Gollewski: Wer aufmerksam über Messen läuft, sieht rund um das Thema automatisiertes Fahren auch neue Innenraumkonzepte. Diese muss man auch in punkto Fahrzeugsicherheit betrachten, denn eine gedrehte Sitzposition etwa ist eine echte Herausforderung. Der Gurt lässt sich dann nicht mehr in der B-Säule verbauen und beim Drehen des Sitzes liegt der Gurt schnell am Hals an. Wir haben in der Vorentwicklung eine hohen Fokus auf unterschiedliche Sitzkonfigurationen mit Menschmodellen im Innenraum gelegt und durchsimuliert. Wir legen unser externes Sensor-Set bewusst so aus, dass wir auch die Insassensicherheit-Szenarien mit abdecken können. Die AD-Welt schaut zunächst einmal aufs Fahren, aber es ist auch wichtig, die Seitenlasten und Kreuzungslasten bei veränderten Innenraumkonzepten mit abzudecken.

Selbst wenn ein autonom fahrendes Vehikel mit einer neuen Sitzkonfiguration keinen Unfall verursacht, könnte es dennoch bis etwa 2035/2040 auf Grund der Mischflotten in Unfälle verwickelt sein. Und wie bereitet man jetzt das Auto darauf vor, dass es in einem autonomen Fahrmodus bei veränderten Innenraumkonzepten von außen mit einem anderen Fahrzeug kollidiert? Es ist eine der großen Stärken von ZF, dass wir der einzige Zulieferer sind, der automatisiertes Fahren mit Vehicle Motion Control und Insassenschutz miteinander verbinden kann, weil wir sowohl Sensorik als auch die Rechner als auch die Rückhaltesysteme in unserem Produktportfolio haben. Ein Vorteil, den wir klar am Markt umsetzen wollen.

Was heißt das für die Sensorik?

Torsten Gollewski: Wir reden mittlerweile auch über externe Airbags, und um die zu triggern, müssen externe Sensorsets entsprechende Daten liefern. Dieses externe Sensorset legen wir aber hauptsächlich an den Sicherheits-Trajektorien aus, in Kombination mit den Trajektorien zum automatisierten Fahren. Insbesondere auf der Seite des Fahrzeugs stehen wir vor sehr großen Herausforderungen, sodass wir auch über Lidar-Systeme auf der Fahrzeugseite nachdenken müssen, die entsprechend schnell getaktet sind.

Bei der Sensorik sind wir in allen drei Bereichen aktiv: Radar, Kamera, Lidar. Außerdem haben wir natürlich auch V2x- und GNSS-Sensorlösungen in der Vorentwicklung. Per V2x können andere Fahrzeuge beispielsweise den Reibwert der Straße übermitteln, aber wenn in den letzten zwei Stunden niemand mehr diese Straße befahren hat, dann benötigen wir neue Methoden. Wir wollen den Reibwert vorausschauend mit Hilfe von Umfeldsensorik messen; da haben wir einige Ideen. Nicht nur auf einer verschneiten Straße ist auch die Lokalisierung per HD-Mapping und Satellitennavigation sehr wichtig. All diese Sensordaten fließen dann in die Fusion mit ein.

Was tut sich bei der Sensorik?

Torsten Gollewski: Bei den Radarsystemen geht es bei uns stark um das Thema Imaging-Radar, bei dem wir zusätzlich zur lateralen Auflösung auch eine Elevationsauflösung bekommen: Wir schauen damit folglich nicht nur in die Breite sondern auch in die Höhe. Über Zukunft Ventures haben wir eine Beteiligung am Radarspezialisten Astyx und noch viele interessantere Lösungen in der Pipeline. Außerdem kooperieren wir intensiv mit Hella beim Short-Range-Radar sowie bei der Bildverarbeitung mit Hella Aglaia.

Die Tricam wird in Serie gehen, und bei den Kameras gibt es Konzepte in Richtung Kameraköpfe, deren Rohdaten dann in einer Zentraleinheit fusioniert werden. All unsere Lidar-Projekte mit Ibeo sind vom Typ 3D-Solid-State-Lidar mit hohen Auflösungen.

Außerdem müssen wir die Einbauorte entsprechend berücksichtigen: Lidar und Kamera auf der Seite stellen uns vor ganz neue Aufgaben – allein schon, weil es dort keine geregelten Beleuchtungskonzepte gibt, aber wir arbeiten in der Vorentwicklung intensiv an Lösungen.

Wo liegen die Herausforderungen der Sensorfusion?

Torsten Gollewski: In der Sensorfusion müssen wir auch die kritischen Trajektorien mit betrachten; hierfür sind saubere Zeitzuordnungen erforderlich. Obwohl die Sensoren mit unterschiedlichen Taktraten arbeiten, muss das System in der Sensorfusion auch immer ein klares zeitzugeordnetes Bild zusammensetzen – auch wenn das Seiten-Lidar mit 100 Hz und der Radar mit 40 Hz oder 20 Hz taktet. Wo Unschärfen für das automatisierte Fahren allein oder für die Assistenzfunktion vielleicht noch gut ausreichen, sind für Fahrzeugsicherheitsthemen schon genauere Zuordnungen erforderlich. Das ist der große Unterschied in der Strategie von ZF, weil wir eben Fahrzeugsicherheit mit im Portfolio haben. ZF bietet damit Gesamtsystemkonzept-Lösungen, nicht nur Sensorik, sondern auch die Rechnereinheit und die Aktuatorik.

Welche Bedeutung hat für Sie der Automobil-Elektronik-Kongress in Ludwigsburg?

Torsten Gollewski: Der Automobil-Elektronik-Kongress ist mittlerweile eine Institution, ein Branchentreff, der so etabliert ist, dass er gerade für Technologiethemen in der Automobilelektronik ein entsprechender Magnet ist – inklusive Networking. Das Who is Who der Branche geht nach Ludwigsburg und zur CES.

Alfred Vollmer

ist Chefredakteur der AUTOMOBIL-Elektronik

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