Touch-Bedienfelder können herkömmliche Bedienelemente in der Industrie ersetzen und sind bei Bedarf zu vollständigen IPCs aufrüstbar.

Touch-Bedienfelder können herkömmliche Bedienelemente in der Industrie ersetzen und sind bei Bedarf zu vollständigen IPCs aufrüstbar.Smart in Ovation

Mit der Einführung von Apples iPhone im Jahr 2007 war schlagartig eine ganze Generation von Mobiltelefonen veraltet. Ein paar Jahre später steigerte das Unternehmen seinen Erfolg mit dem iPad nochmals. Mittlerweile gibt es unzählige Mobilgeräte mit iOS-, Android- oder Windows-Phone-Betriebssystem, die über eine intuitive Touch-Bedienung verfügen. Die Anwender haben sich mittlerweile an die Vorteile dieser Eingabegeräte gewöhnt und erwarten diese bei neuen Geräten. Entsprechend reagieren die Hersteller auch außerhalb von Handy- oder Tablet-Anwendungen auf diesen Trend. In Fahrzeugen gibt es bereits Touch-Steuerungen, erste Haushaltsgeräte werden damit ausgestattet, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Art der Bedienung in allen Bereichen Einzug hält, auch in der Produktion. Was auf den ersten Blick einfach aussieht, stellt die Hersteller spätestens in der rauen industriellen Umgebung mit ihren hohen Anforderungen an die Bediengeräte vor Herausforderungen.

[1] LC-Displays mit Touch-Oberfläche erlauben die individuelle Anpassung der Bedienung.

[1] LC-Displays mit Touch-Oberfläche erlauben die individuelle Anpassung der Bedienung.Smart in Ovation

Gehäuse aus Edelstahl schützen vor Schmutz und Chemikalien

Umfassender Schutz vor Staub, Feuchtigkeit und Schmutz ist aufwendig. Gerade in der Lebensmittelbranche kommen mitunter extrem aggressive Reiniger zum Einsatz, um beispielsweise Teerablagerungen zu entfernen, die durch Räuchervorgänge entstehen. Diese greifen Gehäuse aus Kunststoff, Blech oder Aluminium in kürzester Zeit an. Deshalb findet hier hauptsächlich Edelstahl Verwendung. Die Hersteller schützen die bislang gebräuchlichen, sehr empfindlichen Folientastaturen und LED-Anzeigen häufig zusätzlich mit Edelstahlgehäusen, die der Anwender vor der Bedienung öffnen muss. Eine umständliche und keineswegs intuitive Handhabung. Dasselbe gilt für reine LCDs und solche mit resistiver Touch-Oberfläche. Diese haben meist eine Abdeckung aus Kunststoff oder Folie, die rauen Umgebungen nicht dauerhaft standhält.

Die Ansprüche an eine Bedienumgebung haben durch die allgegenwärtigen Mobilgeräte zugenommen. Waren früher eine zuverlässige Bedienung und Langlebigkeit die wichtigsten Merkmale, sind heute zudem Übersichtlichkeit, grafische Aufbereitung der Daten und intuitive Bedienung gefragt. Neben der reinen Funktionalität spielt auch die Ästhetik eine Rolle. Dies erfordert ein Umdenken bei den Bedienkonzepten. Folientastaturen und LED-Anzeigen eignen sich nur für die Bedienung einfacher Funktionen mit einer festen Zuordnung zu bestimmten Aufgaben. Sind flexible Bedienvorgänge, Konfiguration und Datenvisualisierung gefordert, ist der Einsatz hoch auflösender Touch-Displays unumgänglich.

Die Bedienoberfläche als Alleinstellungsmerkmal

Da der Anwender nur mit dem Bediengerät in direktem Kontakt steht, liegt für die Steuerungs-Hersteller darin häufig die einzige Möglichkeit, sich vom Wettbewerb abzusetzen. Entsprechend geht es nicht nur um die eingesetzte Technik, sondern auch um die Gestaltung und grafische Aufbereitung der Bedienabläufe. Diese sollten vorzugsweise Kommunikationsspezialisten und nicht Programmierer vornehmen.

[2] Eine entsprechende Anordnung der Bauteile auf der Gehäuserückseite verbessert die Wärmeableitung.

[2] Eine entsprechende Anordnung der Bauteile auf der Gehäuserückseite verbessert die Wärmeableitung.Smart in Ovation

Die modernen Bedienoberflächen benötigen sehr viel mehr Rechenleistung als einfache Anzeigen. Multitouch-Erkennung, Gestensteuerung und Animationen erfordern zur flüssigen Darstellung teilweise zusätzliche Hardware-Beschleunigung. Resistive Touchdisplays eignen sich für solche Oberflächen nicht, da sie oft nicht präzise genug arbeiten, Multitouch nur beschränkt oder gar nicht unterstützen und keine Gesten erkennen können.

Projektiv-kapazitive Touchscreens liefern klare Bilder

Am geeignetsten für industrielle Anwendungen ist die projektiv-kapazitive Touch-Technik (PCT). Sie kommt mittlerweile in den meisten modernen Geräten und Industrieanlagen zum Einsatz und bietet dort viele Vorteile. Bei diesem Verfahren arbeitet der Sensor in zwei Ebenen. Eine Ebene stellt ein Treibersignal zur Verfügung, die andere wertet es aus. Durch Berührung ändert sich die Kapazität zwischen den Ebenen. Dieses Signal lässt sich auswerten.

Großes Plus der Projektiv-Kapazitiven: Die Schichten befinden sich direkt auf der Rückseite des Deckglases. Man erhält ein helles, verzerrungsfreies Bild, da es durch die Laminierung keinen Luftspalt und damit keine starken Lichtbrechungen gibt. Frontseitig ist das durchgehende Glas unempfindlich, kratzfest und leicht zu reinigen. Der Anwender kann den PCT mit den Händen, dünnen Handschuhen oder leitfähigen Stiften bedienen. Dicke Handschuhe funktionieren nur, wenn leitfähige Fasern eingearbeitet sind. Insgesamt ergibt sich dadurch ein präzise bedienbares System, das alle Anforderungen an moderne Bedienoberflächen erfüllt.

Das Beispiel eines aktuellen Touch-Bedienfelds von Smart in Ovation zeigt, wie aus den Einzelkomponenten ein leistungsfähiges Gerät entsteht. Der Einsatz unter rauen Bedingungen erfordert ein rundum dichtes Edelstahlgehäuse nach IP68 beziehungsweise IP69K. Dazu muss das gesamte Gehäuse dicht verschweißt und alle Leitungen nach außen mit entsprechend dichten Steckverbindern ausgestattet sein. Die nahtlose und dichte Integration der Glasscheibe des PCT in das Gehäuse gewährleistet, dass sich kein Schmutz ablagern kann und das Fugenmaterial sich nicht durch Dampfstrahlen löst. Als Abdeckscheibe kommt ein Mehrschicht-Sicherheitsglas mit innen verklebter Folie zum Einsatz. Dieses garantiert eine hohe Widerstandsfähigkeit und sorgt im Falle einer Beschädigung dafür, dass keine Glassplitter abplatzen – ein wesentliches Kriterium in der Lebensmittelindustrie.

Das Problem der Wärmeentwicklung im gedichteten Gehäuse

Das dichte Gehäuse ist einerseits leicht zu reinigen, andererseits bereitet die entstehende Abwärme Probleme. Moderne Bedieneinheiten erfordern wesentlich höhere Rechenleistungen. Wenn keine Lüftungsschlitze oder zusätzliche Lüfter mit Luftkanälen zur Verfügung stehen, muss der Energieverbrauch aller Komponenten möglichst gering sein. Dies ist keine leichte Aufgabe. Neben ARM-Prozessoren haben sich Boards auf Intel Atom-Basis mit Windows Embedded 7 oder 8 bewährt, welche bereits über Grafikprozessoren verfügen. Auch Mehrkern-CPUs mit geringer Verlustleistung sind verfügbar.

Zusätzlich besteht für alle anderen Bauteile Optimierungsbedarf. Vom Netzteil über Displays mit LED-Hinterleuchtung anstelle Kaltkathodenröhre (CCFL) müssen die Entwickler überall auf eine geringe Verlustleistung achten. Die geschickte Positionierung der Bauteile ermöglicht eine gute Wärmeableitung durch die Gehäuserückwand.

Die eigentliche Bedienfeldsoftware lässt sich auf verschiedene Art und Weise realisieren. Bei ARM-basierten Rechnern bieten sich Linux mit Qt- oder Web-Visualisierungen an. Unter Windows können die Programmierer eigene Anwendungen, beispielsweise mit .NET und WPF entwickeln. Statt vieler unterschiedlicher Hardware-Varianten erlaubt die flexible Bediensoftware eine automatische Anpassung an verschiedene Bildseitenverhältnisse (4:3, 16:9) sowie Einbaulagen (hoch, quer). Die Kommunikation zur Steuerung erfolgt meist über TCP/IP beziehungsweise HTTP oder Web-Sockets.

Vom Bedienterminal zum Industrie-PC – ein kleiner Schritt

Wenn man schon einen leistungsfähigen Windows-Embedded-Rechner einsetzt, kann man natürlich noch einen Schritt weiter gehen. Sofern das Board eine mSATA-Schnittstelle hat, bieten sich stoßunempfindliche SSD-Speicher mit geringer Verlustleistung an. Dadurch wird das Bedienfeld zum vollwertigen Industrie-PC (IPC), auf dem der Kunde eigene Anwendungen installieren kann. Über eine zweite Ethernet-Schnittstelle lässt sich ein Ethernet-basiertes Protokoll wie Ethercat fahren. Eine Soft-SPS wie Codesys ermöglicht den Aufbau einer kompakten Kleinsteuerung. Die PC-Technologie erlaubt die Installation anderer Standard-Software, um komplette Bedienfelder mit Codesys-Visualisierung oder Siemens-S7-Terminals zu realisieren.

Dr. Hartmut Kocher

Dr. Hartmut Kocher ist technischer Direktor der Smart in Ovation GmbH in Stuttgart.

(am)

Sie möchten gerne weiterlesen?