Flexibler Materialtransport per mobilem autonomem System: Die Interaktion mit Menschen erfordert neue Sicherheitskonzepte.

Flexibler Materialtransport per mobilem autonomem System: Die Interaktion mit Menschen erfordert neue Sicherheitskonzepte. Hima

Schnelllebige globale Märkte, kundenindividuelle Produktzusammenstellung und kleine Fertigungslose erfordern eine schnelle Anpassung der Logistik. Cyber-physische Systeme und Industrie 4.0 sind hier die Schlüsselworte. In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, Prozesse der Produktion an neue Randbedingungen anzupassen. Neben flexiblen, automatisierten Fertigungseinrichtungen benötigen die Produktion und das produktionsnahe Umfeld ebensolche Logistiksysteme. Statt starrer Transporteinheiten wie Rollen- oder Gurtförderer setzt der neue Ansatz ein Materialflusssystem voraus, das sich automatisch den jeweilig vorgegebenen Produktionsbedingungen anpasst. Herkömmliche Systeme mit starren Strukturen für Logistiksysteme sind zu unflexibel oder erfordern einen zu großen personellen wie zeitlichen Aufwand bei der Umstellung auf veränderte Gegebenheiten.

Das vom BMBF geförderte Verbundforschungsprojekt Karis Pro hat zum Ziel, durch autonome und dezentrale Steuerung die Kosten für die Inbetriebnahme und Umbaumaßnahmen signifikant zu reduzieren. Beteiligt ist das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit dem Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme (IFL), welches die Themen Gesamtsystemarchitektur sowie Sicherheit und Mensch-Maschine-Interaktion bearbeitet. Im Rahmen des dreijährigen Forschungsprojektes mit insgesamt zwölf Partnern sind zwei Pilotanlagen zur Erprobung von Karis Pro geplant.

Autonome, gruppenorientierte Einheiten

Variable Rollbahnen, individuell nach Produktionsvorgabe zusammengesetzt.

Variable Rollbahnen, individuell nach Produktionsvorgabe zusammengesetzt. IFL

Das Projekt verfolgt den Ansatz eines mobilen, autonomen Materialflusssystems. Sicherheit ist beim sich selbst konfigurierenden System ein Hauptkriterium, da die Transporteinheiten zur Unterstützung des Menschen in dessen Nähe operieren. Je nach Produktionsvorgabe übernehmen einzelne Fahrzeuge unterschiedliche Aufgaben oder schließen sich, falls notwendig, zu größeren Funktionsclustern zusammen. So können die Einheiten ohne menschlichen Eingriff variable Rollbahnen gestalten und unterschiedliche Wege zu Bearbeitungsstationen wählen, beispielsweise, um individuelle Kundenwünsche auf Einzelabruf ohne großen Mehraufwand zu erfüllen. Übersteigt die Aufgabe die Kapazität einzelner Einheiten, wie beim Transport schwerer oder großer Lasten, schließen sich mehrere mobile Einheiten zu neuen Funktionsclustern zusammen.

Unstetigcluster bilden sich zum Transport schwerer oder großer Lasten wie EUR-Paletten.

Unstetigcluster bilden sich zum Transport schwerer oder großer Lasten wie EUR-Paletten. IFL

Um diese Flexibilität zu erreichen, erfolgt die Steuerung von Karis Pro dezentral. Ein zentraler Materialflussrechner, der die Elemente verwaltet und koordiniert, ist daher nicht nötig. Statt einen Auftrag zugewiesen zu bekommen, treffen die Einheiten eigenständig die Entscheidung, wann und wie Aufträge ausgeführt werden.

Die Erarbeitung und Untersuchung der individuell verteilten und doch zusammenarbeitenden Steuerungsverfahren ist ein Bestandteil des Projekts. Ziel dabei ist, die von der Industrie geforderten robusten Systeme mit hoher Gesamtverfügbarkeit praxistauglich zu machen.

Wandlungsfähig und gleichzeitig sicher

Stationäre Sicherheitseinrichtungen wie Schutzzäune und Lichtgitter eignen sich nicht für mobile Einheiten, die selbsttätig den Weg zu ihrer Aufgabe suchen. Zur sicheren Interaktion mit dem Menschen bedarf es daher neuer Sicherheitskonzepte. Karis Pro stellt hier weitreichende Anforderungen: Neben der Absicherung der Risiken im Einzeltransport ist es wichtig, erweiterte Risiko- und Gefahrenanalysen bei der Clusterbildung durchzuführen und darauf aufbauend Sicherheitskonzepte zu entwickeln. Auch hier ist analog der verteilten Intelligenz ein Konzept dezentraler Sicherheitseinrichtungen erforderlich.

Die komplexe Aufgabe umfasst dabei die sichere Bestimmung der Position der Einzelelemente, um Kollisionen mit Menschen und Gegenständen zu vermeiden. So könnten die Einheiten beispielsweise an Stellen, die nicht per weitreichendem Laserscanner einsehbar sind, die Fahrgeschwindigkeit reduzieren. Der wechselnde Betrieb als Stetig- oder Unstetig-Cluster verändert ebenfalls die Risiken für Personen. Das System muss die jeweilige Situation erkennen und richtig bewerten. Vorkehrungen zur Vermeidung von Abstürzen der Transportware oder auch der Transporteinheit an Treppen sowie das Erkennen von Überlast oder Falschbeladung sind wichtige Aufgaben.

Für die Weiterentwicklung war daher ein möglichst flexibles Sicherheitskonzept nötig. Dieses sollte sich auf kleinstem Raum in den unterschiedlichsten Konfigurationen sowohl autark wie auch im Zusammenschluss mehrerer Einheiten bewähren und genügend Raum für die Integration zukünftiger Sicherheitslösungen bieten. Diese Aufgabe hat Hima übernommen.

Individuelle Sicherheit per Chip

Das neue Safety System-on-Chip HICore 1 beinhaltet alle Funktionen einer sicherheitsgerichteten speicherprogrammierbaren Steuerung.

Das neue Safety System-on-Chip HICore 1 beinhaltet alle Funktionen einer sicherheitsgerichteten speicherprogrammierbaren Steuerung. Hima

Die bei Karis Pro eingesetzte Lösung namens HICore 1 ist ein vom TÜV Rheinland bis SIL 3 zertifiziertes System-on-Chip. Zusammen mit der Hardware kommt dabei ein Softwarepaket aus einem ebenfalls SIL-3-zertifizierten Betriebssystem und der sogenannten Middleware zum Einsatz. Die Middleware besteht aus einer Reihe von Funktionen, die der Anwender in seiner C/C++-Umgebung nutzen kann, um individuelle Applikation zu entwickeln. Diese Kombination aus Sicherheitsgrundprogramm mit situations- oder applikationsabhängigen Anpassungsmöglichkeiten fügt sich nahtlos in das neue Logistikkonzept ein. Als industrielles Produkt entworfen, erfüllt der HICore 1 auch sicherheitstechnische Kenngrößen wie das Proof-Test-Intervall. Das Intervall liegt dabei bei bis zu 20 Jahren und kommt damit den Anforderungen an die Lebensdauer einer praxistauglichen Logistikeinrichtung nach. Für den Anwender bedeutet die Vorabzertifizierung des Betriebssystems eine Beschleunigung bei der Abnahme des Gesamtsystems.

Der Sicherheits-Chip baut auf einem vollständig redundanten Design auf. So arbeiten alle Kommunikations-Subsysteme unabhängig und rückwirkungsfrei. Den einzelnen Prozessorkernen jeweils zugeordnete integrierte Arbeits- und Programmspeicher sowie Debug-Einheiten und Kommunikationsschnittstellen sichern die unabhängige Funktion der Prozessoren. Hinzu kommen für alle Komponenten Speicherschutzeinrichtungen, Komparatoren, Watchdogs und eine Spannungsüberwachung.

Das System bietet eine kompakte Lösung für individuelle Sicherheitssysteme und erlaubt es, nachträglich weitere Sicherheitsfunktionen zu integrieren. So eignet sich das Konzept nicht nur für die Logistik, sondern auch für die Medizintechnik, Energie erzeugende Anlagen.

Hannover Messe 2014

Halle 2, Stand C16

Über das IFL

Das Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme teilt sich in mehrere Fachbereiche auf, die in unterschiedlichen Forschungsprojekten interdisziplinär zusammenarbeiten. Der Fachbereich Lager- und Fördertechnik beschäftigt sich mit technischen Lösungen für den innerbetrieblichen Materialfluss. Dabei legen die Forscher neben der Entwicklung neuer technischer Lösungen für einen effizienten Transport besonderes Augenmerk auf Fragestellungen der Energieeffizienz. Die Mitarbeiter im Bereich Logistik beschäftigen sich mit Lösungen im Bereich der Modellierung, Steuerung und Bewertung von Logistiksystemen und -prozessen in der Produktion, Distribution sowie dem Transport. Der Bereich Steuerungstechnik befasst sich mit Forschungsfragen der Plug&Play-Fördertechnik und der Entwicklung dezentral gesteuerter Systeme. Außerdem arbeitet die Abteilung an Assistenzsystemen für die Intralogistik. Sowohl bei Assistenzsystemen als auch bei Plug&Play-Fördertechnik entwickelt das Institut neue Sicherheitskonzepte und setzt sie um.

Andreas Trenkle

Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme (IFL)

Mario Epp

Manager Business Unit Chip Based Solutions, Hima Paul Hildebrandt GmbH & Co KG

Andreas Zeiff

Redaktionsbüro Stutensee

(am)

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