Dass das automatisierte Fahren unter „Always-on“-Bedingungen eine Menge Herausforderungen bereithält, ist keine Überraschung. Beim Thema automatisiertes Fahren würden relativ schnell Äpfel mit Birnen verglichen, stellt Thomas Form, Head of Vehicle Technology and Mobility Experience bei Volkswagen, fest. Denn, so Form, die verschiedenen Stufen des automatisierten Fahrens wenden sich an unterschiedliche Kundengruppen und bedienen entsprechend divergierende Use-Cases und Märkte.
Während sich die Automomiestufen null bis drei, maximal bis vier, mit dem Versprechen von mehr Sicherheit und Komfort an Kunden wenden, die herkömmliche Mobilitätsmodelle leben, wird die Autonomiestufe fünf schon allein aufgrund ihrer fehlenden Bedienelemente auf Betreiber von Robotaxi-Flotten angestrebt, von Hightech-Companies wie Google oder Uber.
Die Hersteller konventioneller Fahrzeuge beschreiten den Weg zu höheren Leveln nach einem evolutionären Ansatz – „in Trippelschritten“, wie Form sich ausdrückt. Einer der weniger bekannten Gründe: Die OEMs müssen bei allen Neuerungen im Bereich der Fahrerassistenzsysteme immer die Take-Rate, die Akzeptanz beim Kunden im Auge behalten. Zudem müssen die Systeme im „normalen“ Auto überall funktionieren, während die vollautonomen Fahrzeuge der Hightech-Betreiber für ihr jeweils eng definiertes Einsatzfeld vorgesehen sind.
Es hapert bei der Validierung
Das ist nicht der einzige Grund für die langsame Gangart. Die Use Cases für das automatisierte Fahren gibt es – „wo es hapert ist die Technik, speziell beim Thema Verifikation / Validierung“. Eine große Herausforderung dabei: Die Umfeldsensorik, die Hightech-Augen der Fahrzeuge. „Wir sind uns einig, dass die Einschränkungen der Technik noch Luft nach oben lassen,“ sagt Form. In diesem Segment werde sich aber in nächster Zeit vieles bewegen. Allerdings werde sich die Anzahl der Sensoren, die für eine lückenlose 360-Grad-Umfelderkennung benötigt werden, noch drastisch erhöhen.
Auch das Vernetzte Fahren hat noch seine Tücken, die es zu lösen gilt. „Es hilft uns bei Komfort und Effizienz, aber nicht bei der Sicherheit“, so Form. Diese muss immer aus dem Auto selbst heraus kommen. „Es bringt nichts, auf die Infrastruktur zu warten. Die wartet nämlich immer, bis ein Feature in die Serie geht – Beispiel V2X. Die Liste der offenen Fragen ist lang. Beispielsweise weiß noch niemand, ob Robotertaxis letztendlich zu weniger oder etwa zu mehr Verkehr führen. Auch das Verhältnis zwischen solchen vollautonomen Fahrzeugen einerseits und Fußgängern und Radfahrern andererseits ist noch unklar. „Da sind noch dicke Bretter zu bohren“, resümiert Form.
Online als neue Variable
Dass die Kooperation zwischen den Kulturen sich schwierig gestaltet, liegt für Fei Hao, CEO von Banma, auf der Hand. Um in China letztlich erfolgreich zu sein sei es wichtig, das tägliche Leben in dem Land zu verstehen: In China sind die Menschen von Internettechnologien umgeben und das messe sich nicht nur am Erfolg von Alibaba beim Black Friday. Lebensmittel werden per QR-Code-Scan bezahlt, täglich gehen 35 Millionen Online-Bestellungen bei Menülieferdiensten ein und auch das Leihfahrrad gibt es online. Gleiches gelte für den Automotive-Markt: auch bei Mobility as a Service (MaaS) orientiert sich die Wertschöpfungskette am Konsumenten, seiner Wahrnehmung und seinen Erwartungen. Chinas digitalisiertes Consumer-Ökosystem treibt auch das Automotive-Industrial-Internet an, und Banma habe die dafür benötigte Plattform entwickelt, um die Automotive-Industrie bei ihrer digitalen Transformation zu unterstützen.
Sowohl auf OEM-Seite als auch auf Konsumenten-Seite sind dabei Konnektivität, Datenmanagement und künstliche Intelligenz die Schlüsseltechnologien. Für den OEM resultiert dies zum Beispiel in Entwicklungslösungen wie Digital Twins, für den Anwender ist es ein intelligenter, mobiler Lebensraum mit szenariobasierten After-Sales-Services – ein vom OEM angebotener Mehrwert, der die Markentreue des Kunden fördern soll.
Intelligente Datennutzung
Mit seiner ICV-Plattform bietet Banma der Automobilindustrie einen Verknüpfungspunkt mit den Key-Enablern innerhalb des Alibaba-Ökosystems: dazu gehören Services fürs Parken, Laden, Tanken, Bezahlen und mehr. Ein Beispiel ist die Überwachung von Batteriedaten in Elektrofahrzeugen, bei der nicht nur die technischen Daten der Batterie, sondern auch die des Nutzungsverhaltens des Fahrers ausgewertet werden. Ein digitaler Assistent macht dann darauf aufmerksam, dass in absehbarer Zeit ein Austausch der Batterie notwendig wird – und gibt auch gleich einen Hinweis auf ein Sonderangebot.
Bei all diesen Leistungen steht die intelligente Datennutzung im Mittelpunkt: sie erst ermöglicht Mobilitätsservices. In China gibt es 800 Millionen Internetnutzer, von denen eine Vielzahl mit dem Internet aufgewachsen sind. Sie haben eine klare Vorstellung, wie ihre digitale Welt aussieht und erwarten dies auch in Fahrzeugen. Unter Einbeziehung ihrer Eindrücke und Verbesserungsvorschläge wandelt sich das Auto von einem geschlossenen zu einem update-baren und lebendigen und sich entwickelnden System.
Anschluss ans Ökosystem nötig
Die wachsende Komplexität im Bereich der Infotainment-Software spricht eine klare Sprache: Alles selbst entwickeln geht nicht mehr; auch große Player in der Autoindustrie müssen sich einem Ökosystem anschließen. Android bietet sich an, doch es sind viele Abwägungen zu treffen, wie Stefan Butz, Vice President Information and Communication Platform bei BMW, in seinem Vortrag verdeutlicht. Opas Autoradio, das ohne eine einzige Zeile Software auskam, ist Vergangenheit. Das heutige In-Vehicle Infotainment (IVI) ist ein softwarelastiges System, dessen Komplexität rasend schnell zunimmt. Heutige Systeme können schon mal 400 Komponenten umfassen und 250 Schnittstellen aufweisen.
Diese Zahlen mögen alleine schon die Dimensionen der Problemstellung andeuten, aber es kommt noch schlimmer: Zwischen den Komponenten bestehen Abhängigkeiten, Änderungen an einer Komponente können einen unabsehbare Menge an weiteren notwendigen Maßnahmen nach sich ziehen. „Wenn ich heute in einer Komponente etwas ändere, habe ich häufig Side-Effects im gesamten System“, beschrieb Butz die Problematik. Daraus folgt: Auch bei scheinbar kleinen Änderungen irgendwo im IVI muss anschließend das Gesamtsystem neu validiert werden.
Standardisierung mit Android
Ein möglicher Lösungsweg, den vor der Autoindustrie auch schon andere Industrien gegangen sind, wäre die Standardisierung. Ein offensichtlicher Kandidat für eine solche Standardisierungsplattform ist Android. Alle Hersteller außer Apple haben auf Android umgestellt, alle Apps docken sich an Android-Framework-APIs an, so Butz. Unternehmen, die diesen Weg gingen, berichten von drastischen Effizienzgewinnen in Entwicklung und Roll-out neuer Softwarefunktionen. Eine schichtenweise aufgebaute Softwarearchitektur zeichnet sich durch die Entkopplung von Hardware, Betriebssystem, Middleware und Anwendungslogik aus. Der Vorteil: Man kann etwa auf der Hardwareebene einen Systemwechsel durchführen, ohne auf der Softwareebene umfangreiche Adaptionen durchführen zu müssen.
Bei der Sichtung möglicher Plattformen werden Interessenten aus der Automobilindustrie wohl auf zwei Kandidaten stoßen: AOSP, das Android Open Source Project, sowie auf GAS (Google Automotive Services). GAS ist nach Butz‘ Analyse eher auf den Consumer ausgerichtet. Ein OEM im Automotive-Geschäft wird jedoch in der Regel eher an einer B2B (Business-to-Business)-Ausrichtung interessiert sein. „Unsere Präferenz ist klar: Wir wünschen uns einen Partner, der unserem B2B-Ansatz entspricht,“ erklärt Butz. „Das ist mit der Frage verknüpft, wie man die Applikation zum Kunden bringt.“ Unter dem Strich komme es darauf an, Zugang zu den Effizienzverbesserungen durch die Android-Plattform zu erhalten, und dabei läuft es auf die Wahl zwischen AOSP und GAS hinaus. „Wir sehen große Vorteile im AOSP. Unsere Seele verkaufen wir nicht an Google“, so Butz‘ Takeaway.
Offline-Modus muss sein
Konnektivität würde heute schon als selbstverständlich erachtet, sagte Sanjay Ravi, General Manager Automotive Industry bei Microsoft, auch wenn diese noch nicht zu 100 Prozent gegeben ist. Ravi beschreibt den Wandel in der Automobilindustrie aus dem Blickwinkel eines Technologieanbieters. 2030 sollen alle Fahrzeuge vernetzt sein, 32 Prozent der gefahrenen Kilometer werden über Carsharing absolviert und viel Autos fahren elektrisch, geschätzt 25 Prozent bereits in 2025, in China und Indien 100 Prozent in 2030.
In diesem Umfeld müssen sich Automobilhersteller heute schon Gedanken darum machen, welche mobilen Services sie in vernetzten Autos anbieten – sie durchleben eine Transformation hin zum Service Provider. OEMs benötigen eine Technologie für das autonome Fahren, um ihren Platz am Markt zu halten, müssen in Carsharing- und Flottenmanagement-Lösungen investieren und schließlich eine Technologie für das elektrische Fahren – inklusive Ladeservices – parat haben, um den Kundenbedarf zufriedenzustellen.
„Bei Microsoft sehen wir die Rolle der Technologie in einer Kombination aus der intelligenten Cloud und intelligentem Edge“, sagt Ravi. „Dabei geht es um ein großes Hyperscale-Cloudangebot, das PByte an Daten verarbeitet, zum Beispiel für Anwendungen wie künstliche Intelligenz.“ Aber diese Intelligenz müsse auch in die Geräte selbst integriert werden, also an den Edge, denn solange noch keine vollständige Vernetzung bei Autos bestehe, ist ein Offline-Modus unabdingbar, um Innovationen voranzutreiben.
Nutzerelebnis bleibt OEM-Sache
Hier investiere Microsoft stark, um sicherzustellen, ein guter Technologiepartner für die OEMs zu sein und alle Use-Cases bedienen zu können. Sehr wichtig seien dabei digitale Rückkopplungsschleifen. Eines habe Microsoft bei der Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie gelernt: agile Unternehmen, solche die sich besser im Wettbewerb behaupten als andere, haben alle etwas gemeinsam: sie besitzen die Fähigkeit, Signale richtig zu deuten. Diese Signale kommen von Mitarbeitern, Kunden, aus der Produktion und von den Produkten selbst.
Bei der Kooperation mit der Automobilindustrie stehe für Microsoft fest, dass das Unternehmen nie ein eigenes Autos bauen wird, die Daten seiner Kunden nicht monetarisiert und auch dem Autobauer nicht die Microsoft-Brand aufzwingt. Das Nutzererlebnis soll immer mit der Automobilmarke, niemals mit Microsoft assoziiert werden.
Dipl.-Ing. Alfred Vollmer
Dr.-Ing. Nicole Ahner
Dipl.-Ing. (FH) Christoph Hammerschmidt
(av, na)