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(Bild: Kontron)

Eckdaten

Die Vision einer nahtlosen Verbindung vom Factory Floor bis in den Office Floor, von der Maschine bis zum Geschäftsführer, soll endlich wahr werden. Die heute noch bestehenden Abgrenzungen zwischen IT und OT müssen dafür schrittweise aufgelöst werden. Standards wie TSN und OPC UA spielen hier eine wichtige Rolle.

Cloud Computing ist bereits seit über einem Jahrzehnt ein Top-Thema der IT-Industrie. Und in einem sind sich die Marktforscher einig: Der Hype um Public- und Hybrid Cloud Computing wird auch in den nächsten Jahren nicht abebben. IDC prognostiziert beispielsweise, dass bis 2021 rund 90 Prozent der Unternehmen weltweit Multiple-Cloud-Services und -Plattformen einsetzen werden. Die Analysten von Forrester gehen davon aus, dass der Umsatz des Public-Cloud-Marktes in 2018 auf 178 Milliarden US-Dollar (2017: 146 Milliarden US-Dollar) und jährlich weiter um durchschnittlich 22 Prozent wachsen wird.

Die TSN-Netzwerkkarte von Kontron für einen leichten Einstieg ins Time Sensitive Networking (TSN).

Die TSN-Netzwerkkarte von Kontron für einen leichten Einstieg ins Time Sensitive Networking (TSN). Kontron

Ein weiterer aktueller Industrie-Trend ist, dass Informationstechnologie (IT) und Betriebstechnik (Operational Technology, kurz OT) immer weiter zusammenwachsen. Mit der zunehmenden Miniaturisierung immer höherer Rechenleistung, exponentiell wachsenden Datenmengen durch das Internet der Dinge und der weiten Verbreitung von Ethernet- und Web-Standards, rückt die klassische IT – und mit ihr die Cloud – immer weiter Richtung Industrie und Maschinen vor. Daher wird fieberhaft daran gearbeitet, IT-Standards für Maschinen und Fabriken tauglich zu machen. Die Vision einer nahtlosen Verbindung vom Factory Floor bis in den Office Floor, von der Maschine bis zum Geschäftsführer, soll endlich wahr werden.

Die Cloud und ihre physikalischen Limits

Auch die moderne IT hat ihre physikalischen Grenzen. Dazu gehören allen voran Latenzen, durch die die Maschinensteuerung in Echtzeit nicht abbildbar ist. Weitere Herausforderungen sind auch große Datenmengen, deren sichere Übertragung, Auswertung und Analyse in der Cloud sowie ihr sicheres Zurückspielen an den Entstehungsort der Daten. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach den Bandbreiten für eine Datenübertragung in die Public Cloud sowie die generelle Verfügbarkeit, nicht nur der Cloud-Infrastruktur, sondern beispielsweise von Übertragungswegen. Und schlussendlich spielen auch Sicherheitsaspekte bei der Entscheidung für oder gegen eine Public-Cloud-Lösung eine Rolle: Im Industrie-4.0-Kontext wird es weniger um den Schutz von personenbezogenen Daten gehen. Trotzdem ist es für viele Unternehmen essentiell, dass die Daten ihrer Anlagen das Unternehmen nicht verlassen oder in eine Cloud transferiert werden, die fremdem Recht unterliegt.

Neuer Spielraum dank Edge Computing

Nichtsdestotrotz ist es sinnvoll, die IT samt Cloud-Konzept näher an die Maschinen zu rücken, denn die Vorteile der Vernetzung überwiegen. Deshalb wurden neue Architekturen ersonnen, die einerseits die Vorteile der Cloud bieten, andererseits den Anforderungen der Industrie „am Rande des Netzwerks“ entsprechen: Das Edge Computing wurde geboren. „Den Rand“ – englisch „Edge“ – zum Netzwerk bilden die Sensoren oder Aktoren, die Daten erzeugen oder an die Daten zurückgespielt werden müssen. Edge Computing bedeutet also, Rechen- und Speicherkapazität bereits vor dem Übergang in das Netz, nahe am Entstehungsort der Daten, bereitzustellen.

Damit wird eine schnelle Erfassung, Auswertung und Analyse vor Ort möglich. Die Maschinensteuerung kann auf Basis der erfassten Daten deterministisch, also mit vorhersehbaren, definierten Reaktionszeiten erfolgen. Immer mehr Rechenleistung und Speicherkapazität auf immer kleinerem Raum bei geringerer Leistungsaufnahme erlauben solche Konzepte auf Basis von Embedded-Boards und -Modulen oder Industrie-PCs. Durch die Anbindung an ein Ethernet-Netzwerk, womöglich via TSN, also ein zeitsensitives Netz, ist die Steuerung eines Maschinenverbunds dennoch möglich.

Um auch hier die Latenzen gering zu halten, kommen Embedded-Server zum Einsatz, die On-Premise den Aufbau einer Private Cloud erlauben. In Embedded-Servern, die – auch via TSN – mit den Edge Devices verbunden sind, werden die gesammelten Daten in der lokalen Cloud gespeichert, analysiert und gefiltert, sodass eine effiziente Übertragung dieser reduzierten Daten in eine eventuell zusätzliche Public Cloud möglich ist. An der Nahtstelle vom Embedded-Server zur Public Cloud sind Latenzen nicht mehr ganz so elementar und die Verfügbarkeit der Cloud ist weniger kritisch.

IT-Standards für die Betriebstechnik der Smart Factory

Ein wichtiger Schritt in Richtung vernetzte Industrie ist nicht zuletzt auch die Nutzung etablierter IT-Standards. OPC UA (OPC Unified Architecture nach IEC 62541) ist ein herstellerunabhängiger Standard für die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, der für die reibungslose Kommunikation zwischen verschiedenen OT- und IT-Komponenten sorgt. Time Sensitive Networking ist dabei der Standard (IEEE 802.1 TSN), der konvergente Ethernet-Vernetzung von deterministischem Datenverkehr zwischen Steuerungen parallel zur IT-Kommunikation ermöglicht. Zwei wesentliche Anforderungen der OT-Seite sind damit erfüllt. Ob jedoch eine Public Cloud alle Bedürfnisse des produktionsnahen Maschinenbetriebs mit hohen Anforderungen hinsichtlich geringer Latenzzeiten und hoher Sicherheit erfüllen kann, ist fraglich.

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Eine neue Herausforderung, die durch die Edge-, Fog- und Cloud-Architekturen entsteht, ist die Verbindung der Komponenten untereinander und die Anbindung an die Public Cloud. Kontron profitiert hier von dem Verbund mit dem Mutterunternehmen S&T. Die in Linz ansässige S&T Technologies bringt mit erweiterten Ressourcen und einem zusätzlichen Standort in Augsburg wichtiges Software- und Consulting-Know-how für den Aufbau von IoT-Szenarien von der Edge bis zur Cloud mit. Eine wichtige Komponente dabei ist die neue IoT-Plattform Susietec (eigene Schreibweise: SUSiEtec). Im Umfeld von Industrie-4.0-Anwendungen verbindet sie alle Elemente und übernimmt die Analyse und Verarbeitung der dabei anfallenden Daten. Die IoT-Plattform löst hier die bisherigen Grenzen zwischen Datenerzeugung, -verarbeitung und -bereitstellung auf und ermöglicht damit die Verschmelzung von IT und OT.

Susietec wird individuell auf den konkreten Anwendungsfall angepasst und kommt an der Nahtstelle zwischen Sensoren und Cloud zum Einsatz, sozusagen als Middleware des IoT. Sie ist das Bindeglied zwischen Geräten, wandelt Protokolle um, filtert Daten und verarbeitet diese – wenn notwendig – direkt vor Ort. Die Plattform ist flexibel konfigurierbar und wird jeweils individuell an bestehende Automatisierungslösungen angepasst, um Steuerungs- und Sensordaten vor Ort zu sammeln und zu analysieren. Damit wird auch dem immer weiter steigenden Bedarf an Bandbreite und Speicherkapazität der Cloud begegnet.

Edge Computing mit Susietec nutzt die Rechenleistung des lokalen Netzwerkes, um zeitkritische Prozesse bereits vor Ort zu steuern. Daten werden lokal zwischengespeichert, komprimiert und entsprechend vordefinierter Regeln in die Cloud weitergereicht. Dies erhöht die Prozesssicherheit, reduziert die Bandbreite und spart somit Betriebskosten. Damit wird den Echtzeit-Anwendungen des industriellen IoT Rechnung getragen.

Die IoT-Plattform ermöglicht es damit Unternehmen, einen hybriden und skalierbaren Ansatz für ihre IoT-Szenarien zu verfolgen, indem sie die Vorteile von On-Premise-Lösungen mit einer professionellen Cloud-Infrastruktur kombiniert. Dafür ist die Plattform vollständig in den Gateway-, Fog-Computer- und Server-Produkten von Kontron integriert, von denen bereits viele für Microsoft-Azure-IoT-Services zertifiziert sind. Darüber hinaus kann Susietec auch unabhängig von Kontron-Hardware und in Verbindung mit anderen Cloud-Architekturen eingesetzt werden, die bei dem jeweiligen Kunden bereits im Einsatz sind.

Ergänzend verfügt die Plattform bereits über die Fähigkeit zur Integration von Machine Learning, um mit Methoden der Künstlichen Intelligenz auf Basis vorliegender Daten eigene Entscheidungen vorzuschlagen oder sogar treffen zu können, wenn menschliches Eingreifen nicht erforderlich ist. Die Verschmelzung von IT und OT ermöglicht damit autonomes Handeln.

Was versteht man unter Edge- und Fog Computing?

Wurden bis vor einiger Zeit Edge- und Fog Computing als unterschiedliche Begriffe für dasselbe Technologie-Konzept verwendet, so ist mittlerweile mehrheitlich eine klare Unterscheidung gebräuchlich. Edge Computing bedeutet, die erste Rechenleistung bereits am IoT-Device zu erbringen. Fog Computing bedeutet das Zusammenfassen von Daten On-Premise, etwa in einer Embedded-Cloud. Das Fog Computing verhält sich also zur Cloud wie der Nebel zur Wolke, er ist im übertragenen Sinne „bodennah“, das heißt dezentrale Rechenaufgaben aus dem Edge Computing werden hier nahe am Entstehungsort gebündelt, während die Wolke, die „Cloud“ entfernt und physisch kaum greifbar ist.

Cloud Computing spielt seine Stärken auch im Industrie-4.0-Umfeld aus: Analysen von nahezu unbegrenzten Datenmengen mit Business-Intelligence- und Big-Data-Tools, quasi unbegrenzter Speicherplatz, Ressourcen-on-Demand, weltweiter Zugriff. Microsoft arbeitet mit seinen Azure-IoT-Edge-Services daran, durch sogenannte „digitale Zwillinge“, virtuelle Abbilder von Maschinen zu generieren, sodass eine Steuerung auch über die Public Cloud denkbar wird (ein anderer Begriff für die Digital Twins ist auch SDM, Software Defined Machines). Sofern eine hochleistungsfähige Datenverbindung zur Maschine besteht, erfolgt die Steuerung via Cloud. Im Falle des Aussetzens oder gar längeren Abbruchs der Verbindung, stehen die letzten via Cloud übermittelten Daten als sogenannte „Cloudlets“ (oder Container) dem Edge Device zur Verfügung, das durch seine lokale Intelligenz für den laufenden sicheren Betrieb der Maschine sorgt. Sobald die Cloud wieder verfügbar ist, werden die aktuellsten Daten aus dem Edge Device wieder in die Cloud hochgeladen, ausgewertet, analysiert und wieder dem Edge Device zugespielt, sodass Maschine und digitales Abbild wieder auf dem gleichen Stand sind.

Bei der Prüfung von Produktionsprozessen im Rahmen von Digitalisierungsstrategien wie Industrie 4.0 und Industrial Internet of Things (IIoT), stellt man fest, dass die heute bestehende Abgrenzung zwischen IT (Information Technology) und OT (Operational Technology) schrittweise aufgelöst werden muss, um Performance, Kosten und Managebarkeit der Infrastruktur auch in Zukunft zu gewährleisten. Standards wie TSN und OPC UA spielen hier eine wichtige Rolle. TSN ist dabei auf der Transportebene der Hauptbaustein für die Konvergenz von IT und OT. OPC UA ermöglicht zudem den nahtlosen, sicheren und zuverlässigen Informationsfluss zwischen Geräten mehrerer Hersteller und trägt damit ebenfalls entscheidend zur Konvergenz der industriellen Infrastrukturen bei. Die strikte Trennung zwischen Operational Technology an der Basis und Information Technology an der Spitze der Automatisierungspyramide beginnt daher zu verschmelzen, Silos werden aufgebrochen. Viele Bereiche in der Feldebene, wie Maschinensteuerung, die bis vor Kurzem für Internet Protocol basierte Technologien unerreichbar schienen, stehen nun vor einer Zeitenwende. Im Verbund mit S&T kann Kontron entsprechende Hardware liefern, sowie auch vorintegrierte Cloud-Lösungen beispielsweise für Azure IoT-Edge sowie weitere Software, Services und Beratungsleistungen.

Norbert Hauser

Vice President Marketing, Kontron

(ah)

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