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Bild 1: Die flächendeckende Stromversorgung für Elektrofahrzeuge soll in Zukunft weiter ausgebaut werden. (Bild: Silicon Labs)

Die Kategorie EV (Electric Vehicle) umfasst typischerweise Batterie-Elektrofahrzeuge (BEVs) sowie Plug-in-Hybrid-Elektrofahrzeuge (PHEVs); im Folgenden bezieht dieser Beitrag Hybrid-Elektrofahrzeuge (HEVs) ebenfalls mit ein. EVs inspirieren das Design und die Entwicklung anderer elektrischer Systeme, um dort bisherige Mechaniksysteme zu ersetzen. Dazu gehören zum Beispiel Klimageräte (Übergang auf Kompressoren mit BLDC- oder Drehstrom-Motoren), Vakuum- und pneumatische Steuerungen (Übergang auf elektronische Steuermodule), Drive-by-Wire-Systeme (Übergang auf elektromechanische Aktoren), Feststellbremsen (Übergang auf elektrisch betätigte Bremssättel) und Antriebsradsysteme (Übergang auf durchgängige Elektrifizierung). Bis 2025 soll der Halbleitergehalt pro Fahrzeug um mindestens 50 Prozent steigen.

Folgerichtig benötigen solche Systeme elektronische Komponenten, darunter zahlreiche Halbleiter. Die Verwendung geeigneter Batteriemanagement-Techniken zieht zudem weitere Halbleiterbereiche nach sich.

Systeme benötigen mehr Energie

Die Fahrzeug-Systeme basieren normalerweise auf Schaltungen mit Nieder- und Mittelspannungs-Silizium-MOSFETs (≤150 V), gespeist durch eine 12-V-Batterie. 12-V-Batterien ersetzt die Industrie derzeit durch Batterien mit höherer Spannung (24 und/oder 48 V), um dem erhöhten Energiebedarf Rechnung zu tragen, ohne die Kabelgröße und die Verdrahtungskosten zu erhöhen. Daraus resultiert einerseits eine Senkung des Gewichts des Kupferdrahtes sowie andererseits eine Verbesserung des Wirkungsgrades des Antriebs.

Bild: Die flächendeckende Stromversorgung für Elektrofahrzeuge soll in Zukunft weiter ausgebaut werden.

Bild 1: Die flächendeckende Stromversorgung für Elektrofahrzeuge soll in Zukunft weiter ausgebaut werden. Silicon Labs

Derzeit muss ein Auto infolge der Elektrifizierung des Antriebsrads noch eine zweite Hochspannungs-Batterie mit einer Spannung von 250 bis 450 V und unterstützender Elektronik unterbringen. In Zukunft könnte eine Umstellung dieser Batterie auf eine höhere Spannung erfolgen, sofern dafür die notwendige Elektronik vorhanden ist. Auch die flächendeckende Stromversorgung für Elektrofahrzeuge gilt es kurz- bis mittelfristig zu verbessern (Bild 1).

Elektrifizierung führt zur „GaN-ifizierung“

Vielleicht noch mehr als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor zählt bei EVs jedes Gramm, um eine möglichst hohe Effizienz zu erreichen. Die Kostenkontrolle spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, sodass die Gesamtsystemkosten mit dem Preisdruck des Marktes Schritt halten können, selbst nach der Integration zusätzlicher Features.

Im Wesentlichen sind die neuen EV-Systeme mit etablierten Halbleitern wie HV-Si-MOSFETs, IGBTs und SJ-Bausteinen (Superjunction) nur schwer zu unterstützen. Stattdessen wendet sich die Branche den Wide-Bandgap-Technologien zu: Siliziumkarbid (SiC) und Galliumnitrid auf Silizium (GaN-on-Si).

Beide disruptiven Technologien haben ihren Platz in der EV-Elektrifizierung. SiC bietet eine höhere Sperrspannung, eine höhere Betriebstemperatur (SiC-on-SiC) sowie höhere Schaltgeschwindigkeiten als Si-IGBTs und eignet sich deshalb für Traktions-Wechselrichter.

Tabelle 1: Überblick verschiedener Halbleiter-Typen bezüglich Zielspannung, Kosten und Anwendungsmöglichkeiten.

Tabelle 1: Überblick verschiedener Halbleiter-Typen bezüglich Zielspannung, Kosten und Anwendungsmöglichkeiten. Silicon Labs

GaN-on-Si-Schalter sind inzwischen für eine breite Palette von Stromversorgungssystemen vorteilhaft, die von wenigen kW bis zu 10 kW reichen, wie zum Beispiel eingebaute AC/DC-Ladegeräte (OBCs), DC/DC-Hilfsstromversorgungsmodule (APMs) oder Heiz- und Kühlgeräte (Tabelle 1). Im Vergleich zu Si bietet GaN geringere Schaltverluste; schnellere, RF-ähnliche Schaltgeschwindigkeiten, höhere Leistungsdichten, bessere Wärmebudgets und – besonders für EVs wichtig: eine Reduzierung der Gesamtsystemgröße, Gewicht und Kosten.

Bild 2: GaN nutzt eine Systemtopologie mit brückenloser Totem-Pole-PFC, im Gegensatz zu einer herkömmlichen Boost-CCM-PFC.

Bild 2: GaN nutzt eine Systemtopologie mit brückenloser Totem-Pole-PFC, im Gegensatz zu einer herkömmlichen Boost-CCM-PFC. Silicon Labbs

Darüber hinaus können Ingenieure mit GaN auch eine Systemtopologie verwenden (Bild 2), die diese Eigenschaften nutzt, nämlich die brückenlose Totem-Pole-Leistungsfaktorkorrektur (PFC). Mit zunehmendem Leistungsbedarf zeigen sich hier verstärkt die GaN-immanenten Vorteile.

Weiterentwicklung bei Beschaffung und Qualifizierung

Der Übergang der Automobilindustrie auf die Fahrzeugelektrifizierung verändert nicht nur die Art der eingesetzten Technologie, sondern definiert auch die Beschreibung eines Automobilzulieferers neu. Bisher stellten Tier-1-Zulieferer vor allem mechanische Systeme her. Sie haben mit der Entwicklung elektrischer Systeme nach Bedarf begonnen, jedoch eröffnet die Nachfrage nach höherer Intelligenz und Innovationskraft Chancen für unkonventionelle Anbieter.

Die Automobilindustrie muss die vom Automotive-Electronics-Council (AEC) festgelegten Standards erfüllen. Schaltnetzteil-ODMs brauchen ein Netzwerk von Lieferanten geeigneter Halbleiterbausteine und aktiver Komponenten, das sich verpflichtet, diese Standards einzuhalten. Derzeit existieren AEC-qualifizierte GaN-Bauelemente für die wichtigsten Teilbereiche: Das Leistungsschaltgerät und die Gate-Treiber-Paarung.

Transphorm bietet einen AEC-Q101-qualifizierten GaN-FET, den TPH3205WSBQA-FET für 650 V mit einem Einschaltwiderstand von 49 mΩ in einem TO-247-Gehäuse an. Im Vergleich zu Si-Technologien gewährleisten diese Transistoren alle primären GaN-Vorteile: Bis zu viermal schnellere Schaltgeschwindigkeiten, was die Verluste an Spannungs- und Stromübergängen reduziert, und eine bis zu 40 Prozent höhere Leistungsdichte. Außerdem reduzieren sie Gesamt-Systemgröße, -Gewicht und -Kosten (je nach Anwendung).

Während FETs von Transphorm mit den meisten handelsüblichen Gate-Treibern kombinierbar sind, können SMPS-ODMs und Tier-1-Systeme mit den isolierten Halbbrücken-Gate-Treibern Si827x von Silicon Labs arbeiten. Diese Treiber sind AEC-Q100-qualifiziert und erfüllen die Standardanforderungen an Qualität und Dokumentation für Halbleiter in der Automobilindustrie.

HV-GaN-Netzteile sind in der Stromversorgungsbranche derzeit im Einsatz: Weil GaN-Geräte mit RF-Geschwindigkeit schalten, sind High-Speed-Gate-Treiber mit hoher Gleichtakt-Transientenunterdrückung (CMTI) entscheidend für die Leistungsoptimierung des GaN-FETs von Transphorm. Zu diesem Zweck haben die Si827x-Treiber eine CMTI-Spezifikation von mindestens 200 kV/µs – die aktuell höchste, die bei isolierten Treibern verfügbar ist.

Ein Blick in die Zukunft

Ob Innovation, Transformation, Evolution oder Revolution: Die EV-Bewegung stellt eine bestens etablierte Industrie, die in mehr als einem Dreivierteljahrhundert kaum substanzielle Veränderungen erlebt hat, auf den Kopf. Von der Neukonzeption der Verbrauchererfahrungen bis hin zur kompletten Überarbeitung der unterstützenden Systeme im Inneren, von der Rekrutierung neuer Zulieferer bis hin zur verstärkten Ausrichtung der Energieversorgung auf Qualität und Zuverlässigkeit – diese Verschiebungen treiben die EV-Akzeptanz weiter voran. Sollte es gelingen, die Elektrifizierung in Zukunft kosteneffektiver zu gestalten während gleichzeitig die Erfahrung mit dem Systemdesign wächst, könnte dies der Startschuss für eine Welle vieler neuer Innovationen sein.

John Wilson

Senior Product Manager bei Silicon Labs

Philip Zuk

Senior Director Technical Marketing bei Transphorm

(aok)

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