Chrom(VI)-frei gebeizte Oberfläche eines glasfaserverstärkten PPS-Materials.

Bild 3: Chrom(VI)-frei gebeizte Oberfläche eines glasfaserverstärkten PPS-Materials (Bild: IMG Electronic & Power Systems)

Die aktuell in der Automobilindustrie verwendeten Materialien sind Metalle (Eisen, Stahl und Stahllegierungen), Aluminium und dessen Legierungen, Magnesium und Magnesiumlegierungen, Kunststoffe und Verbundwerkstoffe. Die hier vorgestellte Sondergalvanikschicht dämpft das elektromagnetische Feld stark. Damit lässt sich dieses Hybridmaterial als Lösung für die zukünftigen hohen Anforderungen in der Automobiltechnik nutzen.

Wirkung der Abschirmung

Bild 1: Konzeptioneller Mechanismus von Reflexion, Absorption und Transmission.

Bild 1: Konzeptioneller Mechanismus von Reflexion, Absorption und Transmission IMG Electronic & Power Systems

Die Wirkung der Abschirmung durch die ebenen Wellen ist in Bild 1 dargestellt. Ein Teil der Welle wird von der ersten Oberfläche reflektiert, die als Reflexionsfaktor bekannt ist, und eine Teilwelle durchläuft die Abschirmung, die als Transmissionswelle bezeichnet wird. Ein Teil der Übertragung wird durch die Abschirmung in Form von Mehrfachreflexionen von den Schnittstellen der Abschirmung abgeschwächt und ein Teil schließlich durch die zweite Schnittstelle der Abschirmung übertragen. Dies wird als Absorption der Abschirmung bezeichnet. Die Summe der Faktoren der Schirmdämpfung nach Schellkunoff ergibt sich daher aus der Formel SE (dB) = R (dB) + A (dB) + M (dB). Dabei ist R der Reflexionsverlust, der durch Reflexionsschichten versucht wird, A ist der Absorptionsverlust der Welle beim Durchlaufen des Materials und M ist der Verlust durch Mehrfachreflexion und Transmissionen innerhalb und durch das Material.

Messung der Wirksamkeit

Bild 2: Experimenteller Aufbau von Referenz- und Materialmessung.

Bild 2: Experimenteller Aufbau von Referenz- und Materialmessung IMG Electronic & Power Systems

Bild 2 zeigt den Aufbau der Materialmessung. Ziel der Schirmmessung ist es, die Dämpfung der Materialprobe durch die Wechselwirkung der einfallenden Welle zu quantifizieren. Zunächst wird das von der Quelle abgegebene Signal vom Empfänger ohne Probe und dann mit Probe gemessen. Abschließend wird das abgeschwächte Signal quantifiziert durch SE (dB) = S21ref (dB) – S21material (dB). Dabei können verschiedene Arten von Messverfahren zum Einsatz kommen (zum Beispiel amerikanische Normen ASTM ES 7/83, TEM-t Zelle, Absorberkammer VG  5373/T15 und andere Methoden).

Synthese der Galvanoschicht

Herstellungsmethode für einfache EMV-Schutzschichten auf Kunststoffen ist bei vielen Anwendungen die PVD (physical vapor deposition), ein physikalisches Abscheideverfahren. Das Verfahren erzeugt dünne Schichten aus Kupfer von maximal 1 bis 2 µm Schichtdicke, meist in Kombination mit einer korrosionsfesten Deckschicht aus Nickel und Chrom. Alternativ lässt sich in vielen Fällen auch Aluminium einsetzen, um die Kosten weiter zu senken. Das Verfahren eignet sich für verschiedene Kunststoffe. Die Abdeckung kleinerer, nicht zu beschichtender Bereiche ist verhältnismäßig einfach.

Chrom(VI)-frei gebeizte Oberfläche eines glasfaserverstärkten PPS-Materials.

Bild 3: Chrom(VI)-frei gebeizte Oberfläche eines glasfaserverstärkten PPS-Materials IMG Electronic & Power Systems

Aufgrund der geringen Schichtdicke ist die Schirmwirkung dieser Art von Schichten jedoch begrenzt. Für hohe Anforderungen an die Abschirmung lassen sich dagegen durch galvanische Abscheidung von Metallen auf Kunststoffen Schichten von 50 µm und mehr relativ kostengünstig erzeugen, die in einem weiten Frequenzbereich deutliche bessere Reflexionseigenschaften für elektromagnetische Wellen aufweisen. Kunststoffgalvanik ist vor allem als dekorative Verchromung innerhalb und im Außenbereich von Fahrzeugen sowie für Produkte der Sanitärindustrie, zum Beispiel für Armaturen oder Duschköpfe, bekannt. Diese großen Anwendungen sind jedoch fast ausschließlich auf ABS als Kunststoff beschränkt und daher für viele technische Anwendungen kaum geeignet. Nicht nur für die Endschicht der dekorativen Verchromung, sondern auch für die Vorbehandlung der Kunststoffbauteile vor der Beschichtung wird bislang Chromsäure eingesetzt, deren Einsatz in der Europäischen Union seit September 2017 nicht mehr zulässig und seitdem nur noch im Rahmen besonderer Autorisierungen für definierte Anwendungen zugelassen ist.

Alternative zu Chromsäure

Bild 4: Simulationsergebnis der zugeschnittenen Gesamtschirmdämpfung (y-Achse: Dämfpung in dB, x-Achse: Frequenz, braun: Reflexionsdämpfung, blau: Absorptionskurzve, violett: Gesamtdämpfung).

Bild 4: Simulationsergebnis der zugeschnittenen Gesamtschirmdämpfung (y-Achse: Dämpfung in dB, x-Achse: Frequenz, braun: Reflexionsdämpfung, blau: Absorptionskurve, violett: Gesamtdämpfung) IMG Electronic & Power Systems

Biconex ist es gelungen, ein Verfahren für die Beschichtung technisch relevanter Kunststoffe zu entwickeln, mit dem sich eine besonders gute Schirmwirkung für elektromagnetische Wellen erzielen lässt und das vollständig auf Chrom(VI) oder andere hochgiftige Chemikalien verzichtet. Das Verfahren eignet sich neben ABS-basierenden Kunststoffen derzeit für PEI (Polyetherimid), PPS (Polyphenylensulfid) sowie für spezielle Polyamide (EMS Grivory). Der komplette Prozess lässt sich in einer vollautomatisierten chemisch-galvanischen Prozessstrecke darstellen und ist somit grundsätzlich für hohen Durchsatz bei niedrigen Kosten geeignet. Wie bei herkömmlichen Verfahren der Kunststoffgalvanik wird vor der chemisch-galvanischen Beschichtung die Oberfläche mit einer Mikrostruktur versehen und chemisch modifiziert. Die Mikrostrukturierung führt zu einer besseren Verankerung der danach abgeschiedenen Metallschicht und die chemische Modifizierung sorgt für eine bessere Benetzbarkeit der Oberfläche. Bild 3 zeigt eine mit dem Biconex-Verfahren vorbehandelte PPS-Oberfläche.

Durch die Vorbehandlung entsteht eine gleichmäßige und dichte Verteilung von Poren an der Oberfläche. Die Poren besitzen eine Größe von wenigen Mikrometern, wobei die Schicht eben bleibt und nur durch teilweise herausgelöste Glasfasern unterbrochen wird. Das nachfolgend aufgebrachte Schichtsystem, das für eine möglichst gute Schirmwirkung sowohl absorbierende als auch reflektierende Eigenschaften besitzt, wird in einem rein nasschemischen Prozess erzeugt. Für eine Serienfertigung der Beschichtung für unterschiedliche Gehäuse ist die Integration des gesamten Verfahrens einschließlich Vorbehandlung in einen vollständig automatisierten Prozess möglich.

Theoretischer Ansatz einer EMV-Sonderschicht

Bild 5: Messergebnisse der galvanischen Schirmschicht im Vergleich zu einer herkömmlichen PVD-Beschichtung im Bereich von 1000 bis 2000 MHz.

Bild 5: Messergebnisse der galvanischen Schirmschicht im Vergleich zu einer herkömmlichen PVD-Beschichtung im Bereich von 1000 bis 2000 MHz IMG Electronic & Power Systems

Bei einer galvanischen Sonderschicht soll die Gesamtschirmdämpfung (eine Kombination aus Absorptionsverlust und elektrischem Reflexionsverlust) eine Absorption > 6 dB betragen. Die zugeschnittene Gesamtschirmdämpfung als Summe aus beiden Verlustarten lässt sich berechnen mithilfe von SdB = 3,33·10-3 t· √(µr·f·G ) + 353,6 + 10 log 10·((G/( f3·µr·r12 ))), RedB = 353,6 + 10 log10 ((G/( f3·µr12))) und AdB = 3,33·10-3·t·√(µf·G). Dabei ist t die Dicke der Schicht, S die zugeschnittene Gesamtschirmdämpfung in dB, f die Frequenz, µr die relative Permeabilität, G die relative Leitfähigkeit in Bezug auf Kupfer, r1 der Abstand zwischen Quelle und Schirm, Re der zugeschnittene elektrische Reflexionsanteil der Dämpfung in dB und A ist der zugeschnittene Absorptionsanteil der Dämpfung in dB. Die folgende theoretische Simulation betrachtet eine Schicht mit einem Absorber, der sich ein Meter von der Quelle befindet. Die Frage ist, welcher Dämpfungsanteil der Schicht größer ist: Reflexion oder Absorption.

Das Simulationsergebnis (Bild 4) zeigt die theoretische Gesamtdämpfung einer absorbierenden galvanischen Schicht im Kilohertz-Bereich. Schirmresonanzen einer technischen Applikation treten nicht auf. Die Reflexionsdämpfung stellt bis zu einer speziellen Frequenz den größeren Anteil an der Gesamtdämpfung dar, danach ist der Absorptionsanteil größer als der Reflexionsanteil. Insgesamt sinkt die Gesamtdämpfung in Abhängigkeit von der Frequenz bis zu einem konstanten Anteil.

Experimentelle EMV-Ergebnisse

Die experimentelle Messung untersuchte eine galvanische EMV-Schicht, wobei das VG-95373/T15-Messverfahren im Frequenzbereich von 1000 bis 2000 MHz zum Einsatz kam. Ein massives Metallreferenzgehäuse bringt es hierbei auf eine Schirmdämpfung bis 65 dB. Im Bereich von 1300 bis 1800 MHz und im Bereich von 1900 bis 2000 MHz besitzt das Gehäuse mit galvanischer EMV-Sonderschicht eine deutlich höhere Dämpfung gegenüber einer PVD-Beschichtung. Außerdem bestätigt sich, dass eine Minimierung der Schirmresonanzen möglich ist.

Zusammenfassung

Kfz-Sensoren stellen hohe EMV-Anforderungen, so zum Beispiel Einstrahlungsstörfestigkeiten bis 140 V/m im Frequenzbereich von 1000 bis 2000 MHz. Dies ist besonders im Zusammenspiel mit Elektroantrieben eine Herausforderung. Biconex und IMG Power & Electronics Systems haben eine galvanische Sonderschicht entwickelt, die Entwicklungsingenieuren beim Gerätedesign hilft, indem bei geringem Gewicht eine hohe Schirmdämpfung erreicht wird. Die Schicht beinhaltet einen neuartigen Materialaufbau mit absorbierenden Füllstoffen, welchen den Automobilzulieferern helfen soll, leichter den EMV-Test zu bestehen und eine höhere Produktsicherheit zu erreichen. Weitere positive Eigenschaften gegenüber herkömmlichen metallischen Gehäusen sind niedrigere Kosten, die bessere Verarbeitung und das geringe Gewicht. Die weitere Entwicklung von Schichtaufbauten adressiert Frequenzbereiche im Kilohertz-Bereich, der gerade für Elektromobilitätslösungen interessant ist.

Frank Gräbner

Ass.Prof.(BG) Dr.

Pravat Kanti Nath

Testing-Engineer bei IMG

Dr. Jürgen Hofinger

Geschäftsführer von Biconex

(na)

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