Die Idee von Industrie 4.0 ist eng verknüpft mit dem Begriff der Cyber-Physical Systems (CPS). Diese Systeme bestehen aus einer Menge von intelligenten Komponenten, nämlich eingebetteten Systemen wie Industriesteuerungen, Sensoren und Aktoren, sowie aus einer Kommunikationsinfrastruktur wie Feldbus, Intra- oder Internet. Dort treten die intelligenten Komponenten als eigenständige Kommunikationsteilnehmer auf. So entsteht das Internet der Dinge. Der Mensch wird ein Bestandteil des Kommunikationsnetzes, gemeinsam mit Dingen, die rechnen und kommunizieren.

Eckdaten

Innerhalb von Fabrikhallen tragen die Ideen des IoT den markigen Namen Industrie 4.0. Die Intelligenz der Automatisierung soll dabei nicht mehr in einer zentralen Steuerung stecken, sondern jedes Werkstück soll als intelligentes Ding selbstständig durch die Fertigungsstraße laufen und dabei die passenden Aktionen auslösen. Da aber nicht jedes Werkstück die nötige Verarbeitungskapazität hat, können Software-Agenten die Intelligenz stellen. Eine eindeutige Kennzeichnung jedes Werkstücks klärt, welcher Agent für welches Ding zuständig ist.

Doch das Konzept hat eine Lücke: Das intelligente Werkstück kann nur dann intelligent sein, wenn es als intelligente Komponente im CPS auftritt. Für die wenigsten Werkstücke wird das zutreffen. Die Seifenflasche kann nicht rechnen. Sie mit Rechenleistung auszustatten, wäre unverhältnismäßig. Mit iAgent hat die Infoteam Software AG eine Lösung entwickelt, die sich auch für andere IoT-Komponenten eignet: Ein dezentrales Multiagentensystems (MAS) repräsentiert intelligente sowie nicht-intelligente Komponenten des CPS. Jeder Agent wirkt dabei stellvertretend für sein Werkstück. Die Werkstücke erlangen somit Intelligenz in Form ihres Software-Agenten.

Multiagentensysteme

MAS sind eine seit zirka 15 Jahren bewährte Programmiermethodik der künstlichen Intelligenz. Software-Agenten verfolgen Ziele und sie haben die Fähigkeit zur Introspektion. Sie können Aussagen über ihren eigenen Zustand machen, mit anderen Agenten kommunizieren und kooperieren. Die Verbindung mit dem durch sie repräsentierten Gegenstück in der physischen Realität lässt sich über eine eindeutige Kennzeichnungen herstellen, zum Beispiel RFID, QR-Code oder Barcode.

Der Mensch ist als aktiver Teilnehmer in das CPS mit eingebunden, zum Beispiel durch webbasierte Informationssysteme für mobile Endgeräte, die per QR-Code-Scanner aktuelle Statusinformationen erhalten und Prozessparameter setzen können.

Durch die Vernetzung der Fertigungsanlagen ist es möglich, die ganze Fertigung als ein einziges intelligentes System aufzubauen. Infoteam verwendet dazu ein Multiagentensystem, welches jedes Element der Fertigung als intelligentes und zielgerichtet handelndes Objekt (Cyber Physical Object) einbindet. Dabei ist es egal, ob es sich um ein Werkstück, eine Fertigungslinie oder beliebige Sensoren handelt. Auch SPS-Steuerungen lassen sich als Objekte und somit Agenten betrachten. Dieses Cybersystem aus Software-Agenten kann neben der Fertigungssteuerung weitere Aufgaben wie Logistik und Produktlebenslauf übernehmen. Hier bietet das Agentensystem eine anpassbare Lösung für jeden Bereich.

Die Vorteile der Agenten

Jeder einzelne Agent wird durch seinen Zustand definiert. Der Zustand beschreibt in diesem Zusammenhang seinen internen Status (wer bin ich, wo bin ich, was ist bereits mit mir passiert) und seine Ziele (wo will ich hin, was soll mit mir passieren). Um selbstständig seine Ziele zu erreichen und den besten Weg zur Zielerreichung zu bestimmen, kommuniziert der Agent mit anderen Agenten.

Häufig führen mehrere Wege zum Ziel. Der Agent kann daher mit verschiedenen Gewichtungsmöglichkeiten oder Optimierungsmethoden arbeiten, um für den aktuellen Zustand die geeignete Strategie zu finden. Dies kann zum Beispiel die schnellste Zielerreichung sein, die kostengünstigste oder die mit den geringsten Rüstzeiten.

Je nach System kann die Zielfindung damit sehr aufwändig werden. Da alle Agenten über ein Netzwerk miteinander kommunizieren müssen, ermöglicht dieses Agentensystem eine dezentrale IT-Struktur. Damit ist sie unabhängig von anderen Einflüssen oder Ausfällen und gleichermaßen unabhängig von der Intelligenz einer einzelnen Steuerung.

Intelligenz spenden

Die Kombination aus Objekt, Zustand und Kommunikation sorgt für die Intelligenz der cyber-physikalischen Objekte. Um diese Intelligenz auf das Werkstück oder die Fertigungsanlage zu übertragen, gibt es mehrere Standardwege: Tagging, Datenhaltung auf dem Element oder Intelligenz auf dem Element.

Tagging ist die einfachste Methode und erfordert nur eine Identifizierung des Werkstücks innerhalb der Anlage, zum Beispiel durch RFID-Tags auf den Werkstücken und Lesegeräten in der Anlage. Hier liegen der Zustand und die Intelligenz nur im zugeordneten Agenten. Das Agentensystem wird vom Leser über das aktuelle Werkstück und dessen Standort informiert. Der Agent aktualisiert seinen internen Zustand und kommuniziert bei Bedarf mit seiner Umwelt. Neben der zur Zielfindung notwendigen Kommunikation kann der Agent auch andere Aktionen auslösen, beispielsweise notwendige Zusatzteile nachbestellen oder über anstehende Wartungszyklen informieren.

Nimmt man die Datenhaltung mit auf das Werkstück, etwa durch beschreibare RFID-Tags oder Flashspeichermedien, kann der repräsentierende Agent an jeder Meldestation von selbst instanziiert werden. Dazu sind keine weiteren Daten notwendig. Der Agent befindet sich nach seiner Instanziierung automatisch wieder im Gesamtsystem und kann durch die Kommunikation mit anderen Agenten seine Aufgaben weiter verfolgen.

Da das Agentensystem geänderte Zustände des Agenten sofort wieder auf dem Speichermedium abgelegt, ist keine zentrale Sicherung des Systems notwendig. Darüber hinaus könnte man das Werkstück oder die Linie auch direkt mit eigenen Prozessoren und Speichern ausstatten. Voraussetzung dafür ist ein hoher technologischer Aufbau der einzelnen Werkstücke.

Die Technik

Sollten sich in der Fertigung neue Anforderungen ergeben, etwa Änderungen von Prozessen oder Werkstücken, muss der Betreiber nicht mehr die bestehende IT-Struktur sondern nur den einzelnen Agenten ändern oder neu konfigurieren. Neue Werkstückarten oder Linienelemente muss er lediglich als Agent implementieren und kann sie dann ohne weitere Änderungen in das bestehende Agentensystem einfügen.

Das iAgent Toolkit ist ein Java-basierendes Multiagentensystem. In diesem kommunizieren alle Agenten über TCP/IP-Nachrichten miteinander oder über Konnektoren auch mit ihrer Umwelt, beispielsweise einer SPS. Dieses lose gekoppelte System kann über mehrere Rechner verteilt sein. Für Erweiterungen und Änderungen reicht es, einzelne Agenten anzupassen oder neue hinzuzufügen. Andere, bereits laufende Agenten sind davon nicht betroffen.

Die Zugriffs- und Ausfallsicherheit des Systems wird hier auf Agentenebene durchgeführt. Dazu gehört die Zustandsspeicherung in Datenbanken zur Ausfallsicherheit und die Systemsicherheit innerhalb des Agenten oder der Sicherheitszone.

Verteilung der Hard- und Softwarekomponenten in einem Beispielszenario mit iAgent: Statt die Datenverarbeitung direkt auf jedes Werkstück zu verlagern, kümmern sich Software-Agenten um je ein Werkstück das sie per RFID-Tag identifizieren.

Verteilung der Hard- und Softwarekomponenten in einem Beispielszenario mit iAgent: Statt die Datenverarbeitung direkt auf jedes Werkstück zu verlagern, kümmern sich Software-Agenten um je ein Werkstück das sie per RFID-Tag identifizieren.Infoteam

Ein mögliches Szenario

Folgenden Ablauf mit dem iAgent-System hat Infoteam Software bereits exemplarisch realisiert: Die Entwickler haben Werkstücke mit ID-Tags versehen und für jedes ID-Tag einen Agenten im Agentensystem angelegt. Dazu kamen weitere drei Agenten, welche die Fertigungslinien repräsentierten sowie ein Agent für die Steuerung der Visualisierung (siehe Bild). Die Werkstücke sollen nun selbst ihre Ziele erfüllen. Als mögliche Ziele sind dafür drei unabhängige Arbeitsschritte an ebenfalls drei Stationen vorgesehen.

Neben der Fertigungsstraße kommen folgende Hardwarekomponenten zum Einsatz:

  • RFID-Leser zur Zuordnung Teil->RFID->Agent
  • I/O-Module zur Ansteuerung der Fertigung durch die Agenten
  • Windows-PC mit Kithara-Echtzeiterweiterung zur Verbindung zwischen Agentensystem und Fertigung
  • PC für das Agentensystem
  • PC als Webserver für die Visualisierung

Zum Visualisieren des Zustands und der Agentenkommunikation ist ein gewöhnlicher PC-Monitor zuständig. Wenn der Anwender neue Werkstücke als intelligente Agenten einspeisen will, kann er auf einem iPad einen so genannten Rezepteditor aufrufen. Die Zustände der drei festen Stationen lassen sich über ein Android-Tablet als Parametereditor verändern. Über diese Konfiguration lassen sich sowohl reguläres Verhalten als auch Störfälle darstellen.

Konfigurieren statt programmieren

Mit dem iAgent-Toolkit können Entwickler schnell und einfach kundenspezifische Systeme aufbauen. Nach einer Analyse der Kundenanforderungen passen sie die Agenten mit ihren Zuständen, Zielen und Aufgaben an das vorhandene System an. Die Fertigungsprozesse und Güter sind durch einzelne Agenten abgebildet und mit geeigneten Zielfindungsalgorithmen ausgestattet. Das Agentensystem kann überall zum Einsatz kommen, wo schnelle Änderungen, dezentrale Systeme oder komplexe Zielfindungen notwendig sind. Steuerungen, Sensoren und Aktoren lassen sich problemlos in das CPS integrieren.

Agenten können auch Datenbanken überwachen oder Daten selbstständig analysieren. Für Änderungen am System genügt es, die Ziele der Komponenten im CPS anzupassen, statt das komplette Systemverhalten auszuprogrammieren. Demzufolge kann die Fertigung auf Störungen oder geänderte Abläufe selbstständig flexibel reagieren, ohne aufwändig neu in Betrieb genommen zu werden. Die Stillstandszeiten verringern sich und der Betreuungsaufwand sinkt. Agenten können auch helfen, den Energieverbrauch zu senken.

Die iAgent-Lösung ist leicht erweiterbar um die Anbindung an HMI, SCADA, MES, SAP, Logistik, Facility Management und Energieverwaltung. Der Automatisierungsgrad wird auf eine höhere Ebene bis hin zur Logistik gesteigert. Damit erschließt sich das volle Potenzial der Industrie 4.0. Zudem eignet sich der Ansatz auch für andere IoT-Anwendungen jenseits der industriellen Automatisierung.

Michael Lierheimer

ist Senior Engineer bei Infoteam Software.

(lei)

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