Twincat 3 wurde auf der SPS/IPC/Drives releast, dem ging eine Beta-Phase voraus. Wie lang hat diese gedauert und wie sah sie konkret aus?

Die Beta-Phase hat über eineinhalb Jahre gedauert und begann Mitte 2010. Konkret haben wir eine Reihe interessierter Kunden mit Beta-Versionen in verschiedenen Bereichen beliefert. Besonders groß war die Nachfrage bei den Programmiersprachen, die nicht durch Twincat 2 abgedeckt werden. Viele der Beta-Kunden, die vorher noch nicht mit Beckhoff gearbeitet hatten, waren an der C++ Implementierung interessiert. Ebensoviel Nachfrage gab es nach Matlab/Simulink. Diesen Kunden haben wir Twincat 3 frühzeitig zur Verfügung gestellt. Ein anderer Kundenkreis wiederum wollte die neue SPS mit objektorientierter Programmierung ausprobieren.

Nach dem Release ist nun die offizielle Auslieferung über den Download von der Beckhoff Webseite erfolgt. Was bedeutet das konkret?

Twincat 3 steht seit dem 15. März 2012 zum Download bereit. Das kostenlose Engineering kann ebenso heruntergeladen werden wie die integrierte Runtime. Die Runtime kann für sieben Tage ohne Limitierung evaluiert werden. Durch den Download ist die schon im November releaste Version nun frei erhältlich.

Der Anwender hat nun Twincat 3 gekauft und installiert. Da er vorher ein reger Twincat-2-Nutzer war, stellt sich die Frage, was macht er mit seinen Twincat-2-Programmen?

Natürlich kann er die Twincat-2-Programme übernehmen. Wir haben in den letzten 15 Jahren eine riesige Zahl von Anwendern auf Basis von Twincat 2 gewonnen – mit mehreren 100.000 Lizenzen. Die in dieser Zeit entstandene Software muss natürlich auch in Twincat 3 übernommen werden können.

Die Zielgruppe des Softwaresystem

In Twincat 3 ist auch die Entwicklungsumgebung um viele Features erweitert worden. Welche Zielgruppe hatten Sie dabei im Auge?

Die Zielgruppen sind zum einen natürlich die Bestandskunden, die wir mit einem neuen guten Tool unterstützen wollen. Die neuen Features werden das Engineering deutlich verbessern und die Usability erhöhen. Mit den objektorientierten Erweiterungen der IEC 61131 stehen den SPS-Nutzern auch Möglichkeiten zur Verfügung, modularen und einfach wiederzuverwendenden Code zu schreiben. Natürlich kann bestehender SPS-Code auch ohne Änderung übernommen und weiter verwendet werden.

Wir sprechen selbstverständlich auch ganz gezielt Kunden an, die an neuen Themen interessiert sind. Zum Beispiel diejenigen Kunden, die gerne ihre Maschinen und -Anlagen in C++ programmieren möchten und natürlich vorhandene Sourcen übernehmen wollen. Die Ausführung der C++ Applikation erfolgt in der Twincat-Echtzeit. Damit steht die PC-basierte Runtime und Ethercat als Bus auch für die C++-Anwender zur Verfügung.

Das Gleiche gilt auch für Matlab/Simulink. Auch hier gibt es viele Anwender und damit auch viele vorhandene Modelle. Diese Modelle können mit Twincat 3 ohne Modifikation übersetzt und in der Twincat-3-Echtzeit ausgeführt werden. Für alle Sprachen stehen leistungsfähige Debugger und Analysetools zur Verfügung.

Twincat 3 wurde in das Visual Studio integriert. Wo liegt darin der Vorteil?

Visual Studio ist als Entwicklungsumgebung für Software weltweit bekannt und beliebt. Wir haben uns deshalb entschieden, dieses Software-Entwicklungstool auch für die Automatisierungstechnik zu nutzen. Uns ist eine Konvergenz der Systeme wichtig: Wir wollen das aus der IT Bewährte für die Automatisierungstechnik anpassen und erweitern. Wir verwenden Visual Studio zunächst als Rahmen für unsere Plug-ins, für die Konfiguration und für die Programmierung der SPS. Daneben verwenden wir die Dinge, die im Visual Studio bereits vorhanden sind, wie C, C++, C# oder die anderen .NET-Sprachen.

Wenn wir gerade bei der Programmierung sind: Wie sieht es mit der Wiederverwendbarkeit des Codes aus?

Das ist ein ganz wichtiges Thema. Wir stellen mit der PC-basierten Hardware eine Plattform zur Verfügung, auf der man mehr und mehr Software implementieren kann. Zudem stellen wir mit Ethercat einen Bus zur Verfügung, der das auch nach außen transportieren kann. Natürlich müssen wir auch dafür sorgen, dass man die Software noch beherrschen kann. Wir sind der Überzeugung, dass modulare Software-Programmierung der Weg ist, den man gehen muss, um Software auch in Zukunft einfach nutzen zu können. Module können in verschiedenen Sprachen geschrieben werden. Sie können vom Engineering im gleichen Tool – dem Visual Studio – programmiert und kombiniert werden. Dann erfolgt der Download in die Runtime. Die Runtime ist in der Lage, verschiedene Module auszuführen und auch auf verschiedenen Cores einer Multicore-CPU zu verteilen.

Auch die Safety-Programmierung ist ein ganz wichtiges Thema. Wie geht Twincat 3 damit um?

In Twincat 3 hat Beckhoff einen komplett neuen Safety Editor entwickelt, der integraler Bestandteil ist und natürlich auch in die Umgebung des Microsoft Visual Studio integriert ist. Wir bieten hier zunächst einen freigrafischen Editor. Neben dem freigrafischen Funktionsplan-Editor wird es auch einen Safety-C Editor geben, mit dem man die sicherheitstechnische Applikation in der Hochsprache C programmieren und debuggen kann.

Sie haben die Runtime angesprochen, die modular aufgebaut ist. Welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für den Anwender?

Der Anwender kann viele verschiedene Module in verschiedenen Sprachen – SPS, C/C++ oder Matlab/Simulink – schreiben und kombinieren. Safety ist in diesem Zusammenhang natürlich auch ein Modul. Die Module können in die Twincat-Echtzeit geladen und von den Echtzeit-Tasks ausgeführt werden. Über die bei Twinctat 3 definierten Schnittstellen können Daten zwischen den Modulen ausgetauscht werden. Es können aber auch Funktionen in anderen Modulen aufgerufen werden. Unsere Kunden können zum Beispiel aus einer SPS einen Matlab/Simulink-Regler direkt aufrufen.

Stichwort Matlab/Simulink: Funktioniert die Anbindung zu Matlab/Simulink bereits?

Die Anbindung zu Matlab/Simulink funktioniert natürlich schon. Eine erste Applikation wurde erfolgreich in der Beta-Phase von Twincat 3 getestet und ist mittlerweile mit der releasten Version schon an Endkunden ausgeliefert worden. Dieses Projekt wurde komplett in Matlab/Simulink erstellt.

Ein wesentlicher Punkt bei Twincat 3 ist, das haben wir schon kurz angerissen, die Verteilung auf mehrere Prozessorkerne. Welche Leistungssteigerung erreiche ich damit?

Die Leistungssteigerung ist nahezu linear. Ein Programm in IEC 61131, das mit Twincat 2 auf einem Kern ausgeführt wird, kann jetzt auf zum Beispiel vier Kerne dupliziert werden und erreicht so eine vierfache Performance. Bei erhöhter Kommunikation der Applikationen geht die Performance natürlich etwas runter. Die Leistungsfähigkeit der neuen Multicore-CPUs kann aber optimal ausgenutzt werden.

Die Highlights von Twincat 3

Was ist aus Ihrer Sicht das Highlight von Twincat 3?

Das Highlight im Engineeringbereich ist sicherlich die Integration der automatisierungstechnischen Komponenten in das aus der IT bekannte Visual Studio. Das Beckhoff-Automatisierungs-Know-how für die Konfiguration und Programmierung der SPS ist komplett integriert. Das zweite Highlight ist, dass wir die Runtime auf dem PC haben, die leistungsstark ist, hochgenau und eine sehr präzise Echtzeit bietet. Durch die Möglichkeit der Verteilung auf die einzelnen Cores können die modernen Multicore-Prozessoren optimal genutzt werden.

Zum Thema Lizenzierung: Bei Twincat 3 hat sich jetzt ja auch das Lizenzierungsmodell geändert. Wie sieht das genau aus und wie ist der Preis?

Das Lizenzierungsmodell hat sich insofern geändert, dass man nun direkt aus der Software heraus ein Lizenz-File generiert, in dem die einzelnen Komponenten, die man nutzt, aufgeführt sind. Dieses File wird dann an den Vertrieb bei Beckhoff geschickt, worauf ein entsprechendes File wieder zurückkommt. Dieses wird in ein spezielles Verzeichnis kopiert und damit ist die Lizenzierung schon erfolgt. Ein sehr einfaches Verfahren – und noch dazu ein sehr gerechtes. Die Preise richten sich nach der Leistungsfähigkeit der verwendeten CPU. Das Engineering ist hierbei kostenlos.

Klingt simpel.

Ja, es ist sehr einfach und wir denken, dass sich das auch bei unseren Kunden durchsetzen wird.

Wenn ich mir das Informationsmaterial und die Internetseite zu Twincat 3 anschaue, fällt der Begriff ‚Extended Automation‘ auf. Was verstehen Sie unter ‚Extended Automation‘?

Extended Automation bedeutet bei uns, dass wir die Standard-Automatisierungstechnik erweitern wollen. Wir wollen dies im Engineering, also mit der Verwendung moderne Tools und mit Software-Engineering, tun. Das ist in der Automatisierungstechnik bisher so nicht bekannt. Zudem wollen wir die Standard-Automatisierungstechnik auch um neue Sprachen erweitern. C++ oder Matlab/Simulink sind Sprachen, die in der Automatisierungstechnik bisher kein Standard sind. Des Weiteren möchten wir auch in der Runtime Extended Automation realisieren. Neben der Multicore-Funktionalität bietet die Twincat 3 Runtime auch die Möglichkeit verschiedene Module auszuführen.

Die Vorteile von Twincat gegenüber des Wettbewerbs

Was macht Beckhoff anders als andere? Kurz gesagt, was ist der Unterschied zwischen Twincat 3 und anderen Programmiersystemen?

Was wir anders machen ist, so denke ich, dass wir versuchen innovative Wege zugehen, um unseren Kunden die bestmöglichsten Tools und die performanteste Runtime zu bieten. Mit der Integration unserer Werkzeuge in das Visual Studio haben wir das aus der IT bekannte und bewährte für die Automatisierungstechnik adaptiert. Ebenso verwenden wir nicht eine proprietäre Steuerung mit speziellen Prozessoren, sondern eine PC-basierte Steuerung, bei der der PC aus der IT-Welt bekannt ist. Das machen wir bei Ethercat ebenso, indem wir ein Standard-Ethernet nutzen, um Automationsfähigkeiten anreichern und nun ein Ethercat geschaffen haben. Diese Philosophie nennen wir ‚Konvergenz der Technologien‘.

Eine ganz wichtige Frage zum Schluss. Wie sieht die weitere Roadmap aus. Was ist der nächste Schritt?

Der nächste Schritt ist einmal die weltweite Verbreitung von Twincat 3. Natürlich haben wir weitere Punkte auf unserer Roadmap. So wollen wir die Sicherheits-SPS auf dem PC integrieren, das heißt, die Sicherheits-SPS in Software auf dem PC. Ein ganz wichtiges Thema, das wir im zweiten Halbjahr angehen. Wir wollen die 64-Bit-Betriebssysteme für die Runtime unterstützen. Hier sehen wir auch schon dieses Jahr eine erste Version. Auch ein Thema fürs zweite Halbjahr ist die Unterstützung der CE-Systeme. So werden wir nach und nach unser System mittel- und langfristig komplettieren und erweitern. Auch im Bereich Motion Control wollen wir noch flexibler und noch besser werden. Ganz im Sinne der Kundenzufriedenheit.

Melanie Feldmann

: Redakteurin IEE

(mf)

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