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(Bild: KD Busch)

Ricky Hudi: „Noch nie in seiner mittlerweile 130-jährigen Geschichte stand das Automobil vor einem solch tiefgreifenden Umbruch wie heute.“

Ricky Hudi: „Noch nie in seiner mittlerweile 130-jährigen
Geschichte stand das Automobil vor einem solch tiefgreifenden Umbruch wie heute.“
Geschichte stand das Automobil vor einem solch tiefgreifenden Umbruch wie heute.“ KD Busch

Mit dem Superlativ „Noch nie in seiner mittlerweile 130-jährigen Geschichte stand das Automobil vor einem solch tiefgreifenden Umbruch wie heute“ stimmte Ricky Hudi, E/E-Leiter bei Audi, die Kongressbesucher im vollbesetzten Saal auf Großes ein: Die Global Player der Digitalisierung schicken sich an, diesen Markt zu beackern und mit den traditionellen Anbietern in den Wettbewerb zu treten. Damit kommen auf technischer wie industrieller Ebene enorme Herausforderungen auf die Autoindustrie zu, die „neue Partnerschaften mit den Besten der Branche“ erforderlich machen.

Gemeint sind damit vor allem solche Unternehmen, die bei der Digitalkompetenz in der ersten Reihe marschieren, denn die großen digitalen Player aus dem Silicon Valley führen neue Spielregeln in den Markt für Mobilität ein. Uber zum Beispiel tritt als weltweit größtes Taxiunternehmen auf, besitzt aber keine eigene Flotte und baut natürlich auch keine Autos. Gleichzeitig ist Facebook das populärste Medienunternehmen auf dem Globus, erzeugt aber keinerlei eigenen Content. Alibaba wiederum, das chinesische Gegenstück zu Ebay ist gemäß Börsenbewertung der weltweit wertvollste Einzelhändler, hat aber selbst überhaupt keine Lagerbestände. Und Airbnb, der weltweit größte Anbieter von Unterkünften besitzt – natürlich – auch keine eigenen Immobilien. Was das alles mit der Autoindustrie zu tun hat, das erklärt Ricky Hudi so: „Die Digitalisierung erfasst alle Lebensbereiche und verändert Branchen.“ Diese Veränderungen erfolgen disruptiv, das heißt, sie haben das Potenzial, die existierende Technologie und die etablierten Geschäftsmodelle vollständig zu verdrängen. Das Produkt, also das Auto, bleibe wichtig, aber in dem Umfeld der Zukunft werde es nur die Basis für weitergehende Optionen darstellen, ganz ähnlich wie Apple mit seinen Computern als Plattform für gewinnbringende Zusatzangebote.

Konkrete Herausforderung

Der Audi-Vordenker erklärte auch, worin die Herausforderung konkret liegt: Die Kunden erwarten zunehmend, dass sich das Auto nahtlos in ihre digitale Lebenswelt einfügt – und zwar mit allen technischen Konsequenzen. Das mache ein Umdenken notwendig, eine neue Sicht auf das Auto: Die User-Experience, die Sicht des Kunden mit seinen Ansprüchen an die digitale Lebensweise sollte künftig der Ausgangspunkt sein, von dem aus ein neues Auto entwickelt wird. Dazu lieferte er ein kleines Beispiel: Heutige Kunden müssen über diverse Apps und Funktionen ihr persönliches Nutzerprofil manuell zusammenstellen. In Zukunft werde das Auto die Präferenzen des Kunden selbsttätig erkennen und ohne dessen Zutun übernehmen. Dazu werde sich die Benutzerschnittstelle komplett ändern.

Ricky Hudi: „Eine durchgängige End-to-End-Architektur (ist) der Schlüsselfaktor.“

Ricky Hudi: „Eine durchgängige End-to-End-Architektur (ist) der Schlüsselfaktor.“ KD Busch

Im Gegensatz zu heutigen Fahrzeugen, deren Fahrer im Verkehr weitgehend auf sich gestellt sind, werden dem Auto der Zukunft die Daten und das Wissen des Schwarms aus der Cloud heraus zur Verfügung stehen. Konkrete Beispiele sind ein prädiktiver Effizienzassistenz, der das Gas schon wegnimmt, bevor der Fahrer die rote Ampel überhaupt sehen kann; oder die lokale Gefahreninformation, die dem Fahrzeug mitteilt, dass etwa hinter der nächsten Kurve ein Unfall den Verkehrsfluss hemmt. Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen. Technisch setzen solche Anwendungen eine Kombination von bordgestützten Systemen und Cloud voraus.

HAF Level 4 in fünf Jahren

Ein wichtiges Kapitel in Ricky Hudis Vortrag widmete sich dem pilotierten Fahren; so nennt Audi das automatisierte Fahren auf Level 3 und 4. Gegenwärtig konzentriert sich die Entwicklung bei Audi auf die Stufe 3 der fünfstufigen Skala des autonomen Fahrens. Stufe 3 ist definiert als hoch automatisiertes Fahren; der Fahrer muss dabei aber jederzeit in der Lage sein, sofort die Steuerung wieder zu übernehmen. In dem für 2017 geplanten Modell A8 werde Audi erstmals mit einem Fahrzeug der Stufe 3 in Serie gehen, erklärte Hudi. Die Stufen 4 und 5 (vollautomatisiertes Fahren innerhalb bestimmter Use-Cases und autonomes beziehungsweise fahrerloses Fahren) werden nach aktuellem Erkenntnisstand „deutlich früher als bisher angenommen“, auf den Markt kommen, betont der Audi-Elektronikchef. Er nehme gegenwärtig sehr viele Aktivitäten wahr, die zu der Annahme berechtigten, dass die ersten Level-4- und Level-5-Systeme in gewissen Umgebungen bereits in zirka fünf Jahren auf den Markt kommen werden. Bisher ging man in der Branche davon aus, dass das erst gegen Ende des nächsten Jahrzehnts der Fall sein werde.

Diese Art zu fahren werde die User-Experience noch einmal deutlich verändern, erklärte Hudi. Verbunden mit Carsharing-Modellen sei es vorstellbar, dass Kunden gegen Zahlung einer bestimmten monatlichen Rate beliebig viele Fahrzeuge eines Herstellers nutzen können, auch Premium-Modelle. Der Kunde bucht die Fahrzeuge über eine App, danach fahren die Autos voll autonom vor das Haus des Kunden. „Ich bin davon überzeugt, die Welt wird sich in diese Richtung entwickeln“, konstatiert Hudi.

Für all diese neuen Services und Fähigkeiten wird das Auto der Zukunft eine grundlegend neue Elektronik-Architektur benötigen. In seinem Vortrag skizzierte Hudi die Grundzüge dieser Architektur. Auf technischer Ebene wird sie es gestatten, bestehende Funktionen im Feld zu aktualisieren und neue Funktionen nachzuladen. Zudem wird sie es dem OEM ermöglichen, Synergien aus Consumer-, Cloud- und Mobiltechnologien zu erschließen. Weitere zentrale Anforderungen an diese Zukunftsarchitektur sind Skalierbarkeit sowie ein Höchstmaß an Sicherheit – im Sinn von Security ebenso wie im Sinne von Fehlertoleranz und Verfügbarkeit. In funktionaler Hinsicht soll sie über Breitbandkanäle auch den Zugriff auf Computing-Ressourcen in der Cloud ermöglichen, um so verteilte Intelligenz und Schwarmfunktionen darzustellen. Bei alledem soll diese neue Architektur die Komplexität der Elektronik-Landschaft im Auto reduzieren und die Innovationszyklen verkürzen helfen.

Architektur der Zukunft

Diesen enormen Anforderungen würde eine zentrale Computing-Einheit für das ganze Auto gerecht, die wie das Gehirn des Menschen eine zentrale Funktion hat. Sie würde sämtliche Aufgaben der bisher über das Fahrzeug verteilten ECUs auf dem Weg virtueller Einzelrechner übernehmen und auch über die bisher als Zukunftskonzept diskutierte Domänenarchitektur hinausgehen. Die Verbindung zur Sensor- und Aktorebene wird danach über einen fahrzeuginternen Backbone-Datenstrang in Gigabit-Ethernet-Technik erfolgen, die Anbindung an die Außenwelt und die Cloud über Breitband-Mobilfunk. Um die erforderliche Redundanz herzustellen, sieht Hudis Konzept vor, die Autos mit zweien solcher Zentralrechner zu bestücken. Der Name der Architektur lautet in Anspielung auf diese doppelte Ausführung „Twin Peaks“. Gleichzeitig ist der Name eine Anspielung auf das Silicon Valley, denn „Twin Peaks“ heißt auch ein berühmter Aussichtsberg in San Francisco.

Fazit

Ricky Hudi kommt zu dem Ergebnis, dass „die Zukunft elektrisch, autonom und voll vernetzt ist“ sowie dass das Produktsystem „relativ zum Kernprodukt für den Kunden massiv an Bedeutung gewinnen wird“ – und „dafür ist eine durchgängige End-to-End-Architektur der Schlüsselfaktor“. Auch beim Kundenerlebnis und bei der internen Konfiguration seien entscheidende Transformationsprozesse erforderlich, die er auch ausführlich darlegte. Ein wesentlicher Aspekt sei dabei die „Coopetition: Gleichzeitig Kooperation und Wettbewerb mit Partnern“, was beim Location-Datenspezialist Here schon sehr gut funktioniere.

Christoph Hammerschmidt

Freier Journalist

Alfred Vollmer

Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK

(av)

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