Auf einer Grundfläche von mehr als 1 Million m2 fertigt Audi in Neckarsulm unterschiedliche Produkte. Angefangen vom Presswerk über die Lackiererei bis hin zu Karosseriebau und Montage stellen die einzelnen Abteilungen entsprechend ihren jeweiligen Aufgaben unterschiedliche Anforderungen an Profinet.
Seit 2014 setzen die Audi-Mitarbeiter eine Diagnose- und Überwachungslösung mit den Komponenten TH Link Profinet und TH Scope von Softing ein. Die Lösung hält sämtliche Diagnose-, System- und Geräteinformationen bereit. Daneben zeichnet sie beobachtete Ist-Zustände dauerhaft auf und stellt historische Daten aus dem gesamten Netz bereit. Im Bedarfsfall stehen so sämtliche Informationen sofort zur Verfügung. Wichtige Teilfunktionalitäten der eingesetzten Lösung sind eine Topologieansicht für die Lokalisierung ausgefallener Teilnehmer, die Anzeige von Detailinformation der eingesetzten Komponenten einschließlich Inventurstände und Lagerbestände sowie die Erkennung sporadischer Kommunikationsfehler.
Lokalisierung im Störfall
Die Abteilung ‚Fertigungsplanung Karosseriebau‘ realisiert bei Audi die Anlagentechnik neuer Karosseriebauanlagen – von der Fertigung der Einzelteile bis zur Herstellung der kompletten Rohkarosserie, einschließlich der Türen und Klappen. Dafür setzen die Mitarbeiter seit 2006 Profinet in stich-, stern- und ringförmigen Netztopologien mit Geräten entsprechend der Conformance Class C (Profinet IRT) ein. Die Automatisierungsnetze sind über eine definierte Übergabeschnittstelle in das Firmennetz eingebunden, wofür SNMP-Dienste verwendet werden. Neben speicherprogrammierbaren Steuerungen verfügen Roboter und zum Teil auch einzelne Prozessgeräte über Profinet-Anschaltungen. Da die zugehörigen Projektierungswerkzeuge typischerweise nur die Diagnose der jeweils zugeordneten Profinet-Geräte unterstützen, war jedoch keine zentrale Übersicht über den Netzzustand der gesamten Anlage möglich. Die Abteilungsmitarbeiter benötigten daher eine Profinet-Diagnoselösung, die sich durchgängig in den verschiedenen Projektphasen einer Anlage einsetzen lässt. Während der Installationsphase erfolgt bei Audi der Einbau aller Komponenten in die Anlage anhand von Spezifikationen. Für die anschließende Inbetriebnahme wird ein Abnahmebericht mit Kommunikationskennzahlen als Referenz für spätere Soll-Ist-Vergleiche erstellt. Die Instandhaltung überwacht den laufenden Anlagenbetrieb kontinuierlich und erkennt zum Beispiel Gerätefehler oder eine zusätzliche Kommunikationslast auf einzelnen Ports, wie sie beispielsweise bei einem Wechsel zu einer Kamera mit einer höheren Bandbreite auftreten können. Im Fall einer Störung sollte die schnelle Lokalisierung der Ursache möglich sein, sodass die Mitarbeiter die richtige Instandhaltungsmaßnahme einleiten können – beispielsweise die Prüfung eines Geräts, den Austausch im Rahmen der nächsten geplanten Anlagenwartung oder die sofortige Installation eines Ersatzgeräts.
Von Profinet-Komponenten unabhängige Werkzeuge
Auch die Abteilung ‚Endmontage‘ stellte gewisse Anforderungen an die Diagnoselösung. Der Bereich deckt sämtliche Arbeiten an der lackierten Karosserie ab – vom Einbau der Innenausstattung, Motor und Getriebe bis hin zur Endprüfung und Endabnahme des fertigen Autos. Dafür verwenden die Mitarbeiter hauptsächlich flache Profinet-Strukturen mit einer zentralen Netzanbindung des PCs am Switch. Für die Modellreihen A4 und A6 besteht die Endmontage am Standort Neckarsulm aus etwa 60 Profinet-Netzen, die durch Firewalls voneinander getrennt sind. In diese bereits bestehenden Netze sollte eine Diagnose- und Überwachungslösung eingebunden werden, die die Anforderungen der Instandhaltung abdeckt, in deren Arbeitsabläufe integrierbar ist und die begrenzten Ressourcen entlastet. Wichtig war den Mitarbeitern die Verwendung von Werkzeugen, die unabhängig von den eingesetzten Profinet-Komponenten sind und die sich bei laufendem Betrieb ohne Eingriffe in Projekte und bestehende Netze integrieren lassen. Außerdem sollte die Einbindung keine zusätzlichen Komponenten wie Datenbankrechner oder Installationsarbeiten erfordern sowie mit geringen Platzanforderungen im Schaltschrank auskommen.
Diagnose und Überwachung in allen Projektphasen
Nach Testinstallationen entschieden sich die Abteilungen ‚Fertigungsplanung Karosseriebau‘ und ‚Endmontage‘ am Standort Neckarsulm für eine Diagnose- und Überwachungslösung von Softing, die auf zwei Komponenten aufsetzt. Das Diagnosewerkzeug TH Link Profinet ermöglicht den Zugang zu den einzelnen Profinet-Netzen und überwacht den Kommunikations- und Gerätestatus im Netz auf der Basis eines speziellen Diagnosealgorithmus. Dieser beschränkt sich nicht auf das passive Beobachten des Datenverkehrs, sondern nutzt aktiv die von Profinet und den allgemeinen Ethernet-Protokollen bereitgestellten Diagnosemöglichkeiten: Geräte im Netz werden identifiziert, Gerätediagnoseinformationen einschließlich der Netzstatistik zur Verfügung gestellt, Kommunikationsfehler erkannt und die Netztopologie ermittelt. Anschließend führt die Überwachungs-Software TH Scope alle Daten zentral zusammen und stellt sie über einen Web-Server in einer grafischen Oberfläche dar. Die Präsentation der Ergebnisse ist auf einen durchgängigen Einsatz über die verschiedenen Projektphasen hinweg ausgerichtet und unterstützt insbesondere die Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen.
Audi hat diese Lösung in der Zwischenzeit als festen Bestandteil aller neuen Karosseriebauprojekte spezifiziert, die vom Standort Neckarsulm aus betreut werden. „Ein wichtiger Vorteil für Audi ist der durchgängige Einsatz der Diagnose- und Überwachungslösung von der Installation bis in den laufenden Betrieb. Damit können wir zum Beispiel Referenzmessungen für einen Vergleich der Abnahmesituation mit dem aktuellen Netzstatus durchführen und so Veränderungen schnell erkennen“, erläutert Felix Niederbacher, Fachreferent in der Abteilung Fertigungsplanung Karosseriebau bei Audi. „Im Rahmen der Zusammenarbeit mit Softing passten wir das Werkzeug an spezielle Audi-Anforderungen an. Die Lösung deckt neben der Netzdiagnose auch den Einsatz während der Abnahme und die Erstellung einer passenden Netzdokumentation ab.“ Im Laufe des Jahres 2014 rüstete Audi 25 Profinet-Netze in Neuprojekten damit nach. Daneben binden die Mitarbeiter die Diagnose- und Überwachunglösung schrittweise in bestehende Anlagen der Endmontage ein. Der Vorteil: Die Integration ist ohne Unterbrechung des laufenden Betriebs und mit geringem Installationsaufwand im Schaltschrank möglich. Bislang kamen so rund 60 weitere nachgerüstete Profinet-Netze dazu.
SPS IPC Drives Halle 7, Stand 580
Technik im Detail
TH Scope und TH Link
TH Scope hat in der Version 3 ein neues User-Interface erhalten – auf Basis von HTML5-Technologie. Adobe Flash Player wird nicht mehr benötigt. Anwender können TH Scope damit auch für Endgeräte nutzen, auf denen der Einsatz von Adobe Flash Player aus technischen Gründen nicht möglich ist. In einer Beta-Version steht TH Scope auch als Cloud-Applikation zur Verfügung. Das bringt Vorteile: etwa im Hinblick auf die Fernwartung von Anlagen oder im Zusammenspiel von Netzwerkdiagnose mit Analyseverfahren zur vorausschauenden Wartung.
Mit der kürzlich freigegebenen Version 3.2 der TH-Link-Produkte für Industrial Ethernet (Profinet, Ethernet/IP und Modbus/TCP) können die im industriellen Netz erfassten Diagnosedaten auf der einsteckbaren SD-Karte dauerhaft gespeichert werden. So stehen die Daten dem Anwender auch dann für Diagnosezwecke und Fehlersuche zur Verfügung, wenn beispielsweise die Stromzufuhr der Maschine unterbrochen wurde.
Dr. Christopher Anhalt
Georg Suess
(mns)