Der Projektauftrag
Der Elbeseitenkanal verbindet die Elbe bei Hamburg mit dem Mittellandkanal bei Wolfsburg. Gut 40 km südöstlich von Hamburg verläuft er durch die Gemeinde Scharnebeck im Landkreis Lüneburg. Insgesamt überwindet die Wasserstraße 61 m Höhenunterschied: 23 m überbrückt eine Schleuse bei Uelzen und 38 m das weltgrößte Schiffshebewerk. Es wurde 1976 nach achtjähriger Bauzeit für die Schifffahrt freigegeben. Das Hebewerk hat zwei nebeneinander liegende Durchfahrten, in denen sich unabhängig voneinander zwei Tröge mit einer Länge von 100 m, 12 m Breite und einer Wassertiefe von etwa 3,4 m Wassertiefe bewegen. Die Gesamtmasse der beweglichen Teile des Troges einschließlich des Wassers beträgt 11 800 t – so viel wie 14 komplette ICE-Züge mit je 16 Wagen, dazu die Masse des Wassers im Trog mit 5 800 t. Die Hub- und Senkbewegungen dauern etwa drei Minuten. Die Gesamttransferdauer – einschließlich der Ein- und Ausfahrt – beträgt ca. 15 Minuten pro Schiff. Ein vorderes und hinteres Sektionaltor verschließt die Tröge. Jedes dieser Hubtore wird durch zwei einzeln angetriebene Gliederketten gehoben, die links und rechts des Tors an einem Maschinenhaus entlang laufen.
Anwender im Detail
Schiffshebewerk Scharnebeck
In Betrieb genommen wurde die Wasserstraße Elbeseiten Kanal mit einer Länge von 115,2 km am 15. Juni 1976. Die Baukosten beliefen sich alleine für das Schiffshebewerk auf 152 Millionen DM und die Gesamtkosten inklusive des Elbeseitenkanals beliefen sich auf 1,7 Milliarden DM. Das erste Schiff wurde am 05. Dezember 1975 mit den Trögen des Schiffshebewerkes gehoben. Jährlich werden über 21 000 Schiffe durch das Schiffshebewerk geleitet. Eine Durchfahrt durch das Schiffshebewerk inklusive Einfahrt, Hebe- oder Senkvorgang und Ausfahrt dauert rund 15 Minuten.
Quelle: schiffshebewerk-scharnebeck.de
Da die elektromechanische Antriebstechnik der Tore vom Anfang der 70er Jahre stammt, war es notwendig diese auszutauschen. Die Antriebstechnik besteht aus einem Drehstrom-Asynchronmotor mit Bremsgerät und einem Industriegetriebe, das über eine mechanische Verbindung mit einem zweiten, dem Tor gegenüberliegenden Industriegetriebe gekoppelt ist. Als Reserve für Notsituationen wurde ein elektrischer Hilfsantrieb eingebaut. Zusätzlich ist ein Notbetrieb per Handrad vorgesehen. In der über 35 Jahre alten Anlage wurde eine Grundinstandsetzung vorgenommen, um für die Anlagensicherheit und -verfügbarkeit zu sorgen. Im Zuge dieses Retrofits sollten auch das Drehmoment und die Leistung der Antriebe erhöht werden. Statt der bisher installierten Leistung von 55 kW sollten die neuen Motoren 75 kW aufbringen. Auch das Nenndrehmoment des Getriebes sollte von bislang 80 kNm auf 130 kNm erhöht werden. Daraus ergaben sich auch spezielle Anforderungen an die Kupplungen. Insgesamt umfasste das Lastenheft rund 60 DIN-A4-Seiten.
Bei der Projekt-Begehung stellte man fest, dass die Industriegetriebe von SEW genau in die vorgegebene Spitzenhöhe passen. Das Bruchsaler Unternehmen hat auch Zwischengrößen in seinem Produktsortiment, was nicht bei allen Anbietern der Fall ist. Dies ist ein wichtiges Merkmal. Als ausführender Maschinenbauer wurde das Unternehmen Robert Nyblad aus Papenburg ausgewählt, das den Gesamtauftrag bekam und das Antriebspaket orderte.
Die Projektdurchführung
Als Hauptantrieb kommt ein 75-kW-Drehstrommotor DVE280 S4 zum Einsatz. Über eine Kupplung ist er mit dem Industriegetriebe X3FS230 von SEW verbunden. Das Getriebe hat drei Stirnradstufen und eine Kegelradeingangsstufe. Die mechanische Verkettung der beiden Torantriebe war bereits bei der alten Ausführung vorhanden und sollte nach dem Willen des Betreibers so beibehalten werden. Um diese Forderung zu erfüllen, musste aus dem Hauptgetriebe eine mechanische Verbindung zum zweiten Hauptgetriebe geschaffen werden, das sich auf der anderen Seite des Schleusentors befindet. Das eingesetzte Getriebe basiert auf einem Standard-Industriegetriebe der Baureihe X3, die Ingenieure modifizierten es aber der Anwendung entsprechend.
Nach der ersten Getriebestufe wird eine zweite Abtriebswelle aus dem Getriebe herausgeführt. Hierzu mussten die Ingenieure lediglich die Welle dieser Getriebestufe verändern und den Lagerdeckel austauschen. Diese Welle führt zu einem Verteilergetriebe. Hierbei handelt es sich um ein Kegelradgetriebe, das die Drehbewegung der Eingangswelle über einen Kegelradsatz auf zwei gegenüberliegende Ausgangswellen mit gleicher Drehzahl verteilt. Eine Ausgangswelle stellt über eine Gleichlaufwelle die mechanische Dauerverbindung zum zweiten Antriebssystem her. An die zweite Ausgangswelle des Verteilergetriebes ist über eine Schaltkupplung der Hilfsantrieb angeschlossen. Im Normalbetrieb ist er ausgekuppelt, im Notfall kann auch er das Tor heben. Dabei arbeitet er mit kleinerer Leistung als der Hauptantrieb und läuft etwa nur mit einem Zehntel von dessen Drehzahl. Der Hilfsantrieb ist ein Drehstrom-Asynchonmotor K127 DRE180 M4 mit einem zweiten Motorwellenende. Hierauf kann das Handrad für den Notbetrieb aufgesetzt werden. Von der Abtriebswelle des Industriegetriebes wird das Drehmoment über ein Antriebskettenritzel auf die Kette übertragen. Hierbei handelt es sich um eine Dreifach-Rollenkette, die das Hubtor bewegt. Auf der anderen Seite des Tors ist die gleiche Antriebskonstruktion noch einmal vorhanden. Beide Industriegetriebe sind – wie bereits ausgeführt – über eine Gleichlaufwelle mechanisch synchronisiert, die über das Tor hinweg verläuft. Zusätzlich wurden Sensoren zur Funktionsüberwachung installiert. Sie kontrollieren zum Beispiel die korrekte Funktion der Bremse. Für die elektrische Drehzahlüberwachung gibt es auf der einen Seite des Tores einen Absolutwertgeber; auf der anderen Seite wurde ein Sin/Cos-Geber installiert.
Das Projektfazit
Bis Herbst 2011 wurde eine Durchfahrt des Schiffshebewerks erneuert. Die Grundinstandsetzung des Osttroges erfolgte von Mai bis Oktober 2011. Mit der installierten Antriebseinheit wurde ein weitgehend standardisiertes Antriebspaket geliefert, dass über Jahre zuverlässig arbeiten wird und für das, in einem eventuellen Servicefall, schnell und unproblematisch Ersatzteile zur Verfügung stehen.
(hw)