Beim Antriebssystem XTS sind Motor, Leistungselektronik und Wegerfassung in einer Baugruppe integriert. Mit verschiedenen Modulen lassen sich nahezu beliebige Streckenkonfigurationen realisieren. Darauf können mehrere kabellose Mover dynamisch, das heißt mit Geschwindigkeiten bis zu 4 m/s, bewegt werden. Vereinfacht ausgedrückt ist XTS ein im Kreis fahrender Linearmotor. Jeder Mover ist im Steuerungssystem als eine Servoachse abgebildet und als solche getrennt steuerbar – bei Bedarf aber auch synchronisierbar. In der Verpackungstechnik essenzielle Funktionen wie automatisches Aufstauen, Kollisions- und Ruckvermeidung sind bereits in die Automatisierungssoftware Twincat integriert. Auf diese Weise lassen sich viele, bisher nur aufwendig mit Mechanik lösbare Bewegungsaufgaben flexibel per Software realisieren: Die Mover können ein Produkt aufnehmen und bewegen, den Abstand zwischen Produkten anpassen, die Produktgeschwindigkeit verändern sowie zu zweit Produkte mit definierter Kraft klemmen und verfahren. Durch die Relativbewegung zwischen zwei Movern kann eine zusätzliche Mechanik auch eine drehende Bewegung erzeugen, beispielsweise um das Transportgut zur Seite zu schieben oder einen Verschluss aufzuschrauben.
Diese Bewegungsoptionen bieten in Verbindung mit dem Wegfall von Mechanik mehrere Vorteile. Hierzu zählen vor allem die Kostenreduzierung sowie die vereinfachten Produktwechsel und Prozessanpassungen. Hinzu kommt die kurze Reaktionszeit bei Störungen: Bei einem Ausfall eines Zuförderers kann die Software quasi per Knopfdruck den Produktstrom auf eine andere Strecke umleiten. Mehr noch: Das System ermöglicht Handlingabläufe, die unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bisher nicht oder nur in Ausnahmefällen realisierbar waren.
Flaschenhals im Prozess beseitigen
Neben Kostenreduktion und höherer Anlagenverfügbarkeit hat die Entwicklung neuer Maschinengenerationen stets ein Ziel: eine gesteigerte Maschinenleistung.Da die langsamste Verarbeitungseinheit die Geschwindigkeit der Gesamtmaschine bestimmt, blieben Optimierungspotenziale bei den schnelleren Maschinenkomponenten meist unbeachtet, Schließlich wurden sie stets ausgebremst. XTS eliminiert dieses Manko, da die langsamste Station nun schneller arbeitet oder mit geringem Aufwand mehrfach eingebunden werden kann (parallele Strecken) und somit keinen Flaschenhals mehr darstellt. Wie sich dies konkret in Applikationen umsetzen lässt, verdeutlichen mehrere Beispiele.
Trennung von Produktströmen
Zum Aufbau eines Verteilers zur Trennung eines unsortierten Produktstroms kleiner Kartons in zwei Reihen zu weiterführenden Stationen (Gates) ist das vertikale XTS-System diagonal über dem Förderband zu platzieren. Entsprechend den Informationen einer vorgelagerten Objekterkennung fährt ein Mover zum ankommenden Karton, fixiert diesen über einen anmontierten Winkelgreifer und verschiebt ihn je nach Bedarf auf dem Förderband nach oben oder unten. Befindet sich der Karton in der richtigen Position, um mittig in eins der Gates einlaufen zu können, gibt der Greifer das Paket frei und bewegt sich anschließend geradlinig auf dem Förderband weiter.
Diese Implementierung des XTS-Systems sorgt für eine höhere Flexibilität als die üblichen mechanischen Lösungen. Produkte lassen sich beliebig auf dem Förderband verteilen, egal ob die Kartons abwechselnd in die beiden Gates verschoben werden sollen, eine bestimmte Reihenfolge umzusetzen ist oder in einem bestimmten Verhältnis (2:1, 3:2 oder 4:1) aufzuteilen sind. Dabei sorgt das System immer für den einzuhaltenden Abstand. Hierfür muss keinerlei Mechanik geändert und kein Werkzeug gewechselt werden, was die Stillstandzeiten der Maschine reduziert. Hinzu kommt der Geschwindigkeitsvorteil: In einer konkreten Anwendung läuft das Förderband mit bis zu 3,5 m/s, mit der das Verteilsystem problemlos mithalten kann.
Zuführer mit Distanz-Anpassung
Einen unregelmäßigen Produktstrom auf einen gleichmäßig getakteten Folgeprozess – eine Verpackungsmaschine für kleine Kartons – zu synchronisieren, erfordert bislang viel Aufwand. Konventionell werden die Produkte mit einem Hindernis auf dem Förderband gestaut, wobei das Band unter den gestoppten Produkten weiterläuft und damit an der Verpackung schleift. Das Hindernis wird gesteuert entfernt und lässt im gewünschten Abstand ein Produkt durch. Typisches Beispiel ist der Flaschentransport in einer Brauerei. Bei empfindlicheren Produkten, beispielsweise Pappkartons mit etwas schwererem Inhalt, würde dieses Verfahren allerdings schon zu inakzeptablen Beschädigungen der Verpackung führen. Auch bei klebrigen Produkten wie Wurstscheiben oder Schokoriegel treten Probleme auf. Bei empfindlichen Produkten setzen Maschinenbauer daher meist zwei Förderbänder ein, wobei das nachgeschaltete schneller läuft und der Produktabstand über eine mechanische Verstellung der Bandlängen geregelt wird. Dies erfordert zwischen den Förderbändern einen aufwendigen und vor allem im Lebensmittelbereich schwierig zu reinigenden Bandspeicher. Ein immenser Aufwand im Vergleich zum Mover-System: Der XTS-Mover mit anmontiertem Schieber oder Greifer übernimmt einen der chaotisch ankommenden Kartons vom Förderband auf eine Zwischenplatte (Pufferzone) und beschleunigt diesen, sodass sich der vorgegebene Abstand zum vorherigen Karton ergibt.
Asynchroner Transport, synchrone Speisung
Flaschenabfüllanlagen sind die Paradedisziplin für den XTS-Einsatz als Rundläufer mit asynchronem Produkttransport bei synchroner Produkteinspeisung. Dabei nehmen die unabhängig steuerbaren Mover die kontinuierlich zugeführten Flaschen auf, beschleunigen diese individuell und transportieren die Flasche zur zeitintensiven Abfüllstation. Zudem erleichtert die Flexibilität des Systems, langsame Teilprozesse wie das Abfüllen mehrfach in der Anlage vorzusehen, teure aber schnelle Prozesse wie Drucken und Wiegen nur einmal. Auf diese Weise lässt sich eine Flaschenabfüllanlage effizient betreiben. Ohne XTS ist dies nur mit viel Aufwand zu lösen. Im einfachsten Fall wird immer der gesamte Produktstrom gestartet und gestoppt. Das hat zur Folge, dass die komplette Anlage nur so schnell wie die langsamste Einheit arbeitet.
Gruppierer für Individuelles
Bei der Anwendung als Gruppierer für individuelle Produktzusammenstellungen werden auf vier Förderbändern verschiedenfarbige Kartons – dies könnten auch Tüten mit unterschiedlichen Chipssorten oder Weingummiarten sein – dem XTS-System zugeführt. Diese lassen sich mit je zwei Movern zu einer festgelegten Gruppe zusammenstellen beziehungsweise einklemmen und falls notwendig mit definiertem Abstand zwischen den Produktgruppen zum nächsten Prozessschritt transportieren.
Bei dieser Applikation kommt die Software-Steuerung gegenüber einer mechanischen Lösung besonders zur Geltung. Zum einen lassen sich neue Produktgruppen einfach definieren, indem die Mover-Paare die Förderbänder nicht mehr nacheinander, sondern in einer veränderten Reihenfolge anfahren. Auf diese Weise lässt sich etwa die Anzahl der Kartons einer bestimmten Farbe oder die Anzahl in einer Gruppe ändern. Ohne großen Aufwand sind auch kurzfristig Sonderverpackungen wie eine Werbeaktion ‚3+1′ möglich. Sollte ein Förderband ausfallen ist dies für den weiteren Produktionsablauf – zumindest bei gleichen Produkten – kein Problem. Es muss lediglich per Software festgelegt werden, dass die Mover das gestörte Band auslassen und dafür ein funktionierendes häufiger anfahren.
Sortieren nach veränderbaren Mustern
Eine effiziente Möglichkeit, um beispielsweise Schlechtteile aus einem Produktstrom auszuschleusen oder um Produkte zu sortieren, ist die Kombination aus einem Rundläufersystem und zwei vertikalen XTS-Systemen, welche die Produkte aufnehmen, puffern und bei Bedarf wieder abgeben. Auch hier liegt der Vorteil in der flexiblen Änderung der Auswahlkriterien per Software.
Individuelle Streckenprofile per Gantry-System
Die Vorteile der Mover zeigen sich auch als Gantry-System für individuelle Streckenprofile. Denn die Synchronisierung zweier Mover ist nicht nur innerhalb, sondern auch bei parallel laufenden XTS-Systemen möglich. Verbunden mit einer entsprechenden Kinematik – etwa Hebel mit Drehgelenken – ist auch ein von der Linearbewegung abweichender Transport möglich. Nutzen lässt sich dies unter anderem beim Abfahren einer Produktkante oder für Drehbewegungen, beispielsweise um Deckel aufzuschrauben. Mover mit zusätzlicher Mechanik können Kartonverpackungen aufnehmen und unter einer Leimdüse positionieren. Dort angekommen führen die synchron gesteuerten Mover die Produktkante präzise unter die Leimdüse hindurch. Der Vorteil: Nicht die meist schwere Leimdüse wird mit teuren Robotern positioniert, sondern das in der Regel leichtere Produkt durch die Transporteinheit.
Henrik Ohlmer
Uwe Prüßmeier
(sk)