„HMS ist der Kommunikations-Experte, der ein breites Spektrum an Slave-Technologien unterstützt.“ Thilo Döring

„HMS ist der Kommunikations-Experte, der ein breites Spektrum an Slave-Technologien unterstützt.“ Thilo DöringRedaktion IEE/Renate Schildheuer

CAN-Anschaltungen für S5/S7-Steuerungen gab es schon früher. Siemens hat das nur nie an die große Glocke gehängt. Ihre CAN-Anschaltungen sind Beleg einer neuen Offenheit von Siemens. Woher kommt dieser Sinneswandel?

Volz: Wir alle wissen, dass der Fokus von Siemens auf den Profi-Netzwerken liegt, auf Profibus und Profinet. Es gibt aber viele Randbereiche in der Industrie, wo sich heute und wohl auch in Zukunft andere Netzwerke behaupten. Wir zielen darauf ab, integrierte Lösungen für Kunden zu schaffen, die sich beispielsweise für CAN und CANopen entschieden haben. Die beiden Kommunikationsprotokolle spielen vielleicht in der Automobilfertigung heute nicht mehr die entscheidende Rolle; hier sind Netzwerke wie Profinet gesetzt. Aber in Bereichen wie Transportation, Logistik, Heavy Vehicles oder Nutzfahrzeuge, bei der Zugausrüstung oder Medizintechnik, gibt es nach wie vor sehr viele CAN-Applikationen, durchaus auch im allgemeinen Maschinenbau. Mit den von HMS und Siemens partnerschaftlich entwickelten CAN-Anschaltungen zielen wir genau auf diese Märkte.

Speziell die Mobile Automation wird von mehreren Anbietern vorangetrieben.

Döring: Auch wir sehen einen sehr starken Markt im Bereich Nutzfahrzeug-Technologie und deren Aufbauten, zum Beispiel Feuerwehrfahrzeuge, Kommunalfahrzeuge oder Landmaschinen. Historisch dominiert bei deren automatisierten Subsystemen CAN. Um diese Subsysteme künftig auch mit Siemens-Steuerungen automatisieren zu können, braucht es eine passende Anbindung, wie wir sie umgesetzt haben.

Ist Siemens nicht sehr darauf bedacht, ihr Ökosystem gegenüber Dritt­anbietern abzuschotten? In der S5- und S7-Welt sind einige ­Unternehmen mit dem Klonen der Komponenten recht erfolgreich ­gewesen. Für die S7-1200 hat HMS nun eine Anschaltbaugruppen in die Steuerungsplattform integriert. Wie haben Sie das realisiert?

„Nach der CAN-­Anschaltung für die ET200S gehen wir mit dem ­S7-1200-Modul in die zweite Runde.“ Michael Volz

„Nach der CAN-­Anschaltung für die ET200S gehen wir mit dem ­S7-1200-Modul in die zweite Runde.“ Michael VolzRedaktion IEE/Renate Schildheuer

Volz: HMS und Siemens sind Marktführer in ihren Bereichen. Da liegt es nahe, dass wir miteinander reden und Win-Win-Situationen schaffen. Natürlich haben wir ebenso gute Beziehungen zu anderen großen SPS-Herstellern und sprechen auch mit Rockwell Automation, Schneider Electric, Mitsubishi oder Eaton über solche und ähnliche Projekte. Unser Vorteil ist, dass wir mit unserer Kerntechnologie effiziente, leistungsfähige Lösungen anbieten können, die das Produktspektrum der Steuerungsanbieter ergänzen. Dabei arbeiten wir nicht gegen unsere Partner oder gar im Untergrund, sondern stets in Kooperation.

2011 hat HMS eine CAN-­Anschaltung für die dezentrale Peripherie ET200S vorgestellt. Wurde diese 1:1 auf den Formfaktor S7-1200 umgesetzt?

Volz: Die Funktionalität ist sehr ähnlich. Beide Baugruppen unterstützen CAN 2.0a sowie CANopen und lassen sich als Master oder Slave im CAN-Netzwerk betreiben. Unterschiedlich ist natürlich die Anbindung an den Systembus und die Gehäuse. So gesehen war die CAN-Baugruppe für die ET200-Peripherie die Premiere, die Integration in die aktuelle S7-Generation die logische Fortführung.

Dann wäre der nächste Schritt eine CAN-Anschaltung für die S7-1500.

Volz: Das liegt auf der Hand und es gibt Gespräche.

Die Konfiguration der Baugruppen erfolgt direkt im TIA-Portal. Wie wurde das umgesetzt?

Volz: Die Grundkonfiguration der Baugruppe erfolgt direkt im TIA-Portal. Konkret können wir uns in dessen Hardware-Katalog einklinken. Im TIA-Portal erfolgt auch die Konfiguration der Baugruppe im Umfeld der Zentraleinheit. Dazu zählt beispielsweise die Einbindung in den Systembus und in das System von Siemens. Hierfür haben wir eine elegante Methode der Integration gefunden.

„Die Konfiguration der CAN-Netzwerke im TIA-Portal würde keinen Sinn machen.“ Thilo Döring

„Die Konfiguration der CAN-Netzwerke im TIA-Portal würde keinen Sinn machen.“ Thilo DöringRedaktion IEE/Renate Schildheuer

Döring: Elegant heißt: Die Integration ist genauso wie bei anderen Komponenten aus der Siemens-Welt. HMS liefert dafür eine entsprechende Hardware-Support-Package-Datei zusammen mit dem Gerät. Ergänzend dazu haben wir Funktionsbausteine für die S7-Steuerungen entwickelt, beispielsweise für den Datenaustausch zwischen dem CAN-Netzwerk und der Siemens-CPU. Diese Funktionsbausteine sind von Siemens ebenso getestet und freigegeben wie die Baugruppe den kompletten Conformance-Test bei Siemens durchlaufen hat. Um das CAN-Netzwerk zu definieren, braucht der Anwender dann nur noch das Configuration Studio von HMS.

Ist das Tool ins TIA-Portal integriert oder wird es daraus aufgerufen?

Döring: Man muss hier unterscheiden, zwischen der Integration ins TIA-Portal und der Konfiguration des CAN-Netzwerks. Letztere unterscheidet sich doch sehr zur Vorgehensweise, wie sie im TIA-Portal strukturiert ist. Daher macht es Sinn, dies in einem separaten Tool zu erledigen. Im TIA-Portal werden aber die Objekte entsprechend der Konfiguration angelegt und dargestellt.

Wie sehen Ihre Stückzahlerwartungen bei den CAN-Baugruppen aus?

Volz: Über konkrete Stückzahlen sprechen wir nicht. Jedenfalls gibt es eine Menge großer Projekte in verschiedene Industrien mit entsprechenden Volumina.

Döring: Das sind Projekte im Bereich der Logistik und automatische Warenlager, die häufig mit CAN ausgerüstet werden. Auch in der Druckindustrie ist CAN traditionell sehr verbreitet.

Wer war denn der Treiber der Entwicklung, Siemens oder HMS?

Wir haben eine elegante Lösung für die Integration unserer Baugruppen ins TIA-Portal gefunden.  Michael Volz

Wir haben eine elegante Lösung für die Integration unserer Baugruppen ins TIA-Portal gefunden. Michael VolzRedaktion IEE/Renate Schildheuer

Volz: Weder noch. Die Kunden in den wichtigen CAN-Märkten waren es, deren Automatisierungsstruktur auf CAN ausgerichtet ist. Sie wollten auch dort Siemens-Steuerungen einsetzen, allerdings ohne das Ökosystem im Feld anzutasten.

Es gibt noch andere Ökosysteme im Markt. Wäre es nicht reizvoll für HMS, die S7-Steuerungstechnik mit Ethercat zu kombinieren?

Döring: Grundsätzlich haben wir die Technologie im Haus und könnten auch einen Ethercat-Master realisieren. Letztendlich ist es eine Entscheidung vom Markt, ob der das fordert und ob Siemens das überhaupt strategisch unterstützen würde. Ich kann mir das nicht vorstellen und grundsätzlich würden wir so eine Entwicklung nicht ohne Zustimmung starten. Generell schätzen wir die enge Zusammenarbeit mit unseren Partnern und starten keine Entwicklungen an diesen Firmen vorbei.

Wie hat Siemens die Entwicklungsarbeiten unterstützt?

Döring: Um die Freigabe für die Buskommunikation auf der Steuerung zu bekommen, braucht man eine enge Zusammenarbeit. Neben den Gehäusen, in die wir unsere Module einbauen, stellt Siemens die Kommunikations-ASICs für den Systembus zur Verfügung und hat uns Zugang zu dessen Protokollen gewährt.

Wie lange lief das Entwicklungsprojekt?

Volz: Rund ein Jahr, die ersten Spezifikationen und die Abstimmung mit Siemens hinsichtlich der Rechte und Lizenzen nicht eingerechnet. Erst danach begann der eigentliche Entwicklungszyklus bis hin zu den umfassenden System- und Conformance-Tests, Freigaben und der Zertifizierung. Schließlich muss sichergestellt sein, dass die Baugruppe in Verbindung mit der S7-1200-CPU und die Kommunikation auf der Backplane auch wirklich sicher funktioniert.

Im Automatisierungsumfeld wird schon seit Jahren mal mehr, mal weniger postuliert: „Feldbusse sind tot, es lebe Industrial Ethernet.“ Sie widerlegen gerade dieses Dogma.

Volz: HMS beschäftigt sich als Marktführer mit fast allen industriellen Netzwerken, mit den aktuellen Industrial-Ethernet-Netzwerken sowie auch mit den Feldbussen. Wir haben den Vorteil einer internationalen Vertriebsorganisation und arbeiten mit vielen der großen SPS-Hersteller intensiv zusammen. Deswegen sehen wir recht präzise, wie sich die Marktanteile entwickeln und trauen uns, als HMS Position zu beziehen, die den gängigen Studien teilweise widerspricht. Unsere Basis sind rund 2,5 Millionen installierte HMS-Knoten über alle Netzwerke hinweg. Jahr für Jahr kommen über 200 000 Knoten dazu. In Summe ergibt das ein realistisches Bild der tatsächlichen Marktanteile einzelner Systeme. Der Anteil von Industrial Ethernet beträgt mittlerweile bereits 25 % und wächst am stärksten. Weitere Wachstumspotenziale bieten die Wire­less-Netzwerke sowie die Integration von Safety-Protokollen. Traditionelle Feldbusse machen aber immer noch den Löwenanteil aus – 75 %. CAN ist dabei auf einem sehr stabilen Level und wächst weiterhin in verschiedenen Industrien wie Transportation, Medizintechnik und Nutzfahrzeuge.

„CAN FD wird neuen Schwung in die CAN-Märkte bringen.“ Thilo Döring

„CAN FD wird neuen Schwung in die CAN-Märkte bringen.“ Thilo DöringRedaktion IEE/Renate Schildheuer

Döring: Für frischen Wind wird die Einführung von CAN FD sorgen. Die neue Technologie wird von Bosch vorangetrieben und soll die klassischen CAN-Varianten ablösen. Da CAN FD weiterhin auf die klassische RS485-Infrastuktur setzt, also auf Zweidrahtleitungen, aber eine höhere Bandbreite bietet, stehen die Chancen dafür nicht schlecht. Der Vorteil: Die bestehende Verkabelung kann weiterhin genutzt werden, was den Umstieg kostengünstig macht. Unsere Entwickler sind hier ganz vorne mit dabei. Wir können daher heute schon Lösungen liefern und stellen auf der Embedded World CAN-FD-PC-Karten vor.

Volz: Die generelle Tendenz ist: In der Fabrikautomation sind die Ethernet-Standards stark im Kommen. In anderen Märkten, in denen Kosten eine zentrale Rolle spielen und in denen der Innovationsdruck nicht so groß ist, die Datenmengen nicht so umfangreich sind und IT und Buskommunikation noch nicht so sehr verschmelzen, da ist der Feldbus nach wie vor gesetzt.

Wie sehen Sie eigentlich Industrie 4.0, herrscht Goldgräberstimmung bei den Anbietern von Kommunikationstechnik?

Volz: Nett formuliert. Für alle Industrie-4.0-Aktivitäten ist Kommunikation in den verschiedensten Facetten wie Brot und Butter: Man braucht es zum Leben. Industrie 4.0 spielt sich aber ganz oben in den Software-Layern ab und ist daher nicht genau das Kernthema von HMS. Aber wir können einen wichtigen Beitrag zur Industrie 4.0 leisten: Die durchgängige Vernetzung der Maschinen und Anlagen bis zum Sensor mittels kleiner, kostengünstiger und effizienter Kommunikationslösungen.

Döring: Auch hier bildet Ethernet das Fundament mit seinen Realtime- und IT-Protokollen. Unser Beitrag zur Industrie 4.0 sind Chip-Entwicklungen wie unser Anybus NP30 oder NP40, die auf kleinstem Raum alle Kommunikationsfunktionen inte­grieren, die ein Slave benötigt. Die NP40-Technologie befindet sich derzeit in der Release-Phase und unterstützt die harten Echtzeitlösungen wie Profinet IRT, Ethercat CIP Motion und auch Powerlink, wie sie zum Beispiel für Highspeed-Applikationen bei Servoantrieben notwendig sind.

Klein, kompakt und mit Master-Anschaltungen, das klingt unterschwellig schon sehr nach Embedded-Anwendungen.

Volz: Wir haben auch auf der SPS IPC Drives mit dem Econ 100 einen Linux-basierten Controller vorgestellt, den es in drei Varianten als Master für Ethercat, Powerlink oder auch CANopen gibt. Anwender können damit ihre Applikationen in einem geschlossenes Steuerungssystem erstellen und trotzdem die Ökosysteme der drei etablierten Kommunikationslösungen nutzen.

Was sagt denn ihre Steuerungskundschaft dazu? Mit dem Controllermodul im Tornister wird aus jeder HMS-Kommunikationsbaugruppe eine kompakte Steuerung.

Döring: Wir positionieren uns nicht gegen unsere klassischen SPS-Kunden. Der Controller zielt auf Nischenmärkte, wo Maschinenbauer oder Gerätehersteller einzelne Module und Komponenten vernetzen müssen, aber das Budget oder die Geräteabmessungen keine klassische Steuerung erlauben.

Von 3S gibt es für Codesys bereits eine Linux-Runtime.

Döring: Ich weiß. Wir überlegen, auf unsere Plattform das Codesys-System aufzusetzen. Technologisch haben wir das schon geprüft, funktioniert. Bei entsprechender Nachfrage oder ausreichend Marktpotenzial können wir das schnell umsetzen.

Sie erwähnten, dass HMS auch mit anderen Firmen zusammenarbeitet. Gibt es konkrete Projekte, die in die ähnliche Richtung gehen wie das Siemens-Projekt?

Döring: Mit Rockwell Automation zusammen haben wir eine Kopfstation für ihre Safety-Relais entwickelt. Darüber lassen sich verschiedene Sicher­heits-Relais an Ethernet-IP koppeln. Das Koppelmodul haben wir in das RSLogix-System integriert und es wird dort auch komplett konfiguriert.

Immer mehr Steuerungsanbieter haben für das Engineering eigene Frameworks entwickelt, auf dem Disziplinen wie Kommunikation, Visualisierung, Steuerungstechnik aufsetzen. Das Ziel: Durchgängigkeit der Daten. Wie sieht Ihre Strategie aus, das HMS-Konfigurationstool in solche Frameworks zu integrieren?

Döring: Meistens ist es so, dass der Kunde die Profilintegration übernimmt. Rockwell hat im Fall der Safety-Relais-Koppler das Ganze in seine Software-Suite implementiert.

Volz: Wenn ein Automatisierungsanbieter das tun möchte, kann er das über FDT/DTM realisieren. Wir haben solche DTMs. Die Integration unserer Tools in andere Entwicklungsumgebungen ist aber nicht unser primäres Geschäft. HMS ist heute primär Experte für Slave-Anschaltungen mit einem ganz breiten Spektrum an eigener hochintegrierter Kerntechnologie – klein, smart, kostengünstig. Und daran wird sich so schnell nichts ändern.

Stefan Kuppinger

ist Chefredakteur der IEE.

(sk)

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