Eck-Daten
Lithium-Ionen-Akkus könnten schon bald die klassische Blei-Säure-Starterbatterie ablösen. Für den Fahrzeugstart benötigen sie allerdings Batterie-Management-Systeme (BMS) mit einer hohen Dynamik, die bislang nur wenige Testsystemen simulieren können. Ein innovatives HiL-System von Micronova berechnet die aktuellen Batteriezustände mithilfe eines elektrochemischen Simulationsmodells mit einer bisher nicht erreichten Exaktheit.
Die Gründe für den Einsatz von Lithium-Ionen-Akkus, ob als Hochvolt-Akku für Antriebe oder als Bordnetz-Batterie, sind vielfältig. Zum einen hat der Gesetzgeber die Verwendung des giftigen Schwermetalls Blei in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt, und zum anderen besitzen LiIo-Akkumulatoren eine höhere Energiedichte, wiegen deutlich weniger und entladen sich bei Nichtgebrauch kaum.
Allerdings stellt die LiIo-Technologie gerade die Hersteller von Batterie-Management-Systemen (BMS) vor neue Herausforderungen: Im Gegensatz zu Blei-Säure-Batterien benötigen LiIo-Akkus deutlich komplexere Lade-Algorithmen, um die in Reihe geschalteten Einzelzellen möglichst intelligent anzusteuern. Dazu überwachen moderne BMS-Steuergeräte die Spannungen, Ströme und Temperaturen jeder Akkuzelle einzeln und stellen Informationen über deren Zustand bereit. Auf diese Weise sollen sich fertigungsbedingte Unterschiede der Akkuzellen wie Kapazität und Leckströme erkennen, überwachen und ausregeln lassen.
Kommt der LiIo-Akku gar als Starterbatterie zum Einsatz, steigen die Anforderungen an das BMS zusätzlich. Für einen erfolgreichen Fahrzeugstart sind hohe Stromstärken erforderlich, die von der Batterie innerhalb kürzester Zeit bereitzustellen sind. Das erfordert vom Steuergerät eine wesentlich höhere Dynamik als andere Batterieanwendungen. Dies wirkt sich auch auf die bei der BMS-Entwicklung eingesetzten Testsysteme aus. Um die Steuergeräte zuverlässig testen und absichern zu können, müssen die sogenannten Hardware-in-the-Loop-Systeme (HiL) ebenfalls in der Lage sein, die Starterbatterie mit der erforderlichen Dynamik und Genauigkeit zu simulieren.
Hohe Dynamik und vielfältige Einsatzmöglichkeiten
Der Automobilzulieferer Marquardt suchte bereits Anfang 2013 nach einem geeigneten HiL-Simulator für LiIo-Starterbatterien, um frühzeitig mit einem eigenen Steuergerät für diesen Batterietyp auf dem Markt präsent zu sein. Da das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt noch nicht über ein spezielles Testsystem für Batterie-Steuergeräte verfügte, sollte sich der neue HiL-Simulator möglichst vielfältig einsetzen lassen und neben Starterbatterien auch andere Lithium-Ionen-Batterien verschiedener Hersteller simulieren können.
Da herkömmliche Batterie-HiL-Simulatoren die für Starterbatterien notwendige Dynamik und Genauigkeit nicht abbilden konnten, gab das Unternehmen beim langjährigen Partner Micronova den Anstoß für die Entwicklung eines innovativen, bislang auf dem Markt einzigartigen HiL-Simulators für LiIo-Starterbatterien.
Die Anforderungen an das System waren hoch. Der HiL-Prüfstand sollte in der Lage sein, die Ladezustände der LiIo-Zellen nach einem Modell exakt zu simulieren. Dabei sollten neben den elektrischen auch die chemischen Vorgänge Berücksichtigung finden, und auch das dynamische Verhalten des Akkus während des Startvorgangs sollte das Testsystem realitätsnah abbilden. Um den HiL-Simulator auch langfristig optimal einsetzen zu können, legte man zudem großen Wert auf das Thema Zukunftsfähigkeit. Das System sollte so ausgelegt sein, dass sich auch zukünftige BMS-Funktionen, die voraussichtlich in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen werden, umfassend testen lassen – wie beispielsweise Active-Cell-Balancing-Mechanismen. Darüber hinaus sollte sich der neue Starterbatterie-Simulator als Erweiterung für das im Unternehmen bereits vorhandene Micronova-HiL-System verwenden lassen, um sicherzustellen, dass sich die existierende Basis-Hardware ebenso weiter nutzen lässt wie die vorhandenen Testfälle.
Exaktes, elektrochemisches Simulationsmodell
Um die hohen Anforderungen zu erfüllen, entwickelte Micronova ein speziell für den Test von Batterie-Management-Systemen für LiIo-Starterbatterien konzipiertes Produkt. Wie bei allen Batterie-HiL-Systemen war das Batteriemodell dabei von zentraler Bedeutung. Im Gegensatz zu vielen anderen Steuergeräten können Batterie-Steuergeräte nämlich nicht auf Basis bereits vorhandener Daten, etwa von anderen Steuergeräten, Sensoren oder Aktuatoren, reagieren, da die Batterie selbst keine Informationen, beispielsweise zu ihrem Ladezustand, übermittelt. Vielmehr muss das Steuergerät den Ladezustand selbst berechnen, indem es auswertet, wie viel Strom die Batteriezellen über welchen Zeitraum abgegeben haben. Um testen zu können, ob die Steuergeräte-Software für diese Berechnung mit dem tatsächlichen Ladezustand übereinstimmt, ist ein exaktes Modell des jeweiligen Batterietyps erforderlich, das auch herstellerspezifische Merkmale berücksichtigt.
Anstelle des üblichen, einfachen elektrischen Simulationsmodells auf Ersatzschaltbild-Basis kam bei dem HiL-System von Micronova ein physikalisch/elektrochemisches Zell- und Batteriesimulationsmodell des Fraunhofer IWES, Institutsteil Energiesystemtechnik, in Kassel zum Einsatz, das speziell für die Anforderungen eines Echtzeit-Testsystems weiterentwickelt wurde. Das Highlight des Modells besteht darin, dass es mit einer Rechenschrittweite von 100 Mikrosekunden arbeitet, also zehnmal schneller als die Standard-Zellsimulation, und die aktuellen Batteriezustände mit einer bisher nicht erreichten Exaktheit berechnet. So lässt sich das elektrochemische Verhalten von LiIo-Zellen sehr genau nachbilden.
Eine von Micronova entwickelte Emulation mit einer Update-Rate von zehn Kilohertz sorgt zudem dafür, dass sich auch das dynamische Verhalten der Zellen beim Startvorgang erstmalig exakt nachbilden lässt. Dank dieser hohen elektrischen Dynamik und Genauigkeit kann man mit dem HiL-System verschiedene Lebenszyklen und Zellaufbauten simulieren. Die Nachbildung verhält sich auch bei unterschiedlichen Ladezuständen und Temperaturen stets realitätsnah.
Einsatz in der Praxis
Seit 2014 ist das erste LiIo-Starterbatterie-HiL-System beim Automobilzulieferer im Einsatz. Den Batterie-Simulator hatte man wunschgemäß nicht wie sonst als Standalone-Produkt konzipiert, sondern erfolgreich als Erweiterung an das bestehende universelle Testsystem von Micronova angeschlossen. So konnte man die bereits vorhandenen Basisfunktionalitäten optimal weiter verwenden und die bestehenden Testfälle für den Test von Steuergeräten ließen sich durch diesen Ansatz als Basis nutzen – mit entsprechenden Vorteilen in Bezug auf Kosten und Testqualität.
Gleich zu Beginn konnte das neue System durch eine schnelle Inbetriebnahme und die hohe Benutzerfreundlichkeit punkten. „Der Anwender hat kaum gemerkt, dass der Batterie-HiL-Simulator als Erweiterung dazu gekommen ist, da sich an der Bedienung gar nichts verändert hat“, berichtet Jörg Michael, Testverantwortlicher für BMS-Steuergeräte in der Abteilung Funktionaler Softwaretest bei Marquardt. Diese Abteilung ist für den Test der Software und das Systemverhalten von neuen Steuergeräten verantwortlich und arbeitet daher hauptsächlich mit dem Batterie-HiL-System.
Der Testprozess folgt dabei immer dem gleichen Schema. Zunächst erhält die Testabteilung die Anforderungen, die der Kunde, meist einer der führenden Automobilhersteller, an das zu entwickelnde Steuergerät stellt. Daraus entwickeln die Testverantwortlichen dann eine Vielzahl an Testfällen, mit denen sich überprüfen lässt, ob sich das Steuergerät auch tatsächlich so verhält wie es sich verhalten sollte. Anschließend führt man die Testfälle in der Regel mithilfe einer Testautomatisierungslösung automatisiert am jeweiligen HiL-System durch. Auch eventuell vorhandene Softwarefehler spüren die Tester auf diese Weise auf, sodass sie sich frühzeitig beheben lassen.
Soll das zu testende Steuergerät später für das Batteriemanagement einer LiIo-Batterie zum Einsatz kommen, erfolgen die Tests am neuen Batterie-HiL-System von Micronova. Dabei spielt es dank der Flexibilität des Systems keine Rolle, ob das BMS später für eine Starterbatterie, eine Hochvolt-Batterie für Elektrofahrzeuge oder eine 48-V-Boardnetzbatterie Verwendung findet. Darüber hinaus hat man mit dem System bereits verschiedene BMS für Zusatzbatterien getestet, die beispielsweise in Fahrzeugen im sogenannten Segelbetrieb unterstützend zum Einsatz kommen. Hier übernimmt die Zusatzbatterie die Versorgung von Verbrauchern im Fahrzeug, wenn der Motor abgestellt wird.
Auch der Wechsel von einem Projekt zum nächsten lässt sich mit dem Testsystem innerhalb kürzester Zeit realisieren. Die Prüflinge sind auf einem speziellen Test-Adapter angebracht, der sich bei Bedarf komplett austauschen lässt und dadurch den Verkabelungsaufwand deutlich reduziert. Anschließend müssen die Tester nur noch das passende, auf den jeweiligen Hersteller und Batterietyp zugeschnittene Zellsimulationsmodell für die zu simulierende Batterie auswählen.
Fazit
Mit dem innovativen HiL-System von Micronova ist man bei Marquardt in der Lage, die Ladezustände von LiIo-Zellen exakt zu simulieren. Dank des präzisen elektrochemischen Modells und der kurzen Rechenschrittweiten lassen sich komplexe chemische Prozesse ebenso nachbilden wie schnelle elektronische Spannungsverläufe. Das ermöglicht es dem Automobilzulieferer, die in die BMS integrierte Ladezustandsberechnung durch dynamische Tests zu verifizieren und die eigenen Systeme insgesamt noch besser und umfangreicher zu testen – für maximale Qualität. Davon profitieren nicht zuletzt die Kunden, deren Anforderungen der Automobilzulieferer jetzt noch besser erfüllen kann. Seit kurzem ist bereits ein zweites Batterie-HiL-System von Micronova im Einsatz: „Die hohe Dynamik und die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Batterie-HiLs für unterschiedliche Batterie-Typen sehen wir als klaren Vorteil“, ergänzt Jörg Michael. „Bei steigender Nachfrage unserer Kunden nach verschiedenen BMS-Steuergeräten war dies ein entscheidender Grund, einen zweiten Batterie-HiL in Betrieb zu nehmen.“
Günther Hohner
Klaus Neumann
(pet)